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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.09.2009
Aktenzeichen: StB 44/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 22
StGB § 23
StGB § 129 Abs. 1
StGB § 129a
StGB § 129b
StGB § 239a Abs. 1
StGB § 253
StGB § 255
StPO § 55
StPO § 70 Abs. 1
StPO § 304 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 4. September 2009

gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Zeugen Co. wird der Beschluss des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 27. August 2009 aufgehoben, soweit gegen ihn Beugehaft bis zu einer Höchstdauer von zwei Monaten angeordnet worden ist.

Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

Die weitergehende Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Von den notwendigen Auslagen des Zeugen im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse die Hälfte.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Koblenz vom 28. November 2008 wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, weil er als hauptamtlicher Kader der "Arbeiterpartei Kurdistans" (im Folgenden: PKK) in der Zeit von Juni 2005 bis Juni 2006 das Gebiet Darmstadt leitete und sich dadurch als Mitglied an der aus dem führenden Funktionärskörper der Organisation in Deutschland bestehenden kriminellen Vereinigung beteiligte. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.

Gegenstand der derzeit vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main stattfindenden Hauptverhandlung gegen die Angeklagten M. und C. ist zum einen der Vorwurf, der Angeklagte M. habe sich als Leiter der PKK-Gebiete Nürnberg, Mainz, Darmstadt und Berlin von Juli 2004 bis zu seiner Festnahme am 26. März 2008 als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligt. Zum anderen sollen der Angeklagte C. und zwei weitere hochrangige Jugendkader der PKK im März 2007 in Darmstadt den als abtrünnig angesehenen Aktivisten A. in "Parteihaft" genommen haben, um gegen diesen unter Androhung körperlicher Gewalt eine unberechtigte Geldforderung für die Organisation durchzusetzen (§ 239 a Abs. 1, §§ 253, 255, 22, 23 StGB); dadurch soll C. zugleich die kriminelle Vereinigung unterstützt haben (§ 129 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte M. soll zu dieser konkreten Tat Beihilfe geleistet haben.

Mit Beweisantrag vom 25. Juni 2009 hat der Generalbundesanwalt die Vernehmung des Beschwerdeführers als Zeugen beantragt. Mit Beschluss vom 26. August 2009 hat das Oberlandesgericht entschieden, der Beschwerdeführer sei nach § 55 StPO berechtigt, die Auskunft auf mehrere Fragen zu dem mutmaßlichen Tatopfer A. zu verweigern. Jedoch hat der Vorsitzende in der Hauptverhandlung dem Beschwerdeführer am 26. und erneut am 27. August 2009 die Frage gestellt, ob der Angeklagte M. als hauptamtlicher Kader unter dem Decknamen D. von Juli 2005 bis Juni 2006 das PKK-Gebiet Mainz leitete und anschließend als Nachfolger des Beschwerdeführers als Leiter des PKK-Gebiets Darmstadt tätig war. Der Beschwerdeführer hat auch die Beantwortung dieser Frage unter Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StGB verweigert. Mit Beschluss vom 27. August 2009 hat das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer die durch seine Zeugnisverweigerung entstandenen Kosten auferlegt, zur Erzwingung des Zeugnisses gegen ihn Ordnungsgeld in Höhe von 250 EUR, ersatzweise für je 50 EUR einen Tag Ordnungshaft, verhängt sowie zur Erzwingung des Zeugnisses Beugehaft bis zu einer Höchstdauer von zwei Monaten angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Zeugen stehe insoweit ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO nicht zu. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Zeugen, der das Oberlandesgericht nicht abgeholfen hat.

II.

1.

Die Beschwerde ist nur zulässig, soweit sie sich gegen die Anordnung der Beugehaft richtet.

Soweit sich der Zeuge gegen die Auferlegung der Kosten sowie die Verhängung des Ordnungsgeldes, ersatzweise der Ordnungshaft, wendet, ist das Rechtsmittel unstatthaft. Ein in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO geregelter Fall, in dem ausnahmsweise die Beschwerde gegen einen Beschluss des im ersten Rechtszug zuständigen Oberlandesgerichts zulässig ist, liegt insoweit nicht vor. Im Gegensatz zur Anordnung von Beugehaft ist die Verhängung von Ersatzordnungshaft keine Verhaftung im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO, weil diese lediglich für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, sofort festgesetzt wird (§ 70 Abs. 1 Satz 2 StPO). Sie hat daher keine Verhaftung zum Inhalt, sondern eine an die Bedingung der Nichtbeitreibbarkeit des Ordnungsgeldes anknüpfende Entscheidung (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschl. vom 4. August 2009 - StB 32/09 m. w. N.).

2.

