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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: KVR 30/07
Rechtsgebiete: EnWG
Vorschriften:
EnWG § 75 Abs. 4 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
Verkündet am: 29. April 2008
Organleihe
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. März 2007 aufgehoben.
Das Verfahren wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die bislang angefallenen Kosten und Auslagen, an das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen verwiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin stellte bei der Bundesnetzagentur einen Antrag auf Genehmigung von Entgelten für den Gasnetzzugang. Diesen Antrag lehnte die Bundesnetzagentur "in Wahrnehmung der Aufgaben der Regulierungsbehörde für das Land Bremen" durch Beschluss vom 29. November 2006 teilweise ab. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 1. Dezember 2006 zugestellt. Er enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach "die Beschwerde bei der Bundesnetzagentur ... einzureichen ist; es genügt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf (...) eingeht".
Die Antragstellerin hat am 3. Januar 2007 per Telefax Beschwerde bei der Bundesnetzagentur eingelegt. Nachdem die Bundesnetzagentur darauf hingewiesen hatte, dass die Beschwerdefrist nicht eingehalten sei, hat die Antragstellerin die Verweisung des Beschwerdeverfahrens an das Oberlandesgericht Bremen und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf, dem die Bundesnetzagentur die Verfahrensakten vorgelegt hat, hat den Verweisungsantrag und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerin hat es als unzulässig verworfen (WuW/E DE-R 2064). Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, die das Beschwerdegericht zugelassen hat. Die Bundesnetzagentur tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.
II.
Das Beschwerdegericht hält die Beschwerde für unzulässig, da die Antragstellerin schuldhaft die am 2. Januar 2007 ablaufende Beschwerdefrist versäumt habe. Die Einlegung der Beschwerde am 3. Januar 2007 sei verspätet, weil die Rechtsmittelbelehrung zutreffend das Oberlandesgericht Düsseldorf als zuständiges Beschwerdegericht bezeichnet habe, bei dem die Rechtsbeschwerde eingelegt werden könne. Zwar falle die Genehmigung der Entgelte in die Zuständigkeit der Landesregulierungsbehörde, weil durch das Gasnetz der Antragstellerin weniger als 100.000 Kunden versorgt würden. Für den Vollzug des Energiewirtschaftsgesetzes habe der Bund jedoch aufgrund eines Verwaltungsabkommens dem Land Bremen im Wege der Organleihe die Bundesnetzagentur zur Verfügung gestellt. Diese - verfassungsrechtlich unbedenkliche - Kooperationsform führe dazu, dass die gerichtliche Zuständigkeit an den Sitz der Bundesnetzagentur anknüpfe. Diese nehme funktionell die Aufgaben der Landesregulierungsbehörde im eigenen Namen wahr. Es entspreche dem Zweck der vom Energiewirtschaftsgesetz gewollten Zuständigkeitskonzentration, die Bundesnetzagentur im Falle einer solchen Wahrnehmungszuständigkeit für eine Landesregulierungsbehörde ihrerseits selbst als Regulierungsbehörde im Sinne des § 75 Abs. 4 EnWG anzusehen. So könnten auch widerstreitende Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen werden.
Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin habe gleichfalls keinen Erfolg, weil in der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten keine ausreichende Fristenausgangskontrolle gewährleistet gewesen sei.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist nicht verspätet, weil die in der angefochtenen Entscheidung der Bundesnetzagentur enthaltene Rechtsmittelbelehrung sachlich unrichtig war. In der Rechtsmittelbelehrung hätte nicht das Oberlandesgericht Düsseldorf, sondern das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen als das zur Entscheidung berufene Beschwerdegericht bezeichnet werden müssen.
a) Die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt sich gemäß § 75 Abs. 4 EnWG nach dem Sitz der Regulierungsbehörde. Sitz der Landesregulierungsbehörde für das Land Bremen ist Bremen. Demnach ist das Oberlandesgericht Bremen nach § 75 Abs. 4 EnWG als Beschwerdegericht zur Entscheidung berufen.
b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird die gerichtliche Zuständigkeit nicht durch das Verwaltungsabkommen über die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben nach dem Energiewirtschaftsgesetz vom 3. November 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Freien Hansestadt Bremen (Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen, ABl. 2005, 873) beeinflusst.
aa) Im Rahmen des vorgenannten Verwaltungsabkommens ist eine Organleihe vereinbart, die aus verwaltungspraktischen und ökonomischen Erwägungen einer Entlastung der Landesbehörden Bremens dienen soll (Art. 1 Abs. 2). Danach stellt der Bund dem Land Bremen im Wege einer Organleihe die Bundesnetzagentur zur Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben nach dem Energiewirtschaftsgesetz zur Verfügung. Zu diesen Verwaltungsaufgaben gehört die Entgeltgenehmigung nach § 23a EnWG (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Im Rahmen der ihr übertragenen Verwaltungsaufgaben führt die Bundesnetzagentur nicht nur das eigentliche Verwaltungsverfahren und trifft die abschließende Entscheidung; sie vollstreckt auch die von ihr erlassenen Verwaltungsakte und "vertritt" die Landesregulierungsbehörde im Rechtsbehelfsverfahren.
