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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.02.2004
Aktenzeichen: IXa ZB 298/03
Rechtsgebiete: ZVG
Vorschriften:
ZVG § 74a Abs. 1 Satz 1 | |
ZVG § 74a Abs. 5 | |
ZVG § 85a Abs. 1 | |
ZVG § 114a |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 27. Februar 2004
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, von Lienen, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Roggenbuck am 27. Februar 2004 beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 7. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 10. Oktober 2003 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 102.258,38 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht ordnete am 28. Mai 1996 die Zwangsversteigerung an und setzte aufgrund eines eingeholten Sachverständigengutachtens den Verkehrswert des Grundstücks samt Zubehör (Gaststätte) durch Beschluß vom 18. September 1997 auf 1.176.913 DM fest. Nach mehrfacher Einstellung des Verfahrens wurde der Zuschlag mit Beschluß vom 19. Februar 2002 versagt, weil das Meistgebot im vorausgegangenen Versteigerungstermin die Hälfte des festgesetzten Verkehrswertes nicht erreichte.
Auf Antrag der bestrangig betreibenden Grundpfandgläubigerin, der späteren Ersteherin, wurde das zwischenzeitlich erneut einstweilen eingestellte Verfahren mit Beschluß vom 16. Juni 2003 fortgesetzt. Wenige Tage vor dem anberaumten Versteigerungstermin beantragte der Schuldner Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO mit Rücksicht auf ein angestrebtes Immobilien-Leasing, die Versagung des Zuschlags, einen Verkündungstermin für den Zuschlag und die Einholung eines neuen Verkehrswertgutachtens, weil die alte Wertermittlung durch Anstieg der Bodenwerte überholt sei. Im Versteigerungstermin am 8. September 2003 erhielt die betreibende Gläubigerin auf ihr bares Meistgebot von 11.106,85 € den Zuschlag. In den Gründen des Zuschlagsbeschlusses erklärte das Amtsgericht die Anträge des Schuldners auf Vollstreckungsschutz und Einholung eines neuen Verkehrswertgutachtens für unbegründet.
Die auf den abgelehnten Neubewertungsantrag des Schuldners gestützte Zuschlagsbeschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Anpassung des Bodenwertes im Rahmen erhöhter Richtwerte habe nach Zuschlagsversagung gemäß § 74a Abs. 1 Satz 1 oder § 85a Abs. 1 ZVG grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung mehr. Bei einer Wertveränderung ohne Substanzverbesserung, die nur der allgemeinen Marktentwicklung folge, sei ein besseres Meistgebot im zweiten Termin infolge nachträglich erhöhter Wertfestsetzung ausgeschlossen. Die Regelung des § 114a ZVG zwinge ebenfalls nicht zu einer Abänderung des festgesetzten Verkehrswertes, wenn durch Verbrauch der einmaligen Zuschlagshindernisse sich ansonsten eine Anpassung erübrige. Auch § 83 Nr. 6 ZVG sei hier nicht deshalb verletzt, weil das Amtsgericht den Schutzantrag gemäß § 765a ZPO abgelehnt habe. Denn der Schuldner habe nicht vorgetragen, wie durch das angestrebte Immobilien-Leasing die Gläubiger hätten befriedigt werden sollen. Hiergegen wendet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher der Schuldner weiterhin die Aufhebung des Zuschlags erstrebt.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil das Rechtsbeschwerdegericht noch nicht entschieden habe, ob der festgesetzte Verkehrswert auch für den nach Zuschlagsversagung anberaumten weiteren Versteigerungstermin abgeändert werden müsse. Den Senatsbeschluß vom 10. Oktober 2003 (IXa ZB 128/03, WM 2004, 98, 99) konnte das Landgericht noch nicht kennen. Hierdurch ist inzwischen geklärt, daß nach einer Zuschlagsversagung gemäß § 74a Abs. 1 Satz 1 oder § 85a Abs. 1 ZVG für eine spätere Anpassung des festgesetzten Verkehrswertes an veränderte Umstände mangels rechtlicher Bedeutung im Zwangsversteigerungsverfahren das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Die Rechtsbeschwerde rügt, daß ohne Wertanpassung bis zum Zuschlag die aus § 114a ZVG abzuleitende Rechtsposition des Schuldners nicht ausreichend berücksichtigt werde. Diese Rüge greift nicht durch. Das Landgericht hat eine Verletzung von § 83 Nr. 1 ZVG zutreffend verneint.