Die gegen die Anordnung der Beugehaft gerichtete Beschwerde ist begründet; denn die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 und 2 StPO liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer hat das Zeugnis nicht ohne gesetzlichen Grund verweigert; ihm steht hinsichtlich der nicht beantworteten Frage ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu.

a)

Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die - nach der Beurteilung durch das Gericht - geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken. Bloße Vermutungen ohne Tatsachengrundlage oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen für die Annahme einer Verfolgungsgefahr nicht aus (vgl. BGH NJW 1994, 2839 ; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 55 Rdn. 7). Eine das Recht zur Auskunftsverweigerung begründende Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO besteht grundsätzlich dann nicht mehr, wenn gegen den Zeugen hinsichtlich der Tat, deren Begehung er sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage verdächtig machen könnte, bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, die Strafklage daher verbraucht ist, oder die Straftat verjährt wäre und deswegen zweifelsfrei ausgeschlossen ist, dass er für diese noch verfolgt werden könnte (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 8 m. w. N.).

Hinsichtlich des Strafklageverbrauchs gelten im Bereich der Organisationsdelikte allerdings grundlegende Besonderheiten: Danach werden im Vergleich zu §§ 129, 129 a, 129 b StGB schwerere Straftaten, die mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung in Tateinheit stehen, dann nicht von der Rechtskraft eines allein wegen dieser Beteiligung ergangenen Urteils erfasst, wenn sie in dem früheren Verfahren tatsächlich nicht - auch nicht als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt - Gegenstand der Anklage und der Urteilsfindung waren (BGHSt 29, 288). Daher ist ein wegen eines Organisationsdelikts Verurteilter durch die Rechtskraft des früheren Urteils nur vor weiterer Strafverfolgung wegen dieses Delikts und tateinheitlich mit diesem zusammentreffender weiterer, nicht schwerer wiegender Straftaten geschützt (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2002, 607, 608).

b)

Danach erfasst die Rechtskraft des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Urteils vom 28. November 2008 seine etwaige Beteiligung an der konkreten Straftat zum Nachteil des Zeugen A. nicht. Nach der Begründung des Beweisantrags des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2009 spricht das Ergebnis von bisher in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht erhobenen Beweisen dafür, dass der Zeuge A. den Beschwerdeführer am Tag vor der den Angeklagten M. und C. angelasteten Tat in Darmstadt getroffen und ihm von seinem Entschluss erzählt hat, aus der Jugendorganisation der PKK auszusteigen. Im Oktober 2007 sei es zu einem weiteren Zusammentreffen in Zwingenberg gekommen, bei dem der Beschwerdeführer den Sachverhalt bzw. die Probleme des Zeugen A. mit der Jugendorganisation thematisiert und ihm geraten habe, die Sache aus der Welt zu schaffen, da es sonst kein gutes Ende nehme. Zwischen dem Beschwerdeführer und dem Angeklagten M. habe ein enger Kontakt bestanden; dieser werde etwa durch die in der Anklageschrift bezeichneten Telefonate belegt. Unter Hinweis auf diese Umstände hat das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 26. August 2009 ausgeführt, es bestehe "die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass der Zeuge Co. die Disziplinierungsmaßnahme gegen den Zeugen A. angeregt oder die für diese Maßnahme unmittelbar verantwortlichen PKK-Kader zumindest in ihrem Tatentschluss bestärkt" habe. Diese Einschätzung der Beweislage durch das Oberlandesgericht und den Generalbundesanwalt hat der Senat, der an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat und deshalb die aktuelle Beweissituation nicht kennt, hinzunehmen (vgl. BGH, Beschl. vom 4. August 2009 - StB 32/09). Danach liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Beschwerdeführers an der den Angeklagten vorgeworfenen Tat vor.

Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass sich der Beschwerdeführer durch die wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage nach dem Decknamen und den Funktionen des Angeklagten M. innerhalb der PKK in Bezug auf die Straftat zum Nachteil des Zeugen A. selbst belasten würde; denn dem Angeklagten M. wird gerade auch die Beteiligung an dieser Straftat vorgeworfen und die Offenbarung von Parteiinterna zu dessen Person könnte den Beschwerdeführer in dessen Nähe rücken. Seine Angaben können deshalb zumindest im Rahmen einer mosaikartigen Beweisführung (vgl. BGH NJW 1999, 1413 ) für die Begründung bzw. Erhärtung eines Verdachts hinsichtlich seiner Mitwirkung an dieser Tat Bedeutung gewinnen.

3.

Mit dieser Entscheidung in der Hauptsache ist auch das Rechtsmittel des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts erledigt, die Vollziehung der angeordneten Beugehaft nicht gemäß § 307 Abs. 2 StPO auszusetzen.



Ende der Entscheidung

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