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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.2002
Aktenzeichen: KZR 34/01
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 20 Abs. 1
Erfüllt der zuständige Landkreis seine ihm obliegende Pflicht zur Versorgung von Asylbewerbern durch die Ausgabe von Wertgutscheinen und beauftragt er eine Servicegesellschaft mit der Abwicklung, wird im allgemeinen diese Servicegesellschaft für die Einzelhändler, bei denen die Wertgutscheine eingelöst werden, die Marktgegenseite bilden. Unabhängig davon käme ein Verstoß gegen das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot allenfalls dann in Betracht, wenn die gebündelte Nachfrage der Asylbewerber dem Landkreis oder der Servicegesellschaft als Nachfragedisponenten auf dem Markt für gewöhnliche Bekleidungsstücke des täglichen Bedarfs eine marktbeherrschende oder eine relativ marktstarke Stellung nach § 20 Abs. 2 GWB verschaffen würde.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

KZR 34/01

Verkündet am: 24. September 2002

in dem Rechtsstreit

Wertgutscheine für Asylbewerber

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2002 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Ball, Prof. Dr. Bornkamm und Dr. Raum

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 29. März 2001 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist ein Handelsunternehmen, das Bekleidungsartikel vertreibt. Sie schloß mit der A. Dienstleistungs GmbH (im folgenden: A. ) einen Servicevertrag über die Annahme und Abrechnung von Wertgutscheinen für Asylbewerber ab. Der beklagte Landkreis bezieht von der A. solche Wertgutscheine und bezahlt hierfür an diese den vollen Nennbetrag. Als die für die Ausstattung der Asylbewerber zuständige Behörde gibt der Beklagte die Wertgutscheine an die Asylbewerber aus, die seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich zugewiesen sind. Mit der Ausgabe der Wertgutscheine, die von den Asylbewerbern in den Geschäften eingelöst werden können, die diese Wertgutscheine akzeptieren (sogenannte Einlösestellen), erfüllt er die ihm obliegende Pflicht zur Ausstattung der Asylbewerber. Die Abrechnung der Wertgutscheine erfolgt zwischen der A. und den Einzelhändlern, wie etwa der Klägerin. Die A. zahlt an die einzelnen Einlösestellen nicht den vollen Betrag aus, wobei die Höhe des Auszahlungsbetrages zwischen den einzelnen Händlern differiert. Auf der Grundlage des Servicevertrages mit der Klägerin behält A. 1 % des Gutscheinwertes ein. Gegenüber Händlern, mit denen A. keinen Servicevertrag eingegangen ist, nimmt sie bei Einlösung der Wertgutscheine Abzüge bis zu 3,5 % vor.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, daß der Beklagte - soweit er Pflichten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erfülle - die Ausstattung von Asylbewerbern durch die Klägerin nicht von ihrer Teilnahme an dem Wertgutscheinsystem abhängig machen dürfe. Jedenfalls sei aber - was die Klägerin mit ihrem ersten Hilfsantrag geltend macht - dieses Abrechnungssystem unzulässig, weil die mit der Abrechnung entstehenden Kosten auf das jeweilige Handelsunternehmen überbürdet würden. Zumindest müsse - was sie weiter hilfsweise erstrebt - der Beklagte sicherstellen, daß das von ihm beauftragte Unternehmen die Wertgutscheine ohne Abzüge einlöse.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Klägerin verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Ausgabe der Wertgutscheine stelle ein Angebot zum Abschluß eines Garantievertrages dar. Indem die Klägerin einen solchen Wertgutschein annehme, komme es zum Abschluß dieses Vertrages. Sie erwerbe dann einen Anspruch aus dem Garantievertrag in Höhe des Wertbetrages abzüglich der Servicepauschale von 1 %. Diese Servicepauschale habe die Klägerin durch Abschluß des Rahmenvertrages akzeptiert. Öffentlich-rechtliche Pflichten des Beklagten, die diese Vertragsgestaltung überlagern könnten, bestünden dabei nicht. Weder werde die Klägerin zum Abschluß solcher Geschäfte gezwungen, noch ergebe sich hierbei eine Schmälerung der gesetzlichen Ansprüche der Asylbewerber. Diese erhielten weiterhin von dem Beklagten eine kostenfreie Leistung.

