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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2004
Aktenzeichen: IXa ZB 324/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 766
ZPO § 885
Zur Unzulässigkeit einer Erinnerung des Schuldners gegen eine bereits beendete Maßnahme zur Vollstreckung eines Räumungsanspruchs.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IXa ZB 324/03

vom 21. Dezember 2004

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel, Athing, Dr. Boetticher und die Richterin Dr. Kessal-Wulf

am 21. Dezember 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 4. November 2003 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Wert: 6.000 €

Gründe:

I.

Das Landgericht verurteilte am 16. Dezember 1998 Frau A. P. , Inhaberin der Firma M. , unter anderem zur Räumung der in dem Urteil näher bezeichneten Gewerberäume auf dem Grundstück A. in Eisenach und zur Herausgabe der Räume und sämtlicher Schlüssel an die Gläubigerin. Am 14. Oktober 2002 ließ die von der Gläubigerin mit der zwangsweisen Räumung der Gewerberäume beauftragte Gerichtsvollzieherin die Schlösser der Türen der inzwischen von Frau P. der Schuldnerin zur Nutzung überlassenen Räume austauschen und händigte der Gläubigerin die neuen Schlüssel aus. Die Einrichtungsgegenstände der Schuldnerin wurden von der Gerichtsvollzieherin nicht weggeschafft.

Gegen die Vollstreckungsmaßnahmen der Gerichtsvollzieherin legte die Schuldnerin Erinnerung ein und beantragte

- die durch die Gerichtsvollzieherin aufgrund des vollstreckbaren Titels gegen Frau Angelika P. erfolgte Zwangsvollstreckung gegen die Erinnerungsführerin für unzulässig zu erklären,

- die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, der Erinnerungsführerin den freien Zutritt zu den Räumlichkeiten im Hauptgebäude der Erinnerungsgegnerin in Eisenach, A. ,

zu gewähren, hierzu einen Satz zu den Außentüren der Räumlichkeiten gehörender Schlüssel auszuhändigen sowie den Außen- und Innenbriefkasten wieder zur Verfügung zu stellen und die Beschriftung mit "D. " zuzulassen.

Die Schuldnerin machte geltend, der Titel der Gläubigerin habe sich allein gegen Frau A. P. gerichtet, die die Räume, die sie zunächst an ihren Ehemann, den Geschäftsführer der Schuldnerin, untervermietet gehabt habe, inzwischen an die Schuldnerin untervermietet habe. Darauf sei die Gerichtsvollzieherin, die dem Geschäftsführer der Schuldnerin die Räumung mit Schreiben vom 20. August 2002 angekündigt habe, mit Schreiben des Bevollmächtigten des Geschäftsführers vom 13. September 2002 hingewiesen worden. Der Gerichtsvollzieherin seien am 23. September 2002 der zwischen den Eheleuten P. abgeschlossene Aufhebungsvertrag und der mit der Schuldnerin abgeschlossenen Untermietvertrag vom 31. März 2002 vorgelegt worden.

Das Amtsgericht Eisenach hat die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei ungeachtet ihrer Zulässigkeit jedenfalls unbegründet, weil die Schuldnerin aufgrund des rechtskräftigen Berufungsurteils des Landgerichts Mühlhausen vom 4. Juli 2002 in dem Rechtsstreit "Sch. ./. D. GmbH, D. und A. P. " zur Räumung verpflichtet gewesen sei.

Die Schuldnerin machte mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihre Anträge aus dem Erinnerungsverfahren weiterverfolgte, geltend, das in dem Beschluß des Amtsgerichts genannte Urteil sei in einem anderen, nicht von der Gläubigerin geführten Rechtsstreit ergangen und betreffe zudem nicht die geräumten Gewerberäume, sondern Räume auf einem anderen Grundstück. Den Beschluß der Einzelrichterin des Landgerichts, mit dem die sofortige Beschwerde der Schuldnerin verworfen worden war, hat der Senat unter Zurückverweisung der Sache zu neuer Entscheidung aufgehoben.

Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin erneut zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts hat das Amtsgericht die Vollstreckungserinnerung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Erinnerung sei unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme der Gerichtsvollzieherin mit deren Beendigung durch den Austausch der Schlösser und die Übergabe der Schlüssel an die Gläubigerin entfallen sei. Dem stehe nicht entgegen, daß der Schuldnerin gehörende Einrichtungsgegenstände in den Gewerberäumen belassen worden seien, denn die Gläubigerin habe sich mit Schriftsatz vom 22. Januar 2003 bereit erklärt, diese Gegenstände der Schuldnerin zu überlassen.

Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, die Zwangsvollstreckung sei trotz der Besitzeinweisung der Gläubigerin noch nicht beendet, weil die Einrichtungsgegenstände der Schuldnerin von der Gerichtsvollzieherin nicht weggeschafft worden seien. Allenfalls mit der Einlagerung der weggeschafften Gegenstände des Schuldners und deren Freigabe durch die Gläubigerin könne eine Räumungsvollstreckung als beendet angesehen werden. Das Beschwerdegericht habe deshalb in der Sache entscheiden und entsprechend dem Antrag der Schuldnerin die Rückgängigmachung der wegen des Fehlens eines Räumungstitels der Gläubigerin gegen die Schuldnerin rechtswidrigen Zwangsvollstreckungsmaßnahme anordnen müssen.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist richtig.

a) Es hat das Rechtsschutzbedürfnis für die auf eine Rückgängigmachung der Räumung gerichtete Erinnerung zu Recht verneint.

