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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.05.2005
Aktenzeichen: IX ZR 276/03
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 254 Ea | |
BGB § 278 | |
BGB § 675 |
b) Vermutet der Mandant einen anderen Fehler als denjenigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich begangen hat, und beauftragt er gezielt einen zweiten Rechtsanwalt, wegen dieses vermeintlichen Fehlers Haftpflichtansprüche gegen den ersten zu prüfen, verfolgt der zweite Rechtsanwalt dann diese falsche Fährte weiter und übersieht er darüber den tatsächlichen Fehler, dessen Folgen noch vermeidbar gewesen wären, kann dem Mandanten dieses Verschulden nicht zugerechnet werden.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 24. Mai 2005
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden die Urteile des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. Dezember 2003 und der 12. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 8. Mai 2003 im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen dahin geändert, daß der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger weitere 63.911,49 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 20. Februar 2002 zu zahlen.
Die weitergehende Berufung des Klägers und die Anschlußrevision des Beklagten werden zurückgewiesen.
Von den Kosten erster und zweiter Instanz tragen der Kläger 3/10 und der Beklagte 7/10.
Die für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entstehenden Gerichtskosten werden dem Kläger auferlegt, der auch 3/5 der im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen hat.
Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer einer urologischen Fachklinik. Er betrieb diese in Gesellschaft mit dem am 8. April 1941 geborenen Dr. P. , dem er die ärztliche Leitung überlassen hatte. Nach dem Gesellschaftsvertrag war der Kläger berechtigt, die Gesellschaft zu kündigen "mit einer Frist von 12 Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres, wenn Dr. P. das 60. Lebensjahr vollendet hat". Der von dem Kläger mit dem Ausspruch der Kündigung beauftragte, nunmehr verklagte Rechtsanwalt kündigte die Gesellschaft mit einem alsbald zugegangenen Schreiben vom 2. März 2001 zum 30. Juni 2002. Kurz darauf verpachtete der Kläger die Klinik mit Wirkung ab 1. Juli 2002. Im Juli 2001 erhob Dr. P. Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Er war der Meinung, die Kündigung sei unwirksam, weil sie erst nach Vollendung seines 60. Lebensjahres am 8. April 2001 - freilich ebenfalls zum 30. Juni 2002 - hätte erfolgen dürfen. Das Landgericht gab ihm Recht. Dem Beklagten war der Streit verkündet. In der Berufungsverhandlung gab das Oberlandesgericht zu erkennen, daß es die Berufung des Klägers zurückweisen werde. Daraufhin schloß dieser mit Dr. P. einen den Prozeß beendenden Vergleich, wonach jener das Objekt gegen Zahlung von 700.000 DM räumte.
In der entsprechenden Höhe hat der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 191.734,46 Euro verurteilt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund der Streitverkündung im Vorprozeß stehe fest, daß der Beklagte für den Kläger eine unwirksame Kündigung ausgesprochen habe. Damit habe der Beklagte schuldhaft seine anwaltlichen Pflichten verletzt. Hieraus sei dem Kläger aber nur in Höhe von 500.000 DM ein Schaden entstanden. Ein Teil von 200.000 DM der an Dr. P. gezahlten Abfindungssumme sei auf eine noch ausstehende Vergütung medizinischer Leistungen entfallen, die der Kläger ohnehin hätte zahlen müssen. Hinsichtlich des verbleibenden Schadens treffe den Kläger ein Mitverschulden von 25 %. Die gegen dieses Urteil von beiden Parteien eingelegten Berufungen hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Der Senat hat die Revision des Klägers insoweit zugelassen, als die Klage wegen Mitverschuldens in Höhe von 25 % - dem entspricht ein Teil des Klageanspruchs von 63.911,49 Euro - abgewiesen worden ist. Der Beklagte verfolgt im Wege einer Anschlußrevision seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
Die - unselbständige - Anschlußrevision ist unbeschränkt zulässig, auch soweit der Beklagte damit nicht nur die Anrechnung eines Mitverschuldens verteidigt, vielmehr den Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, insbesondere die Kausalität seiner Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden leugnet. Im geltenden Recht ist die Anschlußrevision nur noch als unselbständige vorgesehen (Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 554 Rn. 1). Eine solche ist akzessorischer Natur. Auch sind die Voraussetzungen des Zugangs zur Revisionsinstanz in qualitativer Hinsicht deutlich eingeschränkt worden (vgl. § 543 ZPO n.F.). Indes erklärt § 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. die Anschlußrevision auch für statthaft, wenn "die Revision nicht zugelassen worden ist". Ein etwa noch erforderlicher innerer Zusammenhang mit dem Gegenstand der Revision (offen gelassen von BGHZ 155, 189, 191 f) wäre im vorliegenden Fall gegeben.
