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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: IX ZR 425/97
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 765
AGBG § 9 Bm
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 425/97

Verkündet am: 24. September 1998

Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

BGB § 765; AGBG § 9 Bm

Eine formularmäßige Ausdehnung der Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung ist grundsätzlich auch gegenüber Kaufleuten unwirksam.

BGH, Urt. v. 24. September 1998 - IX ZR 425/97 - KG Berlin LG Berlin


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 4. Juni 1997 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem am 12. August 1997 eröffneten Konkurs über den Nachlaß der am 4. März 1995 verstorbenen M. A. Er hat den zunächst von der Testamentsvollstreckerin geführten Rechtsstreit in der Revisionsinstanz aufgenommen. Die Erblasserin betrieb unter anderem im Zusammenwirken mit ihrem Sohn R. A. eine gewerbliche Zimmervermietung. Durch formularmäßige Erklärung vom 18. Februar 1981 übernahm die Erblasserin die selbstschuldnerische Bürgschaft zur Sicherung aller gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des beklagten Kreditinstituts aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung mit R. A. bis zum Betrag von 100.000 DM. Am 30. Juli 1985 erteilte die Erblasserin eine entsprechende Bürgschaft in unbeschränkter Höhe.

R. A. mietete am 4. Oktober 1990 ein gewerbliches Objekt in Berlin an. Die Bankbürgschaft in Höhe von 150.000 DM, die er zu leisten hatte, übernahm die Beklagte. Sie gewährte ihm einen Avalkredit in gleicher Höhe. Über den Nachlaß des im Juni 1994 verstorbenen R. A. wurde das Konkursverfahren eröffnet. Der Konkursverwalter kündigte das Mietverhältnis, woraufhin die Beklagte für die monatlichen Mietausfälle in der Zeit von Oktober bis Dezember 1995 in Höhe von jeweils 25.036,60 DM aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wurde. Die Beklagte belastete deshalb das bei ihr zu Festgeldbedingungen geführte Konto der Erblasserin dreimal mit dem genannten Betrag.

Die Testamentsvollstreckerin hat von der Beklagten verlangt, diese Beträge mit Wertstellung auf den Tag der Lastschriften dem Konto wieder gutzubringen. Die Haftung der Erblasserin aus der Bürgschaft erstrecke sich nicht auf die im Zusammenhang mit der Mietbürgschaft begründeten Ansprüche der Beklagten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Berufungsgericht verneint eine persönliche Haftung der Erblasserin als Erbin ihres Sohnes, weil über dessen Vermögen der Nachlaßkonkurs eröffnet worden sei (§ 1975 BGB). Das ist zutreffend und wird von der Revision auch nicht angegriffen.

II.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagten habe kein die Kontobelastung rechtfertigender Anspruch gegen die Erblasserin aus der im Jahre 1985 übernommenen Bürgschaft, die die zuvor erteilte Höchstbetragsbürgschaft abgelöst habe, zugestanden; denn die Klausel, die die Globalhaftung enthalte, sei selbst dann unwirksam, wenn die Erblasserin die Bürgschaft als Kauffrau erteilt habe. Die aus der Inanspruchnahme der Beklagten als Bürgin für mietvertragliche Verbindlichkeiten herrührende Forderung habe nicht den Anlaß dafür gebildet, daß die Erblasserin die Globalbürgschaft übernommen habe. Der Erblasserin habe auch keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden, ihren Sohn an der Begründung der Hauptverbindlichkeit zu hindern.

Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

1. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats benachteiligt eine Formularklausel, die die Haftung auf alle bestehenden und künftigen Forderungen aus der Geschäftsverbindung zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner erstreckt, den Bürgen, der keinen wesentlichen Einfluß darauf nehmen kann, welche Verbindlichkeiten der Hauptschuldner eingeht, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist demzufolge gemäß § 9 AGBG unwirksam. Diese Rechtsfolge tritt unabhängig davon ein, wie die Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner im einzelnen gestaltet sind (BGHZ 130, 19, 32 ff; BGH, Urt. v. 13. November 1997 - IX ZR 289/96, WM 1998, 67 z.V.b. in BGHZ 137, 153).

