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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: KVR 23/98
(3)
Rechtsgebiete: GWB, BVerfGG, Berliner VergabeG, TVG, VwGO, ZPO
Vorschriften:
GWB § 15 a.F. | |
GWB § 20 Abs. 1 2 | |
GWB § 26 Abs. 2 Satz 1 a.F. | |
GWB § 78 | |
BVerfGG § 80 | |
Berliner VergabeG § 1 Abs. 1 Satz 2 | |
TVG § 5 | |
VwGO § 161 Abs. 2 Satz 1 | |
ZPO § 91a Abs. 1 Satz 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 19. Juni 2007
in der Kartellverwaltungssache
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2007 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes beträgt bis zur übereinstimmenden Erklärung der Erledigung in der Hauptsache 511.291,88 €. Danach beträgt der Gegenstandswert 36.420,60 €.
Gründe:
I. Das betroffene Land Berlin fordert u.a. im Rahmen der Vergabe von Straßenbauaufträgen eine so genannte Tariftreueerklärung, mit der sich die Bieter für den Fall der Auftragsvergabe verpflichten, ihre zur Erledigung des Auftrags eingesetzten Mitarbeiter nicht unter den jeweils geltenden Berliner Lohntarifen zu entlohnen. Diese Übung ging zunächst auf ein entsprechendes Rundschreiben der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen zurück.
Diese Maßnahme des betroffenen Landes richtete sich in erster Linie gegen tarifvertraglich nicht gebundene Bieter mit Sitz in Berlin oder in den neuen Bundesländern, für die aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags für das Bauhauptgewerbe ein Mindestlohn von 16 DM (West) oder 15,14 DM (Ost) galt; dieser Mindestlohn war nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auch für ausländische Arbeitgeber maßgeblich. Die Berliner Tariflöhne lagen deutlich höher, der Ecklohn für einen Facharbeiter etwa bei 25,26 DM.
Das Bundeskartellamt hat diese Maßnahme mit der Begründung beanstandet, bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen verstoße die beschriebene Übung gegen das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. (jetzt § 20 Abs. 1 GWB) sowie gegen das Preisbindungsverbot nach § 15 GWB a.F., und es dem betroffenen Land untersagt, Straßenbauaufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die eine solche Erklärung abgegeben haben, die Erklärung bei Vergabe derartiger Aufträge zum Vertragsbestandteil zu machen und Auftragnehmer bei einem Verstoß von der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschließen. Ferner hat das Bundeskartellamt dem betroffenen Land verboten, das in Rede stehende Rundschreiben in Bezug auf Straßenbauarbeiten in Kraft zu lassen, seine Adressaten über die Außerkraftsetzung in Unkenntnis zu halten und mit neuen Rundschreiben vergleichbaren Inhalts oder auf sonstige Weise auf die Bezirke mit dem Ziel einzuwirken, das untersagte Verhalten durchzusetzen (BKartA WuW/E Verg 7). Die gegen diese Untersagungsverfügung gerichtete Beschwerde des betroffenen Landes hat das Kammergericht zurückgewiesen (KG WuW/E Verg 111).
Hiergegen hatte sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde gerichtet, mit der das betroffene Land seinen Antrag auf Aufhebung der Untersagungsverfügung weiterverfolgt hat. Das Bundeskartellamt war der Rechtsbeschwerde entgegengetreten.
Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das Berliner Vergabegesetz (VgG Bln) vom 9. Juli 1999 (GVBl. S. 369) in Kraft getreten. § 1 dieses Gesetzes schreibt den Vergabestellen die Forderung einer Tariftreueerklärung vor, ohne danach zu unterscheiden, ob das Land als Nachfrager von Bauleistungen eine marktbeherrschende Stellung innehat und deswegen Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB ist.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2000 (WuW/E Verg 297 - Tariftreueerklärung II) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und die Sache gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Vergabegesetzes vom 9. Juli 1999 mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, mit Art. 31 GG - i.V. mit § 5 TVG und i.V. mit § 20 Abs. 1 GWB - sowie mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage mit Beschluss vom 11. Juli 2006 (WuW/E Verg 1273) bejaht. Daraufhin hat das Bundeskartellamt erklärt, dass es aus der streitgegenständlichen Verfügung keine Rechte mehr herleite. Beide Beteiligten haben das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.
II. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen hat der Senat nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden, und zwar hinsichtlich beider gerichtlicher Instanzen; denn der Beschluss des Kammergerichts ist im Umfang der Hauptsacheerledigung auch im Kostenpunkt unwirksam geworden (BGH, Beschl. v. 29.10.1985 - KVR 4/83, WuW/E 2207, 2208 - Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro).
Nach § 78 GWB i.V. mit § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist über die Kosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Kartellverwaltungsprozesses nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dabei genügt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht (BGH WuW/E 2207, 2208 - Lufthansa/f.i.r.s.t. Reisebüro; BGH, Beschl. v. 16.11.1999 - KVR 10/98, WuW/E DE-R 420, 421 - Erledigte Beschwerde; Beschl. v. 31.5.2006 - KVR 1/05, WuW/E DE-R 1783, 1785 - Call-Option).
