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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.03.2004
Aktenzeichen: KZR 24/02
Rechtsgebiete: EG, VO (EG) 1475/95


Vorschriften:

EG Art. 81
VO (EG) 1475/95 Art. 6 Abs. 1
a) Ist ein nicht zum selektiven Vertriebssystem eines Herstellers gehörender Wiederverkäufer fabrikneuer Kraftfahrzeuge aufgrund der Weigerung ausländischer Vertragshändler, Neufahrzeuge an systemfremde Wiederverkäufer zu liefern, nicht in der Lage, Bestellungen seiner Kunden für Neuwagen auszuführen, kann ihm ein Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit Art. 81 Abs. 1 EG zustehen, wenn in der fraglichen Zeit die Wirkungen der Freistellung des den Vertragshändlern auferlegten Verbots, Neufahrzeuge an systemfremde Wiederverkäufer zu liefern, vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG nach Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1475/95 entfallen waren.

b) Eine einseitige "schwarze Verhaltensweise" des Herstellers wie ein nachhaltiger Aufruf zur Preisdisziplin führt nach Art. 6 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1475/95 zum Wegfall der Freistellung (nur) für den Zeitraum, in dem das beanstandete Verhalten die Vertragshändler zu beeinflussen geeignet ist, und nur für die Vertriebsvereinbarungen, die für das Gebiet gelten, in dem der Wettbewerb durch das verbotene Verhalten des Herstellers verfälscht wird.

c) Dem Hersteller können nicht ohne weiteres sogenannte "schwarze Verhaltensweisen" seiner ausländischen Vertragshändler nach Art. 6 Abs. 1 Nr. 6 bis 12 VO (EG) Nr. 1475/95 zugerechnet werden.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

KZR 24/02

Verkündet am: 30. März 2004

in dem Rechtsstreit

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2004 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Ball, Prof. Dr. Bornkamm und Dr. Raum

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 9. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin und die E. GmbH (künftig: E.), die ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat, betätigen sich gewerblich als Vermittler und als Wiederverkäufer fabrikneuer Kraftfahrzeuge, die sie aus dem europäischen Ausland (re)importieren. Die Beklagte ist die Dachgesellschaft des Volkswagen-Konzerns. Sie vertreibt fabrikneue Kraftfahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft über selektive Händlernetze. Der Export in diese Länder erfolgt ausschließlich über dort ansässige Generalimporteure, die die Fahrzeuge wiederum an zugelassene Vertragshändler veräußern. Das Vertriebssystem der Beklagten schließt die im selektiven Kraftfahrzeugvertrieb üblichen Wettbewerbsbeschränkungen, u.a. das Verbot ein, Neufahrzeuge an nichtautorisierte, das heißt nicht dem Vertriebsnetz der Beklagten angehörende, gewerbliche Wiederverkäufer zu veräußern. Die Beklagte ist der Auffassung, diese und andere Wettbewerbsbeschränkungen ihres Vertriebssystems seien durch die EG-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 (ABl. EG 1985 Nr. L 15 S. 16 ff., fortan: Verordnung Nr. 123/85) für deren Geltungsdauer bis einschließlich September 1996 und durch die sich zeitlich anschließende EG-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 (ABl. EG 1995 Nr. L 145 S. 25 ff., fortan: Verordnung Nr. 1475/95) gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 3 EG) für die Zeit von Oktober 1996 bis einschließlich September 2003 von dem in Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) normierten Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen freigestellt gewesen.

