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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: NotZ 12/02
Rechtsgebiete: BNotO, VwGO, AO, NotVO


Vorschriften:

BNotO § 111
BNotO § 113a
BNotO § 113a Abs. 8 Satz 6
BNotO § 113a Abs. 8 Satz 6 erster Halbsatz
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO § 169 Abs. 2 Satz 2 erste Alternative
AO § 202 Abs. 1 Satz 3
NotVO § 39
NotVO § 39 Abs. 7 Satz 6
NotVO § 39 Abs. 7 Satz 6 zweiter Halbsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

NotZ 12/02

vom

2. Dezember 2002

in dem Verfahren

wegen Prüfungsanordnung

Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat am 2. Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Streck und Galke sowie die Notare Dr. Doyé und Dr. Bauer

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Senats für Notarverwaltungssachen des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. Februar 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtete Antragsgegnerin erhebt von den Notaren Abgaben entsprechend der jährlich erlassenen Abgabensatzung. Der Antragsteller war von April 1991 bis zum 5. Juli 1998 Notar im Tätigkeitsgebiet der Antragsgegnerin. Im Jahre 1992 prüfte die Antragsgegnerin die von dem Antragsteller mitgeteilten abgabepflichtigen Gebühren für die Zeit von April 1991 bis März 1992; im Juli 1998 erfolgte eine Prüfung für die Zeit von April 1991 bis Mai 1998. Am 20. September 2001 ordnete die Antragsgegnerin erneut die Prüfung des Kosten- und Abgabewesens an der ehemaligen Notarstelle des Antragstellers an. Die für den 5. bis 9. November 2001 angekündigte Revision sollte die während der gesamten Amtszeit des Antragstellers mitgeteilten abgabepflichtigen Gebühren und die diesen Beträgen zugrundeliegenden Kostenrechnungen umfassen.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Antragsteller zunächst begehrt, die Prüfungsanordnung der Antragsgegnerin vom 20. September 2001 aufzuheben. Nachdem die Prüfung stattgefunden hat, beantragt der Antragsteller festzustellen, daß die vorgenannte Prüfungsanordnung rechtswidrig gewesen sei. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der er seinen Feststellungsantrag weiterverfolgt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Feststellungsantrag des Antragstellers ist im Verfahren nach § 111 BNotO als Fortsetzungsfeststellungsantrag entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Januar 1995 - NotZ 6/93 - NJW-RR 1995, 1081, 1082 und vom 31. Juli 2000 - NotZ 12/00 - ZNotP 2000, 398, 399). Denn der Antragsteller wäre sonst in seinen Rechten beeinträchtigt, und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG könnte andernfalls leerlaufen. Durch die begehrte Feststellung werden Rechtsfragen geklärt, die sich bei künftigen Prüfungsanordnungen stellen würden. Solche behielt sich die Antragsgegnerin vor für den Fall, daß Unregelmäßigkeiten in der Art und Weise der Kostenabrechnung durch den Antragsteller bekannt würden oder das Gebot der Gleichbehandlung mit allen Notarinnen und Notaren dazu zwinge. Wegen Zeitablaufs würde es dann wahrscheinlich wiederum nicht zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung kommen.

2. Der Antrag ist unbegründet. Die Prüfungsanordnung der Antragsgegnerin vom 20. September 2001 ist nicht rechtswidrig gewesen.

Prüfungsanordnungen nach § 113a Abs. 8 Satz 6 erster Halbsatz BNotO oder nach § 39 Abs. 7 Satz 6 erster Halbsatz der - bis zum Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998 (BGBl. I S. 2585) am 8. September 1998 geltenden - Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis vom 20. Juni 1990 (GBl. I S. 475, künftig: NotVO) unterliegen einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Nach den vorgenannten, soweit hier maßgeblich, wortgleichen Bestimmungen kann die Antragsgegnerin die Erfüllung der Abgabepflicht einschließlich der zugrundeliegenden Kostenberechnung durch den Notar nachprüfen. Der Antragsgegnerin ist ein Ermessen eingeräumt, ob und in welchem Umfang sie die Erfüllung der Abgabepflicht prüft. Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Ermessensentscheidung gerichtete Antrag kann nur darauf gestützt werden, daß die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden seien oder daß von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht worden sei (§ 111 Abs. 1 Satz 3 BNotO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Diese Voraussetzung ist im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Die Prüfungsanordnung der Antragsgegnerin vom 20. September 2001 ist nicht ermessensfehlerhaft ergangen.

a) Es ist nicht als ermessensfehlerhaft zu beanstanden, daß die Antragsgegnerin am 20. September 2001 die Prüfung des Abgabe- und Kostenwesens an der (ehemaligen) Notarstelle des Antragstellers anordnete, obwohl solche Prüfungen bereits 1992 und 1998 stattgefunden hatten.

