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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 23.10.2009
Aktenzeichen: V ZR 15/09
Rechtsgebiete: EGBGB, VerkFlBerG, VermG
Vorschriften:
EGBGB Art. 233 Abs. 9 | |
VerkFlBerG § 3 Abs. 1 | |
VerkFlBerG § 3 Abs. 2 | |
VermG § 5 Abs. 1 |
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger,
den Richter Dr. Klein,
die Richterin Dr. Stresemann und
die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 6. November 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten sind aufgrund einer Restitution nach dem Vermögensgesetz seit 1993 Eigentümer eines im ehemaligen Ostteil von Berlin belegenen Grundstücks.
Zu DDR-Zeiten war von dem damals in Volkseigentum stehenden Grundstück im Zuge einer Straßenverbreiterung eine Fläche von ca. 46 qm mit einem Gehweg bebaut worden. Die Fläche wird spätestens seit 1988 öffentlich genutzt.
Das klagende Land unterbreitete den Beklagten im Februar 2005 unter Hinweis auf das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz ein formloses Angebot zum Erwerb der Teilfläche. Nachdem die Beklagten dies abgelehnt hatte, ließ das Land am 6. Februar 2006 ein Ankaufsangebot notariell beurkunden. Der Notar übersandte den Beklagten das Angebot mit einem Anschreiben, in dem er sich bei ihnen für den "erteilten Beurkundungsauftrag" bedankte und darum bat, ihm eine notariell beurkundete Annahmeerklärung zu übersenden.
Die auf die Annahme des notariellen Kaufangebots gerichtete Klage des Landes ist in den Tatsacheninstanzen erfolgreich gewesen. Mit der von dem Kammergericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in KG-Report 2009, 343 abgedruckt ist, meint, das klagende Land könne die als Gehweg genutzte Teilfläche nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz ankaufen. Dem stehe nicht entgegen, dass das Grundstück im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme für öffentliche Zwecke in Volkseigentum gestanden habe. Zwar regele das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz die Inanspruchnahme privater Grundstücke durch die Verwaltung der DDR. Es finde aber entsprechende Anwendung, wenn Privateigentum erst durch eine Restitution nach dem Vermögensgesetz entstanden sei. Der Kläger habe sein Erwerbsrecht durch die Übersendung des notariell beurkundeten Angebots vom 6. Februar 2006 fristgerecht ausgeübt. Trotz des missverständlichen Begleitschreibens hätten die Beklagten erkennen können und tatsächlich auch erkannt, dass der Kläger ihnen ein förmliches Kaufangebot unterbreite. Aus dem beabsichtigten (weiteren) Ausbau der Straße könnten die Beklagten kein Verweigerungsrecht nach § 3 Abs. 2 VerkFlBerG herleiten. Zum einen stehe nicht fest, ob und wann der Ausbau realisiert werde, zum anderen spreche nichts dafür, dass hierdurch die Nutzung der Teilfläche als öffentlicher Gehweg entfallen werde.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung in jeder Hinsicht stand.
1.
Das Berufungsgericht nimmt ohne Rechtsfehler an, dass der Kläger gemäß § 3 Abs. 1 VerkFlBerG den Ankauf der als öffentlicher Gehweg genutzten Teilfläche des Grundstücks der Beklagten verlangen kann.
a)
Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz findet allerdings keine unmittelbare Anwendung. Es dient der Bereinigung von Nutzungsverhältnissen im Beitrittsgebiet, die darauf zurückzuführen sind, dass in der DDR private Grundstücke für öffentliche Zwecke in Anspruch genommen wurden, ohne dass eine förmliche Überführung in Volkseigentum stattgefunden hatte oder die Nutzung des Grundstücks gegenüber dem Eigentümer sonst auf eine rechtliche Grundlage gestellt worden war (sog. rückständiger Grunderwerb; vgl. BT-Drucks. 14/6204 S. 1, 10 u. 13). Unmittelbar erfasst sind damit nur Grundstücke, die zu DDR-Zeiten in Privateigentum standen.
b)
Das Ankaufsrecht des klagenden Landes folgt aber, wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, aus einer entsprechenden Anwendung von § 3 Abs. 1 VerkFlBerG. Sie ist zulässig und geboten, weil das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gelangt (vgl. Senat, BGHZ 171, 350, 353 m.w.N.).
Allerdings enthält das Vermögensgesetz Regelungen darüber, wie die privaten und die öffentlichen Interessen in Ausgleich zu bringen sind, wenn ein Grundstück, welches in Volkseigentum stand, zu DDR-Zeiten für öffentliche Zwecke in Anspruch genommen worden ist. Handelt es sich, wie hier, um die Widmung zum Gemeingebrauch, ist eine Rückübertragung von Eigentumsrechten an dem betroffenen Grundstück ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1 b VermG), ohne dass es darauf ankommt, ob die geänderte Nutzung im Einzelfall auch bei Rückgabe des Eigentums aufrechterhalten werden könnte (vgl. BVerwG VIZ 1998, 257). Der Restitutionsausschluss gilt auch dann, wenn nur eine Teilfläche des Grundstücks dem Gemeingebrauch gewidmet worden ist; in diesem Fall beschränkt er sich auf den öffentlich genutzten Grundstücksteil, sofern das Grundstück - wie hier - in einen von der restitutionsausschließenden Verwendung betroffenen und einen der herkömmlichen Grundstücksnutzung dienenden Bereich geteilt werden kann (BVerwG ZOV 2000, 417, 419 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen hätte den Beklagten die Fläche, auf die sich das streitgegenständliche Ankaufsrecht bezieht, nicht rückübertragen werden dürfen.