bb) Aufgrund dieses Verwaltungsabkommens (vgl. hierzu Holznagel/Göge/ Schumacher, DVBl. 2006, 471, 475) wird die Bundesnetzagentur nicht originär zuständig. Das Verwaltungsabkommen bedient sich des hergebrachten Instituts der Organleihe, wobei es ausdrücklich (Art. 1 Abs. 1) auf diesen Rechtsbegriff Bezug nimmt. Die Organleihe ist dadurch gekennzeichnet, dass das Organ eines Rechtsträgers ermächtigt und beauftragt wird, einen Aufgabenbereich eines anderen Rechtsträgers wahrzunehmen, weil dieser auf der betreffenden Verwaltungsebene aus Zweckmäßigkeitsgründen keine personellen und sächlichen Mittel zur Aufgabenerfüllung vorhält. Das entliehene Organ wird als Organ des Entleihers tätig, dessen Weisungen es grundsätzlich unterworfen ist und dem die von diesem Organ getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen zugerechnet werden (BVerfGE 63, 1, 31; BGH, Urt. v. 2.2.2006 - III ZR 159/05, NVwZ 2006, 1084, 1085 Tz. 16; BVerwG, Urt. v. 13.2.1976 - VII A 4/73, NJW 1976, 1468, 1469).
Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb in einem Fall, in dem aufgrund eines Verwaltungsabkommens eine Bundesbehörde im Wege der Organleihe Aufgaben der Landesverwaltung übernommen hatte, diese Bundesbehörde als in die Verwaltungsstruktur des Landes eingebettetes Organ des Landes angesehen, das Landesaufgaben ausführt (BVerwG NJW 1976, 1468, 1469). Die nach der Verwaltungsvereinbarung Landesaufgaben wahrnehmende Bundesbehörde sei als Organ des Landes zu behandeln. Die Tätigkeit der entliehenen Bundesbehörde stelle im Rahmen des ihr übertragenen Aufgabenbereichs reine Landesverwaltung dar (BVerwG NJW 1976, 1468, 1469).
Wesentliches Merkmal einer Organleihe, bei der sich ein Land eine Behörde des Bundes "leiht", ist somit, dass die entliehene Bundesbehörde - soweit sie Aufgaben der Landesverwaltung ausführt - funktionell in die Landesverwaltung eingegliedert wird. Die gesetzliche Zuständigkeit des Landes bleibt dabei unberührt. Es werden keine Kompetenzen vom Land auf den Bund verlagert; "verlagert" werden vielmehr personelle und sächliche Verwaltungsmittel vom Bund auf das entleihende Land (BVerfGE 63, 1, 32 f.). Die Bundesnetzagentur als entliehene Behörde nimmt für das Land Bremen die energiewirtschaftliche Regulierungsaufgabe wahr und wird insoweit in die Verwaltungsstrukturen des Landes Bremen eingebettet. Dies spiegelt auch das Verwaltungsabkommen wider. Dort ist in Artikel 2 bestimmt, dass die als Fachaufsicht ausgestaltete Aufsicht dem Senator für Bau, Umwelt und Verkehr des Landes Bremen obliegt. Dabei ist - soweit das Energiewirtschaftsgesetz keine speziellen Regelungen enthält - das Haushalts-, Verwaltungsgebühren- und Verwaltungsverfahrensrecht des Landes Bremen anzuwenden (Art. 3).
cc) Die durch das Verwaltungsabkommen begründete Organleihe ändert mithin nichts daran, dass die Regulierungsentscheidung ein Hoheitsakt einer Bremer Landesbehörde ist. Soweit die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde für die Freie Hansestadt Bremen handelt, ist ihr Sitz infolge ihrer Eingliederung in die Bremer Landesverwaltung in Bremen. Der Rückgriff auf personelle und sächliche Verwaltungsmittel der Bundesbehörde lässt den maßgeblichen Sitz der Landesregulierungsbehörde unberührt. Dass auch im Streitfall eine andere Anknüpfung vom Land Bremen nicht gewollt war, wird dadurch verdeutlicht, dass der Senat der Freien Hansestadt Bremen ungeachtet der mit dem Bund vereinbarten Organleihe den Senator für Bau, Umwelt und Verkehr zur für das Land Bremen zuständigen Regulierungsbehörde bestimmt hat (§ 1 der Bekanntmachung über die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zuständige Behörde, ABl. Bremen 2005, S. 873).