Die Erblasserin hatte ihr Haftungsrisiko nicht dadurch gegenständlich begrenzt, daß sie mit ihrem Sohn eine gewerbliche Zimmervermietung in der Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betrieb; denn die Geschäftsverbindung der Beklagten beschränkte sich nicht auf Kredite, die R. A. gerade in diesem Zusammenhang in Anspruch nahm. Die Bürgschaft der Erblasserin erstreckte sich nach dem Inhalt des Formularvertrages in gleicher Weise auf Forderungen der Beklagten gegen den Hauptschuldner, die begründet wurden, um diesem Investitionen außerhalb des zusammen mit seiner Mutter betriebenen Gewerbes zu ermöglichen. Unstreitig war R. A. nicht verpflichtet, vor Abschluß des Mietvertrages vom 4. Oktober 1990, der ihm eine Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000 DM aufgab, die Zustimmung der Erblasserin einzuholen.

2. Das Berufungsgericht hat unterstellt, die Erblasserin habe die Bürgschaft als Kaufmann im Sinne der §§ 1, 2 HGB erteilt; davon ist für die revisionsrechtliche Beurteilung auszugehen. Folglich greift für die Bürgschaftsurkunde als Schuldschein im Sinne des § 344 Abs. 2 HGB die Vermutung ein, daß die Erblasserin sie im Betrieb ihres Handelsgewerbes gezeichnet hat (vgl. Senatsurt. v. 20. März 1997 - IX ZR 83/96, WM 1997, 909). Tatsachen, die geeignet sein können, diese Vermutung zu widerlegen, sind nicht vorgetragen. Damit stellt sich die vom Senat bisher nicht entschiedene Frage, ob die formularmäßige weite Zweckerklärung der Bürgschaft auch dann gemäß § 9 AGBG unwirksam ist, wenn die Klausel gegenüber einem Kaufmann in einem Vertrag verwendet wurde, der zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört. Dies ist zu bejahen.

a) Bestimmungen, die geeignet sind, den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen zu benachteiligen, halten der Inhaltskontrolle im kaufmännischen Geschäftsverkehr regelmäßig nur dann stand, wenn sie wegen der dort üblichen Art der Geschäftsabwicklung oder der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche eher hinnehmbar erscheinen. Weicht die Klausel dagegen von dispositiven gesetzlichen Bestimmungen ab, die vornehmlich einem Ausgleich widerstreitender Interessen dienen und den Schutz des Vertragspartners bezwecken, gebührt diesen Gesichtspunkten grundsätzlich auch bei der Klauselkontrolle im kaufmännischen Geschäftsverkehr Vorrang. Trifft der in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck gekommene Gerechtigkeitsgedanke auf kaufmännische Geschäfte in gleicher Weise zu, ist eine dieser Zielrichtung zuwiderlaufende Klausel auch unter Kaufleuten im allgemeinen als unangemessen zu beanstanden (BGHZ 85, 305, 310 f; 90, 273, 277 f; 96, 182, 192; 101, 357, 364 f; BGH, Urt. v. 18. Dezember 1985 - VIII ZR 47/85, NJW 1986, 842, 843; v. 21. Dezember 1987 - II ZR 177/87, ZIP 1988, 360).

b) Der Senat hat die Unwirksamkeit der formularmäßigen weiten Zweckerklärung in Bürgschaftsverträgen hauptsächlich daraus hergeleitet, daß sie in Widerspruch zu dem in § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB zum Ausdruck gekommenen Leitgedanken steht. Danach kann die Haftung des Bürgen nicht ohne dessen Mitwirkung durch Rechtsgeschäfte des Hauptschuldners mit dem Gläubiger nachträglich erweitert werden (BGHZ 130, 19, 26 f; 132, 6, 9; Senatsurt. v. 7. März 1996 - IX ZR 43/95, WM 1996, 766, 768 f = NJW 1996, 1470, 1472; v. 13. Juni 1996 - IX ZR 229/95, WM 1996, 1391, 1392 = NJW 1996, 2369, 2370). Die formularmäßige weite Haftungszweckerklärung begründet für den Bürgen ein unabsehbares und nicht steuerbares Risiko, das zu einer unbilligen und untragbaren Belastung führen kann. Für einen Kaufmann, der eine solche Erklärung abgibt, besteht die entsprechende Gefahr in gleicher Weise. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat schon Vertragsstrafeklauseln in Bauverträgen, die keine Begrenzung nach oben enthalten, selbst unter Kaufleuten beanstandet, weil sie dem Vertragspartner ein unangemessenes Risiko auferlegen (BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 - VII ZR 167/86, ZIP 1988, 169, 170; v. 19. Januar 1989 - VII ZR 348/87, ZIP 1989, 243, 244). Der Bürge vermag die mit der hier zu beurteilenden Bürgschaftsklausel verbundenen Gefahren weitaus weniger zu beeinflussen als ein Unternehmer die von der genannten Vertragsstrafebestimmung ausgehenden Risiken. Anlaß und Inhalt der Hauptschuld sind so weit gefaßt, daß sie sich wesentlich nachteiliger als eine unbegrenzte Vertragsstrafe auswirken können.

