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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.1999
Aktenzeichen: V ZR 196/98
Rechtsgebiete: DDR/LPGG
Vorschriften:
DDR/LPGG § 13 Abs. 2 |
Unter Gebäudeerrichtung im Sinne von § 13 Abs. 2 LPGG 1959 ist auch die Wiederherstellung eines Gebäudes mit schweren Bauschäden (Rekonstruktion) zu verstehen, wenn diese nach Umfang und Aufwand einer Neuerrichtung entspricht.
BGH, Urt. v. 5. Februar 1999 - V ZR 196/98 - OLG Brandenburg LG Frankfurt/Oder
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 5. Februar 1999
Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 1999 durch die Richter Dr. Vogt, Tropf, Schneider, Prof. Dr. Küger und Dr. Klein
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. April 1998 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 6. Februar 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Das von der Klägerin im Rechtsstreit herausverlangte Schafstallgebäude ist in seinem jetzigen Zustand aus einem um die Jahrhundertwende errichteten Schafstall hervorgegangen, der durch Kriegseinwirkung erheblich beschädigt wurde. Das entsprechende Grundstück gehörte vor der Bodenreform zum Vorwerk J. des Gutes R. , welches im Grundbuch die einheitliche Flurbezeichnung 45/3 hatte. Es wurde im Zuge der Bodenreform in mehrere Neubauernstellen aufgeteilt, fiel aber in den staatlichen Bodenfonds zurück und gelangte als Volkseigentum in die Rechtsträgerschaft einer LPG (Rechtsträgernachweis vom 12. Mai 1976, entsprechender Grundbucheintrag am 8. Juli 1980), der am 16. Januar 1978 die bauaufsichtliche Zustimmung zur "Schafstallrekonstruktion" erteilt wurde. 1978/79 nahm sie erhebliche bauliche Maßnahmen in einem Wertumfang von ca. 60.000 Mark vor.
Später wurde das Grundstück geteilt, wobei das Flurstück 45/32 (auf dem etwa 1/3 des Schafstalles steht) dem Rat der Gemeinde R. als Rechtsträger, das Flurstück 45/22 (auf dem sich ca. 2/3 des Schafstalls befinden) der LPG als Rechtsträger zugeordnet wurde.
Der Beklagte nutzte das Schafstallgebäude seit April 1991 und kaufte es mit notariellem Vertrag vom 23. Juni 1992 vom Gesamtvollstreckungsverwalter der LPG zum Preis von 11.000 DM. Die LPG wird darin als Eigentümerin des Gebäudes bezeichnet. Sie verkaufte es in das "Alleineigentum" des Beklagten. In einer Vorbemerkung zum Vertrag heißt es, daß die Verkäuferin gegenwärtig nur das Gebäudeeigentum verschaffen könne und die Vertragspartner davon ausgingen, durch die "Eigentümer am Grundstück" werde mit dem Käufer ein Nutzungsvertrag oder ein Vertrag zur Verschaffung eines dinglichen Rechts geschlossen. Beide Vertragspartner würden alles in ihren Kräften Stehende unternehmen, um dies zu erreichen.
Die Klägerin verkaufte das Flurstück Nr. 45/22 am 1. März 1993 an die Eheleute K. , die bisher aber nicht als Grundstückseigentümer eingetragen sind. Mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 4. März 1994 wurde festgestellt, daß das Eigentum am Flurstück Nr. 45/22 auf die Treuhandanstalt übergegangen ist, die am 3. August 1994 in das Grundbuch eingetragen wurde.
Mit notariellem Vertrag vom 17. Januar 1996 kaufte der Beklagte von der Gemeinde R. das Flurstück Nr. 76, das den Teil des früheren Flurstücks 45/32 umfaßt, auf dem der Schafstall teilweise steht. Der Beklagte wurde am 10. Oktober 1996 in das Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin, die die Entstehung von selbständigem Gebäudeeigentum an dem Schafstall und auch ein Besitzrecht des Beklagten hieran verneint, hat beantragt, den Beklagten zur Herausgabe des auf Flurstück Nr. 45/22 stehenden Schafstallgebäudes zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht bejaht einen Herausgabeanspruch der Klägerin nach § 985 BGB. Diese sei Eigentümerin des zu 2/3 auf Flurstück Nr. 45/22 befindlichen Stallgebäudes. Selbständiges Gebäudeeigentum der LPG sei nach § 13 Abs. 2 LPGG 1959 nicht entstanden, weil unter Errichtung im Sinne dieser Bestimmung nur die vollständige Herstellung eines Neubaus zu verstehen sei. Das verbliebene Mauerwerk des ursprünglichen Schafstalles sei aber bei der "Rekonstruktion" durch die LPG einbezogen worden. Der Beklagte habe am Schafstallgebäude weder ein originäres noch ein von der LPG abgeleitetes Besitzrecht.
II.
Diese Ausführungen halten der Revision im entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Die Revision hält den Tenor des Berufungsurteils schon nicht für vollstreckungsfähig, weil er sich allein auf die Herausgabe des auf Flur Nr. 45/22 stehenden Teils des Schafstalles beziehe, es sich aber um ein durchgehendes an der Grundstücksgrenze nicht abgeschlossenes Gebäude handle. Es ist aber nicht ausgeschlossen, den Klageantrag und den Tenor des Berufungsurteils dahin auszulegen, daß die Einräumung von Mitbesitz gemeint ist. Die Frage kann jedoch offen bleiben, weil die Klage ohnehin unbegründet ist.
2. Zu Unrecht bejaht das Berufungsgericht einen Herausgabeanspruch der Klägerin nach § 985 BGB. Diese ist nicht Eigentümerin des streitgegenständlichen Schafstalls, weