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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.07.2001
Aktenzeichen: IX ZR 380/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 592
BGB § 765
Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist das Urkundenverfahren für den Rückforderungsprozeß jedenfalls in der Regel unstatthaft.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 380/98

Verkündet am: 12. Juli 2001

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Stodolkowitz, Dr. Zugehör, Dr. Ganter und Raebel

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 15. Oktober 1998 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Bauunternehmen, und eine aus den Beklagten bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts schlossen 1996 einen schriftlichen Generalunternehmervertrag über den Umbau eines Büro- und Geschäftshauses. Wie vereinbart verbürgte sich die G. AG unwiderruflich, unbefristet und selbstschuldnerisch auf erstes Anfordern der Beklagten für die Erfüllung aller Verpflichtungen der Klägerin aus dem Generalunternehmervertrag.

Die Gesellschaft nahm das Werk der Klägerin nicht ab und erhob gegen sie Ansprüche auf Vertragsstrafe, Ersatz von Verzögerungsschäden und Preissenkung wegen Minderleistung in einer die Bürgschaftssumme übersteigenden Höhe. Auf Abruf leistete die Bürgin wegen dieser Ansprüche an die Gesellschaft, nahm bei der Klägerin Rückgriff und trat dieser ihre Rückforderungsansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, ab.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von den beklagten Gesellschaftern die Rückzahlung der Bürgschaftssumme im Wege des Urkundenprozesses. Die Klägerin hat (anwaltlich beglaubigte) Abschriften des Generalunternehmervertrages, der Bürgschaftsurkunde und der Zahlungsanzeige mit Abtretungserklärung der Bürgin vorgelegt. Sie ist der Ansicht, ihr Anspruch sei hierdurch hinreichend belegt, weil im Rückforderungsprozeß der Gläubiger, der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch genommen habe, die Entstehung und Fälligkeit der verbürgten Hauptforderungen darlegen und beweisen müsse. Vorsorglich hat die Klägerin, die das Bestehen der verbürgten Ansprüche bestritten hat, auch zum Beleg dieses Vorbringens bestimmte Urkunden vorgelegt. Die Beklagten haben dem u.a. die Unzulässigkeit der gewählten Verfahrensart entgegengehalten.

Das Landgericht hat die Beklagten im Urkundenprozeß unter Vorbehalt der Ausführung ihrer Rechte verurteilt. Das Oberlandesgericht hat das Vorbehaltsurteil aufgehoben und die Klage als im Urkundenprozeß unstatthaft abgewiesen.

Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat der Klägerin (Hauptschuldnerin) die Rückforderung der Bürgschaftssumme im Wege des Urkundenprozesses auf Einrede der Beklagten versagt, weil diese Verfahrensart nach ergänzender Auslegung des Generalunternehmervertrages mit der dort als Sicherheit der Gesellschaft vorgesehenen Erfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern unvereinbar sei. Ob die Bauauftraggeberin, hier die aus den Beklagten bestehende Gesellschaft, die Bürgschaft zu Recht in Anspruch nehme, lasse sich regelmäßig mit den Beweismitteln des Urkundenprozesses nicht klären. Dann entziehe die Vollstreckung des Vorbehaltsurteils oder eine Sicherheitsleistung der Auftraggeberin jedoch für die Dauer des Nachverfahrens jene Liquidität, welche die Bürgschaft auf erstes Anfordern dem Gläubiger verschaffen solle.

Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.

II.

Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß sich die Parteien eines Vertrages bindend verpflichten können, die Einforderung einer vertraglichen Leistung und ihre Rückforderung nicht im Wege des Urkundenprozesses zu betreiben, und die Klage dann in der abbedungenen Prozeßart jedenfalls auf die hier erhobene Einrede des anderen Teils unstatthaft ist (vgl. RGZ 160, 241, 242; beiläufig auch BGHZ 38, 254, 258; 109, 19, 29; BGH, Urt. v. 30. November 1972 - II ZR 135/70, WM 1973, 144; ferner: Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 21. Aufl., § 592 Rn. 19; Wieczorek/Schütze/Olzen, ZPO 3. Aufl., vor §§ 592 bis 605a Rn. 9; Zöller/Greger, ZPO 22. Aufl., vor § 592 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Braun, 2. Aufl., § 592 Rn. 8). Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht der Sicherungsabrede im Generalunternehmervertrag der Parteien entnommen, daß das Urkundenverfahren für den Rückforderungsprozeß aus der Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern hier wirksam abbedungen sei.

