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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.09.1999
Aktenzeichen: IX ZR 80/99
Rechtsgebiete: KO, InsO, GesO, ZPO


Vorschriften:

KO § 148
InsO § 182
GesO § 11 Abs. 3
ZPO § 511 a
KO § 148; InsO § 182; GesO § 11 Abs. 3; ZPO § 511 a

Im Rahmen seiner Schätzungsbefugnis bei der Wertbestimmung nach § 148 KO, § 182 InsO hat das Gericht sämtliche Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Gegebenenfalls hat es die Konkursakten auszuwerten oder eine Auskunft des Insolvenzverwalters einzuholen.

BGH, Urteil vom 9. September 1999 - IX ZR 80/99 - OLG Jena LG Erfurt


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL

IX ZR 80/99

Verkündet am: 9. September 1999

Bürk, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 3. Februar 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hat in der am 23. September 1996 eröffneten Gesamtvollstreckung über das Vermögen der H. GmbH & Co. KG bei G. eine Forderung von 800.000 DM nebst 452.666,66 DM vertraglicher Zinsen angemeldet. Die Beklagte als weitere Gläubigerin hat der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprochen. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß ihr eine in Rangklasse gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO stehende Forderung in Höhe von 1.252.666,66 DM zusteht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.500 DM nicht übersteige. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 547 ZPO zulässige Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Da die Revisionsbeklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, ist gegen sie durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil beruht allerdings inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer umfassenden rechtlichen Würdigung des maßgeblichen derzeitigen Sach- und Streitstandes (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f).

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe die voraussichtlich zu erwartende Konkursquote weder schlüssig und substantiiert dargetan noch glaubhaft gemacht. In den Fällen, in denen - wie vorliegend - mit einer quotenmäßigen Befriedigung nicht zu rechnen sei, sei der Wert des Beschwerdegegenstandes auf den Wert der niedrigsten Gebührenstufe, hier mithin auf bis zu 600 DM festzusetzen.

II.

Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 GesO kann ein Gläubiger, dessen Forderung vom Verwalter oder einem anderen Gläubiger ganz oder teilweise nicht anerkannt wurde, seine Forderung nur durch eine Klage gegen den Bestreitenden geltend machen. Auf diese Klage, die der Feststellungsklage des § 146 KO entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 5. Februar 1998 - IX ZR 259/97, WM 1998, 622), ist nach verbreiteter Meinung § 148 KO entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Naumburg ZIP 1995, 575; Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO 4. Aufl. § 11 Rdn. 99; Hess/Binz/Wienberg, GesO 3. Aufl. § 11 Rdn. 53 b; Smid, GesO 3. Aufl. § 11 Rdn. 113). Danach ist der Wert des Streitgegenstandes eines Prozesses über die Richtigkeit oder das Vorrecht einer Forderung mit Rücksicht auf das Verhältnis der Teilungs- zur Schuldenmasse vom Prozeßgericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es demzufolge darauf an, welcher Betrag aufgrund der zu erwartenden Konkursquote voraussichtlich auf die von der Klägerin geltend gemachte Forderung entfallen wird (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 1953 - VI ZR 49/52, LM § 148 KO Nr. 1; Beschl. v. 27. Februar 1980 - I ZR 13/78, ZIP 1980, 429, 430; v. 12. November 1992 - VII ZB 13/92, ZIP 1993, 50, 51). Ein über die Schätzung der Konkursquote hinausgehendes Ermessen steht dem Prozeßgericht grundsätzlich nicht zu (vgl. BGH, Urt. v. 19. Februar 1964 - Ib ZR 155/62, NJW 1964, 1229; auch v. Beschl. 12. November 1992 aaO). Mit diesem Verständnis des § 148 KO stimmt § 182 InsO im Grundsatz überein. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist. Ausweislich der Begründung zu § 210 RegE InsO, die der Begründung zu § 200 DiskE InsO und RefE InsO entspricht, ist mit dem von § 148 KO abweichenden Wortlaut (lediglich) eine Präzisierung der unbestimmten Formulierung dieser Norm bezweckt, "die dem Gericht bei der Feststellung des Streitwertes einer Feststellungsklage ein weites Ermessen einzuräumen scheint" (BT-Drucks. 12/2443 S. 185). Da die Feststellung der zu erwartenden Quote regelmäßig mit Unsicherheiten verbunden ist, ist das Gericht auch bei der Wertfestsetzung nach § 182 InsO auf Schätzungen angewiesen, so daß mit dieser Norm eine sachliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage nicht verbunden ist (vgl. Pape, in: Kübler/Prütting, InsO § 182 Rdn. 1). Es kann deshalb auf sich beruhen, ob im Geltungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung § 148 KO oder § 182 InsO entsprechend anzuwenden ist.

