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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2004
Aktenzeichen: IXa ZB 273/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 850 d Abs. 1 Satz 4 |
Entscheidung wurde am 26.04.2005 korrigiert: unter II. 1. muß es im ersten Satz statt "... absichtlich entzogen hat" richtig heißen "... nicht absichtlich entzogen hat"
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 21. Dezember 2004
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Athing, Dr. Boetticher und die Richterin Dr. Kessal-Wulf
am 21. Dezember 2004
beschlossen:
Tenor:
Dem Schuldner wird gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerdeeinlegungs- und Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 10. Juli 2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 1.513 € .
Gründe:
I.
1. Die minderjährige Gläubigerin betreibt aus einem amtsgerichtlichen Urteil vom 20. Februar 1998 nebst Anpassungsbeschluß gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen laufender und rückständiger Unterhaltsansprüche. Auf ihren Antrag wurden dessen Forderungen gegen den Drittschuldner gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Auf deren Erinnerung änderte das Amtsgericht den vorgenannten Beschluß, in dem der pfändungsfreie Betrag auf 720 € monatlich festgesetzt worden war, dahingehend ab, daß dem Schuldner 586 € monatlich pfändungsfrei zu verbleiben haben.
Der Schuldner legte gegen den vorgenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluß Erinnerung ein mit dem Ziel, diejenigen Unterhaltsrückstände, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlaß des Pfändungsbeschlusses fällig geworden waren, nur in den sich aus § 850c ZPO ergebenden Grenzen der Pfändung zu unterwerfen. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Gläubigerin habe nicht dargetan, daß er sich seiner Unterhaltspflicht absichtlich entzogen habe. Er sei bis zum Jahre 2001 mit einer Frau, die drei Kinder in die Ehe mitgebracht habe, verheiratet gewesen und habe mit seiner Familie am Existenzminimum gelebt, weil er vier Jahre lang arbeitslos gewesen sei und nur Arbeitslosenhilfe bezogen habe. Das Amtsgericht hat die Erinnerung des Schuldners durch Beschluß mit der Begründung zurückgewiesen, der nach dem Wortlaut des § 850d Abs. 1 ZPO insoweit darlegungspflichtige Schuldner habe die Voraussetzungen für einen Wegfall der Privilegierung rückständiger Unterhaltsansprüche gemäß § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht hinreichend dargelegt.
Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde führte der Schuldner ergänzend aus, er sei ungelernt und als Epileptiker zu 50 % schwerbehindert. Mangels hinreichender Qualifikation habe er keine Arbeitsstelle gefunden und hätte eine solche angesichts der auf dem Arbeitsmarkt herrschenden Verhältnisse auch bei weitergehenden Bemühungen nicht finden können. Der Einzelrichter des Landgerichts hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen. Diesen Beschluß hat der Senat auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht aufgehoben.
2. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde unter Zulassung der Rechtsbeschwerde wiederum mit der Begründung zurückgewiesen, der Schuldner sei für die Umstände, die die Privilegierung der älteren Unterhaltsansprüche entfallen lassen, darlegungspflichtig. Nach dem sprachlichen Aufbau der gesetzlichen Regelung seien sämtliche Unterhaltsansprüche privilegiert. Diese Privilegierung entfalle hinsichtlich der länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fällig gewordenen Unterhaltsrückstände gemäß § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO nur dann, wenn von einer absichtlichen Entziehung nicht auszugehen sei. Diese begünstigenden Umstände müsse aber - jedenfalls im Erinnerungsverfahren - der Schuldner darlegen. Umstände, die zu einem Wegfall der Privilegierung führen könnten, habe der Schuldner aber auch im Beschwerdeverfahren nicht mit der gebotenen Substanz dargelegt. Zwar könnten Arbeitslosigkeit und die daraus resultierenden finanziellen Folgen belegen, daß sich ein mit Unterhaltszahlungen säumiger Schuldner nicht absichtlich der Unterhaltspflicht entzogen habe. Voraussetzung sei aber, daß sich der Schuldner in angemessenem Umfang um Arbeit bemüht habe. Allein der pauschal gehaltene Hinweis des Schuldners, daß er aufgrund seiner persönlichen Situation auf dem Arbeitsmarkt keine Chance gehabt habe, rechtfertige es nicht, von einer unbeabsichtigten Leistungsunfähigkeit und einer demgemäß unbeabsichtigten Entziehung der Zahlungspflicht auszugehen.
3. Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, vor Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses müsse der Gläubiger hinreichend substantiiert dartun, daß der Schuldner sich hinsichtlich der rückständigen Unterhaltszahlungen seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen habe. Da dies nicht der Fall gewesen sei, hätte insoweit Pfändungsschutz gemäß § 850c ZPO gewährt werden müssen. Die Vorschriften des § 850d Abs. 1 Satz 1 bis 3 ZPO könnten auf die Pfändung wegen der Rückstände, die länger als ein Jahr vor dem Antrag der Gläubigerin auf Erlaß des Pfändungsbeschlusses fällig geworden seien, im übrigen selbst dann keine Anwendung finden, wenn der Schuldner im Erinnerungsverfahren hinsichtlich der Voraussetzungen des § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO darlegungs- und beweispflichtig sei. Der Schuldner habe Umstände vorgetragen, nach denen davon auszugehen sei, daß er sich nicht absichtlich seiner Zahlungspflicht entzogen habe. Das Landgericht habe die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Schuldners überspannt, zumal dieser angeregt habe, ihn zu vernehmen, um sich einen Eindruck von seiner Person und seiner Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen.
II.
Dem Schuldner ist Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er während des Prozeßkostenhilfeverfahrens die gesetzlichen Fristen nicht einhalten konnte.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Die Ansprüche des Schuldners auf laufende Geldleistungen der Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 1 Nr. 8 SGB III) können nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Die gegenüber dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO erweiterte Pfändung des § 850d Abs. 1 ZPO wegen eines nach dieser Vorschrift bevorzugten Unterhaltsanspruchs erfaßt grundsätzlich auch die Pfändung wegen der Rückstände, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlaß des Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind (sogenannte überjährige Rückstände). Die Vorschriften über die erweiterte Pfändung gelten gemäß § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO für überjährige Rückstände nur insoweit nicht, als nach Lage der Verhältnisse nicht anzunehmen ist, daß der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat. Dies hat der Schuldner jedoch nicht dargetan.
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde trägt der Schuldner die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat (Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850d Rn. 15, 43; Thomas/Putzo, ZPO 26. Aufl. § 850d Rn. 11; Kabath Rpfleger 1991, 292). Die Meinung, der Gläubiger habe darzulegen und zu beweisen, daß der Schuldner sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen habe (OLG Köln NJW-RR 1993, 1156, 1157), ist ebenso wie die überwiegend vertretene Auffassung, der Gläubiger habe bei Antragstellung die Privilegierung der überjährigen Rückstände darzulegen, der Schuldner trage jedoch im Erinnerungsverfahren die Beweislast dafür, daß er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen habe (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 2000, 220, 221; Musielak/Becker, ZPO 4. Aufl. § 850d Rn. 12; Stöber, Forderungspfändung 13. Aufl. Rn. 1090), mit Wortlaut und Systematik der Vorschrift nicht vereinbar. Danach sind die in § 850d Abs. 1 ZPO genannten Unterhaltsansprüche vielmehr grundsätzlich nach Maßgabe dieser Vorschrift privilegiert, überjährige Rückstände nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 dieser Vorschrift vorliegen. Insoweit trägt mithin nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozeß der Schuldner, der Einwendungen gegen die Privilegierung überjähriger Rückstände erhebt, die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Stein/Jonas/Brehm aaO).
Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte des § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO gestützt. § 850 Abs. 3 Satz 5 ZPO i.d.F. des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24. Oktober 1934 (RGBl. I S. 1070) hatte die Privilegierung von Unterhaltsansprüchen dahin geregelt, daß diese für die Pfändung überjähriger Rückstände nur insoweit galt, als nach Lage der Verhältnisse anzunehmen war, daß sich der Schuldner seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hatte. Insoweit hatte der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast (Jonas, ZPO 16. Aufl. § 850 Anm. 1 c; Sydow/Busch/Krantz/Triebel, ZPO und GVG 22. Aufl. § 6 LohnPfVO Anm. C). Die hiervon abweichende Fassung des § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO geht zurück auf die Neufassung der ursprünglichen Regelung durch § 6 Abs. 1 Satz 4 der Lohnpfändungsverordnung (LohnPfVO) vom 30. Oktober 1940 (RGBl. I 1451), der durch das Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung vom 20. August 1953 (BGBl. I S. 952) als § 850d Abs. 1 Satz 4 unverändert in die Zivilprozeßordnung übernommen wurde. Die Neufassung der Regelung hat die bis dahin geltende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht lediglich dahin geändert, daß der Gläubiger weiterhin hinsichtlich der Böswilligkeit des Schuldners darlegungspflichtig, er dafür jedoch im Bestreitensfalle nicht auch beweispflichtig ist (so aber Stöber aaO Rn. 1090 Fn. 39). Vielmehr sollte mit der Neufassung der Regelung über die Privilegierung der Pfändung wegen überjähriger Unterhaltsrückstände durch § 6 Abs. 1 Satz 4 LohnPfVO die Beweislast gegenüber der früheren Regelung in § 850 Abs. 3 Satz 5 ZPO umgekehrt werden (vgl. Volkmar, Deutsche Justiz 1940, 1234, 1236). Danach ist die Pfändung wegen überjähriger Rückstände zulässig, sofern nicht bereits aus dem Pfändungsantrag oder sonstigen dem Gericht bekannten Umständen hervorgeht, daß sich der Unterhaltsschuldner insoweit seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat (vgl. Sydow/Busch/Krantz/Triebel aaO; Kabath aaO S. 293; Volkmar aaO). Dies ist insbesondere auch deshalb sachgerecht, weil der Gläubiger in der Regel keine Kenntnis von den konkreten Lebensverhältnissen des Schuldners und seiner Leistungsfähigkeit hat und demgemäß ohnehin nur pauschal die Nichtleistung trotz Zahlungsfähigkeit behaupten kann. Dagegen wird der Gläubiger nur in Ausnahmefällen in der Lage sein, substantiiert darzulegen, daß sich der Schuldner absichtlich seiner Zahlungspflicht entzogen hat, wie entgegen dem Wortlaut des § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO überwiegend verlangt wird (vgl. OLG Frankfurt aaO; OLG Köln aaO; Stöber aaO m.w.N).