c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts rechtfertigt es auch keine abweichende Beurteilung, dass eine gerichtliche Zuständigkeitskonzentration sinnvoll und zweckmäßig erscheint. Solche Korrekturen können nur vorgenommen werden, wenn hierfür ein entsprechender Auslegungsspielraum besteht. Daran fehlt es jedoch in Anbetracht der allein auf den Sitz der zuständigen Behörde abstellenden Regelung des § 75 Abs. 4 EnWG. Im Übrigen können die vom Beschwerdegericht angeführten Regelungen (§§ 91, 92 GWB; § 106 EnWG) die von ihm angenommene Zuständigkeitskonzentration nicht rechtfertigen. Die Verlagerung der Kartell- und Energiewirtschaftsrechtssachen auf die Ebene der Oberlandesgerichte kann für die hier zu beurteilende Frage ebenso wenig fruchtbar gemacht werden wie Konzentrationsbestimmungen, die innerhalb eines Landes gelten, wie etwa die Konzentration der kartellrechtlichen Streitigkeiten auf das Oberlandesgericht Düsseldorf für das Land Nordrhein-Westfalen. Sie sind weder für das Verhältnis der Länder zueinander noch gegenüber dem Bund aussagekräftig. Aus den angeführten Bestimmungen lässt sich deshalb nichts herleiten, wenn es um die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit bei der Einbeziehung einer Bundesbehörde im Rahmen der Organleihe geht.
Gleichfalls unergiebig für eine Auslegung im Sinne des Beschwerdegerichts ist die Zuständigkeitsbestimmung für die gerichtliche Überprüfung des Monitoring (§ 51 EnWG). Nach der hierzu getroffenen ausdrücklichen Regelung des § 75 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 EnWG wurde mit der gerichtlichen Kontrolle sämtlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Monitoring das für den Sitz der Bundesnetzagentur zuständige Oberlandesgericht betraut, mithin also das Oberlandesgericht Düsseldorf. Damit sollte ein Gleichklang hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung zwischen den Verfügungen der Bundesnetzagentur und denen des übergeordneten Bundesministeriums hergestellt werden (Salje, EnWG, § 75 Rdn. 35), wobei wegen der Identität der Thematik und im Hinblick auf den wegen der häufigen Befassung dort entwickelten Sachverstand die Wahl auf das Oberlandesgericht Düsseldorf fiel. Dieser gesetzlich geregelte Spezialfall, der sich auf den Rechtsschutz gegen Maßnahmen von Bundesbehörden bezieht, ist weder generell verallgemeinerungsfähig noch auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Der Gesetzgeber hat durch das Nebeneinander von Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörden, das zu den wesentlichen Streitfragen im Gesetzgebungsverfahren gezählt hatte (vgl. Salje, EnWG, § 54 Rdn. 5 ff.), auch unterschiedliche gerichtliche Zuständigkeiten bewusst in Kauf genommen. Eine Konzentration der Zuständigkeit mag sinnvoll sein. Es mag viel dafür sprechen, eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Düsseldorf zumindest in den Fällen zu begründen, in denen der Bundesnetzagentur im Wege der Organleihe die Wahrnehmung der Aufgaben einer Landesregulierungsbehörde übertragen wurde. Hierfür müsste aber der nach § 106 Abs. 2 EnWG i.V. mit § 92 Abs. 2 GWB vorgezeichnete Weg beschritten und ein entsprechender Staatsvertrag abgeschlossen werden.
2. Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung bewirkt, dass die Beschwerde gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung der angefochtenen Entscheidung eingelegt werden kann. Die Regelungen über die Rechtsmittelbelehrung nach der Verwaltungsgerichtsordnung, mithin auch § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Salje, EnWG, § 73 Rdn. 8), sind hier anzuwenden, weil § 73 Abs. 1 EnWG eine solche Belehrung vorsieht und weder das Energiewirtschaftsgesetz noch die danach (§ 85 Nr. 2 EnWG) in Bezug genommene Zivilprozessordnung Vorschriften über den Inhalt von Rechtsmittelbelehrungen und die Folgen unrichtiger Rechtsmittelbelehrungen enthalten. Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat ein Belehrungsfehler zur Folge, dass die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt wird. Dies gilt auch hier, obwohl der vorliegende Belehrungsfehler nicht dazu geführt hat, dass die Antragstellerin ihren Rechtsbehelf nicht rechtzeitig bei der Bundesnetzagentur angebracht hat. Denn die Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO setzt einen derartigen Kausalzusammenhang nicht voraus (BVerwGE 81, 81, 84).
IV.
Der Senat verweist das Verfahren unmittelbar an das zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht Bremen. Diesem obliegt auch die Entscheidung über die bisher angefallenen Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Verfahrensbeteiligten. Die bisher angefallenen Kosten sind entsprechend § 281 Abs. 3 Satz 1 ZPO als Teil der Kosten zu behandeln, die im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bremen entstehen.
Ende der Entscheidung
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