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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.09.2000
Aktenzeichen: IX ZR 439/99 (1)
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 675
BGB § 249 Gb
BGB §§ 675, 249 Gb

a) Zu den Pflichten des Rechtsanwalts, der im Prozeß einen vom Mandanten an einen Dritten abgetretenen Anspruch geltend macht.

b) Haftet der Rechtanwalt dem Mandanten für den durch Verlust eines Prozesses entstandenen Schaden, besteht jedoch berechtigte Aussicht, diesen durch die Führung eines weiteren Rechtsstreits zu beseitigen oder zu vermindern, muß der Anwalt, sofern er seinen Auftraggeber nicht anderweitig schadlos stellt, diesen Rechtsstreit auf eigene Kosten und eigenes Risiko führen.

BGH, Urteil vom 21. September 2000 - IX ZR 439/99 - OLG München LG München II


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 439/99

Verkündet am: 21. September 2000

Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren (Schriftsatzfrist gemäß § 128 Abs. 2 ZPO bis 21. August 2000) durch die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Dr. Fischer und Raebel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. Oktober 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Berufungsurteil und das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger betreibt einen Telefonladen. Er beauftragte den beklagten Rechtsanwalt mit der Durchsetzung von Ansprüchen wegen eines Einbruchsdiebstahls gegen seine Versicherung. Der Beklagte erhob Klage auf Zahlung von 176.146,38 DM zuzüglich Zinsen, hilfsweise auf Feststellung, daß die Versicherung verpflichtet sei, dem Kläger Leistungen aus dem Schadensereignis zu gewähren.

Der Kläger hatte bereits vor Rechtshängigkeit der Klage seine Ansprüche gegen die Versicherung in Höhe von 19.020,90 DM und von 18.466,52 DM an zwei Gläubiger abgetreten. Im Prozeß bestritt die Versicherung den behaupteten Einbruchsdiebstahl und wandte auch die Abtretung der genannten Ansprüche ein. Das Landgericht verurteilte die Versicherung zur Zahlung von 138.656,96 DM zuzüglich Zinsen an den Kläger. In Höhe der abgetretenen Beträge wurde der Zahlungsanspruch wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen; das Landgericht traf jedoch die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger einen eventuell über den zugesprochenen Betrag hinausgehenden Schaden zu erstatten, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien durch die Entscheidung über die Leistungsklage nicht erschöpfend geregelt seien. Das die Klage abweisende Berufungsurteil wurde auf Revision des Klägers vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Im zweiten Berufungsverfahren erhob der weiterhin durch den Beklagten vertretene Kläger Anschlußberufung und beantragte, die Versicherung in Höhe der abgetretenen Beträge zur Zahlung an die Zessionare zu verurteilen. Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung im Zahlungsausspruch und wies den weitergehenden Zahlungsantrag erneut ab.

In der Folgezeit befriedigte der Kläger die Gläubiger aus den erhaltenen Versicherungsleistungen und ließ sich die abgetretenen Ansprüche zurückübertragen. Die daraufhin gegen die Versicherung erhobene zweite Klage wurde wegen Verjährung der Ansprüche abgewiesen; die Berufung blieb erfolglos.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Ersatz des abgewiesenen Teilbetrages in Höhe von 37.489,42 DM sowie der ihm in beiden Prozessen insgesamt entstandenen Kosten von 24.344,74 DM. Er wirft dem Beklagten vor, dieser habe zu spät die Klage auf Leistung an die Zessionare umgestellt, die Tatsachen nicht hinreichend vorgetragen, aus denen sich die Ermächtigung zur Prozeßführung ergeben habe, und die zweite Klage eingereicht, als der Anspruch bereits verjährt gewesen sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das angefochtene Urteil kann schon deshalb nicht bestehenbleiben, weil es keinen Tatbestand enthält.

