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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: V ZB 191/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
Eine Einzelanweisung, die nicht erkennen lässt, dass von dem üblichen Arbeitsablauf abgewichen werden soll, entlastet den Rechtsanwalt nicht von einer unzureichenden Büroorganisation.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 25. Juni 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger,

die Richter Dr. Klein und Dr. Lemke,

die Richterin Dr. Stresemann und

den Richter Dr. Roth

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 4. Dezember 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 4.000 EUR.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Beseitigung eines Überbaus in Anspruch. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts legte er rechtzeitig Berufung ein. Auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten verlängerte das Landgericht die Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. November 2008. Dort ging die Berufungsbegründung am 11. November 2008 per Telefax ein.

Mit Schriftsatz vom 17. November 2008 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und hierzu vorgetragen: In dem Büro seines Prozessbevollmächtigten würden die Fristen in einen (Papier-)Kalender und zusätzlich in einem elektronischen Anwaltsprogramm notiert. Der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei in dem Kalender korrekt eingetragen gewesen; das elektronische Programm habe infolge eines Eingabefehlers dagegen den 11. November 2008 als Fristende ausgewiesen. Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 10. November 2008 kurz vor Büroschluss fertig gestellt und eine seit sechs Jahren in der Kanzlei angestellte und zuverlässige Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsbegründung an das Landgericht zu faxen. Diese habe am Abend nur die - falsch eingetragene - Frist in dem elektronischen Programm eingesehen und sei deshalb irrtümlich davon ausgegangen, dass es genüge, die Berufungsbegründung am Folgetag per Fax zu versenden.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Das Berufungsgericht meint, die Fristversäumnis sei auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen. Dieser habe, als ihm die Akten zur Bearbeitung vorgelegt worden seien, die gebotene Fristenkontrolle unterlassen und daher die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist auf den 11. November 2008 nicht als fehlerhaft erkannt. Wäre der falsche Eintrag korrigiert worden, hätte seine Mitarbeiterin bei der Fristenkontrolle am Abend des 10. November 2008 bemerkt, dass die Berufungsbegründung dem Landgericht noch am selben Tag übermittelt werden musste. Ferner sei die Büroorganisation unzureichend, da eine Überprüfung des elektronischen Fristenkalenders auf Eingabefehler nicht stattfinde. Ob es eine konkrete Anweisung des Prozessbevollmächtigten an seine Mitarbeiterin gegeben habe, die am späten Nachmittag des 10. November 2008 fertig gestellte und unterzeichnete Berufungsbegründung an das Landgericht zu übermitteln, könne offen bleiben.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

Die Annahme des Berufungsgerichts, es komme nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner Mitarbeiterin am 10. November 2008 eine konkrete Weisung in Bezug auf die Versendung der fertig gestellten Berufungsbegründung erteilt habe, steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach kommt es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen einer Kanzlei für die Fristwahrung nicht entscheidend an, wenn der Anwalt von ihnen abweicht und statt dessen eine genaue Anweisung für den konkreten Fall erteilt, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (vgl. Senat , Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369; BGH, Beschl. v. 6. Juli 2000, VII ZB 4/00, NJW 2000, 2823; Beschl. v. 11. Februar 1998, XII ZB 184/97, NJW-RR 1998, 787, 788; Beschl. v. 23. April 1997, XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930; Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, NJW 1996, 130). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die einem zuverlässigen Mitarbeiter erteilte Einzelanweisung befolgt wird (BGH, Beschl. v. 4. November 2003, VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689; Beschl. v. 22. Juni 2004, VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361, 1362; Beschl. v. 13. September 2006, XII ZB 103/06, NJW-RR 2007, 127, 128), ist für eine Fristversäumung dann nicht die Büroorganisation, sondern der Fehler des Mitarbeiters ursächlich. Entsprechendes gilt bei einem vorangegangenen Anwaltsfehler, sofern die Einzelanweisung geeignet ist, ihn auszugleichen und die Fristwahrung sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund durfte das Berufungsgericht nicht offenlassen, ob und ggf. welche Einzelweisung der Bevollmächtigte des Klägers am Tag des Fristablaufs erteilt hat.

