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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.02.2005
Aktenzeichen: V ZB 32/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 3
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 32/04

vom 3. Februar 2005

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Februar 2005 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin Dr. Stresemann

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 12. Juli 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 1.500 €.

Gründe:

I.

Die Parteien sind Nachbarn. Der Hof auf dem Grundstück der Kläger grenzt an die bebaute Seite des Grundstücks der Beklagten. Einen durch eine zurückgesetzte Bebauung auf dem Grundstück der Beklagten entstandenen Streifen von 35 cm Breite nutzen die Kläger für ihren Hof. Im Jahre 1996 erneuerten sie das Hoftor und setzten den Torpfosten des neuen Schwenktores unmittelbar an die Wand des Hauses der Beklagten auf deren Grundstück. Eine hiergegen gerichtete Klage der Beklagten wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 29. Januar 1998 abgewiesen.

Im Jahre 2000 entschlossen sich die Beklagten, die zum Grundstück der Kläger zugewandte Kellerwand ihres Hauses mit Drainmatten abzudichten, die durch eine Betonmauer an die Kellerwand ihres Hause gedrückt werden sollten. Da dazu auch der Torpfosten entfernt werden mußte, erklärten sich die Kläger hiermit nur unter der Bedingung einverstanden, daß die Beklagten 3.000 DM zur Wiederherstellung des Torpfostens hinterlegten, was auch geschah. Die Beklagten lehnten später eine Wiederherstellung des Torpfostens an der ursprünglichen Stelle ab, weil sie dann die von ihnen vorgesehenen Drainmatten nicht anbringen könnten. Dagegen und gegen die angebliche Entfernung eines Grenzsteins richtet sich die Klage, soweit sie noch anhängig ist.

Das Amtsgericht hat die Beklagten unter Abweisung im übrigen verurteilt, den Torpfosten ohne bauliche Veränderungen am Tor wiederherzustellen. Den Streitwert hat es auf 3.500 € festgesetzt. Die Berufung der Beklagten hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil die Berufungssumme von 600 € nicht überschritten sei und das Amtsgericht die Berufung nicht zugelassen habe. Für die Berufungssumme sei die Beschwer der Beklagten als Berufungsführer maßgeblich. Hierfür seien allein die Kosten der Wiederherstellung des Torpfostens anzusetzen, da eine weitergehende Verurteilung nicht erfolgt sei. Diese betrügen insgesamt 587,16 €. Das ergebe sich aus einer von den Beklagten zur Darstellung der Kosten für die Anlegung der Drainmatten eingereichten Rechnung. Diese enthalte auch Maßnahmen zum Wiedereinsetzen des Torpfostens. Der dort angesetzte Betrag von 642,40 € sei um 65,24 € zu kürzen, weil er auch andere Arbeiten umfaßt habe.

III.

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts H. vom 17. Februar 2004 ist zulässig.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Beschwerdewert verfehlen das eigentliche Ziel der Berufung der Beklagten. Damit hat das Berufungsgericht den Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221, 227; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388; Beschl. v. 23. Oktober 2003, V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes den für eine Wertberufung erforderlichen Betrag von 600 € übersteigt, ist das Berufungsgericht nicht an eine (höhere) Streitwertfestsetzung durch das erstinstanzliche Gericht gebunden. Zwar kann das Amtsgericht eine Berufung auch unterhalb von 600 € zulassen. Das ändert aber nichts daran, daß eine Berufung ohne eine solche Zulassung nur bei Übersteigen der Berufungssumme von 600 € zulässig ist (Senat, Beschl. v. 9. Juli 2004, V ZB 6/04, BGH-Report 2004, 1643, 1644).

b) Der Wert des von den Beklagten mit ihrer Berufung verfolgten Antrags, ihre Verurteilung zur Wiederherstellung des Torpfostens insoweit aufzuheben, als das Tor dabei nicht verändert werden dürfe, war von dem Berufungsgericht gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen. Eine solche Festsetzung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Beschl. v. 9. Juli 2004, V ZB 6/04, aaO; zur Revision auch Senatsurt. v. 24. April 1998, V ZR 225/97, NJW 1998, 2368).

c) Ein solcher Ermessensfehler liegt hier vor.

aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, daß bei der Berechnung der Beschwer der Beklagten die Ersatzbeschaffungskosten für die ihnen aufgegebene Wiederherstellung des Tores anzusetzen sind. Diese hat es auch ermessensfehlerfrei ermittelt. Auf seine Frage nach ihrer Beschwer haben die Beklagten die Rechnung der Fa. A. vorgelegt. Diese hatte zwar in erster Linie den Zweck, die Kosten der Anbringung der Drainmatten zu belegen, an der sich die Beklagten jetzt gehindert sehen. Sie konnte aber gleichwohl eine taugliche Grundlage für die Ermittlung der Ersatzbeschaffungskosten sein. Denn zu den der Fa. A. in Auftrag zu gebenden Arbeiten gehörte auch die Wiederherstellung des Torpfostens. Das Berufungsgericht hat die dafür anfallenden Kosten auf Grund der insoweit einschlägigen Position der Rechnung geschätzt und um einen geringfügigen Betrag gekürzt, da die dort angegebenen Baggerarbeiten auch anderen Zwecken dienten. Das ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu beanstanden. Dagegen spricht auch nicht, daß die Kläger eine Sicherheit von 3.000 DM verlangt haben. Denn diese diente der Absicherung aller Schäden, z. B. auch der Nachteile durch eine Absenkung der Hofpflasterung auf dem Hofgrund der Kläger. Auch zeigt die Zwischenrechnung der Fa. A. für den ausgeführten Teil der Arbeiten an den Drainmatten, daß der von dem Berufungsgericht angesetzte Betrag nicht unrealistisch ist. Diese Rechnung beläuft sich über 1.587,75 DM und erfaßt mehr Arbeiten als die Wiederherstellung des Pfostens verlangt.

bb) Ermessensfehlerhaft ist es aber, den von den Beklagten mit ihrer Berufung geltend gemachten Nachteil, nämlich die Einschränkung in der Nutzung ihres Eigentums zur Sanierung ihres Hauses, unberücksichtigt zu lassen.

