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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 18.05.2001
Aktenzeichen: V ZR 119/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 921
Der Bau einer Wand, die ohne eine auf dem Nachbargrundstück als Grenzwand errichtete Giebelwand nicht standfest ist, führt nicht zum Entstehen von Miteigentum an der aus beiden Wänden gebildeten einheitlichen Wand.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 119/00

Verkündet am: 18. Mai 2001

Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. März 2000 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte ist Eigentümer des Grundstücks K.straße 63 in H.. 1958/1959 errichteten er oder sein Rechtsvorgänger auf dem Grundstück ein Wohnhaus. Die Giebelmauer des Hauses weist keine trennende Fuge zur Giebelmauer des auf dem angrenzenden Grundstück K.straße 65 stehenden Gebäudes auf und ist ohne diese nicht standfest.

1998 erwarb die Klägerin das Grundstück K.straße 65. Sie beabsichtigte, das auf dem Grundstück errichtete Gebäude abzureißen und das Grundstück neu zu bebauen. Sie hat behauptet, wegen der mangelnden Standfestigkeit der Giebelwand des Hauses K.straße 63 habe sie die Giebelwand des auf ihrem Grundstück errichteten Gebäudes stehen gelassen, ihr Vorhaben geändert und die bestehende Wand in aufwendiger Weise in die Neubebauung ihres Grundstücks einbezogen. Hierdurch seien Mehrkosten entstanden, der Neubau habe nicht die bei einem Abriß der Giebelwand erreichbare Wohnfläche. Mit der Klage verlangt sie vom Beklagten Erstattung von insgesamt 80.985,69 DM.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision erstrebt sie die Verurteilung des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint den Abschluß einer Vereinbarung zwischen den Parteien, aufgrund deren der Beklagte die von der Klägerin verlangten Kosten zu erstatten oder zu ihnen beizutragen habe. Es meint, auch unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag sei der Beklagte der Klägerin nicht verantwortlich. Dadurch daß die Klägerin die Wand habe stehen lassen, habe sie allein ihr Geschäft geführt. Die auf dem Grundstück des Beklagten ausgeführten Baumaßnahmen hätten dazu geführt, daß eine einheitliche die Grundstücksgrenze überschreitende Giebelwand entstanden sei, die im Miteigentum der Parteien stehe. Die Wand bilde eine Grenzeinrichtung, in die die Klägerin nicht ohne Zustimmung des Beklagten habe eingreifen dürfen.

Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

Das Berufungsurteil verneint zu Unrecht, daß die Klägerin ein Geschäft des Beklagten geführt hat, indem sie die Giebelwand ihres Hauses bestehen ließ. An dieser Wand besteht weder Miteigentum der Parteien, noch bildet sie zusammen mit der nicht standfesten Giebelwand des Hauses des Beklagten eine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB. Auch ein nachbarrechtlicher Anspruch auf Ausgleich des Minderwertes des Neubaus (vgl. Senat, BGHZ 68, 350, 353 ff) kann aus diesem Grunde nicht ausgeschlossen werden.

1. Die Klägerin ist alleinige Eigentümerin der Giebelwand des auf ihrem Grundstück errichteten Gebäudes. Die Giebelwand ist eine Grenzwand, d.h. eine Wand, deren Außenkante auf der Grundstücksgrenze verläuft, ohne diese zu überschreiten. Sie steht gemäß § 94 Abs. 1 BGB im alleinigen Eigentum des jeweiligen Grundstückseigentümers. Hieran hat sich nicht dadurch etwas geändert, daß auf dem angrenzenden Grundstück des Beklagten ein Gebäude errichtet wurde, das allein nicht standfest ist und bei einem Abriß der auf dem Grundstück der Klägerin befindlichen Wand einzustürzen droht. Das auf dem Grundstück des Beklagten errichtete Gebäude bildet rechtlich aufgrund seiner mangelnden Standfestigkeit einen Anbau an das Gebäude der Klägerin. Daß durch einen solchen Anbau kein Miteigentum an der zum Anbau benutzten Grenzwand entsteht, ist in Rechtsprechung und Literatur geklärt (Senat, BGHZ 41, 177, 179 f; OLG Düsseldorf ZMR 1996, 29, 30; Palandt/Bassenge, BGB, 60. Aufl., § 921 Rdn. 15; Staudinger/Roth, BGB [1995], § 921 Rdn. 54). Hieran ist festzuhalten.