1. Zu Unrecht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht den Grund der Einrede gegen die im Urkundenprozeß erhobene Klage nicht in einer Vereinbarung der Beklagten mit der Bürgin (Zedentin), sondern in der Sicherungsabrede des Generalunternehmervertrages der Parteien gefunden habe. Denn Einreden aus dem Recht des Schuldners gegen den Zessionar schließt § 404 BGB nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2001 - IX ZR 273/98, ZIP 2001, 828, 832 unter IV., 1.). Im übrigen ergibt sich die Prozeßeinrede der Beklagten, die das Berufungsgericht mit Recht bejaht hat, sowohl aus der Sicherungsabrede zwischen den Parteien, und zwar für den an die Klägerin abgetretenen Rückforderungsanspruch ebenso wie für ihren etwaigen eigenen Anspruch aus der Sicherungsabrede, als auch aufgrund des vom Berufungsgericht insoweit nicht ausgelegten Bürgschaftsversprechens.

2. Die Revision kann weder gegen die Wirksamkeit der Sicherungsvereinbarung noch gegen die Leistungspflicht der Bürgin hier aus den nach § 24 AGBG a.F. für Kaufleute geltenden Kontrollmaßstäben Allgemeiner Geschäftsbedingungen durchgreifende Bedenken gegen das Berufungsurteil herleiten.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht bei Beurteilung der Sicherungsvereinbarung nicht von einer Allgemeinen Geschäftsbedingung aus. Die übereinstimmende Verwendung gleicher oder ähnlicher Klauseln in einer Mehrzahl von Verträgen aufgrund eines einheitlichen Musters erfüllt allein noch nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AGBG (vgl. BGH, Urt. v. 12. Juni 1992 - V ZR 106/91, NJW 1992, 2817). Der anderen Vertragspartei "gestellt" sind Musterverträge oder nach einem Muster gestaltete Vertragsteile freilich auch, wenn sie von einem Rechtsberater im Auftrag des Verwenders entworfen wurden (vgl. BGHZ 118, 229, 239). Ob das hier zutraf, ist zwischen den Parteien streitig. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen trifft grundsätzlich den Vertragspartner des Verwenders, der sich im Individualprozeß auf den Schutz des AGB-Gesetzes beruft (BGH, aaO S. 238). Dieser Beweis kann im Urkundenprozeß nur mit den dort zulässigen Beweismitteln (§ 595 Abs. 2 ZPO) geführt werden. Insoweit bedarf keiner Prüfung, ob das Beweisangebot der Klägerin in ihrer Berufungserwiderung vom 14. September 1998 (GA III 5) nach der Erwiderung der Beklagten vom 30. September 1998 (GA III 66 f) inhaltlich noch zulänglich war. Denn schon formell genügte der Beweisantritt (Vorlegung des für die Objektgesellschaft W. mbH entworfenen Blankettvertrages durch den Beklagten zu 1) gemäß § 421 ZPO nicht den besonderen Anforderungen des § 595 Abs. 3 ZPO für den Urkundenprozeß (vgl. BGH, Urt. v. 9. Juni 1994 - IX ZR 125/93, NJW 1994, 3295, 3296 unter II, 1, a, in BGHZ 126, 217 insoweit nicht abgedruckt).

b) Selbst wenn die Klägerin hier jedoch klauselmäßig zur Stellung einer Erfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern verpflichtet gewesen wäre, würde damit die Wirksamkeit der Sicherungsvereinbarung nicht zu verneinen sein. Auf diesem Wege kann von der Revision mithin weder der regelmäßigen prozessualen Folge einer solchen Vereinbarung begegnet noch der geltend gemachte Rückforderungsanspruch schon wegen fehlender Leistungspflicht der Bürgin (vgl. BGHZ 143, 381, 384; BGH, Urt. v. 8. März 2001 - IX ZR 236/00, WM 2001, 947, 948, z.V.b. in BGHZ) gerechtfertigt werden.

