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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.12.1998
Aktenzeichen: KZR 26/97
Rechtsgebiete: PostG, UWG


Vorschriften:

PostG § 2 Abs. 1
PostG § 51
PostG § 1
PostG § 2
UWG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

KZR 26/97

Verkündet am: 8. Dezember 1998

Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 1998 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofes Geiß und die Richter Prof. Dr. Goette und Ball, die Richterin Dr. Tepperwien und den Richter Dr. Bornkamm

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Mai 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der klagenden Deutsche Post AG war als Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost POSTDIENST nach § 2 Abs. 1 PostG (i.d.F. v. 14. September 1994 - BGBl. I S. 2325 - im folgenden: PostG a.F.) die entgeltliche Beförderung von schriftlichen Mitteilungen und Nachrichten von Person zu Person ausschließlich vorbehalten. Die beklagte GmbH ist die für Deutschland zuständige Gesellschaft eines auf dem Gebiet der Übermittlung schriftlicher Mitteilungen weltweit operierenden Konzerns, dessen einzelne Gesellschaften sich auch am sog. Remailing beteiligen. Die Klägerin, die diese Aktivitäten als Verstoß gegen den zu ihren Gunsten bestehenden Beförderungsvorbehalt angesehen hat, hatte die Beklagte in einem anderen Rechtsstreit u.a. auf Unterlassung in Anspruch genommen. In jenem Verfahren hat die Beklagte ein in englischer Sprache abgefaßtes Merkblatt vorgelegt, aus dem sich ergibt, daß sie bei ihren ausländischen Schwestergesellschaften aufgegebene Massensendungen im Inland durch eigene Kräfte in den Städten Hamburg, Köln, Frankfurt a.M. und München den Empfängern zustellt. Auch diese von der Beklagten auf Veranlassung der anderen Konzerngesellschaften erbrachten Beförderungsleistungen verstoßen nach Meinung der Klägerin gegen den Beförderungsvorbehalt. Ihrer auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung der Ersatzpflicht gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat der Berufung der Beklagten nur bezüglich des Auskunfts- und des Feststellungsbegehrens entsprochen, hinsichtlich des Unterlassungsantrags aber das angefochtene Urteil bestätigt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin, die das angefochtene Urteil verteidigt, hat mit Rücksicht auf die zum 1. Januar 1998 eingetretene Änderung des Postgesetzes hilfsweise ihren Klageantrag geändert.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Wegen des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsbegehrens der Klägerin kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben, weil sich nach dessen Erlaß die Rechtslage verändert hat. Durch das am 1. Januar 1998 in Kraft getretene Postgesetz vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3294) sind die Ausschließlichkeitsrechte der Klägerin bei der Beförderung von Briefsendungen weiter eingeschränkt worden (§§ 5, 51 PostG). Diese Rechtsänderung ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 36, 348, 350; Sen.Urt. v. 29.9.1998 - KZR 3/97). Eine abschließende Entscheidung, auf welche die Klägerin mit ihrem hilfsweise gestellten geänderten Klageantrag abzielt, ist dem Senat jedoch verwehrt, weil es an den erforderlichen näheren tatrichterlichen Feststellungen für die Beurteilung fehlt, ob sich die Beklagte auch unter der Geltung des neuen Rechts nach § 1 UWG i.V.m. §§ 5, 51 PostG wettbewerbswidrig verhält. Die Zurückverweisung gibt den Parteien Gelegenheit, ihre Anträge und ihren Vortrag auf die neue Rechtslage einzustellen.

II. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich - falls es je nach der Form der Antragstellung hierauf ankommen sollte - auf folgendes hin:

Auf der Grundlage des bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Rechts hat das Berufungsgericht die von der Klägerin beanstandeten Beförderungsleistungen der Beklagten zutreffend als wettbewerbswidrig (§ 1 UWG i.V.m. § 2 PostG a.F.) angesehen. Die hiergegen von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch.

1. Der Transport der bei Schwestergesellschaften der Beklagten im Ausland aufgenommenen Massensendungen in das Inland und deren Zustellung - durch eigene Kräfte - an die Empfänger in vier deutschen Großstädten stellt eine Leistung dar, welche nach § 2 Abs. 1 PostG a.F. der Klägerin vorbehalten war. Eine individuelle Freistellung war der Beklagten nicht erteilt. Sie war auch nicht aufgrund der Allgemeinverfügung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation 6/1994 (Amtsblatt 1994, 56) von der Beachtung des Beförderungsvorbehalts freigestellt. Schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten konnte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, daß die Freistellungsvoraussetzungen dieser Verfügung - Beachtung einer Mindestpreisgrenze von 10,-- DM je Sendung - vorgelegen haben. Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter angenommen, daß es sich bei den beanstandeten Aktivitäten der Beklagten nicht um Kurierdienstleistungen im Sinne der Verfügung 42/1994 gehandelt hat. Die von ihr beförderten Sendungen waren zwar nach ihrem Vorbringen stets in der Verfügungsgewalt von Bediensteten der Gesellschaften der Unternehmensgruppe, zu der auch die Beklagte gehört. Sie wurden aber nicht, wie in der genannten Verfügung verlangt, einzeln nachgewiesen und standen auch nicht je für sich in der Dispositionsbefugnis einer Person, die die schriftliche Mitteilung oder Nachricht vom Absender zum Empfänger ständig begleitete; vielmehr wurden sie als Massensendungen behandelt, nicht anders als solche Sendungen, die der Klägerin von einem ausländischen Postdienst zur Beförderung an inländische Empfänger übergeben worden sind.

