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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.1973
Aktenzeichen: V ZR 109/71
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 198 Satz 1
BGB § 902 Abs. 1 Satz 1
BGB § 910
BGB § 1004
Der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB ist kein Anspruch aus einem eingetragenen Recht im Sinne des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Geht das Eigentum an dem beeinträchtigten Grundstück auf einen anderen über, so wird dadurch für den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt.

Das Selbsthilferecht des § 910 BGB schließt den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB nicht aus.

Tritt die beeinträchtigende Wirkung herüberragender Zweige erst dadurch ein, daß die Benutzung des betroffenen Grundstücks geändert wird, so entsteht im Sinne des § 198 Satz 1 BGB der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB erst in diesem Zeitpunkt.


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 1973

durch

die Richter Dr. Rothe, Dr. Freitag, Dr. Nattern, Offterdinger und von der Mühlen

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden, unter Zurückweisung im übrigen, das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Mai 1971 und das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 6. Oktober 1970 aufgehoben.

Es wird, festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten zu ersetzen, die ihr durch die Beseitigung der Äste entstehen, die von der umstrittenen Birke auf ihr Grundstück herüberragen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 7/8 und der Beklagte 1/8.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind Eigentümer nebeneinander liegender Grundstücke in der Straße R... in K.... Die Klägerin hat ihr Grundstück R... Nr. 6 etwa im Jahre 1964 von ihrem Vater geerbt und ein damals vorhandenes Wochenendhaus zu einem modernen Bungalow ausgebaut. Auf dem Grundstück R... Nr. 8 des Beklagten steht unmittelbar an der Straßenfluchtlinie und etwa 40 bis 50 cm von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt eine etwa 70 bis 80 Jahre alte Birke, von der einige Äste auf das Grundstück der Klägerin hinüberragen.

Die Klägerin hat vorgetragen: Die Birke verursache durch Blätter- und Kätzchenfall, durch Schattenwurf und als Rastplatz für zahlreiche Tauben eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung ihres Grundstücks. In den entsprechenden Jahreszeiten seien der zum Haus führende Plattenweg aus Naturstein verschmutzt und die Garagenrinnen verstopft. Das schmiedeeiserne Tor roste und werde von den Tauben verunreinigt. Das Holzgerüst des Garagendachs sei der Fäulnis ausgesetzt.

Die Klägerin hat deshalb Verurteilung des Beklagten zur Beseitigung der Birke beantragt. Hilfsweise hat sie Feststellung dahin begehrt, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr die für die Beseitigung der Äste aufzuwendenden Kosten zu ersetzen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat u.a. erwidert: Da die Grundstücke der Parteien in einem Waldrandgebiet lägen, seien Beeinträchtigungen der von der Klägerin gerügten Art nicht zu vermeiden. Auch habe der Vater der Klägerin diesen Zustand mehr als 50 Jahre lang unbeanstandet geduldet.

In den Vorinstanzen hatte die Klägerin mit ihrem Hauptantrag Erfolg.

Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

1.

Das Berufungsgericht geht von dem am 1. Juli 1969 in Kraft getretenen Nordrhein-Westfälischen Nachbarrechtsgesetz (NachbRGNW) vom 15. April 1969 (NRWGVBl S. 190) aus, nach dessen § 41 Abs. 1 Nr. 1b für Birken ein Mindestgrenzabstand von 2 m einzuhalten ist. Nach § 45 Abs. 1e NachbRGNW gilt diese Bestimmung zwar nicht für die beim Inkrafttreten des Nachbarrechtsgesetzes vorhandenen Anpflanzungen, deren Abstand dem bisherigen Recht entspricht. Nach dem bis dahin geltenden Rheinischen Recht (Art. 671 Code civil) sei aber, so führt das Berufungsgericht aus, für Birken ebenfalls ein Abstand von mindestens 2 m vorgesehen gewesen.

Schon das bloße Unterschreiten des gesetzlichen Mindestabstandes stellt nach der Auffassung des Berufungsgerichts eine Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin im Sinne des § 1004 BGB dar, die zur Begründung des aus dieser Vorschrift herzuleitenden Beseitigungsanspruchs genüge; dieser sei von der Klägerin auch innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 Satz 2 NachbarRGW geltend gemacht worden.

