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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.12.2003
Aktenzeichen: IXa ZB 115/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 836 Abs. 3
ZPO § 888
a) Wer einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuern gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten hat, kann den Hilfsanspruch auf Abgabe der Steuererklärung aus diesem Titel grundsätzlich durch Haftantrag gegen den Schuldner vollstrecken.

b) Die Herausgabe der Lohnsteuerkarte und anderer Besteuerungsunterlagen des Schuldners an den Vollstreckungsgläubiger darf erst dann angeordnet werden, wenn der Vollstreckungsgläubiger glaubhaft gemacht hat, daß er den Besitz dieser Urkunden aufgrund einer Beteiligung an dem Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuern des Schuldners, eines eigenen Einspruchs oder einer eigenen Klage gegen den Drittschuldner benötigt.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IXa ZB 115/03

vom 12. Dezember 2003

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, Dr. Boetticher, v. Lienen und die Richterin Dr. Kessal-Wulf

am 12. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 24. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

Der Gläubiger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen, dessen Wert auf 600 € festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Der Gläubiger erwirkte wegen vollstreckbarer Geldforderungen die Pfändung und Überweisung der Ansprüche der Schuldnerin auf Erstattung von Einkommen- und Kirchensteuern nebst Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2002. Der Antrag des Gläubigers, die Herausgabe der Lohnsteuerkarte der Schuldnerin für den Pfändungszeitraum und im einzelnen bezeichneter steuerrechtlich erheblicher Unterlagen anzuordnen, blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Hiergegen wendet sich seine - zugelassene - Rechtsbeschwerde.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen nach § 575 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Schuldner ist gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO nach Pfändung und Überweisung seiner Forderung verpflichtet, dem Vollstreckungsgläubiger die in seinem Besitz befindlichen Urkunden über die Forderung herauszugeben. Die Herausgabe dieser Urkunden kann von dem Vollstreckungsgläubiger nach § 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO im Wege der Zwangsvollstreckung (§ 883 ZPO) durchgesetzt werden. Die Voraussetzungen einer solchen Hilfsvollstreckung sind für die vom Gläubiger herausverlangte Lohnsteuerkarte und die steuerrechtlich erheblichen Unterlagen der Schuldnerin für den Pfändungszeitraum jedoch bisher nicht glaubhaft gemacht worden.

1. Das Beschwerdegericht hat es abgelehnt, die Herausgabe der Lohnsteuerkarte und der Unterlagen durch die Schuldnerin anzuordnen, weil dem pfändenden Gläubiger dafür das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Es meint, die Ermächtigung des Gläubigers zur Einziehung des überwiesenen Anspruchs auf Erstattung von Einkommen- und Kirchensteuern verleihe ihm nicht die Befugnis, mit Wirkung für die Schuldnerin eine Einkommensteuererklärung abzugeben und dadurch die Veranlagung zu beantragen. Daher nütze dem einziehungsberechtigten Vollstreckungsgläubiger der Besitz der Lohnsteuerkarte und der steuerrechtlich erheblichen Unterlagen der Vollstreckungsschuldnerin nichts, weil er diese Urkunden nicht selbst in einem anstelle der Schuldnerin betriebenen Steuerfestsetzungsverfahren verwenden könne.

2. Das Landgericht hat mit diesen Erwägungen das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers für die beantragte Hilfspfändung, welches jede Vollstreckungsmaßnahme voraussetzt (BVerfGE 61, 126, 135 = NJW 1983, 559; BGH, Beschl. v. 18. Juli 2002 - IX ZB 26/02, NJW 2002, 3178, 3179; v. 21. November 2002 - IX ZB 85/02, WM 2003, 548, 551), nur ausschnittsweise geprüft und verneint.