2. Gemäß § 511 a Satz 1 ZPO ist die Berufung unzulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.500 DM nicht übersteigt. Nach Satz 2 hat der Berufungskläger diesen Wert glaubhaft zu machen.

Diese Vorschrift ist nicht dahin zu verstehen, daß das Berufungsgericht beim Fehlen einer Äußerung des Berufungsklägers zum Beschwerdewert oder einer Glaubhaftmachung des Wertes des Beschwerdegegenstandes diesen Wert ohne weiteres auf den Wert der niedrigsten Gebührenstufe festzusetzen hätte (vgl. insoweit BGH, Beschl. v. 12. November 1992 aaO). Vielmehr ist der Wert im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Rechtsmittels (§ 519 b Abs. 1 ZPO) ohne Bindung an eine Streitwertfestsetzung durch das Erstgericht von Amts wegen nach §§ 2 ff ZPO, 148 KO (künftig § 182 InsO) zu bestimmen (vgl. RG HRR 1930 Nr. 1262; BGH, Beschl. v. 16. Dezember 1987 - IVb ZB 124/87, NJW-RR 1988, 836, 837; Urt. v. 20. Oktober 1997 - II ZR 334/96, NJW-RR 1998, 573). Dabei ist regelmäßig auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung (hier: 14. August 1998) abzustellen (vgl. §§ 14, 15 GKG; BGHZ 1, 29; BGH, Beschl. v. 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063). Soweit dem Berufungsgericht ein Ermessensspielraum zusteht, hat das Revisionsgericht die Entscheidung auf Ermessensfehler zu überprüfen (BGH, Beschl. v. 19. Mai 1982 - IVb ZB 80/82, NJW 1982, 1651; Urt. v. 20. Oktober 1997 aaO).

3. Im Rahmen seiner Schätzungsbefugnis bei der Wertbestimmung nach § 148 KO (§ 182 InsO) hat das Gericht sämtliche Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Insbesondere hat es die Konkursakten beizuziehen und auszuwerten und - sofern diese keine hinreichenden Schätzungsgrundlagen vermitteln - eine Auskunft des Konkurs-(Gesamtvollstreckungs-, Insolvenz-)verwalters einzuholen (vgl. OLG Köln Rpfleger 1974, 22; JurBüro 1974, 1024, 1025; LAG Köln ZIP 1994, 639; Jaeger/Weber, KO 8. Aufl. § 148 Rdn. 2; E. Schneider MDR 1974, 180, 183).

4. Das Berufungsgericht hat weder die Konkursakten hinreichend ausgewertet noch eine Auskunft des Gesamtvollstreckungsverwalters eingeholt.

a) Nach dem bei den Konkursakten befindlichen Bericht des Verwalters vom 12. Juni 1998 belief sich die bare Masse zu diesem Zeitpunkt auf 686.355,96 DM, das noch nicht versilberte Vermögen wurde mit 35.000 DM angesetzt. Unter der Voraussetzung, daß die Vermögensverwertung zu den geschätzten Werten erfolgt, stand nach Abzug von Masseverbindlichkeiten zur Ausschüttung an die Tabellengläubiger ein Betrag von 634.027,48 DM zur Verfügung. Zu Rang 3 war eine Forderung (des Finanzamtes G.) von 2.359.695,32 DM angemeldet; sie ist als vorläufig bestritten bezeichnet. Zu Rang 4 waren insgesamt 24.386.051,29 DM angemeldet; davon waren anerkannt 3.479.113,39 DM; wegen 102.598,84 DM war auf die Feststellung verzichtet; vorläufig bestritten waren 9.291.771,24 DM, endgültig bestritten 11.615.166,66 DM.

