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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.01.2004
Aktenzeichen: IXa ZB 196/03
Rechtsgebiete: GG, ZVG


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1
ZVG § 100
ZVG § 83 Nr. 6
Aus der Gewährleistung des Eigentums und deren Einwirkung auf das Zwangsversteigerungsverfahren lassen sich keine allgemeingültigen Verfahrensregeln herleiten. Ob aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ein besonderer Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung anzusetzen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Nichterscheinen des Schuldners im Versteigerungstermin hindert den sofortigen Zuschlag regelmäßig nicht.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IXa ZB 196/03

vom

30. Januar 2004

in dem Zwangsversteigerungsverfahren

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, von Lienen, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Roggenbuck

am 30. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Ersteher wird der Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 10. Juni 2003 (5 T 50/03) aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde des Vollstreckungsschuldners gegen den Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Tübingen vom 13. Januar 2003 (3 K 25/02) wird zurückgewiesen. Damit verbleibt es bei der Zuschlagsentscheidung des Amtsgerichts.

Der Vollstreckungsschuldner trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Der Beschwerdewert wird auf 25.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tübingen hat die im Wege des Gesamtausgebots versteigerten vier Eigentumswohnungen den Rechtsbeschwerdeführern im Versteigerungstermin vom 13. Januar 2003 zum Bargebot von 230.000 € zugeschlagen. Als Teil des geringsten Gebotes blieben sieben den Ansprüchen der betreibenden Gläubigerin im Rang vorgehende Grundpfandrechte über insgesamt 260.758,83 € bestehen. Die Hälfte des Grundstückswertes für ein zuschlagsfähiges Gebot im ersten Versteigerungstermin (§ 85a Abs. 1 ZVG) lag bei 450.900 € (festgesetzter Verkehrswert gemäß § 74a Abs. 5 ZVG: 901.800 €) und wurde durch das Gebot der Ersteher mit insgesamt 490.758,68 € (230.000 € Bargebot zuzüglich 260.758,83 € bestehenbleibende Grundpfandrechte) überschritten.

Der frühere Eigentümer von zwei der versteigerten vier Einheiten war der Vater des Schuldners, der am 7. Januar 2003 verstorben und am 10. Januar 2003 beerdigt worden war. Sein Alleinerbe war der Schuldner, dem die anderen zwei versteigerten Einheiten gehörten. Am Versteigerungstermin nahm der Vollstreckungsschuldner nicht teil und war auch nicht vertreten. Einen Vertagungsantrag wegen des Todesfalles hatte er nicht gestellt, obwohl er vom Rechtspfleger ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Zuschlagsbeschluß aufgehoben und den Zuschlag an die Rechtsbeschwerdeführer versagt. Hiergegen richtet sich deren - zugelassene - Rechtsbeschwerde, mit der sie die Zuschlagserteilung erreichen wollen.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat gemeint, es liege der Zuschlagsversagungsgrund des § 83 Nr. 6 ZVG vor, weil der die Versteigerung leitende Rechtspfleger mit der sofortigen Verkündung der Zuschlagsentscheidung im Versteigerungstermin den Anspruch des Schuldners auf ein faires Verfahren verletzt habe. Denn der Schuldner habe das nur knapp über der Mindestgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegende Versteigerungsergebnis vor Erlaß des Zuschlagsbeschlusses nicht zur Kenntnis nehmen können. Da dem Rechtspfleger der Todesfall bekannt gewesen sei, hätte er angesichts des Ergebnisses der Versteigerung einen besonderen Termin für die Verkündung der Zuschlagsentscheidung bestimmen müssen, auch wenn vom Schuldner kein Antrag auf Vertagung des Versteigerungstermins gestellt worden sei. Dies folge aus der Verpflichtung des Gerichts, den Eigentumsschutz des Art. 14 GG effektiv zu gestalten und das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs zu gewährleisten. Die verfahrensfehlerhafte sofortige Verkündung der Zuschlagsentscheidung stelle nicht eine unbedeutende Beeinträchtigung lediglich formaler Rechte des Schuldners dar. Denn es sei davon auszugehen, daß dieser noch vor dem Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung einen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO unter Hinweis auf ein nach dem Versteigerungstermin abgegebenes, um ca. 25.000 € höheres Angebot eines Kaufinteressenten gestellt hätte. Daß ein solcher Schutzantrag bei der erforderlichen Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und der Gläubiger Erfolg gehabt hätte, liege zumindest sehr nahe.

2. Demgegenüber vertritt die Rechtsbeschwerde die Auffassung, ein Schutzantrag des Schuldners gemäß § 765a ZPO wäre aussichtslos gewesen. Der Kaufinteressent versuche im Zusammenwirken mit dem Schuldner, unter Umgehung des Zwangsversteigerungsverfahrens die Eigentumswohnungen zu einem günstigen Preis zu erwerben.