a) Der Gläubiger hat sich gegenüber dem Amtsgericht nicht dazu geäußert, ob die Schuldnerin nach § 25 Abs. 3 EStG, § 56 EStDV eine Einkommensteuererklärung abzugeben hatte und ob sie nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden mußte. Von daher wäre auch eine bereits erfolgte Festsetzung mit oder ohne Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzverwaltung (§ 162 AO) nicht ausgeschlossen. Alles dies und den Stand einer etwaigen Antragsveranlagung der Vollstreckungsschuldnerin hätte der Gläubiger nach § 840 ZPO in Erfahrung bringen können. In seiner Beschwerde an das Landgericht hat der Gläubiger dazu nur bemerkt, gepfändet worden seien der Erstattungsanspruch der Schuldnerin aus einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG für das Kalenderjahr 2002. Das weitere Vorgehen des Gläubigers war nach seinem Beschwerdevorbringen so gedacht, daß er aufgrund der Lohnsteuerkarte und von Besteuerungsunterlagen den Entwurf zu einer Einkommensteuererklärung der Schuldnerin erstellen und dieser zur Unterzeichnung vorlegen wollte.

Damit allein wäre allerdings das vom Landgericht verneinte Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Hilfspfändung nicht zu begründen gewesen. Denn der Gläubiger bedurfte keines körperlichen Besitzes der Lohnsteuerkarte und der Besteuerungsunterlagen, um für die Schuldnerin einen Entwurf zu einer Einkommensteuererklärung anzufertigen.

b) Die Lohnsteuerkarte eines Arbeitnehmers bescheinigt nach § 39 EStG für den Arbeitgeber die Grundlagen des Lohnsteuerabzugs vom Bruttoarbeitslohn. Die - hier wichtigere - Lohnsteuerbescheinigung des Arbeitgebers auf der Karte bestätigt insbesondere die Dauer des Dienstverhältnisses, die Art und die Höhe des gezahlten Arbeitslohns und die einbehaltene Lohnsteuer (§ 41b Abs. 1 Satz 2 EStG). Die Lohnsteuerbescheinigung kommt damit als eine unter § 836 Abs. 3 Satz 3 ZPO fallende Beweisurkunde über einen gepfändeten Einkommen- und Kirchensteuererstattungsanspruch sowohl im Steuerfestsetzungsverfahren als auch im anschließenden Erhebungsverfahren in Betracht. Die Unterlagen, deren Herausgabe der Gläubiger weiterhin erstrebt, sind dagegen nur für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung und das Steuerfestsetzungsverfahren von Bedeutung. Zur Prüfung des gepfändeten und überwiesenen Anspruchs genügt für den Vollstreckungsgläubiger zunächst die Einsicht in die Lohnsteuerkarte nebst Unterlagen gemäß § 836 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO.

3. Mit seiner Entscheidung ist das Beschwerdegericht der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFHE 187, 1 = BStBl. II 1999, 84; BFHE 191, 311 = BStBl. II 2000, 573 = NJW 2001, 462) gefolgt. Sie verneint im Anschluß an den Anwendungserlaß des Bundesministeriums der Finanzen zur Abgabenordnung vom 27. Oktober 1995 (AEAO - BStBl. I, 666 unter 3. zu § 46 m.w.N.) und Abschnitt 149 Abs. 7 Satz 7 LStR 1996 (BStBl. I, Sondernr. 3/1995) die Befugnis des Pfändungsgläubigers (§§ 829, 835, 836 Abs. 1 ZPO), durch Abgabe einer von ihm selbst oder seinem Bevollmächtigten ausgefertigten und unterschriebenen Steuererklärung für den Vollstreckungsschuldner gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 und 2 EStG die Einkommensteuerveranlagung zu beantragen (anders noch Abschnitt 149 Abs. 7 Satz 7 LStR 1993, BStBl. I, Sondernr. 3/1992). Träfe das zu, so fehlte dem vom Antragsrecht des Vollstreckungsgläubigers abhängigen Hilfsanspruch auf Herausgabe der Lohnsteuerkarte und sonstiger Besteuerungsunterlagen nach § 836 Abs. 3 Satz 1 und 3 ZPO das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. zur Abhängigkeit des Hilfsanspruchs zutreffend auch BFHE 187, 1, 12 = BStBl. II 1999, 84, 89). Denn ein dazu nicht befugter Pfändungsgläubiger könnte den gepfändeten Anspruch auf Lohnsteuererstattung auch mit Hilfe der Lohnsteuerkarte und Besteuerungsunterlagen des Steuerpflichtigen im Festsetzungsverfahren nicht durchsetzen. Dem nach Annahme des Bundesfinanzhofs allein antragsberechtigten Vollstreckungsschuldner würde durch die Herausgabe der Lohnsteuerkarte sogar erschwert, den gepfändeten Einkommensteuererstattungsanspruch auch im Interesse des Vollstreckungsgläubigers festsetzen zu lassen.

