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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: IX ZR 84/07
Rechtsgebiete: InsO, BGB
Vorschriften:
InsO § 47 | |
BGB § 985 | |
BGB § 546 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 19. Juni 2008
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Vill und Dr. Fischer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom 4. April 2007 und das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 23. Oktober 2006 insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden wurde.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge, von den erstinstanzlichen Gerichtskosten und seinen erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten jeweils auch den Teil, der dem Beklagten auferlegt worden ist, sowie die erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Beklagten insgesamt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger hatte an die früheren Beklagten zu 1 und 2 eine Wohnung vermietet. Am 17. März 2006 erklärte er wegen Zahlungsrückständen die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses. Mit der am 19. Mai 2006 zugestellten Klage hat er die früheren Beklagten zu 1 und 2 auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch genommen. Über das Vermögen beider früherer Beklagter ist - gegenüber der früheren Beklagten zu 1 am 22. Juni 2006 und gegenüber dem früheren Beklagten zu 2 am 20. Juli 2005 - das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte (früherer Beklagter zu 3) jeweils zum Treuhänder bestellt worden.
Der Kläger hat die Klage am 17. August 2006 auf den Beklagten erstreckt. Dieser hat dem Kläger mitgeteilt, dass die nach dem 30. November 2006 fällig werdenden Ansprüche aus dem Mietverhältnis nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Herausgabe sowie die früheren Beklagten zu 1 und 2 zur Räumung der Wohnung verurteilt. Gegen dieses Urteil hat lediglich der Beklagte Berufung eingelegt. Dem von dem Kläger nach Räumung der Wohnung durch die früheren Beklagten zu 1 und 2 gestellten Erledigungsantrag hat der Beklagte widersprochen. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Hauptsache erledigt sei, und die Revision zugelassen. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten hat Erfolg und führt zur Abweisung des gegen ihn gerichteten Feststellungsantrags.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, vorliegend sei gemäß § 91a ZPO nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Durch die Räumung und Herausgabe der Wohnung sei der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Die Erklärung des Beklagten, wonach Mietforderungen nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten, habe nicht die Freigabe der Wohnung bewirkt. Deshalb sei der Mietvertrag nicht beendet worden und die Verfügungsbefugnis nicht an die früheren Mieter zurückgefallen. Da der Beklagte die Erklärung außerdem nach Klagezustellung abgegeben habe, sei die gegen ihn gerichtete Klage zunächst begründet gewesen. Seine Berufung hätte folglich ohne das erledigende Ereignis zurückgewiesen werden müssen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Das Berufungsurteil unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 20. April 2004 - XI ZR 164/03, NJW 2004, 2745, 2746; Urt. v. 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03, NJW 2005, 594, 596).
2. Der Kläger konnte den Rechtsstreit ohne Einlegung einer Anschlussberufung (§ 524 ZPO) einseitig für erledigt erklären. Die einseitige Erledigungserklärung bildet eine gemäß § 264 Nr. 2 ZPO privilegierte Klageänderung (BGH, Urt. v. 7. Juni 2001 - I ZR 157/98, NJW 2002, 442). Da mit der Erledigung von einem Leistungsantrag auf einen Feststellungsantrag übergegangen wird, handelt es sich um eine Antragsbeschränkung. Bei dieser Sachlage soll durch den Erledigungsantrag nicht mehr als die Zurückweisung der Berufung erreicht werden (vgl. BGH, Urt. v. 2. Oktober 1987 - V ZR 42/86, NJW-RR 1988, 185; Urt. v. 12. Januar 2006 - VII ZR 73/04, NJW-RR 2006, 669 f Rn. 9 f).
3. Zu Unrecht hat das Landgericht dem geänderten Klageantrag auf der Grundlage des § 91a ZPO stattgegeben.
a) Da der Beklagte dem Erledigungsantrag des Klägers widersprochen hat, fehlt es an übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien als Voraussetzung für die Anwendung des § 91a ZPO. Im Falle der einseitigen Erledigungserklärung muss das Gericht vielmehr im ordentlichen Streitverfahren prüfen, ob die Hauptsache erledigt ist, ob also die eingereichte Klage zulässig und begründet war, aber durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes Ereignis gegenstandslos geworden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, spricht das Gericht die Erledigung durch Urteil aus (BGHZ 91, 126, 127; 106, 359, 366 f; BGH, Versäumnisurteil vom 13. September 2005 - X ZR 62/03, BGH-Report 2006, 199).
b) Im Streitfall bestehen bereits Bedenken, ob sich der Rechtsstreit auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts durch den Auszug der früheren Beklagten tatsächlich erledigt hat. Das Landgericht geht in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht davon aus, dass der Beklagte in seinem Amt als Treuhänder die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über die Wohnung erlangt hat. Dieser Verwaltungsbesitz des Beklagten ging infolge seines notwendig eigenständigen Charakters mit der Räumung der Wohnung durch die früheren Beklagten nicht ohne weiteres unter.
