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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: V ZB 129/06
Rechtsgebiete: GVG


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c
a) Eine die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründende Anwendung ausländischen Rechts kann auch in seiner Anwendung bei einer Vorfrage liegen.

b) Eine ausdrückliche Feststellung ausländischen Rechts im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG liegt grundsätzlich nur vor, wenn das Urteil des Amtsgerichts förmlich feststellt, dass ausländisches Recht angewendet worden ist, oder wenn es die angewendeten Vorschriften oder Rechtssätze des zugrunde gelegten ausländischen Rechts ausdrücklich bezeichnet.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 129/06

vom 18. Januar 2007

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Juli 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

I.

Am 26. Oktober 2004 verkaufte der Beklagte dem Kläger mit privatschriftlichem Vertrag für 75.000 € eine in dem türkischen Ort A. gelegene Eigentumswohnung. In dem Vertrag war eine Anzahlung von 5.000 € vorgesehen, die der Kläger zahlte und jetzt unter Hinweis auf die Formnichtigkeit des Vertrags zurückverlangt.

Das Amtsgericht hat der Klage mit dem Beklagten am 18. April 2006 zugestellten Urteil stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte am 12. Mai 2006 bei dem Landgericht Berufung eingelegt und diese am 19. Juni 2006, einem Montag, begründet. Nach einem Hinweis des Landgerichts auf die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG hat der Beklagte am 29. Juni 2006 auch Berufung bei dem Oberlandesgericht eingelegt und diese mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

a) Die Fortbildung des Rechts erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO). In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, welche Anforderungen an die Anwendung ausländischen Rechts und die ausdrückliche Feststellung dieses Umstands zu stellen sind, die nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts begründen. Höchstrichterliche Leitsätze, an denen sich die Praxis ausrichten könnte, fehlen. Das rechtfertigt die Zulassung (Senat, BGHZ 151, 221, 225).

b) Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Berufung sowohl bei dem Landgericht als auch bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat. Die mehrfache Einlegung eines Rechtsmittels ändert nämlich nichts daran, dass dieses der Partei nur einmal zusteht und über dieses Rechtsmittel auch nur einmal entschieden werden kann (BGHZ 45, 380, 383 f.). Das gilt auch dann, wenn, wie hier, das Rechtsmittel bei unterschiedlichen Gerichten eingelegt worden ist. Deshalb ist die Berufung des Beklagten durch das Oberlandesgericht auch insoweit verworfen worden, als sie bei dem Landgericht eingelegt worden ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Oberlandesgericht durfte die an sich statthafte Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur verwerfen, wenn sie nicht form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden war. Da der Beklagte seine Berufung sowohl bei dem Landgericht als auch bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat, kam eine Verwerfung nur in Betracht, wenn weder die bei dem Landgericht noch die bei dem Oberlandesgericht eingereichte Berufungsschrift rechtzeitig und dem Beklagte auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war. Daran fehlt es.

b) Für die Entscheidung über die Berufung ist das Landgericht, nicht das Oberlandesgericht zuständig.

aa) Zur Entscheidung über die Berufung gegen ein Urteil des Amtsgericht ist nach § 72 GVG grundsätzlich das Landgericht berufen. Etwas anderes gilt, soweit hier von Interesse, nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG nur, wenn das Amtsgericht ausländisches Recht angewendet und dies ausdrücklich festgestellt hat.

bb) Das Amtsgericht hat als Grundlage des geltend gemachten Anspruchs § 812 Abs. 1 BGB angenommen. Es hat diese Norm unmittelbar angewendet und nicht - unter Anwendung türkischen internationalen Privatrechts - im Wege einer Rückverweisung (Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB) auf das deutsche Recht. Das lag auch nahe, weil es den Vorvertrag, dessen Zweck verfehlt worden sein soll, ebenfalls nach deutschem Recht beurteilt hat (Art. 38 Abs. 1 EGBGB). Deshalb braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Anwendung ausländischen internationalen Privatrechts als Anwendung ausländischen Rechts im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG zu bewerten wäre (ablehnend: Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 119 GVG Rdn. 15; Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, ZPO-Reform 2002, S. 6 Rdn. 12; befürwortend: Brand/Karpenstein, NJW 2005, 1319, 1320; Kroiß, Das neue Zivilprozessrecht, 2001, S. 58 Rdn. 9). Die Anwendung ausländischen Rechts kann hier nur darin liegen, dass das Amtsgericht bei der Prüfung der Vorfrage, ob der Kaufvertrag der Parteien wirksam ist, gemeint hat, der Vertrag sei sowohl nach deutschem als auch nach türkischem Recht unwirksam.

