Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.12.1998
Aktenzeichen: KVR 23/98
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 63a Abs. 3
GWB § 75 Abs. 5 Satz 1
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

KVR 23/98

vom

8. Dezember 1998

in der Kartellverwaltungssache

Tariftreueerklärung

GWB § 63a Abs. 3, § 75 Abs. 5 Satz 1

Ordnet die Kartellbehörde die sofortige Vollziehung einer Untersagungsverfügung nach Zurückweisung der gegen diese Verfügung gerichteten Beschwerde an, ist für die Entscheidung über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbeschwerde der Bundesgerichtshof zuständig.

BGH, Beschl. v. 8. Dezember 1998 - KVR 23/98 -


Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat am 8. Dezember 1998 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Geiß und die Richter Prof. Dr. Goette und Ball, die Richterin Dr. Tepperwien und den Richter Dr. Bornkamm beschlossen:

Der Antrag des Landes Berlin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Beschluß des Kartellsenats des Kammergerichts vom 20. Mai 1998 eingelegten Rechtsbeschwerde wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Das Land Berlin forderte im Rahmen der Vergabe von Straßenbauaufträgen eine sogenannte Tariftreueerklärung, mit der sich die Bieter für den Fall der Auftragsvergabe verpflichten, ihre zur Erledigung des Auftrags eingesetzten Mitarbeiter nicht unter den jeweils geltenden Berliner Lohntarifen zu entlohnen. Diese Maßnahme richtete sich in erster Linie gegen tarifvertraglich nicht gebundene Bieter mit Sitz in Berlin oder in den neuen Bundesländern, für die aufgrund der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags für das Bauhauptgewerbe ein Mindestlohn von 16 DM (West) oder 15,14 DM (Ost) gilt; dieser Mindestlohn ist nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auch für ausländische Arbeitgeber maßgeblich. Die Berliner Tariflöhne liegen jedoch deutlich höher, der Ecklohn für einen Facharbeiter etwa bei 25,26 DM. Zwar müssen auswärtige Arbeitgeber, die ihrerseits tarifvertragsgebunden sind, ohnehin den für den Ort der Baustelle geltenden Tariflohn bezahlen. Die vom Land geforderte Tariftreueerklärung betraf aber die Arbeitgeber, die tarifvertraglich nicht gebunden sind und die daher an sich nur den für allgemeinverbindlich erklärten Lohn zu zahlen verpflichtet waren. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Tariftreueerklärung war in den Vertragsbedingungen vorgesehen, daß das betreffende Unternehmen für die Dauer von zwei Jahren von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen ist.

Das Bundeskartellamt hat dem Land Berlin dieses Verhalten, in dem es einen Verstoß gegen § 26 Abs. 2 und § 15 GWB gesehen hat, untersagt (BKartA WuW/E Verg 7). Das Kammergericht hat die Beschwerde des Landes zurückgewiesen (KG WuW/E Verg 111). Beim Senat ist die (zugelassene) Rechtsbeschwerde anhängig. Sie ist noch nicht begründet worden.

Nachdem das Kammergericht über die Beschwerde entschieden hatte, hat das Bundeskartellamt nach § 63a Abs. 1 GWB die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung angeordnet. Hiergegen richtet sich der vorliegende Antrag des Landes Berlin, mit dem die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbeschwerde (§ 63a Abs. 3 GWB) begehrt wird. Das Bundeskartellamt tritt dem Antrag entgegen.

II.

Für die Entscheidung über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbeschwerde ist der Bundesgerichtshof zuständig.

Allerdings ist die gesetzliche Regelung der Zuständigkeit in § 63a Abs. 3 GWB nicht eindeutig. Während nach der entsprechenden Vorschrift in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 80 Abs. 5), die für die Regelung in § 63a GWB als Vorbild gedient hat (vgl. Quack in Frankfurter Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 63a Rdn. 7 f.), das Gericht der Hauptsache über den Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung entscheidet, weist § 63a Abs. 3 GWB dem Beschwerdegericht diese Entscheidung zu. Hieraus ist teilweise geschlossen worden, daß abweichend von der Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung in Kartellverwaltungssachen stets das Beschwerdegericht (§ 62 Abs. 4 GWB) über den Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden habe (vgl. Kollmorgen in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 63a GWB Rdn. 17). Dem kann jedoch nicht beigetreten werden. Denn die Zuständigkeitsregelung in § 63a Abs. 3 GWB erklärt sich daraus, daß diese Bestimmung an sich nur die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Beschwerdeverfahren regelt. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gilt eine entsprechende Regelung. Auch wenn dort lediglich auf § 63 Abs. 1 und 2, nicht aber auf § 63a GWB verwiesen wird (§ 75 Abs. 5 Satz 1 GWB), wird überwiegend zu Recht angenommen, daß auch im Rechtsbeschwerdeverfahren die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden kann (Kollmorgen aaO § 75 Rdn. 7 i.V. mit § 74 Rdn. 5). Da hierbei auch die Erfolgsaussichten der Rechtsbeschwerde zu beurteilen sind (§ 63a Abs. 3 GWB), trifft diese Entscheidung sinnvollerweise das Rechtsbeschwerdegericht (so bereits - die eigene Zuständigkeit ablehnend - KG WuW/E OLG 2875 und die nachfolgende Entscheidung BGH, Beschl. v. 19.10.1982 - KVR 2/82; ferner Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 63a Rdn. 15; Quack aaO § 63a Rdn. 44).