Die Klägerin sieht sich und die E. in ihrer wirtschaftlichen Betätigung dadurch behindert, daß die Beklagte ihre Vertragshändler in Dänemark und in den Niederlanden veranlasse, von ihr dorthin exportierte Neufahrzeuge nicht an deutsche Wiederverkäufer oder - so die Behauptung der Klägerin - über gewerbliche Vermittler an deutsche Kunden zu verkaufen. Sie ist der Auffassung, die Beklagte dürfe ihren Händlern den Verkauf an nichtautorisierte Wiederverkäufer nicht untersagen, weil das selektive Vertriebssystem der Beklagten wegen seit dem Jahr 1988 anhaltender schwerwiegender, von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (fortan: Kommission) festgestellter Behinderungen des Reexports von Neufahrzeugen der Marken Volkswagen und Audi aus Italien nicht in den Genuß der Freistellung durch die Verordnungen Nr. 123/85 und Nr. 1475/95 gekommen sei. Die Beklagte schulde ihr daher aus abgetretenem Recht Ersatz des Schadens in Höhe von 11.000 DM, den die E. dadurch erlitten habe, daß mehrere dänische Vertragshändler der Beklagten sich wegen des Verbots, deutsche Wiederverkäufer zu beliefern, geweigert hätten, elf im April und Mai 1998 bei der E. bestellte Neufahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi an diese zu verkaufen, sowie Ersatz des eigenen, auf das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten zurückzuführenden Schadens.

Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz zuletzt beantragt,

1. festzustellen, daß europäische Vertragshändler der Beklagten innerhalb Europas berechtigt sind, (Neufahrzeuge) an Kunden mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere Deutschland, zu verkaufen, auch wenn diese Geschäfte von der Klägerin oder der E. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer ..., vermittelt werden,

2. festzustellen, daß europäische Vertragshändler der Beklagten berechtigt sind, (Neufahrzeuge) an die Klägerin als Wiederverkäuferin zu verkaufen, auch wenn dies zu gewerblichen Zwecken erfolgt,

3. a) die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.000 DM nebst 5 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

b) festzustellen, daß die Beklagte der Klägerin einen darüber hinausgehenden Schaden aus den beanstandeten Wettbewerbsverstößen bis zur letzten mündlichen Verhandlung zu ersetzen hat.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt sie ihr Klagebegehren hinsichtlich des Klageantrags zu 2 - beschränkt auf den Zeitraum von 1988 bis einschließlich September 2003 - und des Klageantrags zu 3 weiter. Den Klageantrag zu 1 hat sie in der Revisionsverhandlung zurückgenommen; insoweit hat die Beklagte beantragt, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Zum Klageantrag zu 2:

1. Das Berufungsgericht hält den Klageantrag zu 2 für unzulässig, weil er kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO betreffe. Die Frage, ob europäische Vertragshändler der Beklagten berechtigt seien, an die Klägerin als Wiederverkäuferin zu verkaufen, sei abstrakt gefaßt und beziehe sich lediglich auf die Befugnisse der Vertragshändler der Beklagten. Mit einem der Klage stattgebenden Urteil, so meint es, wäre für das Verhältnis der Parteien zueinander nichts gewonnen, sondern nur eine Vorfrage für denkbare Ansprüche geklärt. Jedenfalls aber, so führt das Berufungsgericht weiter aus, sei der Feststellungsantrag zu 2 unbegründet, weil das den Vertragshändlern der Beklagten auferlegte Verbot, Neufahrzeuge an nichtautorisierte Wiederverkäufer zu verkaufen, durch die Verordnung Nr. 1475/95 vom Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) freigestellt sei. Die von der Kommission festgestellten und vom Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften weitgehend bestätigten Verstöße der Beklagten gegen Art. 85 EGV (jetzt Art. 81 EG) hätten nicht zu einem dauernden Wegfall der Freistellung geführt. Gemäß Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1475/95 entfalle die Freistellung nur solange, wie die beanstandete Verhaltensweise andauere. Nach den Feststellungen, die das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in dem Bußgeldverfahren gegen die Beklagte getroffen habe, sei davon auszugehen, daß die den Reexport von Neufahrzeugen aus Italien beschränkenden Verhaltensweisen der Beklagten nicht über den 30. September 1996 hinaus angedauert hätten. Weitere, bis in die Gegenwart andauernde wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen habe die dafür darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.

2. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Der Feststellungsantrag zu 2 ist in dem Umfang, in dem er in der Revisionsinstanz weiterverfolgt wird, unzulässig.

a) Allerdings ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen, soweit es die Zulässigkeit der Klage mangels eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses verneint.

