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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.06.1998
Aktenzeichen: V ZB 7/98
Rechtsgebiete: AuslG, FGG


Vorschriften:

AuslG § 57
FGG § 27
AuslG § 57; FGG § 27

Hat sich in einer Abschiebungshaftsache die Hauptsache durch den Ablauf der Haftdauer erledigt, gebieten die vom Bundesverfassungsgericht zur Rechtsweggarantie entwickelten Grundsätze nicht, ausnahmsweise eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung zuzulassen.

BGH, Beschl. v. 25. Juni 1998 - V ZB 7/98 - OLG Karlsruhe LG Mannheim AG Mannheim


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

V ZB 7/98

vom 25. Juni 1998

in der Abschiebungshaftsache

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 25. Juni 1998 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Hagen und die Richter Dr. Vogt, Dr. Wenzel, Schneider und Dr. Klein

beschlossen:

Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 25. November 1997 wird auf Kosten des Antragsgegners als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Mit Beschluß vom 21. Oktober 1997 hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen die Verlängerung der Abschiebungshaft bis längstens 28. November 1997 angeordnet. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 25. November 1997 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die mit einem Prozeßkostenhilfeantrag verbundene sofortige weitere Beschwerde des am 5. Januar 1998 abgeschobenen Betroffenen vom 4. Dezember 1997, die das Oberlandesgericht Karlsruhe als unzulässig verwerfen möchte. Es sieht sich daran jedoch durch die Beschlüsse der Oberlandesgerichte Köln vom 16. Juli 1997 (NJW 1998, 462) und Frankfurt am Main vom 21. November 1997 (NVwZ-Beilage 1998, 22) gehindert und hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Vorlage ist statthaft (§ 28 Abs. 2 FGG i.V.m. § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG).

Das vorlegende Gericht möchte an seiner Rechtsauffassung festhalten, daß die erst nach Ablauf der angegriffenen Haftanordnung eingelegte Beschwerde als unzulässig zu verwerfen sei. An dieser rechtlichen Beurteilung habe sich durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz bei erledigten Durchsuchungsanordnungen und präventiven polizeilichen Ingewahrsamnahmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30. April 1997, 2 BvR 817/90, NJW 1997, 2163; v. 27. Mai 1997, 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165; v. 19. Juni 1997, 2 BvR 941/91, NStZ-RR 1997, 330; v. 26. Juni 1997, 2 BvR 126/91, HessJMBl 1997, 706; vgl. ferner Beschl. v. 24. März 1998, 1 BvR 1935/96 u.a., Pressemitteilung Nr. 36/98 v. 9. April 1998) nichts geändert. Demgegenüber sehen sich die Oberlandesgerichte Köln und Frankfurt am Main durch diese Entscheidungen veranlaßt, ihre bisherige Rechtsprechung aufzugeben und eine sachliche Überprüfung der Haftanordnung auch nach ihrer Erledigung zuzulassen. Das vorlegende und die beiden anderen Oberlandesgerichte sind mithin über dieselbe, nach Auffassung des vorlegenden Gerichts entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedlicher Meinung. Dies rechtfertigt die Vorlage.

Die Vorlagepflicht ist auch nicht deshalb entfallen (vgl. BGHZ 15, 151, 153 f), weil der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (BGHZ 109, 108, 110), daß ein nach Ablauf der Haftdauer eingelegtes Rechtsmittel unzulässig ist. Denn es geht gerade um die Frage, ob die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs durch die erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholt ist.

III.

Die statthafte sofortige weitere Beschwerde (§ 27 Abs. 1 FGG, § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG) ist unzulässig. Durch den Ablauf der mit Beschluß vom 21. Oktober 1997 angeordneten Verlängerung der Abschiebungshaft ist der im Rechtsmittelzug auf Rechtmäßigkeit zu überprüfende Verfahrensgegenstand entfallen und die Hauptsache erledigt. Das nachträglich eingelegte Rechtsmittel ist auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die frühere Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 49, 329 ff), nach der Art. 19 Abs. 4 GG bei erledigten Grundrechtseingriffen eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung in der Regel nicht verlangt, für die Fälle der prozessualen Überholung bei richterlichen Durchsuchungsanordnungen und beendeten präventiven polizeilichen Unterbringungsgewahrsam aufgegeben. Es stellt nunmehr darauf ab, daß es die von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Effektivität des Rechtsschutzes den Rechtmittelgerichten verbiete, ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel ineffektiv zu machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" zu lassen. Von diesem Grundsatz sei bei der Antwort auf die Frage, ob im jeweiligen Einzelfall für ein statthaftes Rechtsmittel ein Rechtsschutzinteresse bestehe, auszugehen. Dies bedeute aber nicht, daß es mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben ansehen, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Lediglich in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe sei ein Rechtsschutzinteresse ausnahmsweise auch dann gegeben, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in den von der Verfahrensordnung eröffneten Instanzen kaum erlangen kann.