B.
Soweit die Revision zugelassen worden ist, hat sie auch Erfolg. Demgegenüber bleibt die Anschlußrevision erfolglos.
I.
Die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beklagten läßt sich nicht auf eine Nebeninterventionswirkung stützen. Eine solche scheidet aus, weil der Vorprozeß infolge seiner vergleichsweisen Beendigung nicht rechtskräftig entschieden worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 15. Dezember 1966 - VII ZR 293/64, DB 1967, 814; MünchKomm-ZPO/Schilken, 2. Aufl. § 68 Rn. 5; Zöller/Vollkommer, aaO § 68 Rn. 4). Gleichwohl liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor. Der Beklagte hätte bedenken können und müssen, daß ein Gericht die Kündigungsklausel in dem Gesellschaftsvertrag so auslegen könnte, wie geschehen, und dem durch eine unbedenkliche Terminierung des Kündigungsschreibens vorbeugen müssen. Diese Wertung kann das Revisionsgericht auf der Grundlage der vom Tatrichter getroffenen Feststellungen selbst vornehmen.
II.
Durch diese schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten ist dem Kläger ein Schaden entstanden. Die Anschlußrevision stellt dies zur Überprüfung lediglich unter dem Gesichtspunkt, der Verursachungsanteil ("das Verschulden") des Beklagten trete hinter denjenigen des Klägers "eindeutig zurück". Darauf wird bei der Prüfung des Mitverschuldens (unten III) eingegangen.
III.
Die Vorinstanzen haben zu Unrecht ein Mitverschulden des Klägers angenommen.
1. Das Berufungsgericht hat dem Kläger ein eigenes Verschulden zur Last gelegt. Diesem sei die Kündigungsproblematik seit März 1999 - also lange vor der tatsächlich ausgesprochenen Kündigung - bekannt gewesen. Es habe, so hat das Berufungsgericht gemeint, zu den Obliegenheiten des Klägers gehört, die ihm präsenten Zweifelsfragen, insbesondere was den Kündigungszeitpunkt betreffe, an den Beklagten heranzutragen.
Demgegenüber weist die Revision zutreffend auf Rechtsprechung des Senats hin, wonach die Kenntnis des Mandanten um ein juristisches Problem den Rechtsanwalt sogar dann nicht entlasten kann, wenn der Mandant selbst über eine juristische Vorbildung verfügt (BGH, Urt. v. 19. Dezember 1991 - IX ZR 41/91, NJW 1992, 820; v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2651; v. 13. März 1997 - IX ZR 81/96, NJW 1997, 2168, 2170). Im rein rechtlichen Bereich ist der Anwalt im Verhältnis zu seinem Mandanten grundsätzlich allein verantwortlich, und insoweit scheidet die Annahme eines Mitverschuldens durch den Mandanten im allgemeinen aus (BGH, Urt. v. 18. März 1993 - IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1378). Der Kläger durfte sich auf eine einwandfreie Arbeit des Beklagten - den Ausspruch einer wirksamen Kündigung des bestehenden Gesellschaftsverhältnisses - verlassen.
Nicht stichhaltig ist das Argument der Revisionserwiderung, nach der Rechtsprechung des Senats (BGH, Urt. v. 20. Januar 1994 - IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211, 1212) sei an ein eigenes Mitverschulden des Mandanten zu denken, wenn er seinem Anwalt nicht vertraue.