Dieser Beseitigungsanspruch ist nach der weiteren Auffassung des Berufungsgerichts auch weder durch die Vorschrift des § 242 BGB noch durch die für das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis entwickelten Rechtsgrundsätze ausgeschlossen. Auch die Voraussetzungen der Verwirkung des Anspruchs erachtet das Berufungsgericht nicht für gegeben. Was die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung anbetrifft, so ist das Berufungsgericht der Auffassung, daß der Beseitigungsanspruch des Vaters der Klägerin nach § 195 BGB schon zu dessen Lebzeiten verjährt sei; er sei nicht der Verjährung entzogen, weil er nicht zu den gemäß §§ 898, 924 BGB von der Verjährung ausgeschlossenen sachenrechtlichen Ansprüchen gehöre. Als nicht verjährt erachtet das Berufungsgericht jedoch den Beseitigungsanspruch, der mit dem Eigentumserwerb der Klägerin in ihrer Person neu entstanden sei. Zur Begründung führt das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf Schrifttum und Rechtsprechung aus, der Anspruch aus § 1004 BGB stehe dem gestörten Eigentümer als solchem zu; zur Begründung des Anspruchs sei daher zwar erforderlich, aber auch ausreichend, daß der Gestörte Eigentümer und sein Eigentum beeinträchtigt sei.

2.

Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis jedenfalls insoweit mit Erfolg, als das Berufungsgericht die Einrede der Verjährung nicht hat durchgreifen lassen.

a)

Bei der Entscheidung der Frage, ob die Einrede der Verjährung begründet ist, bedarf es zunächst eines Eingehens auf die sowohl von dem Berufungsgericht als auch von der Revision nicht beachtete Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz. 1 BGB, wonach die Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht der Verjährung unterliegen. Gehört nämlich der hier in Betracht kommende Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB (vgl. § 50 NachbRGNW) zu den Ansprüchen in diesem Sinn, so wäre er schon aus diesem Grund nicht verjährt.

Die Frage, ob der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB unter die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB fällt, ist im Schrifttum umstritten. Sie wird teils, insbesondere im älteren Schrifttum, bejaht (Turnau/Förster, Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches 3. Aufl. § 906 BGB Anm. 13; Biermann BGB 3, Aufl. § 902 Anm. 1; Rosenberg, Sachenrecht § 902 BGB Amt. II 1b, Warneyer BGB § 902 Anm. Abs. 1; Planck BGB 5. Aufl. § 906 Anm. 5g; Soergel/ Siebert BGB 10.- Aufl. § 1004 Anm. 73 und wohl auch Palandt BGB 32. Aufl. § 902 Anm. 1b), teils, insbesondere im neueren Schrifttum, verneint (Staudinger BGB 11. Aufl. § 906 Ann. 51; BGB RGRK 11. Aufl. § 906 Anm. 41d; Erman BGB 5. Aufl. § 906 Anm. 34; Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht 5. Aufl. § 38 VI, S. 780; Glaser/Dröschel, Das Nachbarrecht in der Praxis 3. Aufl. Nr. 51g, S. 193; vgl. auch RG JW 1927, 893, 894).

Der Senat folgt der letzteren Auffassung, weil es Sinn und Zweck der Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB entspricht, sie nicht auch auf den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB zu erstrecken.

Die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB macht eine Ausnahme von der Regel des § 194 Abs. 1 BGB, nach der die Ansprüche der Verjährung unterliegen. Sie ist eine Folge der Grundbucheinrichtung, die ebenso wie die Verjährung der Rechtssicherheit dient. Aber während die Verjährung, um diese Sicherheit zu erreichen, den Verpflichteten vor der Geltendmachung eines Rechts schützt, das infolge der langen Dauer seiner Nichtausübung zweifelhaft und ungewiß erscheint, sucht die Grundbucheinrichtung dadurch zum Ziele zu gelangen, daß sie den Berechtigten schützt, indem sie dessen Recht mittels der Eintragung feststellt und somit der Ungewißheit entzieht. Bei eingetragenen Rechten entfällt somit, soweit ihr Inhalt aus dem Grundbuch sich ergibt, der Grund, auf dem die Verjährung beruht. Die Verjährung könnte hier nur unter Preisgabe eines Hauptzwecks der Grundbucheinrichtung zugelassen werden (Planck a.a.O. § 902 Anm. 1).