III.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbeschwerde (§ 63 Abs. 1, § 63a Abs. 3 GWB) ist nicht begründet.

1. Ohne Erfolg wendet sich das Land gegen die Annahme des Bundeskartellamtes, der Sofortvollzug sei aus gewichtigen Gründen des öffentlichen Interesses geboten (§ 63a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit § 63a Abs. 1 GWB). Mit den vorgebrachten Einwänden kann nicht der Erwägung begegnet werden, das Beharren des Landes auf der Tariftreueerklärung gefährde durch den dauerhaften Ausschluß der günstigeren Angebote tarifvertraglich nicht gebundener Unternehmen die wettbewerblichen Strukturen im Berliner Straßenbau, führe zu einer nachhaltigen Verzerrung der Marktverhältnisse und begründe die Gefahr nachträglich nicht mehr zu beseitigender Schäden.

Das Land kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, das Bundeskartellamt sei gegen andere Bundesländer nicht in gleicher Weise vorgegangen. Das Bundeskartellamt hat sein Vorgehen damit begründet, das Land Berlin habe die untersagte Vergabepraxis als eines der ersten Bundesländer aufgenommen und die Einhaltung der abgegebenen Treueerklärungen nachhaltig durchgesetzt; ferner sei die Zahl der Unternehmen besonders groß, denen auf diese Weise der Zugang zu dem geschützten Straßenbaumarkt verschlossen bleibe. Diese Erwägung ist im Hinblick auf die besondere geographische Lage des vollständig von Brandenburg umgebenen Landes Berlins und mit Blick auf das bestehende Preisgefälle ohne weiteres nachvollziehbar.

Auch der Umstand, daß dem Bundeskartellamt die beanstandete Vergabepraxis bereits seit 1995 bekannt ist, steht der Annahme eines öffentlichen Interesses nicht entgegen. Das Bundeskartellamt hat hinreichend dargelegt, weshalb es das Verhalten des Landes Berlin vor einer Einigung über den Mindestlohn im Jahre 1997 nicht untersagt hat. Daß der Sofortvollzug nicht mit Erlaß der Untersagungsverfügung, sondern erst nach Zurückweisung der Beschwerde durch das Kammergericht angeordnet worden ist, deutet ebenfalls nicht auf ein Fehlen des öffentlichen Interesses hin. Ungeachtet der Erfolgsaussichten der beim Senat anhängigen Rechtsbeschwerde ist es nicht zu beanstanden, daß sich das Bundeskartellamt aufgrund der Entscheidung des Kammergerichts in seiner Auffassung bestärkt sieht und nunmehr von einer höheren Wahrscheinlichkeit ausgeht, daß seine Untersagungsverfügung Bestand haben werde. Eine solche Einschätzung kann ohne weiteres in die Interessenabwägung einfließen und gegebenenfalls den Ausschlag für die Anordnung des Sofortvollzugs geben.

2. Soweit das Land geltend macht, an der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung bestünden ernsthafte Zweifel (§ 63a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB), läßt sich im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund der bislang erhobenen Einwände eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels nicht feststellen.

Dies gilt zum einen für den Einwand, mit dem sich das Land auf die am 1. Januar 1999 in Kraft tretende Bestimmung des § 97 Abs. 4 GWB n.F. stützt und meint, nach dieser Bestimmung in Verbindung mit der Übergangsregelung in Art. 3 Nr. 5 Vergaberechtsänderungsgesetz bestehe eine gesetzliche Grundlage für die von ihm verlangte Tariftreueerklärung. § 97 Abs. 4 GWB n.F. sieht vor, daß Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu vergeben sind und daß "andere Anforderungen ... an Auftragnehmer nur gestellt werden (dürfen), wenn dies durch Bundes- oder Landesrecht vorgesehen ist". Art. 3 Nr. 5 VgRÄG erlaubt es zwar, bis zum 30. Juni 2000 auch bestehende Regelungen ohne Gesetzesqualität zu berücksichtigen, die weitergehende Anforderungen als die in § 97 Abs. 4 GWB genannten stellen. Wie das Bundeskartellamt mit Recht angenommen hat, müßte dabei jedoch eine mit geltendem Bundesrecht nicht zu vereinbarende Verwaltungspraxis außer Betracht bleiben, nach der bei öffentlichen Aufträgen für Straßenbaumaßnahmen der Berliner Tariflohn für das Baugewerbe auch für tarifvertraglich ungebundene Arbeitgeber aus anderen Bundesländern allgemeinverbindlich wäre.

Die Ausführungen, mit denen der Antragsteller die vom Kammergericht vorgenommene Marktabgrenzung bekämpft, begründen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung. Das Kammergericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß auch Bauunternehmungen, die im Umkreis von Berlin angesiedelt sind, als Anbieter für Straßenbaumaßnahmen in Berlin in Betracht kommen, daß jedoch die entfernter ansässigen Unternehmen wegen der mit längeren Anfahrten verbundenen Kosten als Anbieter ausscheiden. Es hat unter diesen Umständen den räumlich relevanten Markt als ein Gebiet bestimmt, das aus Berlin und dem Umland in einem Radius von ca. 30 km besteht. Inwieweit die Rechtsbeschwerde diese in erster Linie auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung mit Erfolg anzugreifen vermag, läßt sich der Antragsschrift nicht entnehmen.

3. Schließlich ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, daß der angeordnete Sofortvollzug für das antragstellende Land eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 63a Abs. 3 Nr. 3 GWB).

Ende der Entscheidung

Zurück