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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.03.1999
Aktenzeichen: V ZR 143/98
Rechtsgebiete: SachenRBerG


Vorschriften:

SachenRBerG § 5 Abs. 1 Nr. 3
SachenRBerG § 5 Abs. 2 Satz 2
SachenRBerG § 5 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2

Errichtet ein Nutzer auf einem Grundstück, an dem ihm kein Nutzungsrecht verliehen worden ist, Baulichkeiten, die in engem funktionalen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Gebäude stehen, das der Nutzer auf einem Nachbargrundstück errichtet hat, für das ihm ein Nutzungsrecht verliehen worden ist, so können diese Baulichkeiten unter dem Gesichtspunkt des § 5 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG Ansprüche nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz rechtfertigen.

BGH, Urt. v. 12. März 1999 - V ZR 143/98 - Thüringisches OLG in Jena LG Gera


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 143/98

Verkündet am: 12. März 1999

Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Lambert-Lang, Tropf, Schneider und Prof. Dr. Krüger

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 26. März 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Beklagte ist Eigentümerin der in L. gelegenen Grundstücke Flur 4, Flurstück 375/1, und Flur 4, Flurstück 375/2. Diese Grundstücke wurden 1973, noch als ungeteiltes Flurstück 375, in eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) eingebracht. Die LPG verlieh den Klägern mit Wirkung vom 17. März 1980 ein Nutzungsrecht an einem Teil des ungeteilten Grundstücks in einer Größe von 500 qm zum Bau eines Eigenheims.

Die Kläger errichteten das geplante Gebäude, überschritten dabei aber die vorgesehenen Baugrenzen. Der Bau wurde mit Prüfbescheid vom 13. März 1985 abgenommen. Der bebaute Grundstücksteil wurde 1982 eingemessen. Er erhielt die Flurstücksbezeichnung 375/2 und ist 528 qm groß. Auf dem anderen Grundstücksteil, Flurstück 375/1 mit einer Fläche von 882 qm, errichteten die Kläger eine Klärgrube zur Entsorgung der auf dem Hausanwesen anfallenden Abwasser sowie eine den Weg zum Dorf abkürzende Treppe und eine Gartenmauer. Im übrigen nutzten sie diesen Teil kleingärtnerisch.

Mit Schreiben vom 30. Mai 1991 wies die LPG die Kläger darauf hin, daß sie sich wegen des Flurstücks 375/1 mit der Beklagten einigen müßten, wo hingegen für das Flurstück 375/2 die Nutzungsurkunde ihre Gültigkeit behalte. Darüber informierte die LPG die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juli 1991 und stellte fest, daß sie einer Inanspruchnahme des Flurstücks 375/1 durch die Kläger nicht zugestimmt habe.

Die Kläger haben u.a. die Feststellung erstrebt, daß ihnen ein Ankaufsrecht an dem Flurstück 375/2 und an der mit den Baulichkeiten versehenen etwa 300 qm großen Fläche des Flurstücks 375/1 zustehe. Die Beklagte hat widerklagend die Räumung und Herausgabe der von den Klägern in Anspruch genommenen bebauten Teilfläche des Flurstücks 375/1 verlangt. Das Landgericht hat der Feststellungsklage im wesentlichen stattgegeben, lediglich das Ankaufsrecht hinsichtlich des Flurstücks 375/1 auf 220 qm beschränkt. Die Widerklage hat es abgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt sie den Widerklageantrag sowie den Klageabweisungsantrag hinsichtlich des Flurstücks 375/1 weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, das Flurstück 375/1 unterliege in dem ausgeurteilten Umfang der Sachenrechtsbereinigung, da die Kläger hierauf mit Billigung staatlicher Stellen Baulichkeiten errichtet hätten, die unmittelbar der Nutzung des auf der Nachbarparzelle errichteten Eigenheims dienten (§ 5 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG). Von einer Billigung dieser Baumaßnahmen sei auszugehen, da in einem Zeitraum von fünf Jahren nach Fertigstellung keine behördliche Abrißverfügung ergangen sei (§ 10 Abs. 2 SachenRBerG).