2. Die Annahme des Landgerichts, der Schuldner habe die Voraussetzungen des § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht hinreichend substantiiert dargetan, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
"Absichtlich entzogen" im Sinne dieser Vorschrift hat sich ein Schuldner seiner Zahlungsverpflichtung dann, wenn er durch ein zweckgerichtetes Verhalten (auch Unterlassen) die zeitnahe Realisierung der Unterhaltsschuld verhindert oder zumindest wesentlich erschwert hat (vgl. BGHZ 105, 250, 257). Dies setzt nicht stets ein aktives Hintertreiben der Unterhaltsschuld voraus (vgl. BGH aaO). Auch ist nicht erforderlich, daß der Schuldner in der Absicht gehandelt hat, durch Ausnutzung der Jahresfrist hinsichtlich der rückständigen Zahlungen das Pfändungsvorrecht auszuschließen (vgll. KG Rpfleger 1986, 394, 395; Stöber aaO Rn 1089). Ein solches zweckgerichtetes Verhalten liegt vielmehr schon dann vor, wenn der Schuldner trotz bestehender Zahlungsmöglichkeit die ihm zur Verfügung stehenden Mittel für andere Zwecke als Unterhaltsleistungen verwendet, und so die zeitnahe Realisierung der entstehenden Rückstände zumindest wesentlich erschwert. Gleiches gilt, wenn der Schuldner seiner - gegenüber minderjährigen Kindern gesteigerten - unterhaltsrechtlichen Verpflichtung, seine Arbeitskraft voll einzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1993 - XII ZR 172/92, FamRZ 1994, 372, 373; BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997 - XII ZR 278/95, FamRZ 1998, 357, 359), trotz bestehender Möglichkeiten, auf diese Weise Einkünfte zu erzielen, nicht nachkommt. Da es sich bei dem Tatbestandsmerkmal "absichtlich" um eine innere Tatsache handelt, läßt sich regelmäßig nur indirekt aus dem zutage getretenen Verhalten des Schuldners erschließen, ob er sich seiner Zahlungspflicht absichtlich entzogen hat (vgl. BGHZ 105, 250, 257). Der Schuldner, der überjährige Rückstände von der Privilegierung des § 850d Abs. 1 ZPO ausschließen will, hat demgemäß Tatsachen vorzutragen, die die Annahme rechtfertigen, daß er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat. Dabei hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, in welchem Maße der Schuldner sein Vorbringen durch die Darlegung konkreter Einzeltatsachen substantiieren muß (vgl. BGH Urteil vom 13. August 1997 - VIII ZR 246/96, NJW-RR 1998, 712, 713 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde die Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Schuldners nicht überspannt. Wie sich aus der von ihm nicht bestrittenen Forderungsaufstellung ergibt, ist er seiner Zahlungspflicht in der Zeit vom 1. November 1997 bis zum 30. Mai 2001 nicht nachgekommen. In der Zeit vom 31. Mai bis zum 30. November 2001 hat der Schuldner, obwohl er nach seinem Vorbringen auch in dieser Zeit arbeitslos war, dagegen Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.233,48 DM geleistet. Unter diesen Umständen reicht das Vorbringen des Schuldners, wegen seiner Schwerbehinderung habe er als ungelernter Arbeiter, auch wenn er sich darum bemüht hätte, keine Arbeitsstelle finden können, nicht aus, um dazutun, daß er sich hinsichtlich der Rückstände nicht absichtlich seiner Zahlungspflicht entzogen hat; denn damit ist nichts dazu gesagt, warum der Schuldner trotz seiner Arbeitslosigkeit zwar in der Zeit vom 31. Mai bis zum 30. November, nicht aber in der Zeit davor in der Lage war, seine monatliche Zahlungspflicht ganz oder teilweise zu erfüllen.
Ende der Entscheidung
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