Auf der vorgenannten Grundlage haben es außer dem Beschwerdegericht auch andere Landgerichte abgelehnt, bei Pfändung des Einkommensteuererstattungsanspruchs die Herausgabe der Lohnsteuerkarte und sonstiger Steuerbelege an den Vollstreckungsgläubiger anzuordnen (siehe etwa LG Dortmund JurBüro 2000, 492; LG Frankenthal Rpfleger 2000, 462; LG Münster Rpfleger 2002, 632 LS).

4. Gegen die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehen im Ansatz keine durchgreifenden Bedenken. Da jedoch eine effektive Zwangsvollstreckung auch in Einkommensteuererstattungsansprüche von Lohnsteuerzahlern möglich bleiben muß, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Ersatzvornahme bei den Verfahrenshandlungen des Steuerpflichtigen im Festsetzungsverfahren erfolgen.

a) Der Bundesfinanzhof deutet nur an, der Vollstreckungsgläubiger könne den Vollstreckungsschuldner - notfalls auf zivilgerichtlichem Wege - nach § 888 ZPO zur Geltendmachung des überwiesenen Erstattungsanspruchs gegen die Finanzbehörden anhalten (BFHE 187, 1, 11 = BStBl. II 1999, 84, 89 unter 4 a.E.; zurückhaltender BFHE 191, 311, 318 = BStBl. II 2000, 573, 577 unter 8). Das Beschwerdegericht (ebenso etwa Kirchhof/Eisgruber, EStG 3. Aufl. § 46 Rn. 50 a.E.) hat diese Bemerkung im Sinne einer zivilgerichtlichen Klage auf Betreiben der Antragsveranlagung gegen den Vollstreckungsschuldner verstanden. Der Weg der Klage wäre jedoch nicht gangbar.

Dem Vollstreckungsgläubiger kann nicht zugemutet werden, unter Erhöhung seines Vollstreckungsrisikos um die Prozeßkosten und unter dem Zeitdruck einer im Regelfall bald verstreichenden Antragsfrist (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG: Ablauf des zweiten auf den Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahres) einen neuen Rechtsstreit gegen den Vollstreckungsschuldner zu führen. Sind durch den Vollstreckungsschuldner Einspruchs-, Klage- oder Rechtsmittelfristen im Festsetzungsverfahren zu wahren, wäre ein solcher Versuch praktisch aussichtslos. Er ist jedoch auch nicht nötig.

Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner, zu dem die entsprechend § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO vollstreckbare Verpflichtung des Schuldners gehört, den überwiesenen Steuererstattungsanspruch durch Festsetzung der Einkommensteuer zu betreiben. An dieser Pflicht des Vollstreckungsschuldners gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger, das Festsetzungsverfahren über den gepfändeten und überwiesenen Anspruch in Gang zu setzen, kann es keinen Zweifel geben, wenn man mit dem Bundesfinanzhof annimmt, daß der Vollstreckungsgläubiger trotz einer Einziehungsermächtigung nach § 836 Abs. 1 ZPO nicht selbst antragsberechtigt ist. Ein zeit- und kostenaufwendiges Erkenntnisverfahren über die Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners zum Festsetzungsantrag und zur Erklärungsabgabe ist dann jedenfalls unnötig. Während der (vorläufigen) Unvertretbarkeit der Einkommensteuererklärung kann der Steuerpflichtige bei Zwangsvollstreckung in seinen Einkommensteuererstattungsanspruch daher mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO angehalten werden, seiner Erklärungspflicht im Interesse des Vollstreckungsgläubigers nachzukommen. Zur Entscheidung befugt ist das Vollstreckungsgericht als Prozeßgericht des ersten Rechtszuges im Sinne von § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil es mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß den Vollstreckungstitel geschaffen hat. Daher besteht auch die Zuständigkeit des Rechtspflegers gemäß § 20 Nr. 17 RPflG, sofern nicht - bei Haftanordnung - gemäß Art. 104 Abs. 2 GG, § 4 Abs. 2 RpflG der Richter tätig werden muß.