Wettbewerbsrechtlich sei schon deshalb kein Verstoß gegeben, weil der Beklagte nicht als Mitbewerber in ein Wettbewerbsverhältnis eingreife. Da hier kein Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliege, scheide auch ein kartellrechtlicher Verstoß des Beklagten aus. Es sei nämlich nicht zu erkennen, daß der Wettbewerb beeinträchtigt werde.

Ebensowenig lasse sich - wie mit dem ersten Hilfsantrag geltend gemacht - ein Verbot der Servicegebühr auf wettbewerbsrechtliche Gründe stützen. Zwar bestehe ein Zusammenhang zwischen der von A. und dem Beklagten vereinbarten Vergütung und der Höhe der Servicepauschale. Hierbei trage dann aber A. das wirtschaftliche Risiko, eine solche Servicepauschale gegenüber den Händlern nicht durchsetzen zu können. Aus den angeführten Gründen könne die Klägerin nicht die ungeschmälerte Auszahlung der Nennbeträge aus den Wertgutscheinen verlangen, weshalb auch der weitere Hilfsantrag unbegründet sei.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Überprüfung stand.

1. Ansprüche der Klägerin nach § 33 i.V. mit § 19 Abs. 4 Nr. 1 und 2, § 20 Abs. 1 und 3 GWB bestehen nicht. Der Beklagte hat insoweit gegenüber der Klägerin keine marktbeherrschende oder marktstarke Stellung im Sinne der genannten Bestimmungen inne.

a) Eine Marktmacht des Beklagten läßt sich - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht aus seiner ausschließlichen gesetzlichen Verantwortung für die Ausstattung der Asylbewerber herleiten. Ob der Beklagte gegenüber der Klägerin über eine entsprechende Machtstellung im Sinne der §§ 19, 20 GWB verfügt, ist vielmehr im Hinblick auf einen konkret abzugrenzenden Markt festzustellen. Dabei hat die Bestimmung des sachlich relevanten Marktes aus der Sicht der jeweiligen Marktgegenseite zu erfolgen (BGH, Urt. v. 13.11.1990 - KZR 25/89, WuW/E 2683, 2685 - Zuckerrübenanlieferungsrecht; Urt. v. 23.2.1988 - KZR 17/86, WuW/E 2483, 2487 f. - Sonderungsverfahren; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 19 Rdn. 40 ff.; Ruppelt in Langen/ Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 19 GWB Rdn. 23 ff.). Demnach ist hier die Marktabgrenzung aus der Sicht des anbietenden Einzelhandels vorzunehmen. Aus der Perspektive der Klägerin, die als Einzelhändlerin Einlösestelle ist, steht der Beklagte nicht auf der Marktgegenseite. Zwischen den Parteien bestehen keine vertraglichen Beziehungen. Die Auswahl der Produkte nimmt der jeweilige Asylbewerber vor, der bei den als Einlösestellen zugelassenen Händlern den Wertgutschein an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 2 BGB) hingibt. Die Abrechnung dieses Kaufvorgangs erfolgt wiederum zwischen der A. und dem jeweiligen Einzelhändler. Ein Markt, auf dem sich die Klägerin und der Beklagte unmittelbar begegnen, existiert mithin nicht.

b) Ein Markt, in dem die Klägerin Waren anbietet, die der Beklagte nachfragt, könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn das Verhalten der Asylbewerber dem Beklagten als Nachfragedisponenten zugerechnet werden könnte. Dann wäre zwar der Beklagte als die für Leistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zuständige Behörde insgesamt als Nachfrager für die Asylbewerber anzusehen und würde für die Klägerin insoweit auch die Marktgegenseite bilden. Selbst bei dieser Annahme ergäbe sich jedoch keine relevante Marktmacht im Sinne der §§ 19, 20 GWB.

