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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: V ZB 32/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 32/00

vom

26. Oktober 2000

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. Oktober 2000 durch die Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Lemke und Dr. Gaier

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 9. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 26. Juni 2000 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 21.250,00 DM.

Gründe:

I.

Der Beklagte wurde vom Landgericht verurteilt, einen Kaufvertrag mit dem Inhalt eines notariellen Vermittlungsvorschlages abzuschließen. Nach Zustellung des Urteils am 22. März 2000 übermittelte die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten am 20. April 2000 (Gründonnerstag) eine an das Landgericht adressierte Berufungsschrift nach dort per Telefax. Bei dem Landgericht ging das Telefax am selben Tag um 8.54 Uhr ein und wurde um 13.00 Uhr in den Geschäftsgang gebracht. Am 25. April 2000 (Dienstag nach Ostern) verfügte der Vorsitzende der mit der Sache befaßt gewesenen Zivilkammer die Übersendung der Berufungsschrift an das Oberlandesgericht. Dort ging die Berufungsschrift am 27. April 2000 ein.

Nachdem der Beklagte durch Verfügung des Oberlandesgerichts auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift hingewiesen worden war, hat er mit am 15. Mai 2000 eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (vgl. Senat, BGHZ 21, 142, 147), hat aber in der Sache selbst keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verweigert. Da die Bevollmächtigte des Beklagten, deren Verschulden sich die Partei zurechnen lassen muß (§ 85 Abs. 2 ZPO), die Versäumung der Berufungsfrist infolge der Falschadressierung der Berufungsschrift verschuldet hat, fehlt es an den Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO. Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hat es nämlich entgegen ihren anwaltlichen Pflichten unterlassen, die Berufungsschrift persönlich auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen (BGH, Beschl. v. 9. Oktober 1980, VII ZB 17/80, VersR 1981, 63).

Entgegen der Auffassung der Beschwerde beruht die Fristversäumung auch weiterhin auf einem dem Beklagten anzulastenden Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten; denn die Berufungsschrift vom 20. April 2000 ist nicht so rechtzeitig bei dem Landgericht eingegangen, daß sie noch fristgerecht bis zum Ende der Berufungsfrist am 25. April 2000 an das Oberlandesgericht hätte weitergeleitet werden können.

Die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die eine Pflicht der Gerichte zur Weiterleitung fehlerhaft an sie adressierter Schriftsätze verneint, mindestens aber Mitursächlichkeit des Partei- oder Anwaltsverschuldens angenommen, und aus diesem Grunde Wiedereinsetzung in solchen Fallgestaltungen abgelehnt hatte (zuletzt Beschl. v. 5. Februar 1992, XII ZB 3/92, VersR 1992, 1154), ist allerdings im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1995 (BVerfGE 93, 99, 112) zumindest für den Fall aufgegeben worden, daß das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch vorher selbst mit der Sache befaßt war. Ein solches Gericht ist aus nachwirkender Fürsorgepflicht gehalten, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so rechtzeitig ein, daß eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, wirkt sich ein Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten nicht mehr aus (BGH, Urt. v. 1. Dezember 1997, II ZR 85/97, NJW 1998, 908; Beschl. v. 2. Oktober 1996, XII ZB 145/96, FamRZ 1997, 172, 173; Beschl. v. 24. September 1997, XII ZB 144/96, NJW-RR 1998, 354; Beschl. v. 3. September 1998, IX ZB 46/98, VersR 1999, 1170, 1171). Zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs besteht dagegen keine Verpflichtung; denn die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgende nachwirkende Fürsorgepflicht gegenüber den Prozeßparteien findet ihre Grenzen, wenn das Gericht durch ihre Beachtung unangemessen belastet wird. Aus diesem Grunde hat auch das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit nur das Vertrauen auf eine Weiterleitung des für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang als geschützt angesehen (BVerfGE 93, 99, 115).

Die Verpflichtung zur Weiterleitung der Berufungsschrift im ordentlichen Geschäftsgang hat das Landgericht beachtet. Dem steht nicht entgegen, daß die Berufungsschrift dem Vorsitzenden der im ersten Rechtszug mit der Sache befaßt gewesenen Zivilkammer erst am 25. April 2000 vorgelegt wurde. Da eine Kennzeichnung als eilbedürftig fehlte und deshalb das äußere Erscheinungsbild des Schriftsatzes nicht auf einen eiligen Charakter der Angelegenheit hindeutete, mußte sich der Geschäftsstelle des Landgerichts nicht der Eindruck aufdrängen, daß es sich hier um einen Schriftsatz handelte, mit dem besonders zügig zu verfahren sei (BGH, Beschl. v. 12. Oktober 1995, VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443) und der insbesondere sofort - nicht erst am nächsten Arbeitstag - dem Kammervorsitzenden hätte vorgelegt werden müssen. Ebensowenig widerspricht es dem ordentlichen Geschäftsgang, daß der Vorsitzende nicht für eine Übersendung des Schriftsatzes durch einen Boten Sorge getragen hat. Selbst wenn, wie die Beschwerde geltend macht, ein täglicher Botendienst zwischen Landgericht und Oberlandesgericht eingerichtet gewesen sein sollte, hätte dies nämlich Eilmaßnahmen zur Übermittlung der Berufungsschrift an den Botendienst vorausgesetzt.

Soweit die Beschwerde darauf verweist, daß die Verfügung einer Weiterleitung als Eilmaßnahme für den mit der Sache befaßten Richter keine höhere Belastung als die Verfügung der Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang bedeute, läßt sie außer acht, daß die Belastung des Gerichts insgesamt maßgeblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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