Zwar mag der Kläger ein besonders kritischer Mandant gewesen sein, der den Beklagten in ungewöhnlicher Weise zur Pflichterfüllung angehalten hat. Allein ein vorhandenes Mißtrauen und das besondere Streben nach Absicherung führt jedoch noch nicht zu einer Ausweitung der Gebote des eigenen Interesses, deren Außerachtlassung Voraussetzung für die Annahme eines Mitverschuldens ist. Es ist grundsätzlich Sache des Mandanten, ob er sich zur Klärung einer ihn beschäftigenden Rechtsfrage der Hilfe eines Rechtsanwalts oder mehrerer Rechtsanwälte bedient. Treibt er einen höheren Aufwand, muß er auch höhere Kosten auf sich nehmen. Seine Pflichten und Obliegenheiten gegenüber außerhalb der Mandatsverhältnisse stehenden Dritten werden jedoch nicht ausgeweitet.
Das fehlende oder eingeschränkte Vertrauen des Mandanten zu seinem Rechtsanwalt hat der Senat bisher nur dann für erheblich gehalten, wenn es zur Beauftragung eines zweiten Rechtsanwalts geführt hat, um eine erkannte oder für möglich gehaltene Fehlleistung des ersten Anwalts zu beheben (BGH, Urt. v. 20. Januar 1994 aaO). Ein Mitverschulden kann dem Mandanten jedenfalls nicht schon dann angelastet werden, wenn er lediglich ganz allgemein - ohne Bezug zu einer konkreten Fehlleistung - mit der Arbeit seines Anwalts unzufrieden war, dessen Fähigkeiten mißtraut hat und gleichwohl entweder ihn selbst hat weiterarbeiten lassen oder einen anderen Rechtsanwalt mit einer unspezifischen Kontrolle beauftragt hat. Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Mandant die konkrete Fehlleistung erkannt, daraus aber nicht die gebotenen Konsequenzen gezogen hat, kann offenbleiben. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Ebensowenig könnte die Bejahung eines Mitverschuldens dann Bestand haben, wenn das Berufungsgericht etwa nur eine Hinweispflicht des Klägers in tatsächlicher Hinsicht - insbesondere darauf, daß die Gegenseite eine Kündigung erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres des anderen Gesellschafters für möglich hält - hätte postulieren wollen. Denn unstreitig hat dem Beklagten die gesamte Korrespondenz des Klägers mit der Gegenseite vorgelegen, deren Standpunkt daraus hervorging, so daß es weiterer Hinweise von seiten des Klägers nicht bedurfte.
2. Entgegen der Auffassung der Anschlußrevision kann die Klageabweisung wegen Mitverschuldens auch nicht mit der Begründung des Landgerichts bestehenbleiben.
Dieses war der Ansicht, der Kläger habe den Streitverkündeten, Rechtsanwalt Dr. G. , mit der Überprüfung beauftragt, ob die durch den Beklagten ausgesprochene Kündigung wirksam sei. Dies ergebe sich daraus, daß der Kläger auf die entsprechende Behauptung des Beklagten, für welche dieser Beweis durch Vernehmung des Klägers angetreten habe, nicht eingegangen sei (§ 446 ZPO). Die danach anzunehmende Überprüfungspflicht habe Dr. G. verletzt. Auch er habe die Gefährlichkeit des frühen Ausspruchs der Kündigung nicht erkannt und demgemäß den Kläger nicht darauf hingewiesen, daß die Kündigung vorsorglich nach Vollendung des 60. Lebensjahres des Dr. P. wiederholt werden sollte. Das Verschulden des Dr. G. müsse der Kläger sich zurechnen lassen.
Die Revision rügt zu Recht, daß die Voraussetzungen des § 446 ZPO nicht vorliegen. Der Kläger hat es weder abgelehnt, sich vernehmen zu lassen, noch hat er auf Verlangen des Gerichts zu der gegnerischen Behauptung keine Erklärung abgegeben. Er hat stets in Abrede gestellt, daß er Dr. G. mit der Überprüfung der von dem Beklagten ausgesprochenen Kündigung beauftragt habe. Auf die gegenteilige Behauptung des Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht brauchte er deshalb nicht nochmals zu erwidern.