Gegenstand einer Feststellungsklage kann auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Prozeßpartei und einem Dritten sein (BGHZ 69, 37, 40; 83, 122, 125 f.; BGH, Urt. v. 23.9.1996 - II ZR 126/95, NJW 1997, 318, 319), sofern der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses hat und dieses Interesse gerade gegenüber der anderen Prozeßpartei besteht (BGH, Urt. v. 11.7.1990 - VIII ZR 165/89, WM 1990, 2128, 2130; BGH NJW 1997 aaO). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Mit dem Klageantrag zu 2 will die Klägerin, wie sie in der Revisionsverhandlung klargestellt hat, die Feststellung erreichen, daß sie in dem Zeitraum von 1988 bis zum Auslaufen der Verordnung Nr. 1475/95 von den Vertragshändlern der Beklagten als nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäuferin mit Neufahrzeugen der Beklagten hätte beliefert werden müssen. Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist somit die Frage, ob das den Vertragshändlern der Beklagten vertraglich auferlegte Verbot des Verkaufs an nichtautorisierte Wiederverkäufer durch die Verordnungen Nr. 123/85 und Nr. 1475/95 freigestellt und deshalb für die Händler verbindlich war oder ob, wie die Klägerin meint, die Freistellung des selektiven Vertriebssystems der Beklagten wegen anhaltender Wettbewerbsverstöße nicht eingetreten oder wieder entfallen ist und den Händlern daher in dem genannten Zeitraum die Belieferung nichtautorisierter Wiederverkäufer erlaubt war. An dem für die Beantwortung dieser Frage maßgeblichen Rechtsverhältnis ist die Beklagte beteiligt. Dafür macht es keinen Unterschied, ob sie selbst Vertragspartei der Händlerverträge mit den ausländischen Volkswagen- und Audi-Vertragshändlern ist oder ob diese nur mit dem jeweiligen Generalimporteur Vertragsbeziehungen unterhalten. Denn das Verbot, Fahrzeuge an Wiederverkäufer zu liefern, die nicht der Vertriebsorganisation der Beklagten angehören, ist Bestandteil des von der Beklagten geschaffenen und während des hier in Rede stehenden Zeitraums praktizierten selektiven Vertriebssystems. Aus demselben Grund bestünde ein Feststellungsinteresse der Klägerin, wenn ein solches gegeben wäre, auch gerade gegenüber der Beklagten.

b) Der Klageantrag zu 2 ist jedoch, soweit er in der Revisionsinstanz weiterverfolgt wird, deswegen unzulässig, weil die Klägerin das Feststellungsbegehren in der Revisionsverhandlung wirksam (vgl. BGH, Urt. v. 28.2.1991 - I ZR 94/89, NJW-RR 1991, 1136 unter I 1 m.w.Nachw.) auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum beschränkt hat und es für einen derart beschränkten Antrag an einem Feststellungsinteresse der Klägerin fehlt. Für die Vergangenheit kann der beantragten Feststellung Bedeutung allenfalls noch für etwaige Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zukommen, die darauf gestützt werden, daß Vertragshändler der Beklagten sich wegen des ihnen von der Beklagten auferlegten Verbots, nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäufer zu beliefern, geweigert haben, Neufahrzeuge an die Klägerin zu verkaufen. Eine unter diesem Gesichtspunkt in Betracht kommende Schadensersatzpflicht der Beklagten ist indessen Gegenstand des Klageantrags zu 3 b). Gegenüber diesem inhaltlich weitergehenden Antrag, dessen Begründetheit davon abhängt, daß das Verbot, Außenseiter zu beliefern, mangels Freistellung gegen Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) verstieß, kommt dem Feststellungsbegehren zu 2 keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr ist die Unwirksamkeit des Verbots, Neuwagen an Außenseiter zu verkaufen, lediglich eine der Anspruchsvoraussetzungen des Schadensersatzbegehrens, das die Klägerin mit dem Klageantrag zu 3 verfolgt. Ein über dieses Schadensersatzbegehren hinausgehendes Interesse an der mit dem Klageantrag zu 2 weiterverfolgten Feststellung hat die Klägerin in der Revisionsverhandlung demgemäß auch nicht darzulegen vermocht.