Als Zwangsmittel zur Durchsetzung der Erklärungspflicht kann der Vollstreckungsgläubiger gegen den Schuldner in der Regel sogleich Haftantrag stellen, weil andernfalls eine zweckwidrige Gläubigerkonkurrenz mit der Staatskasse zu befürchten ist. Dem Haftantrag gegen den Schuldner nach § 888 ZPO zur Durchsetzung des Hilfsanspruchs auf Abgabe der Einkommensteuererklärung fehlt allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, solange für den Schuldner die allgemeine Frist zur Erklärungsabgabe (§ 149 Abs. 2 AO) oder eine allgemein gewährte Fristverlängerung (§ 109 AO) noch läuft. Hat der Schuldner nach § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO dem Vollstreckungsgläubiger bereits umfassend Auskunft über die Besteuerungsgrundlagen für den vollstreckungsbefangenen Veranlagungszeitraum erteilt, ist entsprechend § 803 Abs. 2 ZPO die Haftanordnung nur verhältnismäßig, wenn glaubhaft gemacht ist, daß unter Berücksichtigung des Aufwandes für die Erstellung der Einkommensteuererklärung ein Festsetzungsüberschuß und ein positives Ergebnis im Erhebungsverfahren (§ 218 Abs. 2 AO) zu erwarten ist. Hat der Schuldner die Auskunftserteilung verweigert, droht ihm nach § 836 Abs. 3 Satz 2, §§ 900, 901 ZPO ohnehin die Haft.

Kommt es im Ergebnis des Festsetzungsverfahrens wider Erwarten zu einer Steuernachzahlungspflicht, kann der Vollstreckungsschuldner den Antrag - im Einvernehmen mit dem Vollstreckungsgläubiger - widerrufen (BFHE 187, 1, 11 = BStBl. II 1999, 84, 89). Ist dies nicht möglich, weil die Prüfung des Finanzamtes die bisher unerkannten Voraussetzungen einer Amtsveranlagung aufdeckt, so wird die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung im Normvollzug hergestellt. Das Vollstreckungsrechtsverhältnis hat nicht darauf Bedacht zu nehmen, dem Schuldner den Genuß einer Steuerverkürzung zu erhalten.

Die Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners, den überwiesenen Erstattungsanspruch zugunsten des einziehungsberechtigten Vollstreckungsgläubigers gegen das Finanzamt festsetzen zu lassen, kann nach § 888 ZPO allerdings nicht in jeder Lage des Verfahrens wirkungsvoll vollstreckt werden. Der Bundesfinanzhof hat sich bisher damit nicht auseinandergesetzt. Eine abschließende Auseinandersetzung mit den kritischen Grenzfällen ist auch hier nicht erforderlich (siehe jedoch unten c).

b) Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs soll bei Pfändung und Überweisung von Einkommensteuererstattungsansprüchen eine Beteiligung des Einziehungsberechtigten im Festsetzungsverfahren unterbleiben. Dem Pfändungsgläubiger wird zu diesem Zweck nicht nur die Antrags-, Einspruchs- und Klagebefugnis, sondern sogar die Hinzuziehung (§ 360 AO) oder Beteiligung (§ 60 FGO) für das Festsetzungsverfahren abgesprochen (BFHE 187, 1, 5 = BStBl. II 1999, 84, 86 m.w.N.). Diese Meinung, die auf eine vorkonstitutionelle Rechtslage (vgl. RFHE 8, 157, 160 unter Berufung auf § 225 RAO 1919) zurückgeht, läßt die vom Pfändungsgläubiger mit der Überweisung erworbene Rechtsposition (§ 836 Abs. 1 ZPO, § 46 Abs. 6 AO) unberücksichtigt.