Bei der Entscheidung der Frage, ob der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB unter die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB fällt oder nach § 194 Abs, 1 BGB der Verjährung unterliegt, bietet einen Anhaltspunkt die Vorschrift des § 902 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach der vorhergehende Satz nicht für Ansprüche gilt, die auf Rückstände wiederkehrender Leistungen oder auf Schadensersatz gerichtet sind. Diese Ausnahmeregelung beruht auf dem Gedanken, daß das Grundbuch über sie keine Auskunft gibt und, wenn man insoweit die Verjährung zuläßt, nicht unrichtig wird (Planck a.a.O. § 902 Anm. 3; Staudinger a.a.O. § 902 Anm. 3a; vgl. auch Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch III. Band S. 140). Das trifft aber auch für den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB zu. Er ergibt sich nicht aus dem Inhalt des Grundbuchs. Dieses läßt nur erkennen, wer Eigentümer welchen Grundstücks ist, nicht aber, ob ein Anspruch auf Beseitigung eines Baumes auf Grund von landesrechtlichen Abstandsvorschriften gegeben ist. Da es sich somit bei dem Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB nicht um einen, Anspruch aus einem eingetragenen Recht im Sinne des § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt (BGB RGRK a.a.O. § 906 Anm. 41), hat das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht angenommen, daß dieser Beseitigungsanspruch der dreißigjährigen Verjährung des § 195 BGB unterliegt.

b)

Was die nunmehr erforderliche Entscheidung der Frage anbetrifft, ob die Klägerin die gegenüber ihrem Rechtsvorgänger eingetretene Verjährung des Beseitigungsanspruchs gegen sich gelten lassen muß, so unterliegt es keinen, rechtlichen Bedenken, daß der Anspruch auf Beseitigung einer Eigentumsstörung dem Eigentümer als solchem zusteht und zur Begründung des Anspruchs erforderlich und ausreichend ist, wenn der Gestörte Eigentümer und sein Eigentum beeinträchtigt ist. Der Erwerb des gestörten Grundstücks machte deshalb, wie dem Berufungsgericht zu folgen ist, die Klägerin zur Anspruchsberechtigten (Urteil des Senats vom 30. September 1955 - V ZR 140/54, BGHZ 18, 223, 225). Daraus folgt aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch nicht, daß der Klägerin damit insofern ein neuer Anspruch entstanden sei, als nunmehr die Verjährungsfrist erneut zu laufen beginne. Aus der von dem Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung und Literatur (Urteil des Senats vom 30. September 1955 a.a.O.; Planck a.a.O. § 1004 Anm. 2 a; Soergel/Siebert a.a.O. § 1004 Anm. 36; Hoche NJW 1964, 2420) ergibt sich in dieser Hinsicht nichts. Dort ist nur ausgeführt, wer anspruchsberechtigt ist und wie der Anspruchsberechtigte den Anspruch erwirbt.