4. Letztlich kann die Frage einer Erledigung aber auf sich beruhen, weil das gegen den Beklagten gerichtete Herausgabeverlagen (§§ 985, 546 BGB) von Anfang an unbegründet war (BGHZ 106, 359, 367).
a) Das Amtsgericht hat angenommen, dass das Mietverhältnis gegenüber der früheren Beklagten zu 1 durch die Kündigung vom 17. März 2006 vor der am 22. Juni 2006 angeordneten Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden war, während die Beendigung im Verhältnis zum Beklagten zu 2 durch eine gegenüber dem Beklagten als Treuhänder (konkludent) erklärte Kündigung nach der am 20. Juli 2005 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintrat. Auf der Grundlage dieser rechtlichen Würdigung, die auch im Rahmen des vorliegenden Prozessrechtsverhältnisses nicht in Frage gestellt wurde, ist der Beklagte gemäß § 108 Abs. 1 InsO nur hinsichtlich des früheren Beklagten zu 2 in das Mietverhältnis mit dem Kläger eingerückt. Die von dem Beklagten gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegebene Erklärung, deren Reichweite vorliegend dahingestellt bleiben kann (vgl. hierzu Mohrbutter/Ringstmeier/Homann, Handbuch der Insolvenzverwaltung 8. Aufl. § 7 Rn. 86: Freigabe des Vertragsverhältnisses zugunsten des Schuldners; MünchKomm-InsO/Eckert, 2. Aufl. § 109 Rn. 53 f: Lediglich Wegfall des Sonderkündigungsrechts aus § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO), bezog sich folglich ausschließlich auf die Insolvenz über das Vermögen des Beklagten zu 2.
b) Nach Beendigung des zwischen dem Vermieter und dem Schuldner begründeten Mietverhältnisses ist zwischen dem Anspruch auf Herausgabe der Mietsache und etwaigen die Masse treffenden Abwicklungsansprüchen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) zu unterscheiden. Der aus § 985 BGB sowie § 546 BGB folgende, durch die Insolvenzeröffnung inhaltlich unbeeinflusste (BGHZ 86, 204, 211) Herausgabeanspruch begründet ohne Rücksicht darauf, ob das Mietverhältnis vor oder nach Insolvenzeröffnung beendet wurde (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 47 Rn. 341), ein Aussonderungsrecht (BGHZ 127, 156, 160). Dieses besteht allerdings nur, wenn der auszusondernde Gegenstand infolge der Wahrnehmung des Verwaltungsbesitzes durch den Insolvenzverwalter massebefangen ist (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 47 Rn. 35a). Andernfalls kann der Berechtigte allein den Schuldner persönlich in Anspruch nehmen (BGHZ aaO S. 161).
aa) Demgemäß ist der Verwalter dem Vermieter nur zur Herausgabe einer Mietwohnung verpflichtet, wenn er den Besitz daran ausübt (BGHZ 148, 252, 260 f; BGH, Urt. v. 21. Dezember 2006 - IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340, 341 Rn. 12) oder unter Anerkennung des fremden Eigentums das Recht beansprucht, die Mietwohnung für die Masse zu nutzen und darüber zu entscheiden, ob, wann und in welcher Weise er sie an den Vermieter zurückgibt (BGHZ 127, 156, 161). Greifen diese Ausnahmetatbestände nicht ein, weil der Verwalter im Blick auf die von dem Schuldner genutzte Wohnung keine eigenen Rechte behauptet, scheidet ein Herausgabeanspruch gegen ihn aus (LG Mannheim WuM 2006, 694 f; MünchKomm-InsO/Eckert, aaO § 108 Rn. 116; HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. § 109 Rn. 16; Hain ZInsO 2007, 192, 195).
bb) Unstreitig hat der Beklagte an der Mietwohnung zu keinem Zeitpunkt Besitz begründet. Er hat auch - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - keine Entscheidung darüber in Anspruch genommen, unter welchen Voraussetzungen die Wohnung an den Kläger zurückgegeben wird. Der Beklagte hat es gerade abgelehnt, mit dem Kläger einen Räumungsvergleich zu schließen. In der Weigerung, auch nur vergleichsweise über die weitere Nutzungsdauer durch die früheren Beklagten zu 1 und 2 zu disponieren, kommt der Wille zum Ausdruck, keine Nutzungsrechte über die Wohnung auszuüben. In Einklang hiermit hat der Beklagte weiter im einzelnen vorgetragen, die Mietwohnung nicht zu nutzen und sie auch nicht für die Insolvenzmasse in Anspruch zu nehmen. Bei dieser Sachlage war ein Herausgabeanspruch gegen den Beklagten von Anfang an unbegründet.
cc) Zu Unrecht meint die Revisionserwiderung, der Beklagte sei aus normativen Erwägungen als Besitzer der Wohnung anzusehen.
(1) Ein Besitz des Beklagten kann nicht aus § 148 Abs. 1 InsO hergeleitet werden.
Der Insolvenzverwalter hat nach dieser Vorschrift das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Die Besitzergreifung vollzieht sich jedoch entgegen der von dem Kläger in der mündlichen Revisionsverhandlung vertretenen Auffassung nicht kraft Gesetzes (wie etwa im Rahmen des § 857 BGB), sondern setzt - wie dem von § 80 Abs. 1 abweichenden Wortlaut des § 148 Abs. 1 InsO und der Vollstreckungsmöglichkeit durch § 148 Abs. 2 InsO zu entnehmen ist - die Erlangung der tatsächlichen Gewalt (§ 854 BGB) durch den Insolvenzverwalter voraus (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 148 Rn. 24; Nerlich/Römermann/Andres, InsO § 148 Rn. 29; FK-InsO/Wegener, 4. Aufl. § 148 Rn. 3; HmbKomm-InsO/Jarchow, 2. Aufl. § 148 Rn. 13). Für diese rechtliche Würdigung spricht ferner die dem Insolvenzverwalter bei einer schuldhaften Verzögerung der Inbesitznahme drohende Schadensersatzpflicht (vgl. FK-InsO/Wegener, aaO § 148 Rn. 5; Braun/Dithmar, InsO 3. Aufl. § 148 Rn. 6), die bei Annahme eines ohnehin bestehenden gesetzlichen Besitzerwerbs nie zum Tragen käme.
Davon abgesehen war der Beklagte nicht einmal gehalten, die Mietwohnung der Schuldner in Besitz zu nehmen. Eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Besitzergreifung scheidet aus, wenn die Belassung der Sache bei dem Schuldner die Befriedigung der Gläubiger nicht gefährdet (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 148 Rn. 26). Der Insolvenzverwalter darf insbesondere davon absehen, an massefremden Gegenständen Besitz zu begründen, die er - wie etwa eine von dem Schuldner bewohnte Mietwohnung (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 148 Rn. 26) - nicht für die Masse zu nutzen beabsichtigt (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 148 Rn. 12).
(2) Auch durch die Abgabe der auf § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO beruhenden Erklärung hat der Beklagte keinen Besitz an der Mietwohnung begründet.
Die Bestimmung dient dem Schutz der persönlichen Wohnung des Schuldners. Um dem Schuldner seine Mietwohnung möglichst zu belassen, ist dem Insolvenzverwalter die Befugnis, den Mietvertrag zu kündigen, entzogen. Durch die Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO kann der Insolvenzverwalter statt dessen eine Enthaftung der Masse von sämtlichen Ansprüchen aus dem Mietverhältnis bewirken (FK-InsO/Wegener, aaO § 109 Rn. 10c). Im Gegenzug erhält der Mieter die Chance, durch die Übernahme der Mietzahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten (MünchKomm-InsO/Eckert, aaO § 109 Rn. 49). Die als Ersatz für eine Kündigung auf eine Pflichtenlösung gerichtete Verlautbarung des Verwalters bringt den eindeutigen Willen zum Ausdruck, sowohl von einem Besitz als auch einer Nutzung der Wohnung Abstand zu nehmen.
Ende der Entscheidung
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