Die Interessenlage der Parteien ist nicht vergleichbar mit den von der Revision herangezogenen Fällen der Ablösungsmöglichkeit eines klauselmäßig vereinbarten Sicherheitseinbehaltes von 5 % der Auftragssumme durch eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern (vgl. dazu BGHZ 136, 27, 30 ff; BGH, Urt. v. 2. März 2000 - VII ZR 475/98, WM 2000, 1299, 1300). Der zwischen den Parteien geschlossene Generalunternehmervertrag verpflichtete die Beklagten, Zug um Zug gegen Vorlage der Vertragserfüllungsbürgschaft bereits knapp 50 v.H. des vereinbarten Pauschalfestpreises zu entrichten; die Restvergütung folgte in festen, nach dem Kalender bestimmten Raten gleichfalls ohne direkte Bindung an den Baufortschritt. Hierin lag eine Abweichung von § 641 BGB zugunsten der Klägerin, mit der auch die Durchsetzung von Ansprüchen der Beklagten bei Baufristüberschreitung erschwert wurde. Unter diesen Umständen war durch die von der Klägerin vertragsgemäß gestellte Erfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Höhe von etwa 22 v.H. der Auftragssumme nur das von den Beklagten eingegangene Vorleistungsrisiko in bestimmtem Umfange ausgeglichen, ohne daß dieser Ausgleich infolge des Regreßrisikos für die Klägerin in eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 AGBG umgeschlagen ist.

Auch unter dem Gesichtspunkt des § 3 AGBG wäre die Sicherungsvereinbarung hier nicht zu beanstanden, da unter Kaufleuten im Baugewerbe Sicherungen durch Bürgschaften auf erstes Anfordern nicht unüblich sind (vgl. BGH, Urt. v. 2. März 2000, aaO S. 1300), so daß die Klägerin hier insbesondere auf das erhöhte Regreßrisiko einer solchen Sicherung zur Meidung einer nicht hinnehmbaren Überraschung nicht hingewiesen zu werden brauchte.

3. Mit Zweck und Grundlagen des Urkundenprozesses sind Streitgegenstand und Beweislastverteilung im Rückforderungsprozeß nach Abruf einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nur beschränkt vereinbar.

Nach der besonderen Struktur des Rückforderungsanspruches obliegt dem Kläger, sei es der Bürge, sei es der Hauptschuldner, der Urkundenbeweis (§§ 592, 595 Abs. 2, § 597 Abs. 2 ZPO) nur für das erteilte und erfüllte Bürgschaftsversprechen, von etwaigen Rechtsübergängen - wie hier - abgesehen. Die Darlegungs- und Beweislast für die verbürgte Schuld verbleibt wie im gewöhnlichen Bürgschaftsprozeß beim Gläubiger, hier den Beklagten (BGH, Urt. v. 9. März 1989 - IX ZR 64/88, WM 1989, 709, 711; v. 13. Juli 1989 - IX ZR 223/88, WM 1989, 1496, 1498; v. 11. Juli 1996 - IX ZR 80/95, WM 1996, 1507, 1508; v. 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, WM 1997, 656, 658 f). Da im Rückforderungsprozeß dem Gläubiger zum Beweis der Hauptschuld nach § 595 Abs. 2, § 598 ZPO nur der Urkundenbeweis und der Antrag auf Parteivernehmung offenstehen, würde die Klärung des materiellen Bürgschaftsfalles weitgehend in das Nachverfahren abgedrängt werden. So wäre es jedenfalls bei Bürgschaften, die - wie hier - die Vertragserfüllung eines Bauunternehmers gegenüber dem Auftraggeber absichern. Auch bei generalisierender Betrachtung ginge in solchen Fällen der Urkundenprozeß am eigentlichen Streitkern des Rückforderungsanspruches vorbei, wenn nicht schon der Bürge hätte geltend machen können, wegen rechtsmißbräuchlicher Anforderung zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein (vgl. BGHZ 143, 381, 384; BGH, Urt. v. 8. März 2001 - IX ZR 236/00, aaO). Ob ein Vorbehaltsurteil im Nachverfahren bestätigt wird oder abgeändert werden muß, ist jedenfalls allein durch die Bürgschaftsurkunde dann nicht indiziert.