Ein Berufungsurteil ohne Tatbestand muß grundsätzlich aufgehoben werden (BGHZ 73, 248, 251; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981 - IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848). Ausnahmsweise kann von einer Aufhebung abgesehen werden, wenn sich der Sach- und Streitstand aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils in einem für die rechtliche Beurteilung erforderlichen Umfang hinreichend deutlich ergibt (BGH, Urt. v. 20. Januar 1983 - VII ZR 210/81, NJW 1983, 1901; v. 25. April 1991 - I ZR 232/89, NJW 1991, 3038, 3039; v. 28. Juni 1995 - IV ZR 89/94, BGHR ZPO § 543 Abs. 2 Tatbestand, fehlender 11). Diese Voraussetzungen erfüllt das angefochtene Urteil nicht. Das Berufungsgericht, das irrig angenommen hat, der Wert der Beschwer des Klägers liege unter 60.000 DM, hat es für sachgerecht gehalten, das von ihm zu Recht als sehr sorgfältig bezeichnete Urteil des Landgerichts durch eine in das Protokoll diktierte Entscheidung aufzuheben, deren Gründe kaum eine Seite umfassen und sich auf wenige, äußerst knapp dargestellte rechtliche Erwägungen beschränken. Zwar sprechen Inhalt und Art der Argumentation dafür, daß das Berufungsgericht von den Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist. Hinreichend deutlich geht dies jedoch aus den wenigen Sätzen, mit denen die Klageabweisung begründet wurde, nicht hervor. Ein solches Urteil bildet keine geeignete Grundlage für eine abschließende sachlichrechtliche Beurteilung des Sach- und Streitstands durch das Revisionsgericht.

II.

Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch, weil die Art und Weise, wie das Berufungsgericht das Klagebegehren behandelt hat, geeignet ist, bei der betroffenen Partei Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter zu begründen. Die Gerichtskosten des Berufungsurteils sowie des Revisionsverfahrens sind zudem wegen unrichtiger Sachbehandlung niederzuschlagen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG).

III.

Darüber hinaus geben die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts Veranlassung, für das weitere Verfahren auf folgendes hinzuweisen:

1. Das Berufungsgericht meint, dem Kläger könne daraus, daß er in dem nach Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof durchgeführten Berufungsverfahren den Antrag auf Zahlung an die Zessionare nicht näher begründet habe, kein Schuldvorwurf gemacht werden, weil er beide Abtretungen vorgelegt habe und aus ihnen hervorgegangen sei, daß es sich um Sicherungszessionen gehandelt habe. Im Falle einer Sicherungszession bleibe der Zedent nach ständiger Rechtsprechung befugt, die abgetretene Forderung einzuziehen.

Diese Erwägungen tragen die Klageabweisung nicht. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen fällt dem Beklagten vielmehr eine schuldhafte Vertragsverletzung zur Last.

a) Lediglich bei einer stillen Zession bleibt der Zedent ohne weiteres berechtigt, Leistung an sich zu verlangen. Hier hatten die Gläubiger des Klägers jedoch die Abtretung der Versicherung angezeigt. Diese hatte sich darauf im Prozeß berufen und fehlende Aktivlegitimation des Klägers gerügt. Wird die Abtretung offengelegt, ist der Zedent in der Regel materiell-rechtlich nur noch befugt, Zahlung an den Abtretungsempfänger zu verlangen (BGH, Urt. v. 23. März 1999 - VI ZR 101/98, NJW 1999, 2110, 2111 m.w.N.). Es war daher rechtsfehlerhaft, trotz des von der Versicherung erhobenen Einwands der Abtretung zunächst weiterhin Zahlung an den Kläger zu verlangen.

b) Der Beklagte hat zwar schließlich im zweiten Durchgang des Berufungsverfahrens den sachgerechten Antrag auf Leistung an die Abtretungsempfänger gestellt, diesen aber nur unzureichend begründet. Allein mit der Vorlage der Abtretungen ist er seinen Pflichten aus dem ihm vom Kläger erteilten Prozeßauftrag nicht gerecht geworden.