3. Zu Unrecht hat das Landgericht gemäß § 83 Nr. 6, § 100 Abs. 1 und 3 ZVG den Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts vom 13. Januar 2003 aufgehoben und den Zuschlag an die Rechtsbeschwerdeführer versagt. Die Verfahrensführung durch das Vollstreckungsgericht war rechtsfehlerfrei. Mit der sofortigen Verkündung der Zuschlagsentscheidung im Versteigerungstermin hat es insbesondere nicht das Grundrecht des Schuldners auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie seinen Anspruch auf eine "faire Verfahrensführung" verletzt.

a) Gemäß § 87 Abs. 1 und 2 ZVG ist der Beschluß, durch den der Zuschlag erteilt oder versagt wird, im Versteigerungstermin oder in einem sofort zu bestimmenden Termin, der nicht über eine Woche hinaus anberaumt werden soll, zu verkünden. Grundsätzlich entscheidet das Vollstreckungsgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob es einen besonderen Verkündungstermin ansetzen will. Beim Vorliegen besonderer Umstände kann es dazu bei einer verfassungskonformen Anwendung des § 87 Abs. 1 ZVG verpflichtet sein (vgl. BVerfGE 46, 325; Stöber, ZVG 17. Aufl. § 87 Rdn. 2.1., Böttcher, ZVG 3. Aufl. § 87 Rdn. 3).

Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes beeinflußt nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Vermögensrechts, sondern wirkt auch auf das zugehörige Verfahren ein. Bei einem Eingriff in das Eigentum im Wege der Zwangsversteigerung folgt daher unmittelbar aus Art. 14 des Grundgesetzes die Verpflichtung der Gerichte, die Verhandlung fair zu führen und dem betroffenen Eigentümer einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, um eine Verschleuderung seines Grundvermögens verhindern zu können. Im Fall einer Zwangsversteigerung bedeutet dies, daß dem Schuldner bei einem krassen Mißverhältnis zwischen Meistgebot und Grundstückswert die Möglichkeit gegeben werden muß, vom Versteigerungsergebnis Kenntnis zu erhalten und Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerfGE 46, 325, 333 ff.).

Aus der dargestellten Garantiefunktion des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG lassen sich keine allgemeinen, für sämtliche in Betracht kommenden Versteigerungsfälle gleichermaßen geltende Regeln herleiten. Ob der Anspruch auf eine "faire Verfahrensführung" einen eigenen Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung erfordert, läßt sich nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen (vgl. OLG Celle Rpfleger 1979, 116). Dabei ist insbesondere die Abwesenheit des Schuldners im Versteigerungstermin allein grundsätzlich kein zwingender Anlaß, einen besonderen Termin zur Verkündung der Zuschlagsentscheidung zu bestimmen (vgl. OLG Frankfurt Rpfleger 1991, 470; Stöber, aaO § 87 Rdn. 2).

b) Im Streitfall war der Rechtspfleger bei einer verfassungskonformen Anwendung des § 87 Abs. 1 und 2 ZVG nicht verpflichtet, einen besonderen Verkündungstermin für die Zuschlagsentscheidung anzusetzen.

Der Vollstreckungsschuldner hatte durch sein Verhalten dem Vollstreckungsgericht zu erkennen gegeben, daß trotz der Belastungen durch den Tod und die Beerdigung des Vaters der Versteigerungstermin entsprechend den gesetzlichen Vorschriften durchgeführt werden solle. Denn er hatte keinen Vertagungsantrag gestellt, obwohl er von dem die Zwangsversteigerung leitenden Rechtspfleger auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen worden war. Über die Umstände des Zwangsversteigerungsverfahrens war er vollständig informiert, weil nicht nur die vom Vater geerbten, sondern auch die eigenen Wohnungen zur Versteigerung anstanden. Da die Beerdigung bereits drei Tage zuvor erfolgt war, war der Schuldner durch den Todesfall nicht gehindert, an der Versteigerung teilzunehmen. Zumindest hätte er einen Vertreter mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen können.

Aufgrund des Ergebnisses der Versteigerung bestand für den Rechtspfleger kein Anlaß, einen besonderen Verkündungstermin für die Zuschlagsentscheidung zu bestimmen. Das Meistgebot lag über der Hälfte des Grundstückswertes (§ 85a Abs. 1 ZVG) und hielt sich damit im gesetzlichen Rahmen. Ein krasses Mißverhältnis zwischen Meistgebot und Grundstückswert war offensichtlich nicht gegeben. Für das Vollstreckungsgericht waren keine Anhaltspunkte für einen aussichtsreichen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO erkennbar.

Unter diesen Umständen war der Rechtspfleger nicht verpflichtet, dem Schuldner vor Erteilung des Zuschlags das Ergebnis der Versteigerung mitzuteilen und ihm durch die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins Gelegenheit zu geben, Vollstreckungsschutz in Anspruch zu nehmen. Die im Versteigerungstermin ergangene Zuschlagsentscheidung ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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