Der Rechtsfehler lässt den Schluss zu, dass dem Berufungsgericht die Bedeutung einer Einzelanweisung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht bekannt ist, und erfordert deshalb gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Er führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt (vgl. Senat , Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; Beschl. v. 15. Januar 2004, V ZB 56/03, FamRZ 2004, 788, 789).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) auch bei Berücksichtigung der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erteilten Einzelanweisung nicht vorliegen.

a) Eine konkrete Einzelanweisung kann den Rechtsanwalt dann nicht von einer unzureichenden Büroorganisation entlasten, wenn sie die bestehende Organisation nicht außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und bestimmt sind, der Fristversäumung entgegenzuwirken, dieses infolge eines Organisationsmangels aber nicht bewirken (vgl. Senat , Beschluss vom 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, aaO, S. 369; Beschl. v. 6. Dezember 2007, V ZB 91/07, JurBüro 2008, 280; BGH, Beschl. v. 21. Dezember 2006, IX ZB 309/04, AnwBl. 2007, 236). Das gilt erst recht, wenn die Anweisung schon nicht erkennen lässt, dass von der bestehenden Büroorganisation abgewichen werden soll. So liegt es hier.

Die Anweisung, die fertig gestellte Berufungsbegründung "an das Landgericht Heilbronn zu faxen", machte nicht deutlich, dass der Schriftsatz anders als sonstige am letzten Tag der Frist erstellte Schriftsätze behandelt werden musste. Die angewiesene Angestellte hat demgemäß auch nicht erkannt, dass sie von der üblichen Handhabung fristgebundener Schriftsätze abweichen sollte. Andernfalls hätte sie bei der anhand des elektronischen Kalenders vorgenommenen abendlichen Fristenkontrolle nicht, wie geschehen, annehmen können, die Sache des Klägers habe noch bis zum nächsten Tag Zeit.

Auch die weitere Darstellung in dem Wiedereinsetzungsantrag belegt, dass die allgemeinen Organisationsregeln ihre Bedeutung durch die Einzelanweisung nicht verloren hatten. Darin wird die Fristversäumnis - neben der falschen Eingabe der Frist im elektronischen Kalender - auf einen zweiten Fehler der Mitarbeiterin zurückgeführt, nämlich darauf, dass sie sich am Abend einzig auf die von ihr fehlerhaft eingetragene Frist verlassen habe, anstatt bei dem Anwalt Rückfrage zu halten oder die Frist in dem weiteren Kalender bzw. in der Handakte nachzukontrollieren. Bei einer die bestehende Organisation insgesamt außer Kraft setzenden Einzelanweisung hätte sich für die Büroangestellte keine unklare, eine Nachfrage bei dem Anwalt erfordernde Situation ergeben können. Vielmehr hätte nach dem Inhalt der Anweisung außer Zweifel gestanden, dass der Schriftsatz unter allen Umständen, insbesondere ungeachtet aller notierten Fristen, am selben Tag an das Landgericht zu übermitteln war.

Aus dem gleichen Grund war die Anweisung nicht geeignet, die fehlende Berichtigung des elektronischen Fristenkalenders auszugleichen, die von dem Anwalt aufgrund der - nach Vorlage der Akten zur Bearbeitung gebotenen - eigenverantwortlichen Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist anzuordnen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Juni 2008, VI ZB 2/08, NJW 2008, 3439, 3440 m.w.N.). Da die Anweisung, den Schriftsatz an das Landgericht zu übermitteln, ohne Hinweis auf die falsche Notierung der Frist erfolgte, war abzusehen, dass die Mitarbeiterin sie als bloße Erinnerung an die Notwendigkeit, fristgebundene Schriftsätze am letzten Tag der Frist per Fax zu versenden, (miss-)verstehen würde.

b) Angesichts der Unzulänglichkeit der Einzelanweisung liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) nicht vor. Nach den - von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts beruht die Fristversäumnis sowohl auf einer ungenügenden Büroorganisation des klägerischen Anwalts, nämlich der fehlenden Überprüfung von Eingaben in den elektronischen Kalender auf ihre Richtigkeit (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 20. Februar 1997, IX ZB 111/96, NJW-RR 1997, 698; Beschl. v. 12. Dezember 2005, II ZB 33/04, NJW-RR 2006, 500), als auch auf der unterbliebenen bzw. unzureichenden Überprüfung der Berufungsbegründungsfrist, die der Anwalt durchführen musste, als ihm die Akten aus Anlass der Vorfrist zur Bearbeitung vorgelegt worden waren (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 10. Juni 2008, VI ZB 2/08, aaO). Beide Fehler sind dem Kläger zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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