Bei einem schuldrechtlichen Anspruch hat der Wechsel in der Person des Berechtigten keinen Einfluß auf den Lauf der Verjährung, da der Anspruch derselbe bleibt. Die Verjährung, die für den Anspruch zu laufen begonnen hat, setzt deshalb trotz der Rechtsnachfolge ihren Lauf fort (Staudinger a.a.O. § 221 Anm. 2; Erman a.a.O. § 221 Anm. 1; Soergel/Siebert a.a.O. § 221 Anm. 1). Im Ergebnis nicht anders verhält es sich bei einem Wechsel in der Person des Eigentümers eines beeinträchtigten Grundstücks hinsichtlich des Beseitigungsanspruchs des § 1004 BGB. Der dingliche Anspruch hat zwar im Gegensatz zum schuldrechtlichen seinen Grund nicht In einer Beziehung des Berechtigten zu einem, bestimmten Verpflichteten, sondern in einem Recht unmittelbarer Herrschaft über eine Sache (Staudinger a.a.O. § 194 Anm. 3). Er ist aber mit dem dinglichen Recht insofern untrennbar verbunden, als er die Verwirklichung des diesem Recht entsprechenden Zustandes gegenüber demjenigen ermöglicht, der den gegenteiligen Zustand aufrecht erhält. Daraus ergibt sich, daß er nicht selbständig übertragbar ist und andererseits mit dem Übergang des absoluten Rechts ohne weiteres auf den neuen Rechtsinhaber übergeht (Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. § 14 I S. 196; von Tuhr, Der allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, zweiter Band, zweite Hälfte § 91 IV 2d, S. 519; vgl. auch BGB RGRK a.a.O. § 1028 Anm. 2). Ist aber der Anspruch, der dem neuen Eigentümer zusteht, mit dem Anspruch des bisherigen Eigentümers identisch, so kann bei einem Eigentumswechsel auf seiten des Berechtigten keine neue Verjährungsfrist zu laufen beginnen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich etwas anderes auch nicht aus der Vorschrift des § 221 BGB, wonach, wenn eine Sache, hinsichtlich deren ein dinglicher Anspruch besteht, durch Rechtsnachfolge in den Besitz eines Dritten gelangt, die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit dem Rechtsnachfolger zustatten kommt. In dieser Vorschrift ist nämlich, wie das Berufungsgericht auch nicht verkennt, die Frage der Verjährung des dinglichen Anspruchs nur insoweit geregelt, als es um den Wechsel im Besitz derjenigen Sache geht, hinsichtlich deren ein dinglicher Anspruch besteht. Es geht darin also lediglich um den Wechsel in der Person des Verpflichteten und nicht, wie im vorliegenden Fall, um den in der Person des Berechtigten.

Hiernach begann die Verjährung des Beseitigungsanspruchs nach § 1004 BGB mit dem Pflanzen bzw. Entstehen der Birke, spätestens mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (Art. 169 EGBGB). Die Verjährungsfrist des § 195 BGB war daher auf jeden Fall noch vor dem Eigentumserwerb der Klägerin abgelaufen. Diese hat deshalb von ihrem Vater lediglich einen einredebehafteten Anspruch erworben.

Der in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin vertretenen Meinung, der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB entstehe wegen fortdauernder Einwirkung ständig neu, vermag der Senat nicht zu folgen, weil die gesetzliche Regelung (§§ 41 Abs. 1 Nr. 1b, 50 NachbRGNW) die künftige natürliche Entwicklung im allgemeinen mitumfaßt.

Daraus ergibt sich, daß der Hauptantrag der Klägerin unbegründet ist und deshalb insoweit ihre Klage abzuweisen war.

3.

Damit gewinnt der Hilfsantrag Bedeutung, auf den das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht eingegangen ist.

Die Entscheidung über den Hilfsantrag hängt zunächst von der in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittenen Frage ab, in welchem Verhältnis das Selbsthilferecht des § 910 BGB, wonach der Eigentümer eines Grundstücks die von einem Nachbargrundstück herüberragenden Zweige abschneiden und behalten kann, zu dem Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB steht. Es wird teilweise unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte des § 910 BGB die Meinung vertreten, daß ein Anspruch nach § 1004 BGB durch die Vorschrift des § 910 BGB ausgeschlossen werde (LG Köln RdL 1954, 100; LG Stuttgart MDR 1965, 990; Turnau/Förster a.a.O. § 910 BGB Ann. I 1; Planck a.a.O. § 910 Anm. 2; BGB RGRK a.a.O. § 910 Anm. 1b; Staudinger a.a.O. § 910 Ann. 4). Nach der Gegenmeinung, die im wesentlichen von dem allgemeinen Grundsatz des § 903 BGB ausgeht, hat der gestörte Grundstückseigentümer durch § 910 BGB nichts verloren; es sei ihm dadurch vielmehr ein zusätzliches Recht an die Hand gegeben (LG Tübingen RdL 1954, 44; LG Hamburg MDR 1955, 478; LG Aachen NJW 1961, 734; LG Heidelberg NJW 1967, 1917; Palandt a.a.O. § 910 Anm. 1; Erman a.a.O. § 910 Anm. 2; Wolff/Kaiser Sachenrecht 10. Bearb. § 54 I 3, S. 195; Westermann Sachenrecht 5. Aufl. § 66 VI 1, S. 331; Meisner/Stern/Hodes a.a.O. § 21 II, S. 434). Nach einer vermittelnden Ansicht soll der Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB nur dann gegeben sein, wenn dem gestörten Eigentümer die Ausübung des Selhsthilferechts nicht zuzumuten ist (OLG Karlsruhe MDR 1971, 926) oder wenn er über das Selbsthilferecht hinaus reicht (Soergel/Siebert a.a.O. § 910 Anm. 2).

