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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.2009
Aktenzeichen: IX ZR 56/08
Rechtsgebiete: InsO
Vorschriften:
InsO § 5 Abs. 1 | |
InsO § 26 Abs. 1 | |
InsO § 26 Abs. 3 |
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und
die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Dr. Pape und Grupp
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 4. März 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte war mit ihrem Ehemann bis zum 5. Dezember 2002 Gesellschafterin der W. mbH (fortan: Schuldnerin). Bis zu diesem Tag war sie auch deren Geschäftsführerin. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, hatte für die Schuldnerin Werkleistungen erbracht; der Werklohn stand teilweise offen. Am 5. Dezember 2002 änderten die Beklagte und ihr Ehemann die Firma der Schuldnerin in B. GmbH, beriefen die Beklagte als Geschäftsführerin ab und bestellten die nach eigenen Angaben in Spanien wohnhafte J. S. zur neuen Geschäftsführerin. Am selben Tage veräußerten die Beklagte und ihr Ehemann die Geschäftsanteile des Unternehmens an S. und einen gewissen, angeblich ebenfalls in Spanien wohnhaften, A. .
Die Klägerin erstritt wegen der offenen Forderungen am 7. Januar 2003 und am 20. März 2003 gegen die Schuldnerin Zahlungstitel über 31.930,18 EUR sowie über 7.532,69 EUR, jeweils zuzüglich Zinsen. Als die Schuldnerin die erste der titulierten Forderungen nicht erfüllte, beantragte die Klägerin mit am 3. Februar 2003 beim Insolvenzgericht eingegangenem Schriftsatz vom 30. Januar 2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. In der Antragsschrift erhob sie gegen die vormaligen Gesellschafter den Vorwurf der Ausplünderung der Gesellschaft, benannte insoweit mehrere Anfechtungstatbestände und wies auf den manipulativen Austausch der Geschäftsführung hin. Sie erklärte ihre Bereitschaft, "einen Kostenvorschuss für die Durchführung des Insolvenzverfahrens von 5.000 EUR zu entrichten".
Das Insolvenzgericht beauftragte einen Sachverständigen. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass mangels Liquidität "in jedem Fall" die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gegeben sei, verfügbare freie Masse nicht zur Verfügung stehe, die Klägerin aber weiterhin bereit sei, einen Vorschuss in der angekündigten Höhe zu zahlen. Mit Schreiben vom 24. März 2003 wies das Insolvenzgericht die Beteiligten darauf hin, dass ein Eröffnungsgrund vorliege, jedoch das schuldnerische Vermögen voraussichtlich nicht ausreiche, die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Es werde die Möglichkeit eröffnet, zur Deckung der Verfahrenskosten einen Vorschuss von 5.000 EUR auf eines der in dem Schreiben bezeichneten Konten einzuzahlen. Gehe der Vorschuss binnen 14 Tagen nicht ein, werde der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen werden. Wer den Vorschuss leiste, könne die Erstattung von jeder Person verlangen, die entgegen den Vorschriften des Gesellschaftsrechts den Eröffnungsantrag pflichtwidrig und schuldhaft nicht gestellt habe. Daraufhin zahlte die Klägerin den Vorschuss. Nach Eingang des Betrages eröffnete das Insolvenzgericht am 27. März 2003 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin.
Mit ihrer am 23. Februar 2006 eingereichten Klage verlangt die Klägerin die Erstattung des geleisteten Vorschusses zuzüglich Zinsen. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Anfang Dezember 2002 sei die Schuldnerin längst insolvenzreif gewesen.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Vorschrift des § 26 Abs. 3 InsO eröffne den Ersatzanspruch nur für den Fall, dass der vorgeschossene Betrag gerade zur Deckung der andernfalls ungedeckten Verfahrenskosten erforderlich gewesen und mit der Bestimmung der Deckung dieser Kosten überlassen worden sei. Dies bestimme sich nach objektiven Kriterien. Die Klägerin habe den streitgegenständlichen Betrag zwar als Vorschuss gezahlt. Es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass er objektiv zur Deckung der Verfahrenskosten erforderlich gewesen sei, um die Abweisung des Antrags mangels Masse zu vermeiden. Der im Insolvenzeröffnungsverfahren eingeschaltete Sachverständige habe in seinem Gutachten weder den Grundbesitz der Schuldnerin noch die darauf ruhenden Belastungen bewertet. Er habe im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine verfügbare freie Masse nicht vorhanden sei, und habe auf die Bereitschaft der Klägerin zur Zahlung eines Kostenvorschusses hingewiesen. Weiterführende Ermittlungen habe auch das Insolvenzgericht nicht getätigt, sondern der Klägerin mit Verfügung vom 24. März 2003 anheimgegeben, zur Vermeidung der Abweisung mangels Masse einen Vorschuss in der in Aussicht gestellten Höhe zu zahlen. In dem eröffneten Verfahren habe sich dann herausgestellt, dass ausreichend Masse vorhanden gewesen sei, um das Verfahren ohne die Vorschusszahlung zu eröffnen.