cc) Ob die Anwendung ausländischen Rechts bei der Prüfung einer Vorfrage zur Bejahung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG ausreicht, ist umstritten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, eine die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts begründende Anwendung ausländischen Rechts liege nur vor, wenn das Amtsgericht ausländisches Recht bei der Prüfung der Hauptfrage angewendet habe (OLG Hamm OLGR 2002, 426 f.; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 119 Rdn. 27e; Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO, § 119 GVG Rdn. 16). Andere halten, wie das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall, die Anwendung ausländischen Rechts auch bei der Prüfung einer Vorfrage für ausreichend (Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rdn. 16; wohl auch MünchKomm-ZPO/Wolf, 2. Aufl., Erg.-Bd. § 119 Rdn. 9).

dd) Der Senat entscheidet die Frage im zweiten Sinne. Der Wortlaut der Vorschrift ist offen und erlaubt beide Auslegungen. Für die zweite Auslegung spricht der Zweck der Vorschrift. Die Verlagerung der Berufungszuständigkeit in Fällen mit Auslandsbezug auf die Oberlandesgerichte soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dem Umstand Rechnung tragen, dass durch die Internationalisierung des Rechts und durch den zunehmenden grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung besteht (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem ZPO-Reformgesetz in BT-Drucks. 14/6036 S. 119). Auch soll sie eine Spezialisierung erleichtern (Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, aaO, S. 4 Rdn. 5). Bei dieser Zielrichtung der Vorschrift kann es nicht darauf ankommen, an welcher Stelle der Prüfung ausländisches Recht angewendet wird. Maßgeblich muss vielmehr sein, dass sich das Amtsgericht mit dem ausländischen Recht befasst und seine Beurteilung des ausländischen Rechts die Entscheidung trägt (MünchKomm-ZPO/Wolf, aaO).

Hier hat sich das Amtsgericht mit der Frage befasst, ob der Vertrag der Parteien ein nach türkischem Recht wirksamer Kaufvertrag war. Ob seine Beurteilung des türkischen Rechts seine Entscheidung trägt, ist zweifelhaft. Das Amtsgericht qualifiziert den Vertrag der Parteien nämlich als Vorvertrag, den es ausdrücklich dem deutschen Recht unterstellt, was nach Art. 28 Abs. 3 EGBGB nur möglich ist, wenn er trotz seines Gegenstands, einer in der Türkei belegenen Eigentumswohnung, engere Bindungen zu Deutschland hat. Dass dies bei einer Qualifikation als Kaufvertrag, auf dessen Abschluss der Vorvertrag nach Meinung des Amtsgerichts zielte, anders sein könnte, ist nicht ersichtlich. Dann aber käme es auf die Beurteilung des türkischen Rechts nicht an. Dies kann aber letztlich offen bleiben.

ee) Wenn man in den Ausführungen des Amtsgerichts zum türkischen Recht eine Anwendung ausländischen Rechts im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG sähe, führte das allein nicht zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts. Diese setzt nach der genannten Vorschrift vielmehr zusätzlich voraus, dass das Amtsgericht die Anwendung ausländischen Rechts ausdrücklich festgestellt hat.

(1) Was dazu erforderlich ist, ist umstritten. Teilweise wird eine ausdrückliche Feststellung verlangt, dass ausländisches Recht angewendet worden ist (Schwartze in: Meyer-Seitz/Hannich, aaO, S. 7 Rdn. 14). Nach einer Gegenansicht genügt es, wenn die Entscheidungsgründe einen ausländischen Rechtssatz als entscheidungserheblich erkennen lassen (Kissel/Mayer, aaO, § 119 Rdn. 27e; MünchKomm-ZPO/Wolf, aaO, § 119 GVG Rdn. 10; Zöller/Gummer, aaO, § 119 GVG Rdn. 16). Nach einer vermittelnden Ansicht muss jedenfalls der angewendete ausländische Rechtssatz ausdrücklich erwähnt werden (Thomas/Putzo, Hüßtege, aaO, § 119 GVG Rdn. 17).