§ 113a BNotO schreibt ebenso wie § 39 NotVO einen bestimmten Prüfungsturnus nicht vor. Die Antragsgegnerin hat das ihr eingeräumte Ermessen nicht durch ermessensleitende Verwaltungsvorschriften gebunden. Bei der Ausübung des Ermessens hatte sie aber darauf zu achten, daß die Verhältnismäßigkeit zwischen der Belastung des Notars durch die Prüfung gegenüber dem Zweck der Prüfung gewahrt blieb (vgl. Senatsbeschluß vom 26. März 1973 - NotZ 1/73 - DNotZ 1974, 372 ff <zur Geschäftsprüfung der Aufsichtsbehörde gemäß § 93 BNotO>). Denn der Notar wird durch die Prüfung nicht unerheblich in Anspruch genommen. Er hat dem mit der Prüfung Beauftragten Einsicht in seine Akten, Urkunden, Verzeichnisse und Bücher zu gestatten und die erforderlichen dienstlichen Aufschlüsse zu geben (§ 113a Abs. 8 Satz 6 zweiter Halbsatz BNotO, § 39 Abs. 7 Satz 6 zweiter Halbsatz NotVO).

aa) Die Prüfungsanordnung vom 20. September 2001 war sachlich veranlaßt. Zwar hatte die Antragsgegnerin bereits im Juli 1998 die Erfüllung der Abgabepflicht in der Zeit von April 1991 bis Mai 1998, also nahezu für die gesamte Amtszeit des Antragstellers (April 1991 - 5. Juli 1998), geprüft, und zwar in der Form der sogenannten Totalprüfung. Die damalige Prüfungsanordnung litt aber - nach übereinstimmender Auffassung der Parteien im Beschwerdeverfahren - an einem Rechtsfehler. Sie war gegenüber dem Notariatsverweser, nicht aber (allein oder zusätzlich) gegenüber dem Antragsteller, dem betroffenen Notar, ergangen. In Hinsicht auf den Antragsteller lag möglicherweise eine Prüfungsanordnung überhaupt nicht vor. Die Antragsgegnerin mußte gewärtig sein, daß die Prüfungsanordnung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt und für rechtswidrig oder gar für nichtig erklärt wurde. Daraus konnte ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Prüfungsergebnisse folgen (vgl. BFHE 160, 391, 393 f = DB 1990, 1803 <zur Anordnung einer Außenprüfung nach der Abgabenordnung>; Buciek DB 1987, 1274 <zum Verwertungsverbot bei nichtigen Prüfungsanordnungen>). Unter diesen Umständen war es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerin den vom Antragsteller gegen die Prüfung im Jahre 1998 vorgebrachten Bedenken Rechnung trug und am 20. September 2001 die Wiederholung der Prüfung anordnete (vgl. BFHE 118, 459, 465; 145, 23, 25; 155, 4, 5; 156, 14, 15 f; Kuhfus/Schmitz BB 1996, 1468, 1474 <jeweils zur Wiederholung einer Außenprüfung nach der Abgabenordnung>). Daran änderte nichts, daß die Antragsgegnerin aus Gründen der Klarstellung verpflichtet gewesen sein mochte, zugleich ihre frühere Prüfungsanordnung aufzuheben, das aber unterlassen hatte.