2. Bei der Abschiebungshaft handelt es sich nicht um einen solchen Ausnahmefall. Zwar stellt die mit ihr verbundene Freiheitsentziehung für den Betroffenen einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Anders als bei der Durchsuchung und präventiven Ingewahrsamsnahme ist die Abschiebungshaft jedoch nach ihrem typischen Ablauf nicht auf eine so kurze Beeinträchtigung angelegt, daß die Gefahr des "Leerlaufens" der gegen ihre Anordnung eröffneten Rechtsmittel bestünde. Die Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind bei typischem Verfahrensablauf in der Lage, die Entscheidungen innerhalb der Haftdauer herbeizuführen (vgl. BayObLGZ 1997, 287, 288; 1997, 298, 300; OLG Hamm NJW 1998, 463, 464). Abgesehen von den Maßnahmen während der Direktabschiebung, bei denen es sich nur um freiheitsentziehende Eingriffe handelt, wenn sie über die Anwendung des zur Durchführung der Ausreise erforderlichen unmittelbaren Zwangs hinausgehen oder der Abzuschiebende in einen Haftraum verbracht wird (vgl. Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 3. Aufl., § 2 FreiEntzG Rdn. 2), läuft die Abschiebungshaft regelmäßig auf eine Dauer von mehreren Wochen oder sogar Monaten hinaus. Während die Dauer der Vorbereitungshaft (§ 57 Abs. 1 AuslG) sechs Wochen nicht übersteigen soll, beträgt die gesetzliche Höchstdauer der Sicherungshaft (§ 57 Abs. 2 AuslG) sechs Monate (§ 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG) und darf nach Maßgabe des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG auf bis zu achtzehn Monate ausgedehnt werden.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zwar der Zeitraum der Abschiebungshaft auf das zur Ermöglichung der Abschiebung unbedingt Erforderliche zu beschränken und die Haft bei Wegfall ihrer Voraussetzungen sofort zu beenden (BayObLGZ 1991, 258, 260; OLG Celle, NdsRpfl 1995, 214, 215; OLG Braunschweig, NdsRpfl 1995, 394). Sie kann deshalb im Einzelfall nur wenige Tage dauern. Diese Fälle bestimmen indes nicht den typischen Verfahrensablauf der Abschiebungshaft (vgl. BayObLGZ 1997, 298, 300). Für die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses ist deshalb nicht auf diese Einzelfälle, sondern darauf abzustellen, ob die Maßnahme ihrer Natur nach häufig vor gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet ist. Dies aber ist bei der Abschiebungshaft nicht der Fall.

Die weitaus überwiegende Zahl der Haftanordnungen stützt sich auf die Gründe der Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 Ziff. 1 bis 5 AuslG. Dabei ist ein zentrales Problem die Beschaffung fehlender, zur Rückführung erforderlicher Paß- oder Paßersatzpapiere, wenn diese abhanden gekommen sind oder der Abzuschiebende versucht, die vorhandenen Dokumente oder seine Identität zu verheimlichen. Gegebenenfalls muß zunächst mittels im Einzelfall aufwendiger Sachverständigengutachten das Herkunftsland ermittelt werden. Die Vertretungen der Herkunftsländer verlangen zum Teil die persönliche Vorführung ihrer Staatsangehörigen trotz Vorhandensein von Originaldokumenten, verweigern die Annahme von Anträgen oder erheben unzumutbar hohe Gebühren (vgl. Göbel-Zimmermann, ZAR 1996, 110, 113). Alle diese Umstände können zu langer, häufig mehrmonatiger Freiheitsentziehung beitragen (vgl. Deichmann, MDR 1997, 16, 17).

Im Gegensatz dazu verbraucht sich ein nach der Strafprozeßordnung ergangener Durchsuchungsbeschluß innerhalb weniger Stunden, allenfalls Tage, in denen die Maßnahme durchgeführt wird. Auch der präventive polizeiliche Unterbringungsgewahrsam ist als kurzzeitiger Eingriff ausgestaltet. Er erledigt sich, sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei wegfällt, spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn er nicht vorher durch richterliche Entscheidung angeordnet ist; die richterliche Anordnung darf nicht mehr als zwei Wochen betragen (vgl. Art. 20 BayPAG).

Auch die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem Freiheitsentziehungsgesetz läßt kein Bedürfnis nach Zulassung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags erkennen. Während bei der Durchsuchung in aller Regel ohne Anhörung des Betroffenen zu entscheiden ist, wird der betroffene Ausländer zu allen für die Entscheidung erheblichen Umständen persönlich angehört, bei Minderjährigen auch beide Elternteile sowie bei Verheirateten grundsätzlich der Ehegatte. Bei fehlenden Sprachkenntnissen erfolgt die Hinzuziehung eines Dolmetschers. Der Betroffene kann sich im Abschiebungshaftverfahren bereits im Vorfeld mit einem Rechtsanwalt seiner Wahl als Bevollmächtigtem beraten und sich im Anhörungstermin dessen Beistands bedienen. Im Einzelfall kann die Beiordnung eines Pflichtanwalts in Betracht kommen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 15 Abs. 1, 14 Abs. 3 FreihEntzG.

4. Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe (§ 3 Satz 2 FreihEntzG, § 14 FGG, § 114 ZPO) wird abgelehnt.

Ende der Entscheidung

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