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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.09.2003
Aktenzeichen: V ZB 23/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 238 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
ZPO § 574 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 23/03

vom

18. September 2003

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. September 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Tropf, Dr. Klein, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin Dr. Stresemann

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. März 2003 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 12.220,96 €

Gründe:

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 17. Dezember 2002, durch das sie zur Räumung einer unter Zwangsverwaltung stehenden Wohnung ihrer Mutter verurteilt worden ist, ging am 21. Januar 2003 bei dem Landgericht Köln ein. Nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung am 24. Februar 2003 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Februar 2003 mit, er sei in den vergangenen zwei Wochen zur Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit außerstande gewesen und erst jetzt wieder hierzu in der Lage; er werde die Begründung am 28. Februar 2003 vorlegen, was auch geschah. Am 7. März 2003 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist. Er habe sich insbesondere in der Zeit vom 21. bis 26. Februar 2003 in einer gesundheitlichen Ausnahmesituation befunden, die es ihm unmöglich gemacht habe, seiner anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen. Mit Beschluß vom 11. März 2003 hat das Landgericht den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Das Landgericht hat durch weiteren Beschluß vom 14. April 2003 die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen; gegen diesen Beschluß hat die Beklagte ebenfalls Rechtsbeschwerde eingelegt, die Gegenstand eines gesonderten Verfahrens ist.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil die Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

1. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts setzt voraus, daß es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Sachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierung ganz oder teilweise fehlt (Senat, BGHZ 151, 221, 225). Das ist hier nicht der Fall. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einer Partei wegen der Erkrankung ihres Prozeßbevollmächtigten Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt. Danach muß der Rechtsanwalt einer Partei grundsätzlich dafür Sorge tragen, daß die laufenden Rechtsmittelfristen kontrolliert und die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung solcher Fristen ergriffen werden, wenn er selbst dazu wegen einer Erkrankung nicht in der Lage ist (BGH, Beschl. v. 6. März 1990, VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; Beschl. v. 11. März 1991, II ZB 1/91, VersR 1991, 1270; Beschl. v. 26. November 1998, IX ZB 84/98, AnwBl 1999, 227; Beschl. v. 8. Februar 2000, XI ZB 20/99 veröffentlicht bislang nur bei juris). Eine Ausnahme ist nur dann anzuerkennen, wenn die Erkrankung den Rechtsanwalt überrascht und Maßnahmen zur Fristwahrung nicht mehr zumutbar sind (BGH, Beschl. v. 6. März 1990, VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026). Ist ein Rechtsanwalt erkrankt, muß er Vorsorge auch für den Fall treffen, daß sich seine Erkrankung verschlimmert. Daß er die Entwicklung seiner Erkrankung günstiger einschätzt, entlastet ihn nicht (BGH, Beschl. v. 8. Februar 2000, XI ZB 20/99, veröffentlicht bislang nur bei juris; vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 3. Dezember 1998, X ZR 181/98, NJW-RR 1999, 938). Diese Grundsätze gelten für Rechtsanwälte, die mit anderen in einer Sozietät verbunden, genauso wie für Rechtsanwälte, die - wie der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten - eine Einzelkanzlei haben (BGH, Beschl. v. 6. März 1990, VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; Beschl. v. 26. November 1998, IX ZB 84/98, AnwBl 1999, 227).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.

a) Diese Voraussetzung ist namentlich in den Fällen einer Divergenz gegeben (Senat, BGHZ 151, 221, 226). Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde liegt eine solche Divergenz hier nicht vor. Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt, daß die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die von ihr angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Vergleichsentscheidungen tragenden Rechtssatz abweicht (vgl. BGHZ 89, 149, 151; Senat, BGHZ 151, 42, 45). Das Landgericht ist im Gegenteil ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ausgegangen, die es auch im wesentlichen zutreffend wiedergegeben hat. Dafür, daß und in welcher Hinsicht sich das Landgericht hiervon distanzieren und strengere Grundsätze hat anlegen wollen, lassen sich seiner Entscheidung Anhaltspunkte nicht entnehmen.

b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zu Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (Senat, BGHZ 51, 221, 226). Solche Fehler sind dem Landgericht indessen nicht unterlaufen. Das Landgericht hat die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Erkrankung des Rechtsanwalts richtig angewandt und hierbei auch unter Berücksichtigung der großen Bedeutung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den effektiven Rechtsschutz (dazu: Senat, BGHZ 151, 221, 227 f.) keine überzogenen Anforderungen gestellt. Die Einschätzung des Landgerichts, seine Erkrankung am Wochenende vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist habe den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten nicht unvorbereitet und überraschend getroffen, ist als tatrichterliche Würdigung einer Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt zugänglich, insoweit aber nicht zu beanstanden. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat dem Landgericht mit seinem Schriftsatz vom 27. Februar 2002 anwaltlich versichert, daß er in den vergangenen zwei Wochen ernstlich erkrankt gewesen sei. Auch wenn er in dieser Zeit nicht imstande gewesen sein sollte, seiner anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen, so wäre ihm doch zumutbar gewesen, den Rechtsanwaltskollegen, mit dem er nach seinen Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch in solchen Fällen zusammenarbeitet, um Durchsicht des Fristenbuchs und um Stellung etwa erforderlicher Anträge zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu bitten. Dies hat er indessen versäumt. Daß er an seine rechtzeitige Genesung glaubte, entlastet ihn nicht. Die von ihm selbst vorgetragene Ernstlichkeit seiner Erkrankung gab ihm Veranlassung, auch mit der dann eingetretenen gegenteiligen Möglichkeit zu rechnen und die zudem mit einfachen Mitteln möglichen fristwahrenden Maßnahmen zu ergreifen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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