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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.11.2003
Aktenzeichen: V ZR 129/03
Rechtsgebiete: GBBerG


Vorschriften:

GBBerG § 9
a) § 9 GBBerG ist verfassungsgemäß.

b) Für das Entstehen der Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 GBBerG kommt es allein darauf an, ob das betroffene Grundstück am 3. Oktober 1990 für eine Energiefortleitungsanlage genutzt wurde; ob sie durch ein Mitnutzungsrecht abgesichert war, ist unerheblich.

c) Eine Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 GBBerG ist auch für Anlagen entstanden, die am 25. Dezember 1993 durch Mitnutzungs- oder Mitbenutzungsrechte abgesichert waren. § 9 Abs. 2 GBBerG gilt für solche Rechte nicht.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 129/03

Verkündet am: 28. November 2003

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Wenzel, die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin Dr. Stresemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. März 2003 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger sind in Blatt 514 des Grundbuchs von M. des Amtsgerichts P. als Eigentümer des Grundstücks M. str. 50 in M. eingetragen, das unter Nummer 4 des Bestandsblatts als Anteil an einem ungeteilten Hofraum mit der Gebäudesteuernummer 97 gebucht ist. Auf dem hinteren, in der Mittelstraße gelegenen, Teil des seit dem Abbruch früher vorhandener Gebäude 1980 geräumten Grundstücks ließ der Rat der Stadt M. 1984 eine Trafostation errichten. Diese Trafostation veräußerte der Rat der Stadt M. 1984 für 80.170 Mark der DDR als unbewegliches Grundmittel an den VEB E. P. , der die Trafostation seit dem 8. Oktober 1984 als Teil des öffentlichen Stromversorgungsnetzes in der Stadt M. betreibt. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin dieses VEB.

Die Kläger verlangen von der Beklagten die Entfernung der Trafostation. Weder sie noch ihre Rechtsvorgänger hätten der Errichtung der Trafostation zugestimmt. Die Beklagte beruft sich auf eine Zustimmung des Rats der Stadt M. und auf eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 des Grundbuchbereinigungsgesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2182 im Folgenden: GBBerG), den die Kläger für verfassungswidrig halten.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Beseitigungsbegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Beseitigungsbegehren der Kläger scheitert nach Ansicht des Berufungsgerichts daran, daß zugunsten der Beklagten durch § 9 Abs. 1 GBBerG eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit für die Unterhaltung und den Betrieb der Trafostation begründet worden sei. Dem stehe weder § 8 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684 im Folgenden: AVBEltV) noch ein Mitnutzungsrecht nach § 29 der Energieverordnung vom 1. Juni 1988 (GBl. DDR I Nr. 10 S. 89 im Folgenden: Energieverordnung 1988) entgegen. Die Kläger seien weder Kunden noch Anschlußnehmer der Beklagten. Ein Mitnutzungsrecht sei mangels Zustimmung der Eigentümer nicht entstanden. Zweifel, ob § 9 GBBerG auch nach Ablauf des Zeitraums, während dessen Mitnutzungsrechte nach § 29 Energieverordnung 1988 nach dem Einigungsvertrag fortbestehen sollten, am 31. Dezember 2010 noch verfassungsgemäß sei, könnten auf sich beruhen.

II.

Diese Erwägung halten einer revisionsrechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.

1. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, daß der Beseitigungsanspruch der Kläger aus § 1004 BGB daran scheitert, daß der Beklagten eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zusteht, die ihr den Besitz, den Betrieb, die Unterhaltung und die Erneuerung der Trafostation auf dem Grundstück der Kläger erlaubt.