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Zu Recht geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Parzelle 375/1 den Klägern nicht zum Eigenheimbau zugewiesen worden war. Das verliehene Nutzungsrecht bezog sich nur auf den Teil der ursprünglichen Parzelle 375, der für die Gebäudeerrichtung vorgesehen war und der durch die 1982 durchgeführte Vermessung auf die Parzelle 375/2 konkretisiert wurde. Als Rechtsgrundlage für das von den Klägern angestrebte Ankaufsrecht an dem Flurstück 375/1 kommt daher nicht § 5 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG, sondern nur § 5 Abs. 1 Nr. 3 SachenRBerG in Betracht.

2. Diese Vorschrift stellt nicht auf ein Nutzungsrecht, sondern darauf ab, daß der Nutzer das Grundstück mit Billigung staatlicher Stellen in Besitz genommen und bebaut hat, wobei neben dem Bau eines Eigenheims auch Nebengebäude darunter fallen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG).

a) Die Revision wendet sich nicht dagegen, daß das Berufungsgericht die Baulichkeiten auf dem Flurstück 375/1 grundsätzlich als von der Norm erfaßt angesehen hat. Diese Auffassung ist im Ergebnis auch nicht zu beanstanden.

Allerdings hat das Berufungsgericht von einer Prüfung abgesehen, ob der vorliegende Fall die Voraussetzungen eines der Regelbeispiele erfüllt, und sich mit der Annahme begnügt, die Baumaßnahmen seien mit staatlicher Billigung vorgenommen worden. Das trägt der gesetzlichen Konzeption nicht Rechnung. Die Regelbeispiele enthalten einen - nicht geschlossenen - Katalog von Fällen, in denen die Vorschriften des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes Anwendung finden sollen. Diese Fallbeispiele sind zum Teil durch weitere Voraussetzungen gekennzeichnet, die zu der bloßen staatlichen Billigung von Baumaßnahmen hinzutreten müssen. Es darf unterstellt werden, daß das Gesetz diesen Besonderheiten Bedeutung beimißt. Dementsprechend ist die Anwendung der von diesen Besonderheiten absehenden Generalklausel in einem Fall wie hier, in dem keines der Regelbeispiele eingreift, nur dann gerechtfertigt, wenn der Fall bei wertender Betrachtung einem der Regelbeispiele gleichzustellen ist oder aus sonstigen Gründen nach der Zielsetzung des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes seinem Schutzbereich unterfällt (vgl. Frenz, NJW 1995, 2657 f; Vossius, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, 2. Aufl., § 5 Rdn. 13).

Unter Berücksichtigung dessen ist die Anwendung des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes hier gerechtfertigt. Der Fall eines Eigenheimbaus mit Rücksicht auf die Verleihung eines Nutzungsrechts wird, wenn es zur Nutzungsrechtsverleihung kam, von § 5 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG erfaßt, und wenn die Verleihung möglich war, aber ausblieb (sog. hängende Fälle), von § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. g SachenRBerG. Hinsichtlich der Baulichkeiten auf dem Flurstück 375/1 fehlt es an einer Nutzungsrechtsverleihung. Es handelt sich auch nicht um einen hängenden Fall im eigentlichen Sinn; denn die Nutzungsrechtsbestellung ist nicht auf der Strecke geblieben, sie war vielmehr gar nicht ins Auge gefaßt worden. Die somit nicht in den Formen des DDR-Rechts abgesicherten Baumaßnahmen auf dem Flurstück 375/1 standen aber in engem Zusammenhang mit der durch Nutzungsrecht gedeckten Errichtung des Eigenheims auf der Nachbarparzelle. Sie dienten - wie das Berufungsgericht festgestellt hat - dessen Nutzung und erhöhten dessen Wert. Fanden sie die Billigung staatlicher Stellen, ist es gerechtfertigt, sie wegen dieses Zusammenhangs ebenso zu behandeln, wie das Eigenheim. Dafür spricht auch, daß anderenfalls wirtschaftliche Werte zerschlagen würden und daß das Vertrauen der Nutzer in die Beständigkeit der Investitionen bei Fortbestand der Rechtsordnung der DDR geschützt worden wäre.