c) Auch als Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO ist der Feststellungsantrag zu 2 nicht zulässig. Soweit der von der Klägerin angenommene Wegfall der Freistellung des Verbots, nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäufer zu beliefern, für den mit dem Klageantrag zu 3 a) weiterverfolgten, an die Klägerin abgetretenen bezifferten Schadensersatzanspruch der E. vorgreiflich ist, ist nichts dafür vorgetragen, daß der Klägerin weitergehende Schadensersatzansprüche der E. abgetreten wären, für deren Geltendmachung die - vermeintliche - Unwirksamkeit des Verbots, nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäufer zu beliefern, vorgreiflich sein könnte. Soweit die Unwirksamkeit des Verbots Grundlage eigener Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen ihr selbst entgangener Wiederverkaufsgeschäfte sein könnte, werden diese von dem auf entsprechende Feststellung gerichteten Klageantrag zu 3 b) in vollem Umfang erfaßt, so daß es auch insoweit an möglichen weitergehenden Schadensersatzansprüchen fehlt, für die der Feststellungsantrag zu 2 vorgreiflich sein könnte.

II.

Zum Klageantrag zu 3:

Die mit dem Klageantrag zu 3 im Wege der Zahlungs- und der Feststellungsklage verfolgten Schadensersatzansprüche scheitern nach Auffassung des Berufungsgerichts schon daran, daß die Beklagte ihren Vertragshändlern die Belieferung nichtautorisierter gewerblicher Wiederverkäufer zu Recht untersagt habe, weil nicht festgestellt werden könne, daß die Freistellung ihres selektiven Vertriebssystems wegen der behaupteten Verstöße gegen Verhaltensregeln der Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1475/95 entfallen sei.

Diese Beurteilung ist, soweit für die Entscheidung des Rechtsstreits von Belang, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

1. Für den Zeitraum bis einschließlich September 1996 stellt sich die Frage eines möglichen Fortfalls der Freistellung des Verbots der Belieferung nichtautorisierter gewerblicher Wiederverkäufer schon deswegen nicht, weil die bis dahin geltende EG-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 123/85 - anders als die ihr nachfolgende Verordnung Nr. 1475/95 - einen automatischen Wegfall der Freistellung als Sanktion "schwarzer Verhaltensweisen", wie sie der Beklagten von der Klägerin angelastet werden, nicht vorsah und die Kommission auch keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, der Beklagten wegen der festgestellten Behinderungen des Reexports von Volkswagen- und Audi-Neufahrzeugen aus Italien den Vorteil der Anwendung der Verordnung Nr. 123/85 nach deren Art. 10 zu entziehen.

Das selektive Vertriebssystem der Beklagten war daher gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 1475/95 bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 30. September 1996 ungeachtet der festgestellten Behinderungen grenzüberschreitender Verkäufe italienischer Vertragshändler durch die Beklagte vom Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV freigestellt. Daraus folgt, daß die Klägerin aus ihr entgangenen Wiederverkaufsgeschäften keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte herleiten kann, soweit ihr die Belieferung mit Neufahrzeugen vor dem 1. Oktober 1996 verweigert worden ist.

2. Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 7. Mai 2002 - bis zu diesem Datum erstreckt sich das mit dem Klageantrag zu 3 b) verfolgte Feststellungsbegehren der Klägerin - war das selektive Vertriebssystem der Beklagten nach Art. 3 Nr. 10 Buchst. a der Verordnung Nr. 1475/95 vom Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) freigestellt. Allerdings nennt die Verordnung in Art. 6 Abs. 1 neben einer Reihe "schwarzer Klauseln" und abgestimmter Verhaltensweisen (Art. 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5), die im Streitfall nicht einschlägig sind, auch einseitige "schwarze Verhaltensweisen" (Art. 6 Abs. 1 Nr. 6 bis 12), deren Verwirklichung nach Art. 6 Abs. 2 und 3 zu einem räumlich und zeitlich beschränkten Wegfall der Freistellung aller wettbewerbsbeschränkenden Bestimmungen führt, die zugunsten des Herstellers, des Lieferanten oder eines anderen Unternehmens des Vertriebsnetzes, das an einer beanstandeten Verhaltensweise beteiligt war, vereinbart wurden. Auch aus dieser Bestimmung läßt sich indessen auf der Grundlage der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus ihr entgangenen Wiederverkaufsgeschäften nicht herleiten.