Zwar ergibt sich aus dem eigenen Vorbringen des Klägers, daß er schon vor der Mandatierung des Beklagten und später nochmals den Rechtsanwalt Dr. G. beauftragt hat, die Kündigung zu prüfen, dem Beklagten dann mit Schreiben vom 11. August 2000 den Regreß angekündigt und gleichwohl auch später noch eine doppelte Kontrolle durch beide Rechtsanwälte gewünscht hat. Spätestens nach dem 4. März 2001, als der Kläger die den mit Dr. P. geführten Schriftverkehr enthaltenden Ordner bei dem Beklagten abholen und zu Dr. G. bringen ließ, hatte dieser auch dieselben Erkenntnismöglichkeiten, wie sie zuvor der Beklagte gehabt hatte. Indes hat nach den tatrichterlichen Feststellungen der Kläger dem Beklagten nur deshalb mißtraut, weil er sich nicht davon überzeugen ließ, es könne erst auf den 30. Juni 2002 - und nicht bereits auf den 30. Juni 2001 - gekündigt werden. Nur insoweit hat der Kläger einen Fehler des Beklagten für möglich gehalten, und nur hierauf bezog sich der Auftrag an Dr. G. , die anwaltliche Leistung des Beklagten zu überprüfen. Die Wirksamkeit der am 2. März 2001 ausgesprochenen Kündigung bezweifelte er ebensowenig wie der Beklagte und Dr. G . Demgemäß erteilte er auch keinen diesen Punkt betreffenden Auftrag.
Falls dieser bei seiner Prüfung der Rechtslage denselben Fehler gemacht hat, der dem Beklagten unterlaufen ist, muß sich der Kläger das Verschulden des Dr. G. nicht zurechnen lassen. Vermutet der Mandant einen anderen Fehler als denjenigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich begangen hat, und setzt er einen zweiten Rechtsanwalt gezielt darauf an, wegen dieses vermeintlichen Fehlers Haftpflichtansprüche gegen den ersten zu prüfen, verfolgt der zweite Rechtsanwalt dann diese falsche Fährte weiter und übersieht er darüber den tatsächlichen Fehler, dessen Folgen noch vermeidbar gewesen wären, kann dem Mandanten dieses Verschulden ebensowenig zugerechnet werden wie bei einem unspezifischen Zweitmandat. Dies gilt selbst dann, wenn der zweite Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer Prüfung des vermeintlichen Fehlers auf den tatsächlichen Fehler hätte stoßen müssen. Die Zurechnung des pflichtwidrigen und schuldhaften Schadensbeitrags des zweiten Rechtsanwalts als Mitverschulden kommt nur in Betracht, wenn der Mandant diesen eingeschaltet hat, um seine Obliegenheit zur Schadensminderung innerhalb seiner Mandatsbeziehung zu dem ersten Rechtsanwalt (Schädiger) zu erfüllen und die damit für ihn als Geschädigten verbundenen Gebote des eigenen Interesses wahrzunehmen (BGH, Urt. v. 18. März 1993 - IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1378; v. 20. Januar 1994 - IX ZR 46/93, WM 1994, 948, 950). Für die Zurechnung ist also stets erforderlich, daß der Geschädigte einem derartigen Gebot unterliegt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hinsichtlich des Anwaltsfehlers, den der Beklagte begangen hat, bestand kein derartiges Gebot, weil der Kläger diesen Fehler nicht erkannt und nicht einmal in Betracht gezogen hat. Hinsichtlich des Fehlers, den der Kläger fälschlicherweise angenommen hat und den er durch den zweiten Rechtsanwalt hat prüfen lassen wollen, bestand ebenfalls kein Gebot des eigenen Interesses, weil der Beklagte insoweit fehlerfrei gearbeitet hatte. Aus einem vermeintlichen Fehler droht kein Schaden, und insoweit kann es auch keine Obliegenheit zur Schadensminderung geben.
Ende der Entscheidung
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