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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.04.1998
Aktenzeichen: IX ZR 79/97
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 765
ZPO § 595 Abs. 3
BGB § 765

a) Außerhalb des Geltungsbereichs des AGB-Gesetzes gestattet die Vertragsfreiheit es grundsätzlich jedermann, Bürgschaften auf erstes Anfordern zu erteilen (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 5. Juli 1990 - IX ZR 294/89, ZIP 1990, 1186).

b) Ist für den Gläubiger erkennbar, daß der Erklärende mit dem Rechtsinstitut einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht hinreichend vertraut ist, hat er seinen Vertragspartner umfassend über deren Rechtsfolgen zu belehren; bei Verletzung der Hinweispflicht haftet der Schuldner nur aus einer gewöhnlichen Bürgschaft.

ZPO § 595 Abs. 3

Bezeichnet eine Partei hinreichend konkret, welche Urkunden sie für erheblich hält, kann der Urkundenbeweis auch durch Antrag auf Beiziehung von Akten geführt werden, die dem erkennenden Gericht - nicht notwendig demselben Spruchkörper bereits vorliegen.

BGH, Urt. v. 2. April 1998 - IX ZR 79/97 - OLG Dresden LG Dresden


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 79/97

Verkündet am: 2. April 1998

Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 13. Februar 1997 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dresden vom 9. August 1996 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Am 16. Dezember 1992 erteilte die E.-Bau GmbH der Klägerin den Auftrag zum Abbruch von zwei Brückenbauwerken. Die Klägerin sollte dafür eine Bruttovergütung von 395.272,20 DM erhalten. Die Geltung der VOB/B wurde vereinbart. Die Auftragsbestätigung sah eine Sicherheitsleistung durch eine "unbefristete und ohne Einrede behaftete" Bankbürgschaft in der Höhe von DM 100.000,00 zugunsten der Klägerin vor.

Am 27. Januar 1993 übernahm die Beklagte auf einem für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften vorgesehenen Formular, welches die Klägerin als Auftraggeber, die E.-GmbH als Auftragnehmer bezeichnet, zugunsten der Klägerin eine Bürgschaft, deren vorgedruckter Text unter anderem wie folgt lautet:

Gemäß den Besonderen Vertragsbedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer als Sicherheit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag - insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich der Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz - und für die Erstattung von Überzahlungen dem Auftraggeber eine Bürgschaft in Höhe von v.H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen.

Name und Anschrift des Bürgen (Name und Sitz der Beklagten)

Der vorgenannte Bürge übernimmt hiermit für den Auftragnehmer die selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht und verpflichtet sich, auf erstes Anfordern jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 395.272,20 DM an den Auftraggeber zu zahlen.

Der Bauvertrag wurde vorzeitig gekündigt. In einem derzeit anhängigen Rechtsstreit verlangt die E.-Bau GmbH von der Klägerin 276.115,17 DM Schadens- und Aufwendungsersatz, die Klägerin macht dort im Wege der Widerklage 178.777,81 DM gemäß ihrer Schlußrechnung vom 12. Dezember 1994 geltend.

In Höhe dieses Betrages nimmt die Klägerin die Beklagte im Urkundenprozeß aus der Bürgschaft in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage unter Vorbehalt der Rechte im Nachverfahren stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage als im Urkundenprozeß unstatthaft abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Zwar ergebe sich mittels einer auch im Urkundenprozeß zulässigen Auslegung, daß die Bürgschaft der Beklagten die Werklohnforderung der Klägerin sichern solle. Die Verwechslung von Auftragnehmer und Auftraggeber im schriftlichen Vertrag brauche nicht durch Urkunden bewiesen zu werden, weil sie unstreitig sei. Die Klägerin berühme sich jedoch keines Werklohnanspruchs; denn sie habe nichts dazu vorgetragen, sondern sich auf den Standpunkt gestellt, daß es dazu keiner weiteren Angaben bedürfe, weil die Beklagte eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erteilt habe.