a) Nach den Feststellungen, die Grundlage des von der Kommission gegen die Beklagte verhängten Bußgeldes und der Nachprüfung dieser Entscheidung durch das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften waren und die auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legt, fehlt es für die Zeit nach dem 30. September 1996 an schlüssigen und übereinstimmenden Indizien für ein Andauern der für die Zeit bis zum 30. September 1996 erwiesenen Verstöße der Beklagten gegen Art. 85 EGV. Solche Indizien hat in bezug auf die Behinderung des Fahrzeugreexports aus Italien auch die Klägerin nicht vorgetragen. Wegen der Maßnahmen der Beklagten zur Abschottung des italienischen Marktes kann daher ein Wegfall der Freistellung des Vertriebssystems der Beklagten nicht festgestellt werden, denn bis zum 30. September 1996 war dieses, wie oben bereits ausgeführt, ungeachtet der von der Kommission festgestellten Behinderungsmaßnahmen noch nach der vorangegangenen EG-Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 123/85 freigestellt.

b) Die von der Revision darüber hinaus angeführten Indiztatsachen rechtfertigen weder für sich allein noch in einer Gesamtschau die Schlußfolgerung, daß die Beklagte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum Verhaltensweisen praktiziert hätte, die nach Art. 6 der Verordnung Nr. 1475/95 zu einem Wegfall der Freistellung hätten führen können, aus dem die Klägerin oder die E. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte herleiten könnten.

aa) Eine mögliche Behinderung des Fahrzeugreimports durch die Weigerung der Beklagten, für reimportierte Fahrzeuge die zu einer "Umschlüsselung" erforderliche Herstellerbescheinigung zu erteilen, ist nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts, die sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, bereits vor Erlaß des Landgerichtsurteils durch die Einführung eines EG-einheitlichen Zertifikats für die Schadstoffeinstufung entfallen. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob das von der Klägerin insoweit beanstandete Verhalten der Beklagten als (mittelbare) Wettbewerbsbehinderung i.S. des Art. 6 der Verordnung Nr. 1475/95 zu werten ist.

bb) Alle übrigen Erschwernisse, denen sich deutsche Kaufinteressenten oder deren Vermittler bei Neuwagenkäufen in Italien, Dänemark oder den Niederlanden nach der Darstellung der Klägerin bis in die Gegenwart ausgesetzt sehen, gehen auf Verhaltensweisen der dort ansässigen Vertragshändler oder des für das betreffende Land zuständigen Generalimporteurs zurück. Konkrete Verhaltensweisen der Beklagten, die dafür ursächlich sein könnten, vermag die Klägerin nicht aufzuzeigen. Unter diesen Umständen kann auch eine Gesamtschau der vorgetragenen Indiztatsachen nicht den Schluß rechtfertigen, die Beklagte sei Urheberin der von der Klägerin behaupteten Behinderungsmaßnahmen ihrer ausländischen Vertragshändler und Generalimporteure.

cc) Die Klägerin hat für den hier allein interessierenden Zeitraum von Oktober 1996 bis Mai 2002 auch keine Behinderungen grenzüberschreitender Neuwagenverkäufe seitens der Generalimporteure oder der ausländischen Vertragshändler der Beklagten vorgetragen, die diese sich deswegen zurechnen lassen müßte, weil sie nach der Behauptung der Klägerin dagegen nicht eingeschritten ist.

(1) Für ihre Behauptung, der dänische Generalimporteur der Beklagten verlange beim Verkauf an Ausländer eine Zwangsregistrierung und die persönliche Abholung des Fahrzeugs durch den ausländischen Käufer, hat die Klägerin als einziges Beweismittel ein Schreiben aus dem Jahr 1992 vorgelegt. Die Beklagte hat bestritten, daß diese Praxis andauere, und dazu vorgetragen, jedenfalls im Jahr 2000 gebe es keine Vorgabe des Generalimporteurs, daß von deutschen Kunden in Dänemark gekaufte Fahrzeuge dort zugelassen und vom Endabnehmer persönlich abgeholt werden müßten. Dem ist die Klägerin nicht mehr entgegengetreten.