Insoweit kann dahinstehen, ob eine Räumungsvollstreckung, wie die Rechtsbeschwerde meint, erst mit der Entfernung eingebrachter Sachen des Schuldners aus den Räumen (§ 885 Abs. 2, 3 ZPO) endet (vgl. OLG Köln JurBüro 2001, 213; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO 3. Aufl. § 885 Rn. 44) und ob dem, wie das Beschwerdegericht annimmt, die Freigabe der Sachen durch den Gläubiger gleichsteht (vgl. OLG Köln aaO). Das Rechtsschutzbedürfnis für den Rechtsbehelf der Erinnerung gemäß § 766 ZPO ist zwar grundsätzlich bis zur Beendigung der Zwangsvollstreckung gegeben (vgl. MünchKomm-ZPO/K. Schmidt 2. Aufl. § 766 Rn. 44; Musielak/Lackmann, ZPO 4. Aufl. § 766 Rn. 17, jew. m.w.N.). Soll auf die Erinnerung jedoch - wie hier - eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme für unzulässig erklärt werden, entfällt das Rechtsschutzbedürfnis insoweit aber nicht erst mit der Beendigung der Zwangsvollstreckung im ganzen (vgl. dazu Musielak/Lackmann vor § 704 Rn. 30; Zöller/Stöber, ZPO vor § 704 Rn. 33), sondern mit der Beendigung der beanstandeten Zwangsvollstreckungsmaßnahme (vgl. Musielak/Lackmann aaO; Thomas/Putzo, ZPO 26. Aufl. § 766 Rn. 21). Mit der Erinnerung kann der Schuldner nur erreichen, daß die beanstandete Maßnahme für unzulässig erklärt und entsprechend § 775 Nr. 1 i.V.m. § 776 ZPO von dem zuständigen Vollstreckungsorgan aufgehoben wird (vgl. Musielak/Lackmann aaO; Zöller/Stöber aaO § 766 Rn. 29 f). Im Sinne dieser Vorschriften aufgehoben werden kann aber nur eine noch nicht beendete Maßnahme, wie etwa eine unzulässige Sachpfändung durch Entfernen der Pfandsiegel, nicht dagegen eine bereits endgültig vollzogene Maßnahme. Sie müßte vielmehr rückgängig gemacht werden, was mit der Erinnerung nicht durchgesetzt werden kann (vgl. MünchKomm-ZPO/K. Schmidt aaO § 766 Rn. 45; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 766 Rn. 41; Zöller/Stöber aaO Rn. 13).

Nach diesen Grundsätzen ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung der Schuldnerin nicht gegeben. Mit der Einweisung der Gläubigerin in den Besitz der Räume durch Übergabe der Schlüssel ist diese Vollstreckungsmaßnahme beendet und kann demgemäß von der Gerichtsvollzieherin nicht mehr aufgehoben werden. Zur Durchsetzung der von der Schuldnerin angestrebten erneuten Einweisung in den Besitz der Räume bedürfte es vielmehr einer Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegen die Gläubigerin. Diese setzt gemäß § 750 Abs. 1 ZPO einen entsprechenden Titel voraus, der nur aufgrund einer Klage im Erkenntnisverfahren erlangt werden kann. Die materiellrechtlichen Fragen, ob die Schuldnerin wegen der Besitzentziehung gegen die Gläubigerin einen Herausgabeanspruch gemäß § 861 Abs. 1 BGB hat und ob dieser möglicherweise gemäß § 864 BGB erloschen ist, sind nicht im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren zu prüfen, sondern im Erkenntnisverfahren.

b) Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits beendeten Vollstreckungsmaßnahme (zur Unzulässigkeit einer Räumungsvollstreckung gegen den Untermieter aufgrund des gegen den Hauptmieter ergangenen Titels vgl. BGH, Beschl. v. 18. Juli 2003 - IXa ZB 116/03, NJW-RR 2003, 1450) sieht § 766 ZPO grundsätzlich nicht vor (vgl. OLG Köln aaO; OLG Hamm WuM 1993, 474; MünchKomm-ZPO/K. Schmidt aaO § 766 Rn. 45 m.w.N.). Zwar kann bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen in Fällen prozessualer Überholung ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen anzuerkennen sein, die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme feststellen zu lassen (zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei erledigten gerichtlichen Anordnungen vgl. BVerfGE 96, 27, 40; 104, 220, 232 ff; BGH, Beschl. v. 4. März 2004 - IX ZB 133/03, WM 2004, 992 z.V.b. in BGHZ). Die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im vorgenannten Sinne kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil bei einer Räumungsvollstreckung im Erinnerungsverfahren eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme regelmäßig vor deren Beendigung erlangt werden kann. Bei einer drohenden Räumungsvollstreckung ist das Rechtsschutzinteresse für die Erinnerung bereits vor der ersten Vollstreckungshandlung gegeben (vgl. MünchKomm-ZPO/K. Schmidt aaO § 766 Rn. 44 m.N.), so daß die Schuldnerin als von der Maßnahme betroffene und damit erinnerungsbefugte Dritte sich nach der Ankündigung der Vollstreckung durch die Gerichtsvollzieherin mit der Erinnerung gegen die drohende Zwangsvollstreckung hätte wenden können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Für die von der Schuldnerin beantragte Nichterhebung der Kosten des vorangegangen Rechtsbeschwerdeverfahrens gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. ist kein Raum, weil die Rechtsbeschwerde Erfolg hatte, so daß keine Gerichtsgebühr für das Verfahren entstanden ist, und demgemäß Kosten außer Ansatz geblieben sind.

Ende der Entscheidung

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