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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.2001
Aktenzeichen: RiZ (R) 3/00
Rechtsgebiete: NDO, NBG, NdsRiG, ZPO, DRiG, VwGO, GKG


Vorschriften:

NDO § 26
NBG § 54 Abs. 1 Satz 3
NdsRiG § 74
NdsRiG § 66
NdsRiG § 4 Abs. 1
NdsRiG § 78 Satz 1
NdsRiG § 79 Abs. 7
NdsRiG § 79 Abs. 2
NdsRiG § 79 Abs. 4
NdsRiG § 79 Abs. 7 Satz 1
ZPO §§ 402 f.
ZPO § 411 Abs. 3
DRiG § 80 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 98
VwGO § 154 Abs. 2
VwGO § 130 Abs. 1 Nr. 2
GKG § 14 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

RiZ (R) 3/00

vom

12. Dezember 2001

in dem Prüfungsverfahren

wegen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - hat am 12. Dezember 2001 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Erdmann, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Siol und Dr. Boetticher, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic und den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Büscher

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des Niedersächsischen Dienstgerichtshofs für Richter vom 20. September 2000 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der am geborene Antragsgegner ist am 29. Juli 1977 zum Richter am Amtsgericht ernannt worden. Er war - bis auf die Zeit einer siebenmonatigen Abordnung an das Oberlandesgericht - beim Amtsgericht mit der Bearbeitung von Zivilsachen befaßt. Mit Ablauf des Monats März 1999 ist der Antragsgegner, dem die Führung seiner Amtsgeschäfte seit Juli 1993 vorläufig untersagt war, nach Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand getreten.

Am 30. November 1992 leitete der Präsident des Amtsgerichts Vorermittlungen nach § 66 NdsRiG, § 26 NDO gegen den Antragsgegner ein, dem zur Last gelegt wurde, in mehreren Entscheidungen seine politischen und weltanschaulichen Ansichten in einer andere diskriminierenden Weise wiedergegeben zu haben, die in keinem Zusammenhang mit dem jeweiligen Gegenstand des Verfahrens gestanden hätten.

Aufgrund des Inhalts dieser Entscheidungen und der dazu abgegebenen Stellungnahme des Antragsgegners hielt es der Präsident des Amtsgerichts für geboten, dessen Dienstfähigkeit amtsärztlich überprüfen zu lassen. Er wies den Antragsgegner an, sich einer entsprechenden Untersuchung durch den Amtsarzt zu unterziehen und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Verfügung an. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel des Antragsgegners hatten keinen Erfolg.

Der Amtsarzt Medizinaldirektor Dr. G. , ein Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie, kam in seinem Gutachten vom 13. April 1993, das auf eigenen Untersuchungen sowie einer von der Diplom-Psychologin H. vorgenommenen psychologischen Zusatzbegutachtung beruhte, zu dem Ergebnis, daß der Antragsgegner aufgrund einer schwerwiegenden schizoiden Persönlichkeitsstörung dienstunfähig sei.

Durch Beschluß vom 16. Juni 1993 untersagte das Niedersächsische Dienstgericht für Richter dem Antragsgegner vorläufig die Führung seiner Amtsgeschäfte; die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Nachdem auch die nach § 79 Abs. 4 NdsRiG bestellte Untersuchungsführerin zu dem Ergebnis gelangt war, daß der Antragsgegner dienstunfähig sei, hat der Antragsteller am 10. September 1993 beim Niedersächsischen Dienstgericht für Richter gemäß §§ 78 Satz 1, 79 Abs. 7 Satz 1 NdsRiG das Prüfungsverfahren eingeleitet und beantragt,

die Zulässigkeit der Versetzung des Richters am Amtsgericht B. in den Ruhestand festzustellen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, das Verwaltungsverfahren sei aus verschiedenen Gründen fehlerhaft, die Sachverständigengutachten seien auf rechtswidrige Art und Weise zustandegekommen und daher unverwertbar, da es ungesetzlich sei, im Verwaltungswege ein amtsärztliches Gutachten einzuholen; im übrigen sei er dienstfähig.

Das Dienstgericht hat die beiden Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung geladen und zur Erörterung ihrer Gutachten gehört. Dem hat der Antragsgegner unter anderem mit der Begründung widersprochen, er fechte die von ihm abgegebene Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht wegen Drohung an und widerrufe sie hilfsweise.