(2) Die Forderung des niederländischen Generalimporteurs nach Vorlage einer notariell beglaubigten Vollmacht bei vermittelten Kaufverträgen dient offenkundig der Absicherung gegen Verkäufe an nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäufer, die sich mit Hilfe fingierter Kaufvermittlungen bei ausländischen Vertragshändlern Neufahrzeuge zum gewerblichen Wiederverkauf zu beschaffen suchen. Eine marktrelevante Beeinträchtigung des gewerblich vermittelten grenzüberschreitenden Fahrzeugkaufs ist darin mit dem Berufungsgericht nicht zu sehen.

(3) Ihre frühere Übung, bei vermittelten Geschäften von ausländischen Käufern eine vertragsstrafbewehrte Verpflichtungserklärung des Inhalts zu verlangen, daß das Fahrzeug nicht vor Ablauf von drei Monaten nach seiner Zulassung oder vor Erreichen einer Fahrleistung von mindestens 3.000 km weiterveräußert werde, hat die Beklagte nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bereits im Jahr 1996 dahin geändert, daß die zeitliche Beschränkung von drei Monaten und die geforderte Mindestfahrleistung ersatzlos gestrichen wurden. Wenn gleichwohl im September 2000 in einem Einzelfall ein dänischer Vertragshändler (nicht: Generalimporteur) von einem deutschen Käufer eine Verpflichtungserklärung nach dem alten Formblatt verlangte, kann dies der Beklagten nicht schon deswegen zugerechnet werden, weil sie dagegen nicht eingeschritten ist.

c) Zu einem vorübergehenden Wegfall der Freistellung können allerdings die wiederholten Aufrufe des Vertriebsleiters G. der Beklagten zur "Preisdisziplin" (Art. 6 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1475/95) beim Vertrieb des damals neuen Modells Volkswagen Passat (Rundschreiben vom 26.9.1996, 17.4. u. 26.6.1997) geführt haben, die erst mit Rundschreiben vom 6. September 1999 zurückgenommen worden sind. Das bedarf hier indessen keiner näheren Prüfung. Denn eine einseitige "schwarze Verhaltensweise" des Herstellers wie dieser Aufruf der Beklagten (Art. 6 Abs. 1 Nr. 6 der Verordnung Nr. 1475/95) führte gemäß Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1475/95 nur zum vorübergehenden Wegfall der zugunsten des Herstellers vereinbarten wettbewerbsbeschränkenden Bestimmungen in denjenigen Vertriebsvereinbarungen, die für das Gebiet innerhalb des Gemeinsamen Marktes galten, in welchem der Wettbewerb durch die beanstandete Verhaltensweise verfälscht wurde. Nach dieser Bestimmung beschränkte sich ein etwaiger Wegfall der Freistellung in räumlicher Hinsicht auf das den deutschen Vertragshändlern der Beklagten auferlegte Verbot der Belieferung von Außenseitern. Denn die von der Kommission insoweit beanstandeten Maßnahmen richteten sich nach deren Feststellungen ausschließlich gegen die deutschen Volkswagen-Händler und -Werkstätten (Entscheidung der Kommission vom 29.6.2001, Az. COMP/F-2/36.693 - Volkswagen, ABl. EG Nr. L 262 S. 14 ff., Tz. 1, 3, 29 ff.). Daß die Beklagte auch ihre Vertragshändler im europäischen Ausland zur "Preisdisziplin" aufgerufen hätte, ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt und von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Damit beschränkte sich die durch den Aufruf der Beklagten bewirkte Verfälschung des Wettbewerbs auf das inländische Vertriebsgebiet, auch wenn ausländische Käufer von Passat-Fahrzeugen bei deutschen Volkswagen-Vertragshändlern davon ebenfalls betroffen worden sein sollten. Im Verhältnis zu den dänischen und niederländischen Vertragshändlern der Beklagten, bei denen die Klägerin und die E. sich vergeblich um eine Belieferung mit Neufahrzeugen bemüht haben, war somit das Verbot, Neufahrzeuge an nichtautorisierte gewerbliche Wiederverkäufer zu verkaufen, auch für den Zeitraum freigestellt, während dessen die Freistellung im Verhältnis zu den deutschen Vertragshändlern der Beklagten möglicherweise entfallen war.