(1) Der Senat hat entschieden, daß die Beschwer des zur Beseitigung einer Eigentumsstörung Verurteilten nicht nach dem Interesse des Klägers an der Beseitigung, sondern eigenständig nach den Nachteilen zu berechnen ist, die dem Verurteilten bei Befolgung der Verurteilung drohen (BGHZ 124, 313, 318). Seine Beschwer ist auch nicht durch das Interesse des Klägers begrenzt (BGHZ 124, 313, 315; MünchKomm-ZPO/Schwerdtfeger, 2. Aufl., § 3 Rdn. 45; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 3 Rdn. 34; a.A. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 3 Rdn. 47 Stichwort Abwehrklage). Daran hält der Senat fest, weil die Waffengleichheit der Parteien im Verfahren anders nicht zu gewährleisten ist. Der Nachteil einer Verurteilung besteht für den Verurteilten in aller Regel darin, daß ihm für den Fall der Nichtbefolgung Ersatzbeschaffungskosten drohen. Der Nachteil des Verurteilten muß sich aber nicht auf solche Ersatzbeschaffungskosten beschränken. Vielmehr sind auch andere Nachteile jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Beseitigung der Störung stehen (BGHZ 124, 313, 319).

(2) Einen solchen Nachteil machen die Beklagten hier geltend. Die angegriffene Verurteilung zwingt die Beklagten nach ihrem Vortrag dazu, den Torpfosten auf ihrem Grundstück so dicht an ihrer Hauswand aufzustellen, daß die bereits teilweise angelegten Drainmatten die Entfeuchtung der Kellerwand nicht mehr leisten können und die getroffenen Entfeuchtungsmaßnahmen wertlos werden. Das müssen die Beklagten entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht schon auf Grund der rechtskräftigen Abweisung ihrer Klage auf Beseitigung des Torpfostens im Vorprozeß hinnehmen. Gegenstand dieses Urteils war nur die damals mit der Aufstellung des Torpfostens auf dem Grundstück der Beklagten verbundene Eigentumsstörung. Seine Rechtskraft beschränkt sich auf diese Eigentumsstörung. Es steht deshalb auch nicht etwa als kontradiktorisches Gegenteil fest, daß die Beklagten die Aufstellung des Torpfostens an der bisherigen Stelle auch dann dulden müssen, wenn dies zu einer anderen Eigentumsstörung führt. Das wäre ein neuer Sachverhalt, dessen auch einredeweiser Geltendmachung die Rechtskraft des früheren Urteils nicht entgegensteht (Senat, Urt. v. 17. März 1995, V ZR 178/93, NJW 1995, 1757; Senat, Urt. v. 14. Juli 1995, V ZR 171/94, NJW 1995, 2993, 2994; Urt. v. 24. April 1998, V ZR 225/97, NJW 1998, 2368; vgl. auch BGH Urt. v. 10. September 1997, XII ZR 222/95, NJW 1998, 374, 375). Die hier von den Beklagten geltend gemachte Beeinträchtigung ihres Eigentums war nicht Gegenstand des Vorprozesses. Ihre Verurteilung zur Wiederherstellung des Tores führt damit nicht zur Wiederherstellung des früheren Zustands, sondern zu einer über die bisher festgestellte hinausgehenden Duldungspflicht. Diese ist bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen.

d) Ihr Wert entspricht mindestens den Kosten, die für die Herstellung des bisherigen Teils der Drainmatten aufgewandt worden sind. Damit beträgt die Beschwer jedenfalls mehr als 600 €, so daß die Berufung zulässig ist und nicht als unzulässig verworfen werden durfte.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Zwar haben Grundstücksnachbarn nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf Grund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses eine Pflicht zur Rücksichtnahme (Urt. v. 31. Januar 2003, V ZR 143/02, NJW 2003, 1392; Urt. v. 11. Juli 2003, V ZR 199/02, NJW-RR 2003, 1313, 1314). Zur Duldung einer fremden Anlage ist ein Grundstückseigentümer danach aber nur verpflichtet, wenn dem Nachbarn ein ungewöhnlich schwerer Nachteil droht, der durch ihm zumutbare Alternativen nicht abgewendet werden kann (Senat, Urt. v. 11. Juli 2003, aaO). Werden diese Voraussetzungen, wie im Vorprozeß geschehen, verneint, kommt eine Duldungspflicht auch unter Rückgriff auf Treu und Glauben nicht in Betracht. Sollte sich in der neuen Verhandlung ergeben, daß die Beklagten auf Grund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses den Torpfosten nicht oder jedenfalls nicht an der bisherigen Stelle zu dulden haben, wäre der Herstellungsanspruch in diesem Umfang unbegründet.

Ende der Entscheidung

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