Zahle ein Gläubiger in dieser Situation, geschehe dies auf eigenes Risiko. In Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte hätte er auf die Mängel des Gutachtens hinweisen und gegebenenfalls gegen die Abweisung mangels Masse Rechtsmittel einlegen müssen. Eine andere Auslegung des § 26 Abs. 3 InsO führe zu einer Verlagerung des Risikos unzureichender Ermittlungen auf den Antragsverpflichteten; dies sei mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift unvereinbar.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
1.
Die Vorschrift des § 26 Abs. 3 Satz 1 InsO gewährt jedem, der in zulässiger Weise einen Vorschuss im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO oder des § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO geleistet hat, einen Ersatzanspruch.
a)
Sie setzt neben der Insolvenzverschleppung voraus, dass der Kostenvorschuss gerade zu dem Zweck geleistet worden ist, das Insolvenzverfahren trotz der Massearmut der Eröffnung zuzuführen oder das schon eröffnete Verfahren weiterzuführen (vgl. HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 27 Rn. 44). Danach können nur wirkliche Massekostenvorschüsse, nicht jedoch rechtlich anders zu qualifizierende Zahlungen wie allgemeine Massedarlehen (vgl. BGH, Beschl. v. 14. November 2002 - IX ZR 40/02, NZI 2003, 324; HK-InsO/Kirchhof, aaO; Jaeger/Schilken, InsO § 26 Rn. 90; FK-InsO/Schmerbach, 5. Aufl. § 26 Rn. 97) o-der Prozesskostenvorschüsse (HK-InsO/Kirchhof, aaO) einen erstattungsfähigen Schaden begründen. Dies ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Die Bezeichnung der Zahlung als "Massekostenvorschuss" durch den Gläubiger, Treuhänder oder Insolvenzverwalter ist demgegenüber belanglos (BGH, Beschl. v. 14. November 2002 - IX ZR 40/02, aaO).
b)
Die rechtliche Einordnung der Zahlung der Klägerin als Massekostenvorschuss im vorgenannten Sinne oder nur als allgemeines Massedarlehen hängt deshalb grundsätzlich davon ab, ob eine die Verfahrenskosten voraussichtlich deckende Masse bei Eingang des Vorschusses objektiv vorhanden war. Da nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO der Antrag auf Eröffnung des Verfahrens mangels Masse schon abzuweisen ist, wenn das Vermögen des Schuldners "voraussichtlich" nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken, gilt dieser Maßstab auch im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 3 InsO. Andernfalls könnte die Vorschrift ihren Zweck nicht erfüllen, demjenigen Gläubiger, der die Abweisung seines zulässigen Insolvenzantrags wegen Masselosigkeit hinnehmen müsste, eine Abwendungsbefugnis einzuräumen, die mit der Regressmöglichkeit gegen den zum Eigenantrag Verpflichteten verbunden ist.
2.
Für den Rückgriffsanspruch nach § 26 Abs. 3 InsO reicht es, soweit die von der Vorschrift geforderte voraussichtliche Masselosigkeit in Rede steht, aus, wenn das Insolvenzgericht - wie hier - auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens die Abweisung mangels Masse den Beteiligten ankündigt und der erbetene Vorschuss daraufhin eingezahlt wird.
a)
Allerdings gehört die Feststellung der Massekostendeckung zu den von dem Insolvenzgericht von Amts wegen zu ermittelnden Umständen (§ 5 Abs. 1 InsO). Die Prüfung darf - schon wegen der weitreichenden Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO (vgl. hierzu HK-InsO/ Kirchhof, aaO § 26 Rn. 29 f) - nicht oberflächlich erfolgen. Insbesondere darf sich das Gericht nicht ohne weiteres auf die Angaben des Schuldners verlassen. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann die Einstellung allenfalls unverbindlich anregen. Gleiches gilt, wenn noch kein vorläufiger Insolvenzverwalter ernannt ist, für den bestellten Sachverständigen. Gelangt sein Gutachten zur Annahme der Massearmut, darf das Insolvenzgericht die Entscheidung hierauf gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 286 ZPO nur stützen, wenn es das Gutachten für nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei hält (BGH, Beschl. v. 17. Juni 2003 - IX ZB 476/02, ZIP 2003, 2171, 2172).