Dass eine Restitution erfolgen könnte, obwohl die Rückübertragung der Eigentumsrechte wegen der (teilweisen) öffentlichen Nutzung des Grundstücks nach § 5 Abs. 1 b VermG (teilweise) ausgeschlossen war, hat der Gesetzgeber jedoch nicht bedacht. Folglich fehlt eine Norm, die bestimmt, nach welchen Regelungen der Ausgleich zwischen dem öffentlichen Nutzer und dem privaten Eigentümer in einem solchen Fall vorzunehmen ist. Diese Lücke ist von dem Senat aber bereits unter Geltung der Vorläuferregelung des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes, dem Moratoriumstatbestand des Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB, geschlossen worden. Danach macht es bei der Bereinigung von Bodennutzungen, die zu DDR-Zeiten begründet wurden und öffentlichen Zwecken dienen, keinen Unterschied, ob der heutige Grundstückseigentümer dies schon vor dem Beitritt war oder ob er das Eigentum später im Wege der Restitution erhalten hat. Andernfalls stünde ein zu DDR-Zeiten Enteigneter, der erst aufgrund einer Restitution (wieder) Eigentümer des öffentlich genutzten Grundstücks geworden ist, besser als derjenige, der stets Eigentümer war und damit die bessere Rechtsposition innehatte, dessen Eigentum aber schon seit dem Beitritt mit dem Besitzmoratorium zugunsten des öffentlichen Nutzers belastet war (Senat, Urt. v. 18. Januar 2002, V ZR 104/01, VIZ 2002, 422, 425).
Nichts anderes gilt für die entsprechende Anwendung des an die Stelle der vorläufigen "Notordnung" des Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB (vgl. BT-Drucks. 14/6204 S. 12) getretenen Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes. Ist es trotz der (teilweisen) Widmung eines Grundstücks zum Gemeingebrauch zu dessen Restitution gekommen, unterliegt der Eigentümer denselben Beschränkungen wie ein zu keiner Zeit enteigneter privater Grundstückseigentümer. Ein sachlicher Grund, restituiertes Eigentum von der Anwendung des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes auszunehmen, besteht auch hier nicht (ebenso: Kimme/Matthiesen, Offene Vermögensfragen, Stand: Juni 2009, § 1 VerkFlBerG Rdn. 4; Salzig, NotBZ 2007, 164, 166; Stavorinus, NotBZ 2001, 349, 352 Rdn. 27; Matthiesen, NJ 2002, 367, 368; für Art. 233 § 2a EGBGB: Staudinger/Rauscher, BGB [2003], Rdn. 148). Dabei kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht darauf an, ob der Ankaufspreis nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz hinter der Entschädigung zurückbleibt, die die Beklagten erhalten hätten, wenn die als Gehweg genutzte Fläche von der Restitution ausgenommen worden wäre (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG). Nachdem es hierzu nicht gekommen ist, richten sich die Rechte und Pflichten der Beteiligten nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz. Dass die Begrenzung des Ankaufspreises für Verkehrsflächen in § 5 VerkFlBerG verfassungsgemäß ist, hat der Senat bereits entschieden (Urt. v. 20. Juni 2008, V ZR 149/07, NJW-RR 2008, 1548).
2.
Das Berufungsgericht nimmt ferner zutreffend an, dass der Kläger sein Ankaufsrecht rechtzeitig ausgeübt hat (§ 3 Abs. 1 Satz 2, § 8 Abs. 1 VerkFlBerG). Dass das am 6. Februar 2006 notariell beurkundete Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages den Beklagten mit einem dazu nicht passenden Anschreiben übermittelt wurde, ist unschädlich. Das Anschreiben stünde der Wirksamkeit der Rechtsausübung nur entgegen, wenn es zu Unklarheiten geführt hätte, ob das Ankaufrecht ausgeübt werden sollte. Hiervon kann angesichts der vorausgegangenen Bemühungen des Klägers, die Beklagten zu einem Verkauf der Teilfläche auf der Grundlage des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes zu veranlassen, sowie der eindeutigen Formulierung des notariellen Angebots ("Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG macht der öffentliche Nutzer Land Berlin ... von seinem Erwerbsrecht Gebrauch. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VerkFlBerG wird nachfolgendes unbefristetes Angebot ... unterbreitet") aber keine Rede sein. Für einen verständigen Empfänger war ohne weiteres erkennbar, dass das Anschreiben des Notars auf einem Büroversehen beruhte; etwaige dennoch verbliebene Zweifel der Beklagten wären im Übrigen durch das an sie gerichtete Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2006 ausgeräumt worden, in dem auf das notarielle Angebot vom 6. Februar 2006 Bezug genommen und unter Hinweis auf § 3 Abs. 1 Satz 3 VerkFlBerG gebeten wurde, es anzunehmen.
3.
Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht schließlich an, dass die von den Beklagten erhobene Einrede gemäß § 3 Abs. 2 VerkFlBerG unbegründet ist. Nach dieser Vorschrift kann der Grundstückseigentümer den Abschluss des Kaufvertrages verweigern, wenn im Zeitpunkt der Ausübung des Erwerbsrechts Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die öffentliche Nutzung des Grundstücks nicht länger als fünf Jahre fortdauern wird. Erforderlich ist, dass sich das Ende der öffentlichen Nutzung des Grundstücks bereits abzeichnet (vgl. BT-Drucks. 14/6204 S. 16 f.). Tatsachen, die dies nahe legen, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Der beabsichtige (weitere) Ausbau der vor dem Grundstück der Beklagten verlaufenden Straße lässt ein Ende der derzeitigen Nutzung nicht erwarten; er spricht eher für einen gesteigerten Bedarf an öffentlichem Straßenland.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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