Der Kläger konnte mit dem Antrag auf Leistung an die Abtretungsempfänger nur durchdringen, wenn in seiner Person die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozeßstandschaft erfüllt waren. Dazu mußte im Rechtsstreit die vom Rechtsinhaber erteilte Prozeßführungsbefugnis dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden (vgl. BGHZ 96, 151, 155; 125, 196, 201; BGH, Urt. v. 23. März 1999, aaO). Entsprechende Tatsachen hat der Beklagte nicht vorgetragen. Die Abtretungen enthielten zu diesem Punkte keine ausdrückliche Regelung. Ob sie, wie das Berufungsgericht meint, in dem Sinne auszulegen waren, daß der Kläger auch nach Offenlegung der Abtretung berechtigt bleiben sollte, auf Leistung an die neuen Gläubiger zu klagen, erscheint zweifelhaft. Selbst wenn diese Auslegung des Berufungsgerichts im Ergebnis rechtlich haltbar sein sollte, ist auf der Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen in der vom Kläger beanstandeten Unterlassung durch den Beklagten eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten aus dem Anwaltsvertrag zu sehen.

Der Rechtsanwalt hat nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Wahrnehmung der berechtigten Interessen des Mandanten, wenn verschiedene Vorgehensweisen in Betracht kommen, den relativ sichersten Weg zu wählen. Im Prozeß hat er die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte vorzutragen (BGH, Urt. v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2649 f). Der Beklagte hätte deshalb dem Mandanten empfehlen müssen, bei den Gläubigern anzufragen, ob sie ihn ausdrücklich zur Prozeßführung ermächtigen. Stimmte der Kläger einem solchen Vorgehen zu, hatte er sich zu bemühen, von den Zessionaren entsprechende Erklärungen zu erhalten, die dann in den Prozeß einzuführen waren. Da die Versicherung sich schon in der Klageerwiderung auf die Abtretung berufen hatte, stand dem Beklagten für eine solche Verfahrensweise genügend Zeit zur Verfügung.

c) Erweist sich die Unterlassung der beschriebenen Maßnahmen auch nach neuer Verhandlung als eine vom Beklagten zu verantwortende Vertragsverletzung, sind ihm deren Folgen selbst dann zuzurechnen, wenn die Klageabweisung im Vorprozeß zugleich auf einer unrichtigen gerichtlichen Auslegung der Abtretungen beruht; denn einen solchen Fehler hätte der Anwalt gerade durch vertragsgerechtes Arbeiten - Einholung und Vorlage der Prozeßführungsermächtigungen - verhindern müssen (vgl. Senatsurt. v. 21. September 1995 - IX ZR 228/94, NJW 1996, 48, 51; v. 4. Juni 1996, aaO S. 2650; v. 2. April 1998 - IX ZR 107/97, NJW 1998, 2048, 2050).

2. Das Berufungsgericht meint weiter, im zweiten Vorprozeß seien die gegen die Versicherung gerichteten Ansprüche zu Unrecht wegen Verjährung abgewiesen worden. Ob dem zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben; denn die Frage der Verjährung ist für den Regreßanspruch des Klägers gegen den beklagten Rechtsanwalt bedeutungslos.

