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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.10.1999
Aktenzeichen: StB 9/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 304 Abs. 5 | |
StPO § 98 Abs. 2 | |
StPO § 94 Abs. 1 | |
StPO § 304 Abs. 1 | |
StGB § 129a Abs. 1 | |
StGB § 103 | |
StGB § 105 Abs. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
2 BJs 20/97 - 2 StB 9/99
vom
15. Oktober 1999
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung;
hier: Beschwerde des Betroffenen Sch. gegen die Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 1999 gemäß § 304 Abs. 5 StPO
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Betroffenen Sch. vom 6. August 1999 gegen den Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 1999 - 1 BGs 85/99 - wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Der Generalbundesanwalt führt gegen die Beschuldigten Be. , V. , S. , W. u.a. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 StGB), die sich auf Dauer zusammengeschlossen haben soll, um die "Castor"-Transporte der Deutschen Bahn AG durch militante Aktionen (Hakenkrallenanschläge, Schienensägereien und andere Formen des militanten Widerstandes) zu unterbinden. Die Beschuldigten sollen zu den Führungskadern "Autonomer Gruppen" für den Bereich B. gehören und in dieser Funktion an der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen auf den Bahnverkehr in der Nacht zum 7. Oktober 1996 beteiligt gewesen sein. Die Beschuldigten und weitere Personen, u.a. der Beschwerdeführer, leben in einer Wohngemeinschaft, die mehrere Stockwerke des Hauses M. straße 109 in B. nutzt.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluß vom 10. Juni 1999 - 1 BGs 85/99 - die Durchsuchung der Wohnungen der Beschuldigten Be. , V. , S. , W. und von Mitbewohnern, u.a. des betroffenen Beschwerdeführers, in der M. straße 109, B. , jeweils mit den dazugehörigen Nebenräumen sowie der Beschuldigten selbst und der ihnen gehörenden Sachen einschließlich der von den Beschuldigten und von den Betroffenen genutzten Kraftfahrzeuge angeordnet. Weiterhin hat er die Beschlagnahme von sogenannten Hakenkrallen sowie von Gegenständen, die zur Anfertigung von Hakenkrallen dienen können, insbesondere Baustahl, Werkzeugen zum Biegen von Stahl, Plastikrohren (HT-Rohren), Schraubstöcken, Angelschnurrollen sowie von schriftlichen Unterlagen über die Planung und Ausführung der Taten sowie über Verbindungen zu anderen Tätern, von Schriften und Plakaten, die sich auf den Castor-Transport u.a. beziehen, sowie von Textverarbeitungssystemen, Druckern, Datenträgern und Schreibmaschinen verfügt. Die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführeres Sch. fand zeitgleich mit den weiteren Durchsuchungen am 6. Juli 1999 statt. In seinen Wohnräumen wurden mehrere Gegenstände, u.a. sieben Blatt mit Hakenkrallenbezug (Kopien) sowie eine Diskette 3 1/2 Zoll "Schützi" beschlagnahmt. Mit Beschluß vom 13. August 1999 - 1 BGs 136/99 - hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Beschlagnahme bestätigt.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß vom 10. Juni 1999 und beantragt, diesen Beschluß aufzuheben. Dazu trägt er vor, der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß sei rechtswidrig, weil er den Tatverdacht gegen die Beschuldigten nur schlagwortartig bezeichne und keine ausreichenden tatsächlichen Angaben zum Tatverdacht enthalte. Wegen der nur vage dargestellten Verdachtsmomente und der Schwere der Eingriffe in seine Grundrechte verstoße der Beschluß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beschwerde sei zulässig, da die im Beschluß angeordnete Durchsuchung noch nicht beendet sei.
II.
Die Beschwerde ist gegenstandslos, soweit sie die Beschlagnahmeanordnung betrifft, im übrigen zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist gegenstandslos geworden, soweit sie sich gegen die gleichzeitig mit der Durchsuchungsanordnung ergangene allgemeine Beschlagnahmeanordnung in dem Beschluß vom 10. Juni 1999 - 1 BGs 85/99 - richtet. Denn der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluß vom 13. August 1999 - 1 BGs 136/99 - gemäß §§ 94 Abs. 1 und 2, 98 Abs. 1 Satz 1, 98 Abs. 2 StPO die Beschlagnahme der Gegenstände bestätigt, gegen deren Sicherstellung der Betroffene Widerspruch erhoben hatte. Dadurch wurde die Beschlagnahmeanordnung in dem angefochtenen Beschluß auf die tatsächlich beschlagnahmten Gegenstände konkretisiert. Da somit der Beschlagnahmebestätigungsbeschluß gegenüber der ursprünglichen Beschlagnahmeanordnung im Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß vom 10. Juni 1999 spezieller ist (Nack in KK 4. Aufl. § 98 Rdn. 2 a.E.), hat sich die Beschlagnahmeanordnung im Beschluß vom 10. Juni 1999 durch den Fortgang des Verfahrens erledigt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Vor § 296 Rdn. 17).
Eine Umdeutung der prozessual überholten Beschwerde gegen die Beschlagnahmeanordnung im Beschluß vom 10. Juni 1999 in eine Beschwerde gegen die richterliche Beschlagnahmebestätigung im Beschluß vom 13. August 1999 ist nicht möglich. Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde war nämlich die richterliche Beschlagnahmebestätigung noch nicht existent. Gemäß § 304 Abs. 1 StPO ist aber eine Beschwerde nur gegen eine im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung bereits erlassene Entscheidung statthaft.