Die innere Rechtfertigung des Urkundenprozesses und seines Vollstreckungsprivilegs in Form des Vorbehaltsurteils liegt aber gerade in der generell erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit des von Urkunden gestützten Rechtsschutzbegehrens (ähnlich Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., S. 108; Stürner, NJW 1972, 1257, 1258; Hertel, Der Urkundenprozeß, 1992, S. 64; vgl. auch BGHZ 62, 286, 290) und der erfahrungsmäßigen Seltenheit von Nachverfahren (vgl. Hahn, Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 2 [CPO], S. 387). Diese Rechtfertigungsumstände werden in Fällen der vorliegenden Art verfehlt, und der Rechtsschutz des Rückforderungsbeklagten würde durch die Wirkungen von § 595 Abs. 2, § 598 ZPO unangemessen beschränkt. Wenn für den Rückforderungsanspruch des Bürgen nach Zahlung auf erstes Anfordern der Urkundenprozeß - allein gestützt auf die Bürgschaftsurkunde und den Zahlungsbeleg - offenstünde, wäre die übliche Folge nur die, daß aufgrund der Erstanforderungsklausel einerseits und des auflösend bedingten Vorbehaltsurteils andererseits die Bürgschaftsvaluta zwischen den Beteiligten einmal hin- und herbewegt wird, ohne daß für die eigentliche und endgültige Streitentscheidung irgend etwas gewonnen würde. Das widerspricht auch materiell dem Sinn einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Einem solchen Ergebnis muß mithin dadurch vorgebeugt werden, daß das Urkundenverfahren dem Rückforderungsanspruch nach Abruf einer Bürgschaft auf erstes Anfordern im Grundsatz verschlossen bleibt. Anders könnte es sich für den Rückforderungskläger, auch soweit der Hauptschuldner aus eigenem Recht vorgeht, allerdings dann verhalten, wenn er weitere Urkunden vorlegt, die den Eintritt des materiellen Bürgschaftsfalles - abweichend von der Beweislast - widerlegen können. Dieser Sonderfall bedarf jedoch gegenwärtig keiner weiteren Prüfung. Denn der materielle Bürgschaftsfall kann mit den beiderseits vorgelegten Urkunden hier weder festgestellt noch ausgeschlossen werden, weil sie lediglich Hilfstatsachen betreffen, die für sich allein keinen ausreichenden Schluß auf die ordnungsmäßige Vertragserfüllung der Klägerin erlauben. Dieser Beweis kann nach Lage des Falles nur mit anderen Mitteln geführt werden, so daß sich die Frage einer Zurückverweisung zwecks Vorlage weiterer Urkunden durch die Klägerin nicht stellt.

4. Im Schrifttum hat Lang die Ansicht vertreten, die Sach- und Interessenlage bei Rückforderung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern spreche mehr für die Statthaftigkeit des Urkundenprozesses als dagegen, wenn nicht eine ausdrückliche Abrede oder besondere entgegenstehende Anhaltspunkte vorliegen (WM 1999, 2329, 2335; zustimmend Musielak/Voit, ZPO 2. Aufl., § 592 Rn. 15, Fn. 72). Dies ist damit begründet worden, daß den Gläubiger trotz Rückzahlung der Bürgschaftssumme kein ernsthaftes Bonitätsrisiko treffe, weil er zur Rückzahlung nur gegen Wiederherstellung der ursprünglich bestehenden Bürgschaft auf erstes Anfordern verpflichtet sei.

Dem ist nicht zuzustimmen, weil eine solche Lösung zur Folge hätte, daß An- und Rückforderung der Bürgschaft sich in einem Kreislauf ständig wiederholen könnten.