a) Hat der Kläger, was das Landgericht als bewiesen angesehen hat, die Versicherung zu Recht wegen des von ihm behaupteten Einbruchsdiebstahls in Anspruch genommen, so war der Schaden spätestens mit Rechtskraft der Teilabweisung im ersten Vorprozeß insoweit entstanden, als es um die abgetretenen Forderungsteile (37.487,42 DM) und die aus jenem Rechtsstreit herrührende Kostenbelastung des Klägers geht (vgl. zum Zeitpunkt des Schadenseintritts Senatsurt. v. 9. Dezember 1999 - IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 960 m.w.N.). Der Schaden des Klägers bestand darin, daß er die Abtretungsempfänger nunmehr selbst befriedigen mußte, weil er mit dem aus fremdem Recht geltend gemachten Anspruch gegen die Versicherung nicht durchgedrungen war, diese also mit Erfolg Leistungen an seine Gläubiger verweigert hatte. Der nach der Rückabtretung begonnene Zweitprozeß diente lediglich dem Ziel, den bereits eingetretenen Schaden wieder zu beseitigen, soweit es um den Abtretungsbetrag von 37.487,42 DM ging.

Haftet der Beklagte für den mit dem Verlust des Erstprozesses entstandenen Schaden, kann der einmal begründete Anspruch durch den für den Kläger ebenfalls ungünstig ausgegangenen Zweitprozeß nicht nachträglich entfallen sein; denn der Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die eine eigene Verantwortung des Klägers für die ihm ungünstige Zweitentscheidung begründen und daher geeignet sein könnten, ein gemäß § 254 BGB anrechenbares Mitverschulden zu begründen. Den durch die Belastung mit den Kosten des Erstprozesses eingetretenen finanziellen Nachteil konnte der zweite Rechtsstreit ohnehin nicht mehr beseitigen.

b) Hat der Beklagte dem Kläger für den Verlust des Anspruchs gegen die Versicherung sowie die Kosten des Erstprozesses einzustehen, haftet er für die Kosten des Zweitprozesses nicht nur, wenn er dem Kläger wegen Verjährung von der Führung dieses Rechtsstreits hätte abraten müssen, sondern auch dann, wenn für den Kläger begründete Aussichten bestanden, gegenüber der Versicherung zu obsiegen.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Anwalt, dem ein Fehler unterläuft, aus dem seinem Auftraggeber ein Schaden droht, verpflichtet sein, zusätzliche honorarfreie Leistungen zu erbringen, sofern sich der Schadenseintritt nur noch auf diese Weise verhindern läßt (BGH, Urt. v. 10. Februar 1994 - IX ZR 109/93, NJW 1994, 1472, 1473). Ist der Schaden bereits aus vom Rechtsanwalt zu verantwortenden Gründen eingetreten, besteht jedoch berechtigte Aussicht, ihn durch einen Zweitprozeß zu beseitigen oder zu verringern, hat der Anwalt aufgrund der ihn gemäß § 249 BGB treffenden Ersatzpflichten seinem Mandanten die dafür erforderlichen Aufwendungen zur Verfügung zu stellen, sofern er ihn nicht auf andere Weise schadlos stellt. Führt der Anwalt in einem solchen Falle den Zweitprozeß, handelt er auf eigenes Risiko; denn der geschädigte Auftraggeber ist ihm gegenüber nicht verpflichtet, sich auf einen weiteren Rechtsstreit zur Schadensminderung oder -beseitigung einzulassen. Er könnte statt dessen sofort vom Anwalt Ersatz verlangen Zug um Zug gegen Abtretung der gegen den Dritten gerichteten Ansprüche (§ 255 BGB). Sieht der Mandant - in der Regel aus Rechtsunkenntnis - davon ab, sofort den Anwalt in Anspruch zu nehmen, und läßt sich statt dessen auf einen weiteren Rechtsstreit ein, ist es nur sachgerecht, daß sein einmal entstandener Schadensersatzanspruch durch einen ungünstigen Ausgang des Zweitprozesses nicht mehr beeinträchtigt werden kann, er also nicht das Risiko einer eventuellen gerichtlichen Fehlentscheidung zu tragen hat. Tatsachen, die geeignet sein könnten, hier das Verhalten der Partei im Zweitprozeß als gemäß § 254 BGB beachtlichen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht zu werten, ergeben sich jedenfalls aus dem erstinstanzlichen Urteil nicht.

Ende der Entscheidung

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