b)
Die Frage, ob die Beurteilung des Insolvenzgerichts, das dem Sachverständigen in seiner Einschätzung folgt, zutrifft, ist - wie jede Prognoseentscheidung - mit einem Risiko verbunden. Zu einer Fehlprognose kann es trotz Ausschöpfung aller gebotenen Erkenntnisquellen durch das Insolvenzgericht kommen. Dass dieser Fall von § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO und damit auch von § 26 Abs. 3 InsO erfasst wird, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO ("voraussichtlich"). Hat das Insolvenzgericht die Erkenntnisquellen im Rahmen der nach § 5 Abs. 1 InsO gebotenen Amtsermittlung hingegen nicht ausgeschöpft und den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt, beruht die Ankündigung, die Verfahrenseröffnung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO mangels Masse abzulehnen, auf einem Verfahrensfehler. Das Risiko einer mit Verfahrensfehlern behafteten Fehlprognose ist ebenfalls derjenigen Person zuzuweisen, die entgegen den Vorschriften des Gesellschaftsrechts den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens pflichtwidrig und schuldhaft nicht oder erst verspätet gestellt hat.
aa)
Dieses Verständnis des § 26 Abs. 3 Satz 1 InsO wird vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt, der nicht danach unterscheidet, ob die vom Insolvenzgericht verlautbarte Prognose, die zu der Zahlung des Abwendungsbetrages gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO führt, mit Rechtsfehlern behaftet ist oder nicht. Die Möglichkeiten des antragstellenden Gläubigers, vor der Leistung eines Vorschusses auf eine weitere Klärung des Sachverhalts hinzuwirken, sind trotz der ihm nach § 34 Abs. 1 InsO eingeräumten Beschwerdebefugnis begrenzt und in der Regel zeitaufwendig. Die Feststellung einer voraussichtlichen Massearmut fällt zudem weitgehend in den Verantwortungsbereich des Tatrichters. Eine höchstrichterliche Klärung wird - den Zeitfaktor einmal vernachlässigt - nur selten herbeizuführen sein, weil der gegebenenfalls zu rügende Aufklärungsmangel (§§ 4, 5 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 286 ZPO) als einfacher Rechtsanwendungsfehler die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht rechtfertigen wird (vgl. § 4 InsO, § 574 Abs. 2 ZPO; Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl. § 574 Rn. 12 in Verbindung mit § 543 Rn. 27).
Wäre der antragstellende Gläubiger, der sich bereit erklärt hat, einen zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichenden Geldbetrag vorzuschießen, wegen etwaiger Zweifel, ob die Anforderung des Vorschusses durch das Insolvenzgericht auf einer ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage beruht, gehalten, den Beschwerdeweg zu beschreiten, um sich die Regressmöglichkeit nach § 26 Abs. 3 Satz 1 InsO zu erhalten, liefe dies im Übrigen der Intention des Gesetzgebers zuwider, bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes das Insolvenzverfahren möglichst schnell zu eröffnen (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 81, 118 f). Eine rechtzeitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bei der sich regelmäßig bessere Verfahrensergebnisse erzielen lassen, ist in den Fällen besonders geboten, in denen - wie hier - Umstände vorliegen, die auf die Einleitung einer "Unternehmensbestattung" durch die Gesellschafter hindeuten.
Abgesehen hiervon darf sich der antragstellende Gläubiger "auf der sicheren Seite" sehen, wenn das Insolvenzgericht - wie hier - in seiner Ankündigung, die Verfahrenseröffnung mangels Masse abzulehnen, zugleich zum Ausdruck bringt, dass derjenige, der den Vorschuss leiste, unter den weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 InsO von dem Antragspflichtigen Erstattung verlangen könne. In einem solchen Fall besteht für den Vorschuss leistenden Gläubiger keine Veranlassung, an der Feststellung der Massearmut zu zweifeln.
bb)
Demgegenüber hat es das zum Antrag verpflichtete Organ der Schuldnerin regelmäßig in der Hand, durch eine rechtzeitige Antragstellung das Risiko ihrer Inanspruchnahme durch den Rückgriff eines Gläubigers zu vermeiden. Es fällt in ihren Verantwortungsbereich, dass sich die Ermittlungsmöglichkeiten des Insolvenzgerichts hinsichtlich der Vermögens- und Liquiditätslage der Gesellschaft in dem Zeitraum der von ihr verursachten Insolvenzverschleppung verschlechtern. Nach Sinn und Zweck des § 26 Abs. 3 InsO erscheint es deshalb angemessen, dass eine Fehlprognose der Liquiditätslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung auch bei einer verfahrenswidrigen Handhabung des § 26 Abs. 1 InsO zu ihren Lasten geht.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). In dem wiederholten Berufungsverfahren wird insbesondere zu prüfen sein, ob die Beklagte ihre Antragspflichten verletzt hat, weil schon vor ihrem Ausscheiden aus der Geschäftsführung - objektiv - ein Insolvenzgrund vorgelegen hatte (vgl. § 64 Abs. 1 GmbHG).
Ende der Entscheidung
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