Dies sei indessen nicht zutreffend. Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern sei außerhalb des dafür typischen Verwendungsbereichs, der den Banken und Versicherungsgesellschaften vorbehalten bleibe, als einfache Bürgschaft anzusehen. Dies gelte selbst dann, wenn die Haftungserklärung, wie im Streitfall, auf einem vom Bürgen verwendeten Formular abgegeben worden sei; denn die Klägerin habe nicht davon ausgehen dürfen, daß ihr eine weitergehende Bürgschaft erteilt werde.

Die Klägerin habe weder die Fälligkeit ihrer Teilwerklohnforderung noch die Begründetheit ihrer Schadensersatzansprüche durch Urkunden belegt.

II.

Diese Erwägungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beklagte der Klägerin wirksam eine Bürgschaft erteilt hat und dies in einer den Anforderungen des § 592 ZPO genügenden Weise durch Vorlage der Urkunde belegt worden ist. Unstreitig haben die Parteien vereinbart, daß die Beklagte für die Forderung der Klägerin gegen die E.-Bau GmbH aus dem Vertrag vom 16. Dezember 1992 einstehen soll. Im Hinblick darauf stellt die Urkunde vom 27. Januar 1993, die die Personen des Bürgen, des Gläubigers und des Hauptschuldners sowie eine genau dem vereinbarten Werklohn entsprechende Haftungssumme nennt, ein für den Inhalt der getroffenen Vereinbarung taugliches Beweismittel dar. Der auf den ersten Blick irreführende Wortlaut wird ohne weiteres daraus verständlich, daß ein für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften, also die Sicherung von Ansprüchen des Auftraggebers, vorgesehenes Formular verwendet wurde, die Verpflichtung der Beklagten sich jedoch auf eine Werklohnforderung des Auftragnehmers bezog.

2. Zu Recht wendet sich die Revision aber dagegen, wie das Berufungsgericht den Inhalt der Bürgschaftserklärung ausgelegt hat.

a) Die Beklagte hat sich in der Urkunde verpflichtet, jeden Betrag bis zu der vereinbarten Gesamthöhe auf erstes Anfordern zu zahlen. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern wird in erster Linie im bankgeschäftlichen Verkehr verwendet. Eine solche Verpflichtung hat regelmäßig zur Folge, daß der Bürge sofort zahlen muß und alle Streitfragen tatsächlicher und rechtlicher Art grundsätzlich auf den Rückforderungsprozeß verlagert werden (st. Rspr.: vgl. Senatsurt. v. 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380, 381; v. 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, ZIP 1996, 2062, 2063; v. 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, ZIP 1997, 582, 583 f).

b) Der Gläubiger darf eine Bürgschaft mit diesem Wortlaut allerdings nur dann in dem beschriebenen Sinne verstehen, wenn er davon ausgehen kann, dem Bürgen sei der Inhalt einer solchen Abrede bekannt, er wisse, worauf er sich mit dieser Erklärung einlasse, daß er sich nämlich auf diese Weise nahezu aller Einwendungen begebe, die dem Bürgen von Gesetzes wegen zustehen (BGH, Urt. v. 12. März 1992 - IX ZR 141/91, NJW 1992, 1446, 1447). Personen, die über keine Erfahrungen im Bankgeschäft verfügen und auch nicht aufgrund ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit mit diesem Rechtsinstitut vertraut sind, kennen die Wirkungen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern gewöhnlich nicht. Hat der Gläubiger den Bürgschaftstext gewählt und durfte er nicht voraussetzen, sein Vertragspartner werde den Begriff der Bürgschaft auf erstes Anfordern im banküblichen Sinne verstehen, ist der Vertrag demzufolge als einfache Bürgschaft auszulegen (Senatsurt. v. 12. März 1992, aaO). Hier hat jedoch die Bürgin die Verpflichtung auf einem von ihr gewählten Formular (vgl. unten 3. a) übernommen.