Ein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessual überholten Beschlagnahmeanordnung im Beschluß vom 10. Juni 1999 (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. Vor § 296 Rdn. 18, 18 a) besteht schon deshalb nicht, weil dieser die Möglichkeit hat, gegen die Beschlagnahmebestätigung vom 13. August 1999 Beschwerde einzulegen und dadurch die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme überprüfen zu lassen.
2. Die Beschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen gestattenden Teil des Beschlusses vom 10. Juni 1999 wendet. Auch wenn die Durchsuchung tatsächlich erledigt sein sollte, ist die Zulässigkeit der Beschwerde wegen der mit der Wohnungsdurchsuchung verbundenen tiefgreifenden Eingriffe in die Grundrechte des Beschwerdeführers und der Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu bejahen (BVerfGE 96, 27 = NJW 1997, 2163). In der Sache bleibt die Beschwerde aber ohne Erfolg.
3. Die gegen den Beschwerdeführer gerichtete Durchsuchungsanordnung im Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 1999 ist rechtmäßig. Sie entspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen, trägt einer angemessenen Beschränkung der Zwangsmaßnahme entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1994, 3281; NStZ 1999, 414) Rechnung und beachtet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
a) Das den Beschuldigten im Sinne eines Anfangsverdachts zur Last gelegte strafbare Verhalten ist im Beschluß vom 10. Juni 1999 rechtlich als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 a Abs. 1 StGB bezeichnet. Die tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Tatverdacht gegen die Beschuldigten ergibt, sind ausreichend dargestellt. In dem angefochtenen Beschluß ist entsprechend dem damaligen Erkenntnisstand geschildert, daß aufgrund von Selbstbezichtigungsschreiben die Anschläge auf die Deutsche Bahn AG in der Nacht zum 7. Oktober 1996 "Autonomen Gruppen" zuzurechnen sind. In ihm findet sich auch der Hinweis auf die im Sinne eines Anfangsverdachts angenommene Beteiligung der Beschuldigten an den Anschlägen als Mitglieder der Führungskader der "Autonomen Gruppen", durch die nach den durchgeführten Ermittlungen die Anschläge vorbereitet, koordiniert und durchgeführt wurden.
b) Die Durchsuchungsanordnung im angefochtenen Beschluß enthält alle gemäß §§ 103, 105 Abs. 1 StGB erforderlichen Angaben (Nack in KK 4. Aufl. § 103 Rdn. 6).
Es lagen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, daß sich auch in den von dem Beschwerdeführer genutzten Räumen Gegenstände befinden, die als Beweismittel im Verfahren in Betracht kommen können. Der Beschwerdeführer wohnt nämlich mit mehreren Beschuldigten des Verfahrens in einer Wohngemeinschaft zusammen. Aufgrund einer solchen Wohnsituation entspricht es der Lebenserfahrung, daß die Beschuldigten Zugang zu allen von den Mitgliedern der Wohngemeinschaft bewohnten Räume haben und sie alle die der Wohngemeinschaft zur Verfügung stehende Fahrzeuge nutzen. Im übrigen zeigte sich die Richtigkeit dieser Bewertung dadurch, daß beim Beschwerdeführer anläßlich der Durchsuchung vom 6. Juli 1999 tatsächlich Beweisgegenstände aufgefunden und beschlagnahmt worden sind und der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 13. August 1999 - 1 BGs 136/99 - die Beschlagnahme dieser Gegenstände richterlich bestätigt hat.
Die Aussicht, irgendwelche Beweismittel zu finden, rechtfertigt die erheblich in Rechte Dritter eingreifende Durchsuchungsanordnung nach § 103 StPO nicht. Vielmehr setzt eine Durchsuchungsanordnung, die gegen eine nichtverdächtige Person ergeht, voraus, daß hinreichend individualisierte (bestimmte) Beweismittel für die den Gegenstand des Verfahrens bildende Straftat gesucht werden (BVerfG NJW 1981, 971; BGHR StPO § 103 Tatsachen 1; OLG Celle StV 1982, 561, 562; Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 103 Rdn. 9; Rudolphi in SK-StPO 6. Lfg. § 103 Rdn. 7; Nack in KK 4. Aufl. § 103 Rdn. 6). Solche bestimmte Beweismittel sind in dem angefochtenen Beschluß benannt. Ausreichend ist nämlich, daß die Beweismittel der Gattung nach näher bestimmt sind. Nicht erforderlich ist, daß sie in allen Einzelheiten bezeichnet werden (Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 103 Rdn. 9).
c) Die angefochtene Durchsuchungsanordnung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG NStZ 1992, 92; NJW 1994, 2079). Sie steht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Tatverdachtes und zur Bedeutung der aufzuklärenden Straftaten. Die Beschuldigten sind schwerster Straftaten verdächtig, an deren Aufklärung ein überragendes Interesse besteht. Der Tatverdacht stützt sich auf tatsächliche Anhaltspunkte und nicht nur auf vage Hinweise. Bei der erforderlichen Abwägung überwiegt deshalb das staatliche Interesse an der Aufklärung und Verfolgung der begangenen schwerwiegenden Straftaten gegenüber dem Interesse des Betroffenen, daß der Staat nicht in seinen durch das Grundgesetz geschützten privaten Rechtskreis eingreift. Unter diesen Umständen muß der Betroffene wegen seiner besonderen Nähe zum Lebensbereich der Beschuldigten die Einschränkung seiner von der Durchsuchungsanordnung tangierten Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) hinnehmen.
Ende der Entscheidung
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