Der Senat folgt der Auffassung, daß der gestörte Eigentümer befugt ist, sowohl die von dem Nachbargrundstück herüberragenden Zweige selbst abzuschneiden als auch von dem Grundstücksnachbarn die Beseitigung der Zweige zu verlangen. Dafür spricht, ohne daß der Entstehungsgeschichte des § 910 BGB (vgl. hierzu Mugdan a.a.O. S. 159 und 593) eine entscheidende Bedeutung beizumessen wäre, schon der Grundgedanke des § 903 BGB, wonach der Eigentümer andere von jeder Einwirkung ausschließen kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen; daß der andere ein Recht hat, Zweige seiner Bäume in den Machtbereich seines Nachbarn eindringen zu lassen, ist jedoch nirgends, insbesondere nicht in § 910 BGB bestimmt (Meisner/Stern/Hodes a.a.O. § 21 II, S. 434), Die Meinung, daß § 910 BGB den Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB ausschließe, hat im Gesetz auch keinen Ausdruck gefunden.

Da der Vater der Klägerin auch das Herüberragen der Zweige der Birke auf sein Grundstück geduldet hat, ist allerdings noch zu prüfen, ob der der Klägerin nach § 1004 BGB zustehende Anspruch auf Beseitigung der Zweige nicht ebenso verjährt ist wie der Anspruch auf Beseitigung der Birke selbst. Die Frage ist indessen zu verneinen, weil die von der Klägerin behaupteten und von dem Beklagten auch nicht bestrittenen beeinträchtigenden Auswirkungen auf ihr Grundstück (Plattenweg, Tor, Garage) erst eingetreten sind, nachdem sie nach dem Erwerb des Grundstücks etwa im Jahre 1964 ein damals vorhandenes Wochenendhaus in einen modernen Bungalow ausgebaut hatte. Daß die Zweige schon früher vorhanden waren und erst der Ausbau des Wochenendhauses zu der Störung führte, ist ohne Bedeutung. Die zeitliche Priorität gab dem Beklagten keine rechtliche Handhabe, das Eigentum der Klägerin zu beeinträchtigen (vgl. Urteil des Senats vom 6. Juni 1969 - V ZR 53/66, LM § 906 BGB Nr. 32 Bl. 2 R und Meisner/Stern/Hodes a.a.O. § 16 V 2, S. 340 hinsichtlich vom Nachbargrundstück ausgehender Geräuschimmissionen). Damit ist der Anspruch der Klägerin auf Beseitigung der von dem Grundstück des Beklagten herüberragenden Zweige erst mit dem Ausbau des Wochenendhauses im Sinne des § 198 Satz 1 BGB entstanden und deshalb noch nicht verjährt.

Steht der Klägerin aber ein Anspruch auf Beseitigung der herüberragenden Zweige zu, so ist der Beklagte auch verpflichtet, der Klägerin die zur Beseitigung erforderlichen Kosten zu erstatten. Das ergibt sich aus § 812 in Verbindung mit § 818 Abs. 2 BGB. Da der Beklagte dadurch, daß die Klägerin die zur Beseitigung der Zweige erforderlichen Arbeiten durchführen läßt und bezahlt, von einer ihm obliegenden Verpflichtung befreit wird, hat er für die bei ihm insoweit eingetretene Bereicherung Wertersatz zu leisten (LM § 1004 BGB Nr. 70; LG Aachen NJW 1961, 734; Palandt a.a.O. § 1004 Anm. 2f ff).

4.

Auf die Rechtsmittel des Beklagten war somit unter Aufhebung der Urteile des Oberlandesgerichts und des Landgerichts die von der Klägerin mit dem Hilfsantrag beantragte Feststellung auszusprechen und im übrigen die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Ende der Entscheidung

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