Nach Art. 14 Abs. 1 GG bedarf es schwerwiegender Gründe, dem Vollstreckungsgläubiger nach § 836 Abs. 1 ZPO zwar die Einziehungsermächtigung zu verleihen, ihm andererseits aber bis zum Erhebungsverfahren jeden verfahrensrechtlichen Gebrauch von der Ermächtigung zu versagen. Da § 841 ZPO dem Vollstreckungsgläubiger mit Recht die Pflicht auferlegt, dem Vollstreckungsschuldner im Drittschuldnerprozeß den Streit zu verkünden, weil dessen Erfüllungsinteresse mit auf dem Spiel steht, und andererseits § 265 Abs. 2 Satz 3 ZPO die Befugnis des einziehungsermächtigten Vollstreckungsgläubigers zur Nebenintervention in schwebende Drittschuldnerverfahren anerkennt, wäre es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, mit dem Bundesfinanzhof (aaO) den Vollstreckungsgläubiger aus einem Steuerfestsetzungsverfahren gänzlich auszuschließen (vgl. FG BadWürtt EFG 1975, 78 - für notwendige Beiladung des Pfändungspfandgläubigers; krit. zu Recht auch Tipke/Kruse, AO 16. Aufl. Lfg. 88 Sept. 1999 § 46 Rn. 54 bis 57, 59 bis 61). Ein Steuergeheimnis gegenüber dem zur Einziehung überzahlter Steuern ermächtigten Vollstreckungsgläubiger schließt § 836 Abs. 3 Satz 1 ZPO im Umfang der Ermächtigung aus (siehe im übrigen §§ 807, 900 ZPO). § 30 AO regelt nur die Geheimhaltungspflicht der öffentlichen Verwaltung. Die Gefahr zweckwidriger Ausnutzung von Kenntnissen, die der Vollstreckungsgläubiger nach § 836 Abs. 3 ZPO erlangt hat, ist kein spezifisch steuerrechtliches Problem. Entsprechende Mißbräuche durch einen Vollstreckungsgläubiger beurteilen sich nach allgemeinen Vorschriften. Eine vom Steuerrecht losgelöste allgemeine Güterabwägung ergibt auch, wo die Offenbarungspflicht des Schuldners nach § 836 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO Grenzen finden kann, wenn die Begründung der zur Einziehung überwiesenen Forderung gegenüber dem Drittschuldner auch Daten aus dem schützenswerten Persönlichkeitsbereich des Schuldners umfaßt.

Das Eigentumsgrundrecht garantiert unter anderem den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in gerichtlichen und behördlichen Verfahren (vgl. Maunz/Dürig/Papier, Grundgesetz 40. Lfg. Juni 2002 Art. 14 Anm. 46 bis 48 m.w.N.). Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt mit dem Rechtsschutzanspruch zugleich das Befriedigungsrecht des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung. Pfändungsverbote sind allenfalls zulässig, soweit überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (BGHZ 141, 173, 177; vgl. außerdem § 851 Abs. 2 ZPO). An dem gleichen Maßstab müssen Verfahrensregeln gemessen werden, die § 836 Abs. 1 ZPO durch Vorenthaltung von Antrags-, Einspruchs- und Klagebefugnissen, die bei dem Vollstreckungsschuldner verbleiben sollen, im Ergebnis entwerten und auf die vom Bundesfinanzhof gegen das Gesetz befürwortete hoheitliche Begründung einer bloßen "Erfüllungszuständigkeit" des Vollstreckungsgläubigers zurückdrängen würden.