5. Das Berufungsurteil fußt entscheidend auf dem Gedanken, daß im Regelfall mit dem Zweck einer Bürgschaft auf erstes Anfordern der Liquiditätsentzug beim Gläubiger durch die Vollstreckung eines Urkundenvorbehaltsurteils im Rückforderungsprozeß oder ihre Abwendung nicht vereinbar wäre. Auch das läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Da das Vorbehaltsurteil auf Vollstreckung angelegt ist (§ 599 Abs. 3 ZPO), widersprechen seine Wirkungen im Rückforderungsprozeß des Bürgen oder Hauptschuldners im Grundsatz dem Liquiditätsvorteil, der dem Gläubiger mit dieser Art der Sicherheit gebührt.

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß der im Urkundenprozeß verklagte Bürge, der sich auf erstes Anfordern verpflichtet hat, seine Einwendungen aus dem Hauptschuldverhältnis nicht schon im Nachverfahren erheben kann, sondern damit auf einen künftigen Rückforderungsprozeß verwiesen ist. Denn das Vorbehaltsurteil verschafft dem Gläubiger noch nicht sicher die liquiden Mittel, die er aufgrund einer Bürgschaft auf erstes Anfordern erwarten darf (Urt. v. 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, WM 1994, 106, 108). Angesichts unterschiedlicher Stellungnahmen im Schrifttum (kritisch etwa Schütze, EWiR 1994, 131; Kainz, BauR 1995, 616; zustimmend z.B. Oettmeier, Bürgschaften auf erstes Anfordern, 1996, S. 139; wohl auch Nielsen, WuB I K 3.-1.94) hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 17. Oktober 1996 (IX ZR 325/95, WM 1996, 2228, 2230) seinen Standpunkt aufrecht erhalten. Hiervon geht der Senat auch weiterhin aus. Die Erstanforderungsklausel soll dem Berechtigten einen weitergehenden Liquiditätsvorteil gewähren. Sie zeichnet schuldrechtlich nicht allein die prozessual nur in den gesetzlich geregelten Fällen mögliche Vorbehaltsverurteilung des Bürgen nach (a.A. Horn, NJW 1980, 2153, 2155). Das gilt nicht nur zugunsten des grundsätzlich vorleistungspflichtigen Bauunternehmers, sondern auch zugunsten des Auftraggebers, der - wie hier - trotz fester Abschlagsraten auf den vereinbarten Pauschalpreis für den Liquiditätsabfluß nach seiner Behauptung keine rechtzeitige und vollständige, mangelfreie Bauleistung erhält.

Aus den vorgenannten Entscheidungen läßt sich der allgemeine Grundsatz ableiten, daß der Gläubiger durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern in die Lage versetzt werden soll, den Streit über den materiellen Bürgschaftsfall "im Geld" zu führen. Dazu wäre der Gläubiger nicht imstande, wenn Bürge oder Hauptschuldner es in der Hand hätten, diesen Streit nach ergangenem Vorbehaltsurteil im Nachverfahren auszutragen. Das Verfahrensrecht würde dann Sinn und Zweck der schuldrechtlichen Erstanforderungsklausel unterlaufen.

Im Bürgschaftsprozeß kann die Vollstreckung des rechtskräftigen Vorbehaltsurteils nach § 707 ZPO im Hinblick auf das Nachverfahren einstweilen eingestellt werden. Im Rückforderungsprozeß entzöge die Vollstreckung eines Vorbehaltsurteils dem Gläubiger schon vor Abschluß des Nachverfahrens die Liquidität, auf die er bis auf weiteres Anspruch hat; der Gläubiger müßte folglich den Streit über den materiellen Bürgschaftsfall "ohne Geld" zu Ende bringen. Auch wenn der Gläubiger die Vollstreckung durch eigene Sicherheitsleistung abwenden darf (so nach § 708 Nr. 4, § 711 Satz 1 ZPO sowie im Falle einer entsprechenden Anordnung nach den Vorschriften des § 719 Abs. 1 ZPO und § 707 ZPO), bindet die erbrachte Sicherheit "Liquidität".

Ende der Entscheidung

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