Die Baulichkeiten werden auch von ihrer Art her vom Sachenrechtsbereinigungsgesetz erfaßt. Allerdings ist in erster Linie der Bau von Eigenheimen geschützt. § 5 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG erweitert den Anwendungsbereich aber auf Nebengebäude. Die hier errichteten Baulichkeiten stellen zwar keine Nebengebäude dar, sind aber nach ihrer Zweckbestimmung und räumlichen Zuordnung so eng mit dem Eigenheim verbunden, daß ihre Einbeziehung gerechtfertigt ist.

b) Die Revision rügt hingegen mit Erfolg, daß das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, die die Annahme erlauben, daß die Baulichkeiten mit staatlicher Billigung errichtet worden sind.

Von einer ausdrücklichen Billigung in Form einer Anordnung oder Gestattung durch die LPG als staatliche Stelle (§ 10 Abs. 1 SachenRBerG) ist auch das Berufungsgericht nicht ausgegangen. Dagegen spricht nicht zuletzt, daß die LPG selbst mit Schreiben vom 30. Juli 1991 eine Zustimmung zur Inanspruchnahme des Flurstücks 375/1 durch die Kläger in Abrede gestellt hat.

Daß für die Errichtung von Klärgrube, Treppe und Gartenmauer eine die Vermutung der Billigung rechtfertigende Bauzustimmung oder Baugenehmigung erteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 SachenRBerG), ist ebenfalls nicht festgestellt. Der am 13. März 1985 erteilte Prüfbescheid läßt nicht erkennen, ob diese Baumaßnahmen schon vollzogen waren und der Prüfung unterlagen. Es wird in diesem Bescheid zwar darauf hingewiesen, daß entgegen dem ursprünglich genehmigten Projekt Erweiterungen vorgenommen worden seien. Diese betrafen aber nur den Küchenbereich und die Terrassenausbildung. Wenn es damals eine noch darüber erheblich hinausgehende Ausdehnung des Bauvorhabens, gar unter Inanspruchnahme der Nachbarparzelle, gegeben hätte, hätte es nicht ferngelegen, dies im Prüfbescheid ebenfalls zu vermerken.

Auch die vom Berufungsgericht angenommene Vermutung der Billigung staatlicher Stellen durch fünfjährige Duldung der Baumaßnahmen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 SachenRBerG) entbehrt der Grundlage. Es ist nämlich nicht festgestellt worden, wann diese Arbeiten vorgenommen und fertiggestellt worden sind, wann also die Frist zu laufen begonnen hat. Dies kann auch nicht aus den Umständen erschlossen werden. Waren die Arbeiten im Zeitpunkt der Bauabnahme im März 1985 noch nicht erbracht, so ist es durchaus möglich, daß die Fünfjahresfrist bis zum 2. Okober 1990 nicht mehr erreicht worden ist.

III.

Das angefochtene Urteil hat daher keinen Bestand. Das Berufungsgericht wird erneut prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Billigung der auf dem Flurstück 375/1 vorgenommenen Baumaßnahmen durch staatliche Stellen gegeben ist. Davon hängt auch das Schicksal des Widerklageantrags ab. Die Beklagte wird dann auch Gelegenheit erhalten, auf die Einrede nach § 30 SachenRBerG unter dem in der Revisionsverhandlung erörterten Gesichtspunkt zurückzukommen, daß ein redlicher Besitzerwerb möglicherweise dann ausscheidet, wenn auch unter den Verhältnissen der DDR mit einer Billigung der baulichen Maßnahmen auf dem Flurstück 375/1 durch staatliche Stellen nicht zu rechnen gewesen wäre.

Ende der Entscheidung

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