Es genügt auch nicht, wenn der Vollstreckungsgläubiger darauf verwiesen wird, im Festsetzungsverfahren den Einspruch, die Klage und möglicherweise ein Rechtsmittel, die nach der Annahme des Bundesfinanzhofs dem Steuerpflichtigen vorbehalten sind, unter Umständen noch durch weitere, jeweils neue Vollstreckungshandlungen gegenüber dem Steuerpflichtigen zu erzwingen. Dies ist im Regelfall schon wegen der dafür vorgesehenen gesetzlichen Fristen nicht durchführbar. Die Zivilprozeßordnung hat aus guten Gründen, insbesondere wegen seines stärkeren Eigeninteresses, den Drittschuldnerprozeß bevorzugt in die Hände des Vollstreckungsgläubigers gelegt. Diese gesetzliche Wertung darf durch die Rechtsprechung nur in ihrem unbedingt notwendigen Umfang eingeschränkt, nicht aber in ihr Gegenteil verkehrt werden. Sie ist nicht nur bei Einziehung von Einkommensteuererstattungsansprüchen in Fällen der Antragsveranlagung, sondern in gleicher Weise bei der Amtsveranlagung zu beachten; denn der einziehungsberechtigte Vollstreckungsgläubiger darf hier insbesondere einer Festsetzungsbeschwer, die auf einer nachteiligen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) oder einer unterbliebenen Erklärung von Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen durch den Schuldner beruht, nicht wehrlos ausgesetzt sein.

c) Die weitgehenden Schlußfolgerungen des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesfinanzhofs aus dem Formzwang eigenhändiger Unterzeichnung einer Einkommensteuererklärung (§ 25 Abs. 3 Satz 4 EStG i.V.m. § 150 Abs. 3 AO) werden vom Gesetz nicht voll getragen. Die mit dem Erlaß vom 27. Oktober 1995 veränderte Auffassung des Bundesfinanzministeriums hat mit guten Gründen den Widerspruch der Vollstreckungsgerichte gefunden (z.B. LG Koblenz Rpfleger 1997, 223 m.w.N.; LG Karlsruhe InVo 1997, 158; LG Stuttgart Die Justiz 1997, 372; außerdem LG Heilbronn, LG Dortmund, LG Bochum, LG Berlin, jeweils Rpfleger 1997, 224). Denn bereits der Wortlaut des § 150 Abs. 3 AO stellt klar, daß die steuerrechtliche Eigenhändigkeit der Unterschrift keine im Sinne des allgemeinen Rechts höchstpersönliche Handlungspflicht begründet. Sie ist im Wort- und Rechtssinn vertretbare Verfahrenshandlung, weil nach dieser Bestimmung bei Verhinderung des Steuerpflichtigen die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten zulässig ist (vgl. für gesetzliche Vertreter außerdem § 34 Abs. 1 AO). Ein Verhinderungsfall kann sich außerhalb von § 150 Abs. 3 AO auch durch Verfügungsbeschränkungen des Steuerpflichtigen ergeben, wie bereits die Verwaltungsfälle des § 34 Abs. 3 AO (siehe auch § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO) erkennen lassen. Abweichend von der Auffassung des Bundesfinanzhofs enthält § 150 Abs. 3 AO daher keine abschließende gesetzliche Regelung.

Auf den berechtigten Kern zurückgeführt, läßt sich das Regelungsziel des Finanzverfahrensrechts - den angesichts der notwendigen Ausnahmen ungenauen Wortlaut von § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG unter Berücksichtigung aller einschlägigen Einzelvorschriften klarstellend - dahin zusammenfassen, daß der Steuerpflichtige die Einkommensteuererklärung eigenhändig unterschreiben soll.

aa) Verweigert sich der Schuldner ausnahmsweise der vollstreckungsrechtlichen Pflicht zur Einleitung und Durchführung eines Festsetzungsverfahrens und kann ihre Erfüllung auch nach § 888 ZPO faktisch nicht (mehr) erzwungen werden, weil die Zeit fehlt oder der Vollstreckungsschuldner sich dem Zwangseinsatz entzieht oder ihm widersteht, ist also der Vollstreckungsgläubiger verhindert, die in seinem Interesse notwendige Einkommensteuererklärung durch den Vollstreckungsschuldner abzugeben oder zu ergänzen und den Festsetzungsanspruch im Rechtsbehelfswege weiterverfolgen zu lassen, darf das Finanzverfahrensrecht nach seinem Zweck den Vollstreckungsgläubiger nicht endgültig hindern, anstelle des Steuerpflichtigen das Festsetzungsverfahren zu betreiben. Ist der Vollstreckungsgläubiger dazu nicht schon nach § 836 Abs. 1 ZPO ohne Aufschub ermächtigt, weil das Finanzverfahrensrecht eine vorläufige Rücksichtnahme auf die Regel-Eigenhändigkeit der Steuererklärung des Vollstreckungsschuldners fordert, kann und muß nunmehr die zeitweilige Hemmung der Antragsbefugnis des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG enden und die uneingeschränkte Einziehungsberechtigung des Vollstreckungsgläubigers aufleben. Sie ermächtigt ihn, zu diesem Zweck eine möglichst vollständige Einkommensteuererklärung für den steuerpflichtigen Vollstreckungsschuldner abzugeben, wie es bereits in Abschnitt 149 Abs. 7 Satz 7 LStR 1993 anerkannt war.