a) Die Dienstbarkeit ist auf Grund von § 9 Abs. 1 GBBerG mit dessen Inkrafttreten am 25. Dezember 1993 entstanden. Danach wird kraft Gesetzes eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zugunsten von Energieversorgern im Beitrittsgebiet begründet, die diese zu Besitz, Betrieb, Unterhaltung und Erneuerung von Energieanlagen auf Leitungstrassen berechtigt, die vor dem 3. Oktober 1990 genutzt waren. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Trafoanlage auf dem Grundstück der Kläger ist eine Energieanlage im Sinne der Vorschrift. Zu den Anlagen gehören nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a Doppelbuchstabe cc der Sachenrechts-Durchführungsverordnung vom 20. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3900, im Folgenden: SachenR-DV) u. a. Trafostationen. Die Trafostation wird auch auf einer Leitungstrasse betrieben, die vor dem 3. Oktober 1990 genutzt war. Mit der Inbetriebnahme der Trafoanlage am 8. Oktober 1984 hat der VEB E. P. als hierfür zuständige Stelle auch den Verlauf des Stromversorgungsnetzes in M. im Bereich des Grundstücks der Kläger und damit eine Leitungstrasse festgelegt. An der damals festgelegten Stelle befindet sich die Anlage auch heute noch. Die M. E. -AG (M. AG), die das Stromversorgungsnetz der Stadt M. bei Inkrafttreten des § 9 Abs. 1 GBBerG am 25. Dezember 1993 als Rechtsnachfolgerin des VEB E. P. betrieb, war auch der Träger der örtlichen öffentlichen Stromversorgung und damit ein Energieversorgungsunternehmen im Sinne von § 2 des Energiewirtschaftsgesetzes in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung.

b) Unerheblich ist, ob der Rat der Stadt M. im Zuge der Errichtung der Anlage eine Vereinbarung mit dem Eigentümer nach § 29 Abs. 4 Energieverordnung 1988 i. V. m. § 17 Abs. 1 des Baulandgesetzes herbeigeführt oder eine Anordnung der Mitnutzung nach § 29 Abs. 4 Energieverordnung 1988 i. V. m. § 17 Abs. 2 des Baulandgesetzes erlassen hat oder ob angesichts der Größe der Anlage ein Mitnutzungsrecht ausschied und das (Teil-) Grundstück voll in Anspruch zu nehmen war. Nach § 9 Abs. 1 GBBerG hängt das Entstehen der Dienstbarkeit allein davon ab, daß das betroffene Grundstück am 3. Oktober 1990 für eine Anlage zur Fortleitung von Elektrizität, Gas oder Fernwärme genutzt war. Auf die rechtliche Absicherung durch ein Mitnutzungsrecht kommt es dagegen nicht an (BT-Drucks. 12/6228 S. 75). Dies entspricht dem Ziel der Vorschrift, bei der Herstellung der endgültigen rechtlichen Absicherung der Anlagen auch Lücken zu schließen, die sich durch die Nichteinhaltung der bisherigen Vorschriften ergeben hatten.

c) Die Dienstbarkeit stand allerdings entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht sofort der Beklagten zu, die zu dem maßgeblichen Zeitpunkt am 25. Dezember 1993 selbst noch gar nicht entstanden war. Das ist aber unschädlich. Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten sind zwar nach § 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht übertragbar. Bei Dienstbarkeiten, die juristischen Personen zustehen und zu Besitz und Betrieb von Energieanlagen berechtigen, ist das aber nach § 1092 Abs. 3 Satz 1 BGB anders. Sie sind kraft Gesetzes übertragbar, ohne daß es dazu einer Erklärung nach §§ 1092 Abs. 2, 1059a Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BGB bedürfte. Deshalb ist die zugunsten der M. AG entstandene beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit deren Eingliederung in die Beklagte im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf diese übergegangen.

d) Dem Entstehen der Dienstbarkeit steht auch § 9 Abs. 2 GBBerG nicht entgegen.

aa) Danach findet § 9 Abs. 1 GBBerG keine Anwendung auf Grundstücke, deren Eigentümer als Nutzer oder Anschlußnehmer den jeweiligen begünstigten Energieversorgern gegenüber auf Grund der dort genannten Rechtsverordnungen zur Duldung verpflichtet sind. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Das Grundstück der Kläger wurde und wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der Beklagten und ihren Rechtsvorgängern nicht mit Strom versorgt. Damit waren weder die Kläger noch ihre Rechtsvorgänger Kunden oder Anschlußnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten.

bb) Dem Entstehen der Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 GBBerG steht auch nicht ein Mitnutzungsrecht nach § 29 Energieverordnung 1988 entgegen. Das folgt allerdings entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht erst daraus, daß die Voraussetzungen für das Entstehen eines solchen Mitnutzungsrechts nicht vorliegen. Auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Mitnutzungsrechts kommt es nicht an.