2. Der Ansicht der Revision, die Inanspruchnahme des Beförderungsvorbehalts nach § 2 Abs. 1 PostG a.F. durch die Klägerin verstoße gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, kann auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen nicht beigetreten werden. Einer Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, wie sie die Revision für erforderlich hält, bedarf es nicht, weil die Entscheidung darüber, ob eine Wettbewerbsbeschränkung zugunsten eines Unternehmens erforderlich ist, das mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut ist, dem nationalen Gericht obliegt (EuGH, Urt. v. 19.5.1993, Slg. 1993, I-2563, 2569 Tz. 20 - Corbeau; vgl. ferner Sen.Beschl. v. 7.10.1997 - KZR 17/96, KZR 19/96, KZR 27/96, KZR 35/96 und KZR 36/96, WuW/E DE-R 1 - Auslandspost-Remailing).

a) Das europäische Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, daß sog. Massensendungen der Direktwerbung und ähnliches generell von dem Beförderungsvorbehalt ausgenommen werden. Der gegenteiligen, vor allem von Basedow (EuZW 1994, 359 ff.; ders. in Basedow/Jung, Das neue Wirtschaftsrecht der Postdienste, 1995, S. 272 ff.; vgl. auch Emmerich in Dauses, Handb. des EG-Wirtschaftsrechts, 1996, H II Rdn. 71; zutreffend aber Everling EuR 1994, 386 ff., 390 f.) vertretenen Ansicht folgt der Senat nicht.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer nationalen Wettbewerbsbeschränkung darf nicht isoliert auf einzelne Segmente des übertragenen Universaldienstleistungsauftrages abgestellt werden; vielmehr sind nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Mai 1993 in der Sache Corbeau (Slg. 1993 aaO Tz. 17 f.) sowohl die rentablen wie die nicht rentablen Tätigkeitsbereiche in die Untersuchung einzubeziehen, weil als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß eine wirtschaftlich ausgewogene Erfüllung des Universaldienstleistungsauftrags nur dann erreicht werden kann, wenn die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen diesen verschiedenen Bereichen besteht. Diesem Umstand und dem Gesichtspunkt, daß der in den Beförderungsvorbehalt der Klägerin einbezogene Teil der Massensendungen mit der klassischen Briefbeförderung eng verflochten ist und keine hiervon trennbare, spezifische Dienstleistung - die geringfügig schnellere Beförderung durch die Beklagte bedeutet allenfalls eine graduelle Verbesserung (vgl. Tesauro Slg. 1993, I-2533, 2557 f. Tz. 16 der Schlußanträge in der Sache Corbeau) - darstellt, hat der nationale Gesetzgeber mit der Fassung des § 2 Abs. 1 PostG a.F. in einer mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang stehenden Weise Rechnung getragen. Auch die Beklagte hat in substantiierter Form nicht geltend zu machen vermocht, daß unter der Geltung des früheren Rechts das wirtschaftliche Gleichgewicht für die Erfüllung des Dienstleistungsauftrages der Klägerin nicht beeinträchtigt worden wäre, wenn die genannten Massensendungen generell von der Geltung des Beförderungsvorbehalts ausgenommen worden wären.

b) Auch für aus dem Ausland eingehende, im Inland zu verteilende und zuzustellende Massensendungen ist die Regelung des § 2 PostG a.F. entgegen der Auffassung der Revision nicht gemeinschaftswidrig. In diesem Zusammenhang macht die Beklagte zu Unrecht geltend, die Klägerin sei auf den Beförderungsvorbehalt für diese Sendungen deswegen nicht angewiesen, weil sie nach ihrem eigenen Vorbringen in diesem Zweig ihrer Tätigkeit von den ausländischen Postverwaltungen keine kostendeckenden Vergütungen erhalte. Dies verkürzt in unzulässiger Weise das Vorbringen der Klägerin. Denn deren Vortrag bezieht sich nicht auf die einzelne im Inland zu befördernde und zuzustellende Sendung, sondern betrifft den Vergleich zwischen ihrem Gesamtaufwand und dem dafür bezogenen Entgelt. Gerade der Teil der Dienstleistung, den die Beklagte unter Verstoß gegen § 2 Abs. 1 PostG a.F. erbringt, nämlich die Beförderung und Zustellung an Empfänger in vier inländischen Großstädten, läßt sich nach dem übereinstimmenden Vorbringen beider Parteien ungeachtet dieses sonst strukturell defizitären Segments der Postbeförderung rentabel gestalten. Deswegen nimmt die Beklagte der Klägerin - wollte man, wie die Revision für richtig hält, die Beförderung und Zustellung von Infopost als eigenständigen Markt ansehen - nicht nur die dieser auch nach europäischem Gemeinschaftsrecht zu belassende Möglichkeit (vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1993 aaO Tz. 17 - Corbeau) des Ausgleichs rentabler und nicht rentabler Tätigkeiten, sondern beansprucht im Gegenteil das Recht für sich, die rentablen Dienstleistungen an sich zu ziehen und der Klägerin die nicht kostendeckende Beförderung und Zustellung in der Fläche zu überlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.5.1993 aaO Tz. 18 - Corbeau). Entsprechendes gilt, wenn die Massensendungen nicht als isolierter Markt angesehen werden, sondern wenn berücksichtigt wird, daß kostendeckend erbrachte Teilleistungen auch in diesem Marktsegment dazu beitragen, daß die Gesamtheit der unter den Beförderungsvorbehalt des § 2 Abs. 1 PostG a.F. fallenden Leistungen wirtschaftlich ausgewogen vergütet wird und die Klägerin dadurch in die Lage versetzt wird, ihren Auftrag ordnungsgemäß zu erfüllen.

Ende der Entscheidung

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