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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.06.1999
Aktenzeichen: V ZB 19/99
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 114 | |
ZPO § 233 I |
Wird eine Berufungsbegründung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über ein Prozeßkostenhilfegesuch nachgeholt, so ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Mittellosigkeit der Partei für die zunächst unterlassene Prozeßhandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist.
BGH, Beschl. v. 24. Juni 1999 - V ZB 19/99 - OLG Dresden LG Zwickau
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom
24. Juni 1999
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 24. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Vogt, Dr. Lambert-Lang, Tropf und Schneider,
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. März 1999 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 4. November 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 2.988.635 DM
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zustimmung zu einer Grundbuchberichtigung und die Zahlung von insgesamt 988.635 DM. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung auf einen Prozeßkostenhilfeantrag für das Berufungsverfahren ihrer früheren Prozeßbevollmächtigten Bezug genommen. Die Berufungsbegründungsfrist wurde antragsgemäß bis zum 14. Januar 1999 verlängert. Die Klägerin beantragte am letzten Tag dieser Frist, die Berufungsbegründungsfrist solange zu verlängern, bis über ihren Prozeßkostenhilfeantrag entschieden worden sei. Nachdem der Beklagte einer weiteren Fristverlängerung widersprochen hatte, begründete die Klägerin am 10. Februar 1999 den Antrag mit Arbeitsüberlastung ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten und des Korrespondenzanwalts sowie damit, daß weitere kostenauslösende Maßnahmen nur gerechtfertigt seien, wenn die Berufung aussichtsreich sei und die Staatskasse die überwiegenden Kosten tragen werde. Gleichzeitig ging eine von diesem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnete Berufungsbegründung ein, die inhaltlich dem Prozeßkostenhilfeantrag entsprach. Der zweite Verlängerungsantrag wurde am 11. Februar 1999 abgelehnt.
Durch Beschluß vom 24. März 1999 hat das Oberlandesgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen sowie den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Klägerin hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Ihr ist deshalb aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen (§ 233 ZPO).
1. Die Berufungsbegründungsfrist ist versäumt, weil die bei der Einlegung der Berufung erfolgte Bezugnahme auf den Prozeßkostenhilfeantrag des vor dem Berufungsgericht nicht postulationsfähigen früheren Prozeßbevollmächtigten der Klägerin keine ausreichende Berufungsbegründung darstellt. In der Berufungsschrift wird lediglich auf diesen Prozeßkostenhilfeantrag verwiesen. Es fehlt somit jedenfalls der notwendige Nachweis dafür, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren völlig eindeutig die Verantwortung für diese Ausführungen übernommen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 10. März 1998, XI ZB 1/98, NJW 1998, 1647).
2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO). Dieser habe nicht darauf vertrauen dürfen, die beantragte Fristverlängerung werde gewährt, weil im Antrag erhebliche Gründe im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht genannt worden seien. Die Klägerin sei nicht durch ihre Mittellosigkeit gehindert gewesen, die Berufung vor Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist zu begründen. Dies ergebe sich bereits aus der nachträglichen Erklärung ihres Prozeßbevollmächtigten, der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte sei wegen Arbeitsüberlastung an der Vorbereitung einer Berufungsbegründung gehindert gewesen. Zudem habe am 10. Februar 1999 auch eine Berufungsbegründung eingereicht werden können.
3. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Grundsätzlich kann ein Rechtsmittelführer im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, er habe mit der Fristverlängerung durch den Vorsitzenden rechnen dürfen. Er ist vielmehr mit dem Risiko belastet, daß der Vorsitzende in Ausübung seines ihm gemäß § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingeräumten Ermessens eine beantragte Verlängerung auch dann versagt, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen (BGH, Beschl. v. 7. Oktober 1992, VIII ZB 28/92, NJW 1993, 134).
b) Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht bei der Mittellosigkeit einer Partei.
aa) Das durch Mittellosigkeit begründete Unvermögen einer Partei, einen Rechtsanwalt mit der Begründung der Berufung zu beauftragen, bildet grundsätzlich einen unabwendbaren Zufall im Sinne des § 233 Abs. 1 ZPO (BGH, Urt. v. 19. Dezember 1962, VIII ZR 258/62, NJW 1963, 584; Beschl. v. 10. Juli 1985, IVb ZB 129/84, MDR 1985, 1009, 1010). Dies gilt nach Einlegung der Berufung jedenfalls dann, wenn diese nur "formularmäßig" erfolgt ist und die Partei keinen Prozeßbevollmächtigten hat, der bereit ist, das Rechtsmittel zu begründen (BGH, Beschl. v. 16. Oktober 1985, VIII ZB 15/85, VersR 1986, 91, 92). Das Hindernis der Mittellosigigkeit entfällt erst mit der Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag. Dieser Umstand entbindet den Rechtsanwalt allerdings nicht von der Verpflichtung, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, solange noch nicht über den Prozeßkostenhilfeantrag entschieden ist, um so ein Wiedereinsetzungsverfahren zu vermeiden (BGHZ 7, 280, 285, 287).
bb) Der Verlängerungsantrag war entgegen der Meinung des Berufungsgerichts auch hinreichend begründet. Aus dem in Bezug genommenen Prozeßkostenhilfeantrag ergibt sich, daß der Verlängerungsantrag mit der Mittellosigkeit der Partei und der Weigerung des Rechtsanwalts begründet wurde, vor der Entscheidung über den Prozeßkostenhilfeantrag weiter tätig zu werden und die Berufung zu begründen.
cc) Entscheidend für die Frage der Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist, ob der beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt bereit war, auch ohne Prozeßkostenhilfe die Berufung zu begründen. Daß dies in dem Verlängerungsantrag verneint wurde, steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht in Widerspruch dazu, daß der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte den Entwurf einer Berufungsbegründung wegen Arbeitsüberlastung bis zum Ablauf der ersten Verlängerung noch nicht angefertigt hatte. Denn dies schließt nicht aus, daß die Mittellosigkeit der Partei für die Versäumung der Begründungsfrist durch den Prozeßbevollmächtigten jedenfalls mit ursächlich war.
dd) Auch der Umstand, daß die Berufungsbegründung schließlich ohne Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erfolgte, steht entgegen der Meinung des Berufungsgerichts der Annahme, daß sie zunächst wegen der Mittellosigkeit der Partei nicht oder später nicht rechtzeitig erfolgt ist, nicht entgegen (BGH, Beschl. v. 8. Mai 1957, IV ZB 62/57, LM § 233 ZPO Nr. 75; v. 10. Januar 1966, III ZB 27/65, VersR 1966, 267). Holt die Partei die Prozeßhandlung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch nach, so ist, solange sich - wie hier - nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, daß die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Prozeßhandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist. Einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor
Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe begründet werden konnte, bedarf es nicht (BGH, Beschl. v. 15. März 1955, IV ZB 19/55, LM § 114 ZPO Nr. 7).
Ende der Entscheidung
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