(1) Seine gegenteilige Ansicht stützt das Berufungsgericht auf die Überlegung, der Gesetzgeber habe mit § 9 Abs. 1 GBBerG nur Lücken bei der Absicherung von Leitungsrechten füllen, nicht aber die im Einigungsvertrag aufrecht erhaltenen Mitbenutzungsrechte aufheben wollen. Diese Überlegung, die zudem im Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt findet, verkennt den Zweck der Vorschrift und steht im Gegensatz zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Die Vorschrift soll zwar auch Lücken in der Absicherung der Altenergieanlagen im Beitrittsgebiet schließen, die dadurch entstanden waren, daß die nach § 29 Abs. 2 Energieverordnung 1988 in Verbindung mit § 17 des Baulandgesetzes erforderliche Eigentümerzustimmung nicht eingeholt oder eine im Verweigerungsfall notwendige Duldungsanordnung nicht ergangen war (BT-Drucks. 12/6228 S. 75). Nach den Materialien war aber der eigentliche Anlaß für das Tätigwerden des Gesetzgebers die Erkenntnis, daß die im Einigungsvertrag vorgesehene Ablösung der nach der Energieverordnung 1988 entstandenen und vorläufig aufrecht erhaltenen Mitnutzungsrechte durch vertraglich neu zu begründende Dienstbarkeiten an praktischen Schwierigkeiten zu scheitern drohte. Erklärte Absicht des Gesetzgebers war es, diese Ablösung durch eine am voraussichtlichen Inhalt dieser Verträge ausgerichtete gesetzliche Regelung vorwegzunehmen (BT-Drucks. 12/6228 S. 76; Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214, 215). Dieses Vorgehen bot, anders als der ursprünglich vorgesehene Weg einer vertraglichen Regelung zwischen den Beteiligten, auch die Möglichkeit, die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Feststellung der betroffenen Grundstücke durch eine Leitungsbescheinigung zu beheben, die § 9 Abs. 4 GBBerG und §§ 6 und 7 SachenR-DV vorsehen. Gegenstand einer solchen Regelung mußten in erster Linie die bereits durch Mitnutzungsrechte (vorläufig) abgesicherten Energiefortleitungsanlagen sein. Wäre es, wie das Berufungsgericht meint, nur oder in erster Linie um die Absicherung von bisher nicht abgesicherten Energiefortleitungsanlagen gegangen, hätte es nahe gelegen, diese Anlagen in §§ 116, 118 SachenRBerG, die damals parallel vorbereitet wurden, einzubeziehen. Bezweckte die Regelung aber die Schaffung von Dienstbarkeiten für durch Mitnutzungsrechte abgesicherte Anlagen, besteht keine Veranlassung, § 9 Abs. 2 GBBerG erweiternd auszulegen. Ein solche Auslegung würde vielmehr dem Willen des Gesetzgebers widersprechen und das eigentliche Ziel der Regelung vereiteln.