b) Danach hängt die Frage, ob die Berufungssumme erreicht ist, entscheidend von der Berücksichtigung der zu Rang 3 angemeldeten Forderung ab. Sollte diese Forderung ganz oder zu einem erheblichen Teil bestehen, könnte dies gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 3 GesO dazu führen, daß auf die Forderungen der Rangklasse 4 und damit auf die Forderung der Klägerin keinerlei Zuteilung oder nur eine solche erfolgt, deren Betrag für die Klägerin 1.500 DM nicht übersteigt. Dazu, ob oder mit welcher Wahrscheinlichkeit die zu Rang 3 angemeldete Forderung besteht, hat das Berufungsgericht Feststellungen nicht getroffen. Den Akten sind insoweit aussagekräftige Anhaltspunkte nicht zu entnehmen. Deshalb war es unerläßlich, zu dieser Forderungsanmeldung - insbesondere zu der Frage, ob und mit welcher Erfolgsaussicht ihre Feststellung zur Tabelle betrieben wird - eine Auskunft des Gesamtvollstreckungsverwalters einzuholen.

Sollte die Forderung nicht zu berücksichtigen sein, entfiele bei einer zu verteilenden Masse von ca. 634.000 DM und zu befriedigenden Forderungen der Rangklasse 4 von (3.479.113,39 DM [anerkannt] + 9.291.771,24 DM [vorläufig bestritten] =) 12.770.884,63 DM auf die Klägerin bei voller Berücksichtigung der angemeldeten Forderung von 1.252.666,66 DM ein Betrag von gut 62.000 DM [12.770.884,63 : 1.252.666,66 = ca. 10,19; 634.000 : 10,19], bei Abzug der angemeldeten Zinsen von 452.666,66 DM ein Betrag von ca. 39.700 DM [12.770.884,63 : 800.000 = 15,96; 634.000 : 15,96]. In beiden Fällen wäre die Berufungssumme erreicht. Dies träfe sogar dann zu, wenn sämtliche zu Rang 4 angemeldeten Forderungen in Höhe von 24.386.051,29 DM berücksichtigt würden.

III.

Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

Das Berufungsgericht wird zunächst festzustellen haben, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die zur Verteilung stehende Masse durch eine Bedienung der zu Rang 3 angemeldeten Forderung aufgezehrt wird. Sollte danach eine Zuteilung auf die Forderungen der Rangklasse 4 nicht ausgeschlossen sein, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, welcher Betrag auf die angemeldete Forderung der Klägerin entfällt. Zu dessen genauerer Bestimmung wird das Berufungsgericht feststellen müssen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die zu Rang 4 angemeldeten, aber bestrittenen Forderungen jeweils zur Tabelle festzustellen sind (vgl. RG Recht 1912 Nr. 2064; OLG Naumburg, ZIP 1995, 575, 576; Jaeger/Weber § 148 Rdn. 5; E. Schneider MDR 1974, 101, 102; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 148 Rdn. 1 d). Auch dazu kann die Einholung einer Auskunft des Gesamtvollstreckungsverwalters in Betracht kommen. Ferner wird gegebenenfalls die Frage zu beantworten sein, ob und inwieweit bei der Bestimmung des Streitwerts nach § 148 KO (§ 182 InsO) Zinsen und sonstige Nebenforderungen zu berücksichtigen sind (vgl. § 62 KO) oder entsprechend § 4 ZPO außer Betracht bleiben (vgl. OLG München NJW 1967, 1374 [nur Leitsatz]; Kuhn/Uhlenbruck § 148 Rdn. 1 e; Pape aaO § 182 Rdn. 3; E. Schneider MDR 1974, 101, 104; Schneider/Herget, Streitwertkommentar 11. Aufl. Rdn. 2724).

Ende der Entscheidung

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