(2) Dieser dritten Meinung folgt der Senat. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG verlangt eine "ausdrückliche" Feststellung. Das lässt seinem Wortsinn nach erwarten, dass in dem Urteilstenor oder in den Entscheidungsgründen förmlich festgestellt wird, dass ausländisches Recht angewendet worden ist. Mit dem Wortlaut wäre es auch noch vereinbar, wenn das Urteil eine solche förmliche Feststellung nicht enthält, den geltend gemachten Anspruch oder eine seiner Voraussetzungen nach ausdrücklich genannten Vorschriften oder ungeschriebenen Rechtssätzen eines bestimmten ausländischen Rechts behandelt. Die Grenze des Wortlauts ist aber erreicht, wenn das Urteil weder eine förmliche Feststellung der Anwendung ausländischen Rechts enthält noch die Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätze bezeichnet, die es angewendet haben will. Für ein enges Verständnis der Norm spricht auch der Vergleich mit § 547 Nr. 6 ZPO. Danach liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn ein Urteil entgegen den Bestimmungen der Zivilprozessordnung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist auch dann der Fall, wenn die unterlegene Partei den Gründen nicht eindeutig entnehmen kann, ob das Berufungsgericht revisibles Bundesrecht oder nicht revisibles ausländisches Recht zugrunde gelegt hat (BGH, Urt. v. 23. Oktober 1980, III ZR 70/79, IPRspr. 1980 Nr. 3 S. 7; Urt. v. 3. Mai 1988, X ZR 99/86, NJW 1988, 3097; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 547 Rdn. 17; Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO, 3. Aufl., § 547 Rdn. 48). Das ist in der Regel ohne die Bezeichnung der einschlägigen Normen des ausländischen Rechts nicht möglich (BGH, Urt. v. 3. Mai 1988, aaO). Dass der strikter gefasste § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG geringere Anforderungen stellen soll, vermag nicht einzuleuchten.

Ein solches Verständnis widerspräche auch dem Zweck dieses zusätzlichen Erfordernisses. Der Gesetzgeber hat hiermit nämlich sicherstellen wollen, dass die Vorschrift dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit, wonach Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung" geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen (siehe dazu Plenarentscheidung des BVerfG, NJW 2003, 1924, 1928), genügt (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem ZPO-Reformgesetz in BT-Drucks. 14/6036 S. 119). Das lässt sich nur erreichen, wenn dieses Erfordernis eng und formal verstanden wird. Andernfalls führte die Zuständigkeitsregelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c GVG zu einer auch verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Rechtsunsicherheit (so Brand/Karpenstein, NJW 2005, 1319, 1320), weil sie den Zugang zu dem an sich gegebenen Rechtsmittel der Berufung in einer mit Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwerte. Das Erfordernis, entweder die Anwendung ausländischen Rechts festzustellen oder die angewendeten ausländischen Rechtsnormen und Rechtssätze ausdrücklich zu benennen, kann dazu führen, dass das Oberlandesgericht nicht zuständig ist, obwohl man den Entscheidungsgründen des amtsgerichtlichen Urteils entnehmen kann, dass es ausländisches Recht angewendet hat. Das muss aber im Interesse einer für den Rechtsanwender einfach und sicher nachvollziehbaren Handhabung der Vorschrift in Kauf genommen werden.

(3) Gemessen an diesen Vorgaben scheitert eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts hier jedenfalls an der fehlenden ausdrücklichen Feststellung der Anwendung ausländischen Rechts. Das Urteil des Amtsgerichts stellt nicht fest, dass ausländisches Recht angewendet wurde. Es nennt auch keine Vorschrift und keinen ungeschriebenen Rechtssatz des türkischen Rechts. Damit fehlte es an einer ausdrücklichen Feststellung. Das Landgericht blieb daher zuständig.

c) Die bei dem Landgericht eingelegte Berufung ist form- und fristgerecht.

d) Die bei dem Oberlandesgericht eingereichte Berufung des Beklagten ist damit gegenstandslos (BGHZ 45, 380, 383 f.). Die Frage, ob dem Beklagten im Hinblick auf ihre verspätete Einreichung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre, stellt sich nicht.

III.

Die Sache ist nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das ist hier indessen nicht das Oberlandesgericht, das seine Zuständigkeit irrig angenommen hat, sondern das Landgericht.

Ende der Entscheidung

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