(2) Nichts anderes ergibt sich aus der Überleitungsvorschrift in Art. 19 Abs. 2 Satz 1 des Registerverfahrenbeschleunigungsgesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2182). Danach treten § 29 Abs. 1 bis 3 und die übrigen im Einigungsvertrag vorübergehend aufrecht erhaltenen Vorschriften der Energieverordnung 1988 sowie die dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen außer Kraft, soweit die Rechte bezüglich der Energieanlagen durch § 9 GBBerG gesichert sind. Diese Regelung ist die Konsequenz aus dem Erlaß des § 9 GBBerG. Mit dieser Vorschrift wurden die Energieanlagen, die durch die befristete teilweise Weitergeltung der Energieverordnung 1988 nur vorläufig abgesichert waren, endgültig abgesichert. Mit ihrer endgültigen Absicherung wurde ihre vorläufige Absicherung überflüssig. Die zunächst aufrecht erhaltenen Vorschriften der Energieverordnung 1988 über die Mitnutzung von Grundstücken und die diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen wurden damit in der Sache gegenstandlos. Das ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts keine unerwünschte Nebenwirkung des § 9 Abs. 1 GBBerG, sondern im Gegenteil essentieller Teil des Regelungskonzepts. Dieses hat im Wortlaut des Art. 19 Abs. 2 Satz 1 des Registerverfahrenbeschleunigungsgesetzes auch seinen eindeutigen Niederschlag gefunden.

2. Die von der Revision gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 1 GBBerG erhobenen Bedenken sind nicht begründet.

a) § 9 Abs. 1 GBBerG verstößt nicht gegen Art. 14 GG. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet. Dem grundrechtlichen Schutz unterliegt danach das Recht, den Eigentumsgegenstand selbst zu nutzen und Dritte von Besitz und Nutzung auszuschließen, ebenso wie die Freiheit, den Eigentumsgegenstand zu veräußern und aus der vertraglichen Überlassung zur Nutzung durch andere den Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt (vgl. BVerfG, VIZ 2001, 330, 331; BVerfGE 101, 54, 75). Die Begründung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten durch § 9 Abs. 1 (und Abs. 11) GBBerG (und durch § 9 Abs. 8 GBBerG in Verbindung mit § 1 Satz 1 SachenR-DV ) führt dazu, daß der Eigentümer im Umfang der Dienstbarkeit in der Nutzung seines Grundstücks eingeschränkt ist. Darin liegt jedoch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Enteignung ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Ihrem Zweck nach ist sie auf die vollständige oder partielle Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet (vgl. BVerfG, VIZ 2001, 330, 331; BVerfGE 101, 239, 259). Demgegenüber geht es bei § 9 Abs. 1 und Abs. 11 GBBerG und bei § 9 Abs. 8 GBBerG in Verbindung mit § 1 Satz 1 SachenR-DV um die Überleitung der in der Deutschen Demokratischen Republik entstandenen Rechte an Anlagen der öffentlichen Energie- und Wasserver- sowie der Abwasserentsorgung (BT-Drucks. 12/6228 S. 74 f.; Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214). Ziel der Vorschriften ist es, solche Anlagen sachgerecht abzusichern und den betroffenen Grundstückseigentümern einen angemessenen Ausgleich hierfür zu gewähren. Die von der Revision angegriffene gesetzliche Begründung von beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten hat dabei den Zweck, das schon mit den Maßgaben des Einigungsvertrags zur Energieverordnung 1988 angestrebte Regelungskonzept an die zutage getretenen praktischen Schwierigkeiten anzupassen und hierbei auch die festgestellten Lücken der bisherigen Regelungen zu schließen. Solche Vorschriften bestimmen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des (Grundstücks-) Eigentums.