Danach sind die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, ohne dass abschließend darüber zu entscheiden ist, ob das betroffene Land ohne das Inkrafttreten des Berliner Vergabegesetzes voraussichtlich unterlegen wäre.
1. Das Bundeskartellamt hat sich durch die Erklärung, aus der angegriffenen Untersagungsverfügung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, schon deswegen nicht freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben, weil es damit einer nachträglichen Gesetzesänderung Rechnung getragen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.12.1993 - I B 133/92, juris Tz. 3). Für die unter Billigkeitsgesichtspunkten zu treffende Kostenentscheidung kommt es in einem solchen Fall darauf an, wie der Rechtsstreit ohne die Gesetzesänderung voraussichtlich entschieden worden wäre (vgl. Bracher in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, § 78 GWB 1999 Rdn. 21; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 161 Rdn. 91).
Allerdings kann es gerechtfertigt sein, der Behörde die Mehrkosten aufzuerlegen, wenn sie die Erklärung, aus der Untersagungsverfügung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, nicht unmittelbar nach der Gesetzesänderung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt abgibt (vgl. BVerwG NVwZ 1989, 47, 48; zu § 91a ZPO: OLG Koblenz, Beschl. v. 28.3.1996 - 5 U 819/95, juris; OLG Rostock, NJOZ 2006, 2563; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 91a Rdn. 25). Diese Einschränkung findet aber dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der zu treffenden Kostenentscheidung offen ist, ob das Gesetz, das der angegriffenen Verfügung die Grundlage entzogen hat, mit vorrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Wie der Senatsentscheidung vom 18. Januar 2000 unter B I 4 zu entnehmen ist (BGH WuW/E Verg 297, 306 f.; vgl. ferner BVerfG WuW/E Verg 1273, 1274; Vorlagebeschluss des OLG Celle v. 3.8.2006 - WuW/E Verg 1261), stehen im Streitfall derartige Bedenken im Raum, die ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG erforderlich gemacht hätten. Unter diesen Umständen gereicht es dem Bundeskartellamt nicht von vornherein zum Nachteil, dass es die Erklärung, aus der Untersagungsverfügung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, nicht unmittelbar nach Inkrafttreten des Berliner Vergabegesetzes abgegeben hat.
2. Die vom betroffenen Land aufgeworfene Frage nach der Unternehmenseigenschaft des Landes kann im summarischen Verfahren nicht abschließend geklärt werden. Im Vorlagebeschluss vom 18. Januar 2000 (WuW/E Verg 297 - Tariftreueerklärung II) ist der Senat von der Unternehmenseigenschaft des Landes als selbstverständlich ausgegangen. Grundlage hierfür war die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die öffentliche Hand als Unternehmen im Sinne der Bestimmungen des deutschen Kartellrechts tätig wird, wenn sie im Rahmen der Beschaffung Waren oder Leistungen nachfragt und sich dabei der Formen des Privatrechts bedient. Auf die Frage, ob die mit den Mitteln des Privatrechts beschafften Waren oder Dienstleistungen im Rahmen einer hoheitlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand verwendet werden sollen, kommt es dabei nicht an (BGHZ 36, 91, 103 - Gummistrümpfe; BGH, Urt. v. 12.3.1991 - KZR 26/89, WuW/E 2707, 2714 - Krankentransportunternehmen II; Urt. v. 22.3.1994 - KZR 3/93, WuW/E 2919, 2921 - orthopädisches Schuhwerk; Urt. v. 11.12.2001 - KZR 5/00, WuW/E DE-R 839, 841 - Privater Pflegedienst; Urt. v. 24.6.2003 - KZR 32/01, WuW/E DE-R 1144, 1145 - Schülertransporte). Demgegenüber haben das Gericht erster Instanz und der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission in den in der Rechtssache FENIN ergangenen Entscheidungen für das europäische Kartellrecht angenommen, dass der nichtwirtschaftliche Charakter der späteren Verwendung des erworbenen Erzeugnisses den Charakter der Einkaufstätigkeit bestimmt (EuG, Urt. v. 4.3.2003 - T-319/99, Slg. 2003, II-357 Tz. 36 ff. = WuW/E EU-R 688; EuGH, Urt. v. 11.7.2006, C-205/03, Slg. 2006, I-6295 Tz. 26 = WuW/E EU-R 1213). Die Frage, ob aufgrund dieser Entscheidungen Anlass besteht, die gefestigte Rechtsprechung zum Unternehmensbegriff im deutschen Recht einer Überprüfung zu unterziehen, kann im summarischen Verfahren nicht beantwortet werden.
3. Unter diesen Umständen entspricht es im Hinblick auf den ungewissen Ausgang, den das Verfahren ohne die Regelung im Berliner Vergabegesetz genommen hätte, billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
Ende der Entscheidung
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