Der Markt für den Erwerb von Bekleidungsgegenständen läßt sich nämlich nicht mehr weiter nach bestimmten Kundenkreisen aufspalten. Als Nachfrager unterscheiden sich die Asylbewerber hinsichtlich ihres Bedarfs nicht in erheblicher Weise von sonstigen Kunden. Der Einzelhandel verkauft an sie die gleichen Produkte. Das Warensortiment bleibt im wesentlichen unverändert, unabhängig davon, ob die einzelnen Nachfrager Asylbewerber oder sonstige Kunden sind. Da die Nachfrage sich auf dieselben Produkte bezieht, sind aus der Sicht des Einzelhandels die einzelnen Kunden austauschbar.

Eine im Sinne der §§ 19, 20 GWB relevante Nachfragemacht des Beklagten auf dem Bekleidungsmarkt liegt allerdings fern, selbst wenn das gesamte Nachfragepotential der Asylbewerber ihm zuzurechnen wäre. Schon aufgrund des eigenen Sachvortrages der Klägerin, wonach das Gesamtvolumen der Gutscheine nur ca. 5 Mio. DM im Jahr betrage, läßt sich dies hier ausschließen. Daß ein Umsatz in dieser Größenordnung - bezogen auf den in Rede stehenden Markt - keine relevante Nachfragemacht begründet, bedarf keiner weiteren Darlegung.

c) Schließlich kann die Klägerin auch aus einer etwaigen beherrschenden Stellung des Beklagten auf einem Drittmarkt keinen auf dessen Normadressatenstellung gestützten Unterlassungsanspruch ableiten. Es kann offenbleiben, ob der Beklagte als Nachfrager auf einem Markt für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Asylbewerberleistungsgesetz marktbeherrschend ist. Erforderlich für einen Unterlassungsanspruch nach § 20 GWB ist nämlich zusätzlich, daß beide Parteien auf dem beherrschten Markt tätig sind. Dies ist aber nicht der Fall, weil die Klägerin auf einem solchen Markt für Serviceleistungen weder auf Anbieter- noch auf Nachfragerseite auftritt. Im übrigen könnte sich eine etwaige Marktstärke des Beklagten als Nachfrager gegenüber dem Serviceunternehmen auch nicht zu Lasten der Klägerin auswirken (BGHZ 83, 238, 243 = WuW/E 1911, 1914 - Meiereizentrale). Hier steht der Klägerin auf der Nachfragerseite nur die wirtschaftliche Macht gegenüber, die auf dem Nachfragepotential der Asylbewerber beruht. Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte jenseits der über die Wertgutscheine vermittelten Nachfragemacht wirtschaftlichen Druck auf die Klägerin ausüben könnte, sind nicht vorhanden. Das gebündelte Nachfragepotential der Asylbewerber erreicht jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht die Erheblichkeitsschwelle der §§ 19, 20 GWB.

Damit kommt auch der Frage, welche weiteren Serviceunternehmen der Beklagte beauftragt hat, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Wenn schon die Bündelung der Nachfragemacht in einem Serviceunternehmen aufgrund eines nicht ausreichenden Machtpotentials kartellrechtlich unschädlich ist, gilt dies erst recht, wenn sich das Nachfragepotential auf zwei Serviceunternehmen verteilt. Ebensowenig brauchte - entgegen der Auffassung der Revision - das Berufungsgericht die Frage zu untersuchen, ob sich die Klägerin im Verhältnis zu einem weiteren Serviceunternehmen S. zur Zahlung einer Servicepauschale verpflichtet hat. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, könnte dies nur die wirtschaftliche Selbständigkeit sowie den vorhandenen Verhandlungsspielraum der jeweiligen Serviceunternehmen belegen und widerspräche damit der Behauptung der Klägerin, die Serviceunternehmen seien von dem Beklagten als Monopolunternehmen wirtschaftlich abhängig und dienten diesem lediglich zur Abwälzung eigener Kosten.

2. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht einen Anspruch aus § 1 UWG verneint.

Das Verhalten des Beklagten erfüllt im Verhältnis zur Klägerin nicht das Merkmal eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs. Dieses Merkmal setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, daß das Verhalten objektiv geeignet ist, den Wettbewerb einer Person zum Nachteil einer anderen zu begünstigen, und daß der Handelnde zusätzlich in der Absicht vorgegangen ist, den eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern, sofern diese Absicht nicht völlig hinter anderen Beweggründen zurücktritt (BGH, Urt. v. 1.6.1989 - I ZR 81/87, GRUR 1989, 773, 774 - Mitarbeitervertretung; Urt. v. 30.4.1997 - I ZR 154/95, GRUR 1997, 914, 915 - Die Besten II).

Das Verhalten des Beklagten mag - wie die Revision geltend macht - objektiv geeignet sein, die mit größeren Margen kalkulierenden Mitbewerber der Klägerin zu deren Lasten zu begünstigen. Es ist indessen schon zweifelhaft, ob dem Beklagten diese Wirkung bewußt war. Denn nach den getroffenen Feststellungen blieb das Aushandeln der Servicegebühr nach Art und Umfang allein A. überlassen. Daher hing es auch allein von deren kaufmännischem Geschick ab, ob und in welchem Umfang ihr die Händler, die sich an der Warenabgabe an Asylbewerber beteiligten, einen finanziellen Vorteil einräumten. Unabhängig davon könnte nicht ohne weiteres von einer entsprechenden Absicht des Beklagten ausgegangen werden. Auch wenn das Bewußtsein solcher wettbewerbsbeeinflussenden Folgen ein Beweisanzeichen für ein Handeln in Wettbewerbsabsicht darstellen kann, so läge doch im Streitfall eine solche Absicht fern, weil der Beklagte jedenfalls vorrangig aus anderen Gründen gehandelt hat und die Wettbewerbsförderung lediglich notwendige Folge eines anders motivierten Handelns war (vgl. BGH, Urt. v. 2.7.1987 - I ZR 167/85, GRUR 1988, 38, 39 - Leichenaufbewahrung; GRUR 1989, 773, 774 - Mitarbeitervertretung). Dem Beklagten ging es darum, den eigenen Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten. Die Erwägung, daß die von A. auszuhandelnden Servicegebühren die einzelnen Händler wegen der unterschiedlichen Margen nicht in gleicher Weise treffen würden, spielte dabei erkennbar keine Rolle.

Unter diesen Umständen bedarf es keiner Erörterung, ob das Verhalten des Beklagten bei gegebener Wettbewerbsabsicht als unlauter anzusehen wäre.

3. Soweit die Klägerin weiterhin die Unzulässigkeit des Abrechnungssystems aus einer Verletzung öffentlich-rechtlicher Bindungen herleitet, benennt sie nicht einmal eine hierfür in Betracht kommende Anspruchsgrundlage. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Öffentlich-rechtliche Beziehungen bestehen allein zwischen dem Beklagten und dem einzelnen Asylbewerber. Die Klägerin und den Beklagten verbindet hingegen keine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung. Ihr gegenüber ist der Beklagte nur an die allgemeinen Regeln gebunden, die für das Nachfrageverhalten der öffentlichen Hand im Privatrechtsverkehr gelten. Schon aus diesem Grunde scheidet hier ein auf eine besondere öffentlich-rechtliche Pflichtenbindung gegründeter Unterlassungsanspruch aus. Dies gilt in gleicher Weise dann, wenn - wie hier durch A. - der Beschaffungsvorgang durch eine zwischengeschaltete Person des Privatrechts bewirkt wird.

4. Da das Verhalten des Beklagten - jedenfalls soweit der Rechtskreis der Klägerin betroffen ist - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, bleibt die Klage - auch mit den Hilfsanträgen - ohne Erfolg.

Ende der Entscheidung

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