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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.10.1997
Aktenzeichen: StB 9/97
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 70 Abs. 2 | |
StPO § 304 Abs. 5 |
Die Ablehnung der Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 StPO durch den Ermittlungsrichter eines Oberlandesgerichts (oder des Bundesgerichtshofs) unterliegt nicht der Anfechtung nach § 304 Abs. 5 StPO (im Anschluß an BGHSt 36, 192).
BGH, Beschluß vom 9. Oktober 1997 - StB 9/97 - Thüringer Oberlandesgericht
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des betroffenen Zeugen am 9. Oktober 1997 beschlossen
Die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß des Thüringer Oberlandesgericht vom 14. April 1997 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und etwaige dem Zeugen E. im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandene notwendige Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft beim Kammergericht führt gegen die Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Sie stehen im Verdacht unter dem Decknamen "M. " und "S. " als sogenannte inoffizielle Mitarbeiterinnen für die Abteilung II der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR von 1987 an nachrichtendienstlich gegen die Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen zu sein. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft sollte der Zeuge E. durch den Ermittlungsrichter des Thüringer Oberlandesgerichts zur weiteren Sachaufklärung vernommen werden. Der Zeuge ist seinerseits verdächtig, von November 1982 bis zur sogenannten Wende als operativer Mitarbeiter des Referrats 1 der Abteilung II der HVA inoffizielle Mitarbeiter im Bundesgebiet geführt zu haben. Jedoch hat der Generalbundesanwalt das deswegen gegen den Zeugen geführte Ermittlungsverfahren unter Berücksichtigung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zur Strafverfolgung von hauptamtlichen Mitarbeitern der DDR-Geheimdienste wegen Landesverrats und geheimdienstlicher Agententätigkeit (BVerfGE 92, 277) durch Verfügung vom 7. August 1995 gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO eingestellt. Ebenso wie bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung weigerte sich der Zeuge E. im richterlichen Vernehmungstermin vom 14. August 1996, Angaben zur Sache zu machen. Zur Begründung berief er sich auf ein "Aussageverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO", weil die Einstellungsverfügung vom 7. August 1995 seine Tätigkeit beim MfS nicht erschöpfe und er bei einer Aussage zur Sache in die Gefahr der Strafverfolgung geraten könne. Den daraufhin gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, gegen den Zeugen ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, festzusetzen und zur Erzwingung der Zeugenaussage Beugehaft anzuordnen, lehnte der Ermittlungsrichter des Thüringer Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 28. November 1996 ab: er hielt die Aussageverweigerung nach § 55 StPO für gerechtfertigt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft verwarf das Thüringer Oberlandesgericht als unzulässig, weil seiner Meinung nach ein Fall ausnahmsweise gegebener Anfechtbarkeit nach § 304 Abs. 5, § 169 Abs. 1 StPO nicht vorliegt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft, unterstützt vom Generalbundesanwalt, mit der weiteren Beschwerde.
Das Rechtsmittel ist unzulässig.
Die Ablehnung der Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 StPO durch den Ermittlungsrichter eines Oberlandesgerichts (oder des Bundesgerichtshofs) unterliegt nicht der Anfechtung nach § 304 Abs. 5 StPO. Demzufolge ist außer der Beschwerde auch die weitere Beschwerde ausgeschlossen. Auf sich beruhen kann daher, ob die Unzulässigkeit der weiteren Beschwerde auch unmittelbar aus § 310 StPO abzuleiten ist.
Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung in BGHSt 36, 192 in Abweichung von seiner früheren Rechtsauffassung (BGHSt 30, 52) im einzelnen dargelegt, daß gegen einen Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs, mit dem dieser die Erzwingungshaft gegen einen Zeugen anordnet, die Beschwerde nach dem Ausnahmenkatalog in § 304 Abs. 5 StPO zulässig ist. Daran hält der Senat fest. Gleiches gilt für die Anfechtbarkeit einer entsprechenden Maßnahme des Ermittlungsrichters eines Oberlandesgerichts. Maßgebend für die Auffassung des Senats, daß die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 StPO eine "Verhaftung" im Sinne des § 304 Abs. 5 StPO betrifft, war in erster Linie das verfassungsrechtlich begründete Gebot, Vorschriften, die - wie § 304 Abs. 5 StPO - das gerichtliche Verfahren einer Freiheitsbeschränkung regeln, so auszulegen, daß dadurch im Ergebnis der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) Rechnung getragen wird. Darüber hinaus erfordert es auch die innere Systematik der Regelung in § 304 Abs. 5 StPO, die Anfechtbarkeit auf einen bis zur Dauer von sechs Monaten zulässigen Freiheitsentzug durch Erzwingungshaft zu erstrecken, wenn dieselbe Vorschrift die minder einschneidenden Eingriffe in Eigentum und Besitz durch Durchsuchung und Beschlagnahme für beschwerdefähig erklärt (BGHSt 36, 192, 195/196). Dessen ungeachtet hat der Senat jedoch stets an dem Grundsatz festgehalten, daß die Vorschrift des § 304 Abs. 5 StPO wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen ist (vgl. BGHSt 30, 32, 33; 32, 365, 366; 34, 34, 35; 36, 192, 195; 37, 347, 348). So hat er insbesondere schon in jener Entscheidung klargestellt, daß die für die Anordnung von Erzwingungshaft geltende Beschwerdefähigkeit nicht auf die Festsetzung von Ersatzordnungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1 Satz 2, § 161 a Abs. 2, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO, Art. 6 Abs. 2, Art. 8 EGStGB) und die Anordnung eines Ordnungsgelds zu erstrecken ist (vgl. BGHSt 36, 192, 197; BGH NStZ 1994, 198). Eine erweiternde Anwendung des § 304 Abs. 5 StPO, die die Gleichstellung der Anordnung der Erzwingungshaft mit der in der Vorschrift genannten "Verhaftung" - gemessen an der Entstehungsgeschichte der Regelung (vgl. dazu BGHSt 30, 52, 53/54) - bedeutet, kommt wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nur dann in Betracht, wenn dies aus verfassungsrechtlichen Gründen und/oder nach dem Regelungszweck unausweichlich gefordert ist. Solche Gründe liegen zwar vor, wenn es um die Anfechtbarkeit der Anordnung der Erzwingungshaft geht. Sie fehlen jedoch im zu entscheidenden Fall der Ablehnung der Erzwingungshaft. Eine erhöhte Schutzbedürftigkeit des jeweils Betroffenen, die letztlich Grund für die Durchbrechung des Grundsatzes der Unanfechtbarkeit in § 304 Abs. 5 StPO ist (vgl. BT-Drucks. V/4086, S. 11; Ellersiek, Die Beschwerde im Strafprozeß, 1981, S. 119), ist nicht gegeben; in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter wird gerade nicht eingegriffen. Zwar führt die Beschränkung der Anfechtbarkeit auf die Anordnung der Erzwingungshaft zu unterschiedlichen Rechtsmittelmöglichkeiten für den betroffenen Zeugen und die Staatsanwaltschaft. Auch trifft es zu, daß außer den in § 304 Abs. 5 StPO ausdrücklich genannten Maßnahmen auch deren Ablehnung in der Rechtsprechung des Senats - in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung zur entsprechenden Frage bei der weiteren Beschwerde nach § 310 StPO - für anfechtbar gehalten wird (vgl. BGHSt 37, 347, 348; 36, 396, 398; ferner OLG Stuttgart JR 1967, 431; OLG Köln StV 1994, 323; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 310 Rdn. 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 310 Rdn. 8; a.A. OLG Braunschweig JR 1965, 473 m. abl. Anm. Kleinknecht; Renzikowski/Günther in AK-StPO 1996 § 310 Rdn. 31; Ellersiek aaO S. 99). Jedoch läßt sich aus den Regelungen der Strafprozeßordnung kein ausnahmslos durchgehaltener Verfahrensgrundsatz ableiten, der in jedem Fall gleiche Anfechtungsmöglichkeiten für alle Verfahrensbeteiligten verlangen würde (vgl. Renzikowski/Günther aaO). Unterschiedliche Möglichkeiten der Anfechtung für die Verfahrensbeteiligten bedürfen freilich sachlicher Rechtfertigung. Sie ist hier gegeben. Anders als bei den in § 304 Abs. 5 StPO genannten Maßnahmen geht es nämlich bei der Anfechtbarkeit der Erzwingungshaft um eine erweiternde Anwendung dieser Vorschrift und damit zugleich um die Einhaltung des gegenläufigen Prinzips, eine solche erweiternde Anwendung wegen des Ausnahmecharakters der Norm nur insoweit zuzulassen, als zwingende Gründe dafür sprechen. Bei der Ablehnung der Erzwingungshaft fehlen - wie dargelegt - solche Gründe nicht nur. Vielmehr könnte die Zulassung der Anfechtbarkeit zu Ergebnissen führen, die nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht unbedenklich erscheinen. Mit Ordnungsgeld sowie Ordnungshaft einerseits und mit Erzwingungshaft andererseits werden zwar unterschiedliche Zwecke verfolgt. Nach dem Grad der Intensität des Eingriffs sind sie jedoch vergleichbar mit dem Ergebnis, daß das Beschwerdegericht bei Anfechtbarkeit der Ablehnung der Erzwingungshaft auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft in die Lage versetzt wäre, unter Umständen den schwerwiegenderen Eingriff der Erzwingungshaft anzuordnen, obwohl die minder einschneidenden Ordnungsmittel infolge der insoweit unanfechtbaren Ablehnung durch den Ermittlungsrichter ausgeschlossen sind.
Ende der Entscheidung
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