bb) Die Prüfungsanordnung vom 20. September 2001 war nicht unzulässig, weil sie die Prüfung auch auf einen Zeitraum erstreckte, für den die regelmäßige Festsetzungsverjährung von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO analog, vgl. Senatsbeschluß vom 20. März 2000 - NotZ 1/00 und 9/00 - NJW 2000, 2431, 2432; vgl. jetzt § 18 der Abgabensatzung der Antragsgegnerin) verstrichen war. Eine Abgabenfestsetzung konnte dann - die Zulässigkeit einer Analogie zur Abgabenordnung insoweit unterstellt - nur in Betracht kommen, wenn Abgaben (vorsätzlich) "hinterzogen" worden waren und deshalb eine zehnjährige Festsetzungsfrist anzunehmen wäre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 erste Alternative AO) oder im Fall einer leichtfertigen "Abgabenverkürzung" (§ 169 Abs 2 Satz 2 zweite Alternative AO). Die Möglichkeit der Verjährung eines Abgabenanspruchs engte jedoch das Ermessen der Antragsgegnerin nicht dahin ein, daß insoweit auf eine Prüfung hätte verzichtet werden müssen. § 113a Abs. 8 Satz 6 BNotO und § 39 Abs. 7 Satz 6 NotVO kann eine solche Einschränkung nicht entnommen werden. Die Frage, ob Verjährung eingetreten ist, oder ob andere Hindernisse - wie etwa die vom Antragsteller geltend gemachte Sperrwirkung (§ 173 Abs. 2 AO analog) einer angeblichen Mitteilung entsprechend § 202 Abs. 1 Satz 3 AO - dem Erlaß eines Abgabenbescheides entgegenstehen könnten, wird sich vielfach erst dann zuverlässig beurteilen lassen, wenn der Sachverhalt durch die Prüfung geklärt ist. Es ist nicht sinnvoll, die Ermittlungstätigkeit der notariellen Abgabeprüfung mit Erwägungen zu beschweren, welche die Verwertung der erst zu findenden Ermittlungsergebnisse betreffen (vgl. BFHE 145, 5 f; 151, 326, 327 f <zur Prüfungsanordnung nach der Abgabenordnung>; vgl. hingegen Niedersächsisches FG EFG 1989, 90; FG Nürnberg EFG 1984, 592; s. auch BFHE 145, 492, 494; Klein/Rüsken, Abgabenordnung 7. Aufl. 2000 § 193 Rn. 21; Wenzig DStZ 1984, 172, 176). Das gilt insbesondere dann, wenn wie hier Zeiträume, für die Festsetzungsverjährung eingetreten sein könnte, lediglich mitgeprüft werden sollen.

cc) Die am 20. September 2001 angeordnete Wiederholung der Abgabeprüfung für die gesamte Amtszeit des Antragstellers verstieß nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Prüfung betraf die ehemalige Amtsstelle des Antragstellers. Weil er bereits aus dem Amt geschieden war, war eine Störung seines Geschäftsbetriebes nicht zu besorgen. Soweit ersichtlich war die Prüfung für den Antragsteller nur mit Schriftverkehr verbunden. Daß er eventuell aus Kanada hätte anreisen und damit erhebliche Reisekosten auf sich nehmen müssen, war Folge seiner Entscheidung, dort einen neuen Wohnsitz zu begründen.

b) Die Antragsgegnerin hatte die Berechtigung, die Prüfung des Abgabe- und Kostenwesens an der ehemaligen Notarstelle des Antragstellers anzuordnen, nicht verwirkt.

Für die Verwirkung genügt die bloße Untätigkeit für eine gewisse Zeit nicht, sondern es müssen besondere Umstände auf beiden Seiten hinzutreten, die den Schluß rechtfertigen, daß die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Die Verwirkung knüpft an einen für den Gegner geschaffenen Vertrauenstatbestand an. Sie tritt ein, wenn der Betroffene aus dem Verhalten der Gegenseite entnehmen konnte und durfte, daß sie sich endgültig abgefunden fühlt. Eine Befugnis oder Berechtigung kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie trotz Veranlassung zur Rechtsausübung längere Zeit hindurch nicht ausgeübt wurde, der Verpflichtete daraus schließen durfte, der Berechtigte werde von seinen Rechtsbefugnissen keinen Gebrauch mehr machen, und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat. Die Verwirkung setzt also ein Verhalten des Berechtigten, die Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des anderen Teils und einen gewissen Zeitablauf voraus, der zusammen mit dem Verhalten des Berechtigten geeignet war, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, daß die Befugnis oder Berechtigung nicht mehr geltend gemacht werden soll (Senatsbeschluß vom 31. Oktober 1972 - NotZ 3/72 - DNotZ 1973, 379, 380; vgl. auch BFHE 156, 14, 17). So liegt der Streitfall indes nicht. Der Antragsteller hatte bei der erneuten Prüfung in dem durch § 113a Abs. 8 Satz 6 zweiter Halbsatz BNotO bzw. § 39 Abs. 7 Satz 6 zweiter Halbsatz NotVO bestimmten Umfang mitzuwirken. Da er die Anordnung, die der Prüfung vom Juli 1998 zugrunde gelegen hatte, als rechtsfehlerhaft beanstandet hatte, konnte er nicht damit rechnen, von der Prüfung endgültig verschont zu werden (vgl. BFHE 155, 4, 6). Der Antragsteller hat Anhaltspunkte dafür, daß sich die Antragsgegnerin nach der Prüfung im Juli 1998 nachhaltig so verhalten hätte, daß er auf einen Verzicht auf weitere Prüfungsanordnungen hätte vertrauen können, nicht vorgetragen. Ein solcher Vertrauenstatbestand wurde insbesondere nicht dadurch geschaffen, daß zwischen der hier streitigen Prüfungsanordnung vom 20. September 2001 und der letzten Prüfung im Juli 1998 rund drei prüfungsfreie Jahre lagen.

Ende der Entscheidung

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