d) Da somit die Behinderung grenzüberschreitender Neuwagenverkäufe der italienischen Vertragshändler der Beklagten aus zeitlichen Gründen und die Beschränkung ihrer deutschen Vertragshändler in der Freiheit der Preisgestaltung für das Modell Passat aus räumlichen Gründen nicht zum Wegfall des Verbots der Belieferung nichtautorisierter gewerblicher Wiederverkäufer führte, dem die dänischen und niederländischen Vertragshändler der Beklagten in dem Zeitraum von 1988 bis Mai 2002 unterlagen, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr darauf an, ob die Beklagte sich, wie die Revision meint, nicht damit begnügen durfte, die schwerwiegenden, von der Kommission beanstandeten und mit hohen Bußgeldern belegten Verstöße jeweils nur mit einem einzigen Rundschreiben zurückzunehmen, um die Mitglieder ihrer Vertriebsorganisation zu einem kartellrechtskonformen Verhalten zu veranlassen.

Die Revision zeigt im übrigen aber auch nicht auf, daß diese Rundschreiben, weil sie vereinzelt geblieben sind, ihre Wirkung verfehlt haben könnten. Die Klägerin hat nicht behauptet, daß es nach dem Rundschreiben der Beklagten vom 20. Februar 1998, das von der Kommission als ausreichend erachtet worden ist, zu weiteren Behinderungen des Reimports von Neufahrzeugen der Beklagten aus Italien gekommen sei. Das liegt auch schon deshalb fern, weil die italienischen Vertragshändler der Beklagten sich nur durch die ihnen von der Beklagten und deren Generalimporteurin, einer Tochtergesellschaft der Beklagten, angedrohten Sanktionen davon hatten abbringen lassen, Fahrzeuge an deutsche und österreichische Kaufinteressenten zu verkaufen. Ein Widerstand gegen Geschäftsabschlüsse auch mit Käufern aus dem europäischen Ausland, zu dessen Überwindung mehr als das eine Rundschreiben der Beklagten hätte erforderlich sein können, war aus den Reihen der Händler daher naturgemäß nicht zu erwarten. Entsprechendes gilt für die Rücknahme des an die deutschen Vertragshändler der Beklagten gerichteten Aufrufs zur "Preisdisziplin", denn auch diese Wettbewerbsstörung ging von der Beklagten selbst aus und lief den Interessen ihrer deutschen Vertragshändler zuwider.

3. Die mit dem Klageantrag zu 3 a) verfolgte Zahlungsklage erweist sich demnach als unbegründet, weil es den dänischen Vertragshändlern der Beklagten, bei denen die E. sich vergeblich um den Ankauf der elf bei ihr bestellten Neufahrzeuge bemüht hat, nicht erlaubt war, Neufahrzeuge an nichtautorisierte Wiederverkäufer wie die E. zu verkaufen, und diese Wettbewerbsbeschränkung von dem Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV freigestellt war.

Auch die Feststellungsklage zu 3 b) ist unbegründet, da sich ein vorübergehender Wegfall der Freistellung des genannten Verbots allenfalls für die Vertriebsvereinbarungen der Beklagten mit ihren deutschen Vertragshändlern feststellen läßt. Die Klägerin, die sich mit dem (Re)Import von Kraftfahrzeugen aus dem europäischen Ausland befaßt, hat nicht behauptet, daß sie sich während des Zeitraums, für den die Freistellung des Verbots für die deutschen Vertragshändler entfallen sein könnte, auch bei deutschen Vertragshändlern der Beklagten vergeblich um den Ankauf von Neufahrzeugen zum gewerblichen Wiederverkauf bemüht habe.

III.

Die Revision ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO und, soweit die Klage zu 1 zurückgenommen worden ist, aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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