Das Dienstgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 1994 die Zulässigkeit der Versetzung des Antragsgegners in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit festgestellt und mit Beschluß vom selben Tage die Einbehaltung des das Ruhegehalt übersteigenden Teils der Dienstbezüge für zulässig erklärt. In den Urteilsgründen hat das Dienstgericht dargelegt, daß die zur Dienstunfähigkeit führende Erkrankung durch die überzeugenden Sachverständigengutachten belegt sei, deren Verwertung keinen rechtlichen Bedenken begegne. Danach leide der Antragsgegner an einer schwerwiegenden schizoiden Persönlichkeitsstörung, die mit einem Verlust an Selbstkritik verbunden sei und es ihm unmöglich mache, sich in die Psyche anderer Menschen hineinzuversetzen. Die Erkrankung bewirke, daß er nicht in der Lage sei, private und dienstliche Vorstellungen voneinander zu trennen, und deswegen in nicht mehr vertretbarer Weise Überlegungen in seine Entscheidungsbegründungen einfließen lasse, die mit der Entscheidung in keinem vernünftigen Zusammenhang stünden. Die Krankheit verschlimmere sich mit zunehmendem Lebensalter und sei nicht zu behandeln. Auch in der Verhandlung vor dem Dienstgericht habe sich gezeigt, daß dem Antragsgegner jede Krankheitseinsicht fehle. Schließlich bestätige die Durchsicht der zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Akten mit Entscheidungen des Antragsgegners die Schlußfolgerungen der Sachverständigen und belege das Ausmaß der Erkrankung.

Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner fristgerecht Berufung eingelegt. In seiner Berufungsbegründung hat er im wesentlichen seinen Vortrag, insbesondere hinsichtlich der Verwertung der beiden Sachverständigengutachten, wiederholt und zudem das Verfahren des Dienstgerichts beanstandet.

Nachdem mit fortschreitendem Verfahren Zweifel an der Prozeßfähigkeit des Antragsgegner entstanden sind, hat das Amtsgericht Hannover durch Beschluß vom 26. Januar 1999 - 61 XVIII B 1588 - die bereits bestehende Betreuung auf den Aufgabenkreis der Vertretung im dienstgerichtlichen Verfahren erweitert und insoweit den Richter am Landgericht Dr. L. als Betreuer eingesetzt (§ 79 Abs. 2 Satz 4 NdsRiG).

Der Niedersächsische Dienstgerichtshof für Richter hat die Berufung des Antragsgegners nach mündlicher Verhandlung, in der sowohl der Antragsgegner als auch sein Betreuer anwesend waren, durch Urteil vom 20. September 2000 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt: Soweit das erstinstanzliche Verfahren Mängel aufweise, habe der Senat von der Möglichkeit einer Zurückverweisung nach § 74 NdsRiG, § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht, da im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer eine abschließende Entscheidung durch das Berufungsgericht geboten sei. In der Sache weise das angefochtene Urteil keine Mängel auf. Das Dienstgericht habe die Ergebnisse der Sachverständigengutachten uneingeschränkt verwerten können, da die Begutachtung auf einer Anordnung des Präsidenten des Amtsgerichts nach § 4 Abs. 1 NdsRiG, § 54 Abs. 1 Satz 3 NBG beruhe, so daß der Sachverständige im gerichtlichen Prüfungsverfahren nach § 79 Abs. 7 NdsRiG nicht der Schweigepflicht unterliege. Die Überzeugung vom Vorliegen einer schwerwiegenden schizoiden Persönlichkeitsstörung werde bestärkt durch die im Urteil des Dienstgerichts erörterten Entscheidungen des Antragsgegners sowie dessen in den anschließenden Dienstaufsichtsverfahren abgegebenen Erklärungen. Anzeichen der Erkrankung hätten sich ferner in schriftlichen Äußerungen des Antragsgegners zu Entscheidungen des Landgerichts, mit denen seine Urteile abgeändert worden seien, gezeigt; Belege für den auch nach Erreichen des Ruhestandsalters andauernden, fortschreitenden Krankheitsverlauf ergäben sich aus seinen zahlreichen, bei den dienstgerichtlichen Verfahrensakten befindlichen Schreiben und Schriftsätzen.

Gegen dieses Urteil hat der Betreuer des Antragsgegners Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung formellen Rechts und beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Revision des Antragsgegners zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Revisionsbegründung vom 11. Oktober 2000 und die Revisionserwiderung vom 21. Februar 2001 Bezug genommen.

Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Betreuer konnte diese Erklärung rechtswirksam abgeben, da das Amtsgericht Hannover die Betreuung des Antragsgegners durch ihn für das Revisionsverfahren vor dem Dienstgericht des Bundes aufrechterhalten hat (Beschlüsse vom 14. und 26. Februar 2001 - 61 XVIII B 1588).