c) Das Berufungsgericht hat weiter nicht beachtet, daß gerade im Baugewerbe häufig vereinbart wird, Sicherheit durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu leisten (vgl. BGH, Urt. u. 5. Juni 1997 - VII ZR 324/95, NJW 1997, 2598, 2599; Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB 13. Aufl. B § 17 Rdnr. 45 - 50 m.w.N.). Die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Bürgschaft auf erstes Anfordern betrifft überwiegend Erklärungen, die aufgrund einer bauvertraglichen Verpflichtung des Hauptschuldners, eine entsprechende Sicherheit beizubringen, abgegeben wurden (vgl. seit 1985 Senatsurt. v. 31. Januar 1985 - IX ZR 66/84, ZIP 1985, 470; v. 19. September 1985 - IX ZR 16/85, BGHZ 95, 375; v. 11. Dezember 1986 - IX ZR 165/85, ZIP 1987, 566; v. 26. Februar 1987 - IX ZR 136/86, ZIP 1987, 624; v. 21. April 1988 - IX ZR 113/87, NJW 1988, 2610; v. 9. März 1989 - IX ZR 64/88, NJW 1989, 1606; v. 27. Februar 1992 - IX ZR 57/91, ZIP 1992, 466; v. 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380; v. 14. Oktober 1995 - IX ZR 57/95, ZIP 1996, 172; v. 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, ZIP 1996, 2062).

Die Klägerin hat auch hier eine solche Haftung verlangt; denn der in der Auftragsbestätigung verwendete Begriff der "einredefreien" Bürgschaft meint nichts anderes. Die Beklagte ist eine Verpflichtung mit dem für Bürgschaften auf erstes Anfordern typischen Wortlaut eingegangen und hat sich dazu eines ihr zur Verfügung stehenden Formulars bedient. Dessen Kopfzeile zeigt, daß es für Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaften vorgesehen ist. Solche Bürgschaften werden vornehmlich im Bauvertragsrecht hingegeben. Demgemäß hat die Beklagte nicht einmal behauptet, ihr sei die Bedeutung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern unbekannt gewesen oder sie habe aufgrund bestimmter Tatsachen im Streitfall angenommen, nur eine Verpflichtung mit dem gesetzlichen Inhalt einzugehen.

d) Die Auslegung des Berufungsgerichts, die dies alles nicht berücksichtigt hat, ist daher rechtsfehlerhaft. Da eine weitere Tatsachenaufklärung nicht in Betracht kommt, kann der Senat den Vertrag selbst auslegen. Aus den dargelegten Gründen folgt, daß die Beklagte hier eine Bürgschaft auf erstes Anfordern übernommen hat.

3. Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist wirksam erteilt worden.

a) Die Erklärung der Beklagten ist nicht nach den Vorschriften des AGB-Gesetzes zu beurteilen; denn dieses Gesetz erfaßt nur vorformulierte Vertragsbedingungen, die von der anderen Partei bei Vertragsschluß gestellt wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG). Die Verwendung der Klausel muß dem Verantwortungsbereich des Gegners zuzurechnen, die Einbeziehung also auf dessen Veranlassung erfolgt sein (Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG 8. Aufl. § 1 Rdnr. 26 f). Das ist im Streitfall nicht geschehen; die Beklagte hat die Behauptung der Klägerin, das Formular sei von der Beklagten gestellt worden, nicht bestritten. Die Darstellung der Revisionserwiderung, die Beklagte habe die Behauptung der Klägerin mit Nichtwissen bestritten, findet in dem von ihr herangezogenen Verhandlungsprotokoll vom 13. Februar 1997 keine Stütze. Die Beklagte kann sich daher nicht auf die Vorschriften des AGB-Gesetzes berufen. Dieses schützt den Klauselverwender nicht vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (BGHZ 99, 160, 161).

b) Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist es grundsätzlich jedermann gestattet, eine Bürgschaft auf erstes Anfordern im Einzelfall zu erteilen (Senatsurt. v. 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, ZIP 1997, 582, 583). Dem Senatsurteil vom 5. Juli 1990 (IX ZR 294/89, ZIP 1990, 1186) lag ein Fall zugrunde, in dem ein Nichtkaufmann eine entsprechende Verpflichtung formularmäßig erklärt hatte. Die im Leitsatz jenes Urteils enthaltene Aussage, wonach Bürgschaften mit der Verpflichtung auf erstes Anfordern den Kreditinstituten vorbehalten seien, geht zu weit. Sie ist, wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (Senatsurt. v. 12. März 1992, aaO; v. 23. Januar 1997, aaO), auf Verträge, deren Bestimmungen nicht dem AGB-Gesetz unterliegen, nicht anzuwenden. Dort ist der Schutz von Personen, die mit dem Inhalt und den Rechtsfolgen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht hinreichend vertraut sind, durch eine interessengerechte Auslegung der Willenserklärungen sowie dadurch zu verwirklichen, daß den geschäftskundigen Teil besondere Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen, wenn derjenige, der eine solche Verpflichtung übernehmen soll, nach Treu und Glauben eine Belehrung erwarten darf, durch die ihm der Unterschied zur gesetzlichen Bürgschaft sowie die daraus folgenden Risiken deutlich vor Augen geführt werden. Bei Verletzung der Hinweispflicht kommt nur ein gewöhnlicher Bürgschaftsvertrag zustande. Dasselbe ist in der Regel anzunehmen, wenn beiden Vertragsparteien die notwendige Rechtskenntnis gefehlt hat.

c) Im Streitfall bedurfte die Beklagte eines solchen Schutzes jedoch nicht. Beide Parteien sind Kaufleute und geschäftlich ständig im Bauwesen tätig. Die mit der Bürgin eng verbundene Hauptschuldnerin hatte einen ihr erteilten Auftrag an die Klägerin als Subunternehmerin weitergegeben. Da im Baugewerbe häufig Sicherheitsleistungen durch Bürgschaft auf erstes Anfordern vereinbart werden und die Klägerin keine Veranlassung hatte anzunehmen, der Beklagten sei dieses Rechtsinstitut nicht hinreichend vertraut, war sie insoweit zu keiner Aufklärung verpflichtet. Die Klägerin hat daher nicht gegen ihr obliegende Nebenpflichten verstoßen.

d) Der Bürgschaftsvertrag ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Allerdings betrifft die Regelung des § 17 VOB/B nur die Sicherstellung des Auftraggebers. Daraus ist jedoch nicht zu entnehmen, daß eine Sicherheitsleistung zugunsten des Auftragnehmers ausgeschlossen werden sollte (Ingenstau/Korbion, aaO B § 17 Rdnr. 8; Heiermann/Riedel/Rusam, VOB 8. Aufl. B § 17 Rdnr. 1). Vielmehr hat der Gesetzgeber das grundsätzliche Sicherungsbedürfnis des Unternehmers durch die Einführung des § 648 a BGB in besonderem Maße anerkannt. Diese Bestimmung sieht vor, daß der Unternehmer für seinen Vergütungsanspruch Sicherheit verlangen darf und diese auch durch eine Garantie oder ein sonstiges Zahlungsversprechen geleistet werden kann. Ob die von den Parteien getroffene Vereinbarung der in dieser Vorschrift enthaltenen Regelung entspricht, kann dahingestellt bleiben, weil die Bestimmung erst seit dem 1. Mai 1993 in Kraft ist. Der Gesetzgeber hat, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BT-Drucks. 12/1836, S. 11; 12/4526, S. 12), die Anwendung der Neuregelung auf vor diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge nicht vorgesehen (MünchKomm-BGB/Soergel, 3. Aufl. § 648 a Rdnr. 46; Hütter BauR 1993, 670).

4. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern sind gegeben.

a) Das Berufungsgericht hat die Verpflichtung der Beklagten in dem Sinne ausgelegt, daß sie nur die Werklohnforderung der Klägerin deckt. Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision auch hingenommen. Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klagesumme betreffe nur in Höhe von 64.119,96 DM die Vergütung; im übrigen gründe sie sich auf einen angeblichen Schadensersatzanspruch. Dieser Einwand ist schon im Erstprozeß zu beachten, weil er sich dagegen richtet, daß die geltend gemachte Forderung zu den Ansprüchen gehört, die durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern gesichert sind (Senatsurt, v. 14. Dezember 1995 - IX ZR 57/95, ZIP 1996, 172).

Jedoch ergibt der Inhalt der Widerklage des Hauptprozesses und der ihr zugrundeliegenden Schlußrechnung vom 12. Dezember 1994 [BA Bl. 98 - 101], daß die Klägerin dort ausschließlich den Werklohn für ihre Leistungen verlangt. Diese Urkunde befindet sich zwar nur in den Akten des Hauptprozesses, darf aber gleichwohl auch im hier anhängigen Rechtsstreit verwertet werden. Im Urkundenprozeß kann der Urkundenbeweis nur durch Vorlegung der Urkunde angetreten werden (§ 595 Abs. 3 ZPO). Daher ist ein Beweis durch den Antrag, Akten bei öffentlichen Behörden zu erheben, nicht zulässig (Senatsurt. v. 9. Juni 1994 - IX ZR 125/93, NJW 1994, 3295, 3296, insoweit nicht in BGHZ 126, 217 abgedr.). Dagegen kann der Beweis durch Urkunden, die dem Gericht - nicht notwendig demselben Spruchkörper - schon zur Verfügung stehen, geführt werden, weil dies mit dem Beschleunigungsgrundsatz des Urkundenprozesses vereinbar ist (RGZ 8, 42, 45; OLG Karlsruhe Justiz 1968, 260; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 21. Aufl. § 595 Rdnr. 3; Teske JZ 1995, 473). Beide Rechtsstreitigkeiten wurden vor dem LG Dresden ausgetragen. Die Akten des Bauprozesses waren in den Tatsacheninstanzen jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

b) Die Klägerin braucht ihre Werklohnforderung nicht schlüssig darzulegen. Für die Inanspruchnahme des Bürgen genügt es, daß der Gläubiger die Bürgenleistung vertragsgemäß angefordert hat und behauptet, seine Forderung sei fällig (Senatsurt. v. 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380, 381; v. 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, ZIP 1996, 2062). Die Bürgschaftsurkunde verlangt nicht mehr als die Aufforderung zur Zahlung. Das ist unstreitig mit Schriftsatz vom 26. September 1995 geschehen. Darin lag zugleich die Behauptung, daß die Forderung fällig geworden ist.

c) Der Bürge kann sich im Erstprozeß auf die materielle Unbegründetheit der Anforderung nur dann berufen, wenn klar auf der Hand liegt, daß der Gläubiger eine formale Rechtsstellung mißbraucht (Senatsurt. v. 28. Oktober 1993, aaO; v. 17. Oktober 1996, aaO S. 2064). Das trifft hier schon nach dem Vorbringen der Beklagten nicht zu. Im Hauptprozeß ist über die Behauptung der Parteien Beweis erhoben worden und bisher noch kein Urteil ergangen. Der Richter des Bürgschaftsprozesses hat das Ergebnis der Beweisaufnahme im Hauptprozeß nicht daraufhin zu würdigen, ob es geeignet ist, einen Erfolg der Hauptsacheklage des Gläubigers auszuschließen.

III.

Da eine weitere Tatsachenaufklärung nicht in Betracht kommt, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und das erstinstanzliche Urteil, einschließlich des Ausspruchs über den Vorbehalt der Rechte, wiederherzustellen. Hinsichtlich eines eventuellen Nachverfahrens wird auf das Senatsurteil vom 28. Oktober 1993 (aaO S. 382) hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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