An der Qualifikation des auf dem Grundstück des Beklagten errichteten Gebäudes als Anbau an das Gebäude der Klägerin ändert sich auch nicht dadurch etwas, daß bei der Bebauung des Grundstücks des Beklagten eine nicht tragfähige Wand vor der tragenden Wand auf dem Grundstück der Klägerin errichtet wurde und der Eindruck einer einheitlichen Wand entstanden ist. Die Vormauerung läßt den Charakter des später auf dem Grundstück des Beklagten errichteten Gebäudes als Anbau an das bestehende Gebäude nicht entfallen: Die Vormauerung ändert nichts daran, daß das nach der Bebauung des Grundstücks der Klägerin auf dem Grundstück des Beklagten errichtete Gebäude auf den Bestand der Grenzwand auf dem Grundstück der Klägerin angewiesen ist.

Aus dem Urteil des Senats, BGHZ 36, 46 ff, auf das das Berufungsgericht Bezug nimmt, ergibt sich nichts anderes: Nach dieser Entscheidung entsteht durch den Anbau an eine die gemeinsame Grundstücksgrenze überragende als entschuldigten Überbau errichtete Giebelmauer Miteigentum (so schon Senat, BGHZ 27, 197, 199 ff). Damit hat der vorliegende Fall nichts zu tun: Die Giebelwand des Hauses K.straße 65 war als Grenzwand errichtet. Über die Grenze zum Grundstück des Beklagten ragte sie nicht hinaus. Ihrer Errichtung fehlt das für das Entstehen von Miteigentum durch einen Anbau entscheidende Merkmal, durch ein Überschreiten der Grundstücksgrenze der Bebauung beider Grundstücke zu dienen.

2. Durch die auf dem Grundstück des Beklagten vorgenommen Bauarbeiten ist auch keine Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB entstanden, die die Klägerin gemäß § 922 Satz 3 BGB nicht ohne Zustimmung des Beklagten entfernen dürfte.

Kennzeichen einer Grenzeinrichtung ist, daß sie von der Grundstücksgrenze durchschnitten wird und beiden Grundstücken nutzt, auf denen sie errichtet ist (Senat, BGHZ 143, 1, 3 f; Erman/Hagen, BGB, 10. Aufl., § 821 Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Säcker, 3. Aufl., § 921 Rdn. 1; Palandt/Bassenge, § 921 BGB Rdn. 1; Soergel/Baur, BGB, 12. Aufl., § 921 Rdn. 1). So verhält es sich mit der auf dem Grundstück der Klägerin errichteten Giebelwand nicht. Diese Wand war weder von der Grundstücksgrenze durchschnitten, noch nutzte sie dem Grundstück des Beklagten. Daß auf seinem Grundstück später eine weitere nicht standfeste Mauer errichtet worden ist und so nach den - von der Revision angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts eine einheitliche um die Breite der Vormauerung auf dem Grundstück des Beklagten verdickte Mauer entstanden ist, führt nicht dazu, daß die Mauer auf dem Grundstück der Klägerin Bestandteil einer Grenzeinrichtung im Sinne von § 921 BGB ist. Durch eine einseitige Maßnahme des Nachbarn wird die von dem Eigentümer des angrenzenden Grundstücks allein auf seinem Grundstück geschaffene Einrichtung nicht zu einer Grenzeinrichtung (Senat, BGHZ 91, 285, 286; 143, 1, 5; MünchKomm-BGB/Säcker, aaO., § 921 Rdn. 1; Soergel/Baur, aaO., § 921 BGB Rdn. 5; Staudinger/Roth, aaO., § 921 BGB Rdn. 9). Der Rechtsvorgänger der Klägerin brauchte die Nutzung der auf seinem Grundstück errichteten Giebelwand zur Stützung des auf dem Grundstück des Beklagten errichteten Gebäudes nicht hinzunehmen (Staudinger/Roth, aaO., § 921 BGB Rdn. 55). Daß er dieser Nutzung zugestimmt hätte, hat der Beklagte nicht behauptet. Hierauf kommt es auch nicht an. Die Zustimmung des damaligen oder eines späteren Eigentümers des Grundstücks der Klägerin zur Nutzung der bestehenden Giebelmauer als Stütze des auf dem Grundstück des Beklagten errichteten Wohnhauses würde die Klägerin als Einzelrechtsnachfolgerin in das Eigentum nämlich nicht binden (Senat, BGHZ 68, 350, 352; Staudinger/Roth, aaO., § 921 BGB, Rdn. 55; Dehner, Nachbarrecht, Stand Oktober 2000, Teil B § 8a I).

III.

Zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits ist der Senat nicht in der Lage. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, ob das Bestehenlassen der Wand dem Willen oder mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprach und bejahendenfalls Feststellungen zum Umfang und zur Höhe des geltend gemachten Anspruchs zu treffen haben.

Ende der Entscheidung

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