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Antragsgegners ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Ohne Erfolg rügt der Antragsgegner, das Berufungsgericht habe ihn zu Unrecht seit Herbst 1996 als prozeßunfähig angesehen, wodurch er in mehrfacher Hinsicht in seinen Rechten verletzt worden sei: zum einen seien die von ihm selbst eingelegten Beschwerden gegen die Beschlüsse des Dienstgerichtshofs vom 28. Oktober 1996 (Entscheidung über die Befangenheitsgesuche gegen die Sachverständigen Dr. G. und H. ) und vom 14. November 1996 (Zurückweisung eines Antrags auf Protokollberichtigung) als unzulässig verworfen worden; zum anderen habe er in der mündlichen Verhandlung keine eigenen, aus seiner Sicht für eine Rechtsverfolgung notwendigen Anträge stellen können und schließlich habe der Vorsitzende Richter am Landgericht D. an der Entscheidung mitgewirkt, obwohl er diesen bereits vor der Verhandlung wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe.

Die Annahme des Dienstgerichtshofs, der Antragsgegner sei - auch zum Zeitpunkt der angesprochenen Prozeßerklärungen - prozeßunfähig, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie basiert auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Insbesondere wird sie durch die vom Dienstgerichtshof beziehungsweise vom Amtsgericht Hannover im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten gestützt. Danach leidet der Antragsgegner an einer schwerwiegenden schizoiden Persönlichkeitsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung mit narzißtischen und paranoiden Zügen (Gutachten Dr. G. vom 23. April 1997); bei ihm ist eine querulatorische Entwicklung mit paranoiden Zügen festzustellen (Gutachten O. vom 25. November 1998).

Diese Diagnose ist aufgrund des Inhalts der zahlreichen vom Antragsgegner im Rahmen dieses Verfahrens verfaßten Schriftsätze nachvollziehbar. Aus diesen wird deutlich, daß der Antragsgegner, soweit es um seine Dienstfähigkeitsbeurteilung im weitesten Sinne geht, ein Verhalten an den Tag legt, welches für Fälle krankhafter Querulanz kennzeichnend ist.

Damit war in der mündlichen Verhandlung vor dem Dienstgerichtshof nicht mehr der Antragsgegner, sondern nur noch der ihm gemäß § 79 Abs. 2 NdsRiG bestellte Betreuer zur Antragstellung berechtigt.

2. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist es nicht verfahrensfehlerhaft, daß der Dienstgerichtshof die Sachverständigen Dr. G. und H. nicht persönlich zur Frage der Dienstfähigkeit angehört, sondern die von ihnen erstatteten schriftlichen Gutachten verwertet hat. Diese Verfahrensweise entspricht der gesetzlichen Regelung über den Sachverständigenbeweis, § 98 VwGO, §§ 402 f. ZPO. Nach § 411 Abs. 3 ZPO muß das Gericht den Sachverständigen nur dann zur mündlichen Verhandlung laden, wenn dessen Vernehmung zur Erläuterung des Gutachtens, zur Klärung von Zweifeln - auch hinsichtlich der Sachkunde - oder zur Beseitigung von Unklarheiten unumgänglich ist; ebenso, wenn ein Beteiligter einen entsprechenden Antrag stellt, weil er dem Sachverständigen Fragen stellen will (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 12. Aufl., § 98 Rdnr. 16). Für den Dienstgerichtshof bestanden, wie in dem angefochtenen Urteil ausführlich dargetan wird, keine Anhaltspunkte, die Feststellungen der Sachverständigen oder deren Sachkunde in Zweifel zu ziehen oder die Gutachten aus anderen Gründen nicht zu verwerten. Der Dienstgerichtshof hat sich vielmehr nach Würdigung weiterer Beweisanzeichen der Einschätzung der Gutachter aufgrund eigener Überzeugung angeschlossen.

Im übrigen hat auch der Betreuer eine Ladung der Sachverständigen nicht beantragt.

3. Schließlich ist entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zu beanstanden, daß der Dienstgerichtshof für seine Überzeugungsbildung nur eine Auswahl der vom Antragsgegner verfaßten Entscheidungen und anderer von ihm stammender Schriftstücke herangezogen hat. Durch diese Verfahrensweise hat das Berufungsgericht nicht etwa gegen die Pflicht zur erschöpfenden Klärung des Sachverhalts verstoßen (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 74 NdsRiG), denn für die Beurteilung der Dienstfähigkeit kommt es nicht darauf an, ob der Antragsgegner in einem bestimmten Zeitraum neben den Auffälligkeiten aufweisenden Entscheidungen auch solche getroffen hat, die in keiner Weise zu beanstanden sind.

4. Die Revision des Antragsgegners war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren entsprechend § 13 Abs. 4 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 58.990,00 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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