§ 114a ZVG bestimmt, daß einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten (§ 10 ZVG), der den Zuschlag erhält, sieben Zehnteile des Grundstückswertes auf seine persönliche Forderung anzurechnen sind, soweit der Wert nicht bei entsprechendem Gebot Ansprüche einer besseren Rangklasse (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZVG) zu decken hätte. Die Vorschrift will verhindern, daß ein innerhalb der 7/10-Grenze liegender Berechtigter - wie die Ersteherin im Beschwerdefall - das Grundstück in der Zwangsversteigerung günstig erwirbt und sodann den ungedeckten Restbetrag seiner persönlichen Forderung gegen den Schuldner in voller Höhe geltend macht (BGHZ 108, 248, 249; vgl. außerdem BGHZ 99, 110, 113 f). Die Anrechnungspflicht des § 114a ZVG bezeichnet eine Rechtsfolge außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens, die sich innerhalb des Verfahrens nur in hier nicht gegebenen Sonderfällen auswirken kann. Entsteht Streit über die hiernach eintretende Erfüllung der persönlichen Schuld, hat das Prozeßgericht zu entscheiden (Böttcher, ZVG 3. Aufl. § 114a Rn. 11; Mohrbutter/Drischler/Radtke/Tiedemann, Die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungspraxis, 7. Aufl. Muster 101 Anm. 3; Schiffhauer in Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth, ZVG 12. Aufl. § 114a Rn. 1; Stöber, ZVG 17. Aufl. § 114a Anm. 3.11; vgl. auch BGHZ 99, 110, 118).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht das Gesetz auch für die Anrechnungspflicht des § 114a ZVG von dem im Verfahren nach § 74a Abs. 5 ZVG festgesetzten Verkehrswert aus, der das Prozeßgericht regelmäßig bindet (BGHZ 99, 110, 118 f; 117, 8, 18).
Von dieser Regel sind jedoch Ausnahmen notwendig. Würde das Prozeßgericht im Anrechnungsstreit an die nach § 74a Abs. 5 ZVG getroffene Wertfestsetzung des Vollstreckungsgerichts gebunden sein, obwohl sich nach Wegfall der zuschlagsfähigen Mindestbietgrenze (§ 74a Abs. 4, § 85a Abs. 2 Satz 2 ZVG) eine Wertveränderung ergeben hat, dürfte gerade wegen einer solchen verfahrensrechtlichen Wirkung auf den materiellen Schuldnerschutz des § 114a ZVG den Beteiligten das Rechtsschutzbedürfnis für Neufestsetzungsanträge bis zur Zuschlagerteilung nicht abgesprochen werden (vgl. Schiffhauer, aaO Rn. 3; Stöber, aaO Anm. 3.1; siehe ferner Ebeling, Rpfleger 1987, 122, 123).
2. Die Rechtsbeschwerde beanstandet auch zu Unrecht, daß der Zuschlag nach § 83 Nr. 6 ZVG, § 765a ZPO nicht hätte erteilt werden dürfen.
a) Eine sittenwidrige Härte gegen den Schuldner enthält der angefochtene Zuschlag nicht allein schon deswegen, weil die Ersteherin nur bis an die untere Grenze ihres Rechtes herangeboten hat. Der Rechtsbeschwerdeführer ist insoweit, wie das Landgericht zutreffend bemerkt hat, durch § 114a ZVG hinreichend geschützt.
b) Die Verpflichtung des Vollstreckungsgerichts, den Zuschlag zu versagen und das Verfahren nach § 765a ZPO mit Rücksicht auf das angestrebte Immobilien-Leasing durch den Schuldner einstweilen einzustellen, hat das Berufungsgericht abgelehnt, weil nicht dargelegt worden sei, wie die Gläubiger auf diesem Wege hätten befriedigt werden sollen. Auch das läßt Rechtsfehler nicht erkennen.
Zwar konnte bei dem angestrebten Geschäft ein vorhergehender Grundstücksverkauf an den Leasinggeber (sale and lease back) angenommen werden. Dem Kläger hätte es aber oblegen, die Bedingungen eines solchen Verkaufs vorzutragen, wenn er darauf gestützt nach § 765a ZPO Vollstreckungsschutz beanspruchen wollte. Diesen Vortrag hat er erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachgeholt, wo er nicht mehr berücksichtigt werden kann.
Der nachgeschobene Sachverhalt - die rechtlich noch nicht gesicherte Kaufbereitschaft eines Leasingunternehmens zu 72 v.H. des Verkehrswertes - hätte jedoch auch bei rechtzeitigem Vortrag eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nicht gerechtfertigt. Offen ist, ob sich diese angebliche Ankaufsbereitschaft auch auf das mitversteigerte Zubehör bezog. Offen ist auch der mögliche Durchführungszeitpunkt. Damit ist gegenwärtig noch nicht einmal erkennbar, ob der Schuldner angesichts weiterlaufender Zinsen und der Kosten einer rechtsgeschäftlichen Veräußerung bei dem freihändigen Verkauf besser gestanden hätte als nach dem tatsächlichen Verlauf und der Wertanrechnung nach § 114a ZVG (vgl. zur Einbeziehung des Zubehörs hier BGHZ 117, 8, 18).
Ende der Entscheidung
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