Aus den Vorschriften über Handelsgeschäfte (§§ 343 ff HGB) ergeben sich keine Gründe, die es rechtfertigen könnten, eine solche Klausel im kaufmännischen Verkehr noch als angemessen zu behandeln. § 350 HGB betrifft allein die Form des Vertrages. Das Gesetz geht davon aus, daß Kaufleuten Rechtsnatur und Risiko einer Bürgschaft im allgemeinen bekannt sind und daher die Warnfunktion des § 766 Satz 1 BGB im Geschäftsverkehr entfallen kann. Unter Kaufleuten dient die Schriftform deshalb in der Regel nur dazu, den Umfang der Verpflichtung klarzustellen und die Forderung im Streitfall beweisen zu können (BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992 - IX ZR 29/92, NJW 1993, 724, 725). Aus dem Umstand, daß Kaufleute Bürgschaften wirksam mündlich vereinbaren können, läßt sich nichts ableiten, was in diesem Bereich die formularmäßige Verwendung der weiten Zweckerklärung mit ihren auch für den kaufmännischen Bürgen unabsehbaren Folgen rechtfertigen könnte. Anders zu beurteilen sind solche Formularerklärungen nur dort, wo Bürgschaften zum typischen Geschäftsbetrieb des Kaufmanns gehören und entsprechende Einstandspflichten im Verhältnis zum Hauptschuldner daher nur entgeltlich übernommen werden, also vornehmlich im Banken- und Versicherungsgewerbe.

III.

Daß die fragliche Klausel im Zeitpunkt der Erteilung der Bürgschaft von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als wirksam angesehen wurde, steht dem erhobenen Anspruch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht entgegen. Dem ist zuzustimmen.

1. Der Senat hat die Rückwirkung von Änderungen einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in den Urteilen vom 18. Januar 1996 (BGHZ 132, 6, 11 ff) und 29. Februar 1996 (BGHZ 132, 119, 129 ff) eingehend behandelt; an der dort vertretenen Auffassung wird festgehalten. Die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung zur weiten Zweckerklärung begründete danach für die Kreditwirtschaft nicht ohne weiteres einen Vertrauenstatbestand, der die heutige Berufung des Bürgen auf die Unwirksamkeit der Klausel als unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB erscheinen läßt.

2. Die Revision macht geltend, diese Rechtsprechung sei auf Fälle zu beschränken, in denen der Bürge noch nicht geleistet habe. Dagegen dürfe er bereits getätigte Zahlungen nicht deshalb zurückfordern, weil die formularmäßige Zweckerklärung nach heutiger Rechtsauffassung gemäß § 9 AGBG unwirksam sei. Ob einem Bürgen, der nunmehr die Rückerstattung von Zahlungen aus einer Zeit verlangt, in der der Gläubiger, wenn die Sache damals streitig ausgetragen worden wäre, seinen Anspruch mit Erfolg durchgesetzt hätte, entgegengehalten werden kann, sein Begehren sei treuwidrig, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Beklagte hat die Leistung des Bürgen erst erhalten, als das Grundsatzurteil des Senats vom 18. Mai 1995, das die generelle Änderung der Rechtsprechung begründete, bereits ergangen war. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt durfte das beklagte Kreditinstitut nicht mehr damit rechnen, es werde die eingezogenen Beträge behalten dürfen.

IV.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte mit der Erblasserin keine gegenüber der Bürgschaft selbständige besondere Vereinbarung getroffen, die die Beklagte zur Abbuchung vom Festgeldkonto berechtigte. Aus dem Schreiben des Rechtsanwalts A. vom 28. November 1994 ergebe sich keine entsprechende Verpflichtung. Diese auf tatrichterlicher Würdigung beruhenden Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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