Die Formenklarheit des Vollstreckungsverfahrens verlangt allerdings, ein solches Aufleben der Antragsbefugnis des einziehungsberechtigten Vollstreckungsgläubigers vollstreckungsrechtlich mit Wirkung gegenüber dem Vollstreckungsschuldner und dem Drittschuldner festzustellen. Hierfür bietet sich das Verfahren der Ersatzvornahme (§ 887 ZPO) an, in dem der Vollstreckungsgläubiger vom Vollstreckungsgericht deklaratorisch ermächtigt werden kann, nunmehr die Antragsbefugnis des steuerpflichtigen Vollstreckungsschuldners gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG an seiner Statt auszuüben. Titel einer solchen weiteren Hilfsvollstreckung ist entsprechend § 836 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO gleichfalls der ergangene Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, weil die deklaratorische Ermächtigung nur die gesetzliche Überweisungswirkung des § 836 Abs. 1 ZPO in Kraft setzt. Weiterer Ermächtigungen entsprechend § 887 ZPO bedarf es nach dem insoweit genügenden § 836 Abs. 1 ZPO nicht mehr, wenn der Vollstreckungsgläubiger Veranlassung hat, im Festsetzungsverfahren gegen den Drittschuldner Einspruch und Klage zu erheben.

bb) Offen bleiben kann, ob unter besonderen Umständen (etwa einem Auslandsaufenthalt des Schuldners) auch eine Hilfsvollstreckung nach § 894 ZPO in Betracht kommt, wenn der Vollstreckungsgläubiger den Schuldner zwingen muß, zur Durchsetzung des gepfändeten und zur Einziehung überwiesenen Einkommensteuererstattungsanspruchs Erklärungen gegenüber dem Finanzamt abzugeben. Dieser Weg erscheint nicht prinzipiell ausgeschlossen (vgl. BGHZ 120, 239, 248).

5. Eine Vorlage der vorstehend erörterten Rechtsfragen an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist nicht geboten, weil die gegenwärtige Divergenz in der Auslegung der §§ 835, 836 Abs. 1 ZPO und der genannten Vorschriften des Finanzverfahrensrechts im Beschwerdefall noch nicht entscheidungserheblich wird. Denn der Rechtsbeschwerdeführer hat die nach Auffassung des Senates in Einschränkung von § 836 Abs. 1 ZPO vor einer zwangsweisen Wegnahme der Lohnsteuerkarten und Besteuerungsunterlagen in der Regel erforderliche Hilfsvollstreckung gegen den Schuldner nach § 888 ZPO bisher nicht versucht. Er hat auch nicht die bei Unmöglichkeit oder Scheitern eines solchen Versuches für eine weitere Hilfsvollstreckung entsprechend § 887 ZPO vorausgesetzte Feststellung des Vollstreckungsgerichts, er sei nunmehr ermächtigt, die Abgabe der Einkommensteuererklärung anstelle des Vollstreckungsschuldners vorzunehmen, erwirkt. Erst zur Durchführung dieser uneigentlichen Ersatzvornahme oder zum Zwecke des Beweises nach formeller Verfahrensbeteiligung durch die Finanzverwaltung oder bei zulässiger Erhebung einer eigenen (Drittschuldner-)Klage könnte der Vollstreckungsgläubiger die urkundliche Herausgabe von Lohnsteuerkarte und Besteuerungsunterlagen an sich im Wege der Zwangsvollstreckung verlangen. Aus diesem Grunde ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts derzeit im Ergebnis richtig.

Ende der Entscheidung

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