b) Der Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmende Gesetzgeber genießt keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 101, 239, 259). Er hat bei der Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags sowohl der verfassungsrechtlich garantierten Rechtsstellung des Eigentümers als auch dem aus Art. 14 Abs. 2 GG folgenden Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung Rechnung zu tragen und muß deshalb die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen (BVerfG, VIZ 2001, 330, 331). Denn die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der Allgemeinheit gemäß Art. 14 Abs. 2 GG schließt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange desjenigen ein, der konkret auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen ist (vgl. BVerfGE 101, 54, 75). Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert, genießt es zwar einen besonders ausgeprägten Schutz. Ist der soziale Bezug des Grundstücks aber stark ausgeprägt und gilt es, eine grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu bewältigen, ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers entsprechend größer (vgl. BVerfG, VIZ 2001, 330, 331; BVerfGE 100, 226, 241). Der Gesetzgeber darf im Rahmen seiner Regelungsbefugnis nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bei der generellen Neugestaltung eines Rechtsgebiets unter bestimmten Voraussetzungen auch bestehende, durch die Eigentumsgarantie geschützte Rechtspositionen einschränken und sogar beseitigen (vgl. BVerfGE 83, 201, 211 f.; Senatsurt. v. 28. März 2003, V ZR 271/02, VIZ 2003, 488, 490). Schwierigkeiten, die die Überführung der sozialistischen Rechts- und Eigentumsordnung einschließlich der danach erworbenen Rechtspositionen in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland mit sich brachte, durfte er deshalb bei Regelungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen Zeitbedarf (BVerfG, VIZ 2001, 330, 331).

c) Nach diesen Maßstäben steht der hier maßgebliche § 9 Abs. 1 GBBerG mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang.

aa) Diese Regelung dient einem legitimen Regelungsziel. Die Energieversorgung im Beitrittsgebiet war nur sicherzustellen, wenn auch die bestehenden Energieanlagen dauerhaft sachgerecht rechtlich abgesichert wurden. Das war bei Wirksamwerden des Beitritts nicht der Fall. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Energieanlagen war nicht abgesichert, weil die zuständigen Stellen versäumt hatten, die zur Begründung von Mitnutzungsrechten nach § 29 Abs. 4 Energieverordnung 1988 in Verbindung mit § 17 des Baulandgesetzes erforderliche Eigentümerzustimmung einzuholen oder eine danach mögliche Duldung der Mitbenutzung oder, wenn die Richtwerte überschritten wurden, eine Vollenteignung anzuordnen. Ein beträchtlicher Teil der Energieanlagen war zwar rechtlich durch Mitnutzungsrechte nach § 29 Energieverordnung 1988 abgesichert. Diese Sicherung war aber bis zum Ablauf des 31. Dezember 2010 befristet. Eine Absicherung über diesen Zeitpunkt hinaus konnte der Gesetzgeber nur einführen, wenn er einen angemessenen Ausgleich vorsah. Denn die betroffenen Grundstückseigentümer hatten vor dem 3. Oktober 1990 die mit der Mitnutzung verbundenen Beeinträchtigungen entschädigungslos hinzunehmen und bei Mitbenutzungsrechten zur Absicherung größerer Anlagen wie Umspannanlagen nach § 1 der Zweiten Durchführungsverordnung zur Energieverordnung - Bevölkerung - vom 1. Juni 1988 (GBl. DDR I Nr. 10 S. 110) allenfalls einen nur sehr geringen Ausgleich erhalten. Eine Duldung der Mitnutzung zu diesen Bedingungen war deshalb nur in dem durch § 8 AVBEltV gesteckten engen Rahmen von Hausanschlüssen und vergleichbaren Anlagen mit geringfügiger Beeinträchtigung des Grundstücks vorgesehen. Im übrigen war die Regelung einer Vereinbarung der Energieversorgungsunternehmen mit den Grundstückseigentümern überlassen. Dieses Konzept erwies sich aber als undurchführbar. Die Lage der Energieanlagen auf den Grundstücken war zum größten Teil nicht katastermäßig erfaßt. Die Grenzen der Grundstücke waren in weiten Bereichen durch Vereinigung und Neuaufteilung der früheren Grundstücke verändert worden. Die Grundbücher waren gerade in den ländlichen Gebieten zu einem sehr großen Teil nicht aktualisiert worden. Angesichts der großen Zahl von Anlagen und betroffenen Grundstücke (nach BT-Drucks. 12/6228 S. 74 waren es etwa 3 Mio.) wäre es den Energieversorgern deshalb unmöglich gewesen, innerhalb des im Einigungsvertrag vorgesehenen langen Zeitraums von 20 Jahren die betroffenen Grundstücke und ihre Eigentümer festzustellen (vgl. BT-Drucks. 12/6228 S. 74; BR-Drucks. 916/94 S. 12 f.; Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214). Die daraus erwachsene Unsicherheit war gerade auch angesichts der bevorstehenden Umstrukturierung der Energiewirtschaft in den neuen Ländern nicht vertretbar. Es war vielmehr notwendig, alsbald eindeutige und verläßliche Verhältnisse zu schaffen. Das machte eine gesetzliche Regelung der Absicherung und zur Umsetzung dieser Regelung die Einführung der Leistungsbescheinigung nach § 9 Abs. 4 GBBerG und §§ 6, 7 SachenR-DV erforderlich.

bb) Hierbei konnte der Gesetzgeber wie auch in den anderen Bereichen der Bereinigung der dinglichen Verhältnisse an Grund und Boden nicht darauf abstellen, ob die fragliche Nutzung zu einer förmlichen Absicherung geführt hatte. Auch wenn die Betriebe im Einzelfall nicht über die an sich mögliche und vorgesehene rechtliche Absicherung für die Mitnutzung von Grundstücken verfügten, kam ihnen in der Rechtswirklichkeit der DDR auf Grund der Billigung der von ihnen vorgenommenen Mitnutzung von Grundstücken für Energiefortleitungsanlagen durch staatliche oder gesellschaftliche Organe eine vergleichbare Stellung zu (vgl. BVerfG, VIZ 2001, 330, 332). Dann aber durfte und mußte der Gesetzgeber die rechtlich abgesicherte und die faktische Mitnutzung von Grundstücken für Energiefortleitungsanlagen gleich behandeln und einen einheitlichen Ausgleich mit den Interessen des Grundstückseigentümers vorsehen. Der Gesetzgeber war anders als im Rahmen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes hier nicht gehalten, die Begründung der Dienstbarkeiten von einer konkret nachzuweisenden staatlichen Billigung abhängig zu machen (vgl. § 10 SachenRBerG). Es handelte sich nämlich um Anlagen, die der öffentlichen Versorgung dienten. Hier konnte ähnlich wie bei der Nutzung von privaten Grundstücken durch öffentliche Stellen im Rahmen einer pauschalierenden Betrachtungsweise auch ohne besonderen Nachweis von der Billigung staatlicher Stellen ausgegangen und ähnlich wie im Verkehrsflächenbereinigungsgesetz vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2716 - im Folgenden VerkFlBerG) auf einen konkreten Nachweis im Einzelfall verzichtet werden. Für die dingliche Absicherung von Energiefortleitungsanlagen waren zwar die örtlichen Räte zuständig. Diese legten oft selbst Energiefortleitungsanlagen an. Die sachliche Entscheidung über Anlage und Verlauf einer Energiefortleitungsanlage lag aber in der Hand der zuständigen Betriebe. Deshalb lag eine staatliche Billigung praktisch immer vor; sie war als besondere Tatbestandsvoraussetzung hier verzichtbar. Im vorliegenden Fall lag sie sogar vor, weil die Anlage von dem Rat der Stadt M. selbst errichtet worden war.

Bei einer nachträglichen Begründung von Dienstbarkeiten durch Gesetz konnte es geschehen, daß diese auch für Anlagen bestanden, die zwar am 3. Oktober 1990, aber nicht mehr bei Entstehen der Dienstbarkeit genutzt wurden. Dem trägt das Gesetz durch das vereinfachte Verzichtsverfahren nach § 9 Abs. 6 GBBerG Rechnung. Damit die Unternehmen davon im Interesse der Grundstückseigentümer auch zügig Gebrauch machen, sind die Unternehmen für den Fall eines rechtzeitigen Verzichts in § 9 Abs. 3 Satz 4 GBBerG von der Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichs befreit (vgl. Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214, 216). Erfolgt der Verzicht später, tritt diese Befreiung nicht ein.

cc) Der Gesetzgeber hat schließlich auch einen angemessenen Interessenausgleich vorgesehen. Zwar werden in § 9 Abs. 1 GBBerG Dienstbarkeiten zu Lasten der betroffenen Grundstückeigentümer begründet. Diesen wird aber in § 9 Abs. 3 GBBerG ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung des vollen für die jeweils begründete Dienstbarkeit üblichen einmaligen Ausgleichs eingeräumt, auf den Entschädigungen nach § 19 der Zweiten Durchführungsverordnung zur Energieverordnung - Bevölkerung - nicht anzurechnen sind. Diesen Ausgleich erhält der Grundstückseigentümer allerdings nur zur Hälfte sofort, im übrigen erst am 1. Januar 2011. Dies führt zwar zu einer teilweisen Entwertung des Ausgleichs (Zimmermann, RVI § 9 GBBerG Rdn. 29). Das stellt aber die Angemessenheit der Regelung insgesamt nicht in Frage. Dem Interesse der Grundstückseigentümer an einem effektiven Ausgleich wird durch die Zubilligung eines vollen Ausgleichs und ein Abstellen auf die heutigen Grundstückswerte Rechnung getragen. Die Aufteilung des Ausgleichs in zwei Tranchen berücksichtigt, daß die wirksam begründeten Mitnutzungsrechte bis zum Ablauf des Jahres 2010 eine unentgeltliche Mitnutzung der Grundstücke erlaubten. Bei der faktischen Nutzung ergab sich die Berechtigung zum zunächst nicht befristeten unentgeltlichen Besitz aus Art. 233 § 2a Abs. 3 EGBGB in der Fassung des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes vom 14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1257). Der Gesetzgeber hat es hierbei aber nicht belassen, weil die Energieversorgungsunternehmen durch die Begründung der Dienstbarkeit bereits einen wirtschaftlichen Vorteil erhielten. Diesen hat er dadurch ausgeglichen, daß die Grundstückseigentümer die Hälfte der zu zahlenden Entschädigung bei Eintragung der Dienstbarkeit beanspruchen können, die sie unter Einhaltung des in § 9 SachenR-DV bestimmten Verfahrens selbst bewilligen können. Damit vermeidet § 9 GBBerG anders als Art. 233 § 2a EGBGB in seiner ursprünglichen Fassung (vgl. dazu BVerfG, VIZ 1998, 559, 561) eine einseitige Bevorzugung der Energieversorgungsunternehmen. Durch die Aufteilung in zwei Tranchen werden die Energieversorgungsunternehmen, die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes einer großen Zahl von Ausgleichsansprüchen ausgesetzt waren, andererseits nicht überfordert. Auch stellt die Vorschrift die Eigentümer von Grundstücken, die für Energiefortleitungen aus der Zeit vor dem 3. Oktober 1990 genutzt werden, nicht schlechter als die Eigentümer von Grundstücken, auf denen sich Versorgungsleitungen oder Leitungen der öffentlichen Hand aus dieser Zeit befinden. Im ersten Fall kann der Grundstückseigentümer einen Ausgleich nur verlangen, wenn er der Errichtung nicht zugestimmt hat. Er entspricht nach § 118 SachenRBerG der Hälfte des für solche Dienstbarkeiten üblichen Ausgleichs, wohingegen nach § 9 Abs. 3 GBBerG der volle Ausgleich zu zahlen ist. Dieser ist zwar nach § 5 Abs. 3 Satz 1 VerkFlBerG auch bei Dienstbarkeiten geschuldet, deren Bestellung die öffentliche Hand nach § 3 Abs. 3 VerkFlBerG verlangen kann. Anders als nach § 9 Abs. 3 GBBerG sind bei der Berechnung dieses Ausgleichs aber nach § 5 Abs. 3 Satz 2 VerkFlBerG nicht die aktuellen vollen Grundstückswerte maßgeblich, sondern die abgesenkten Ankaufspreise nach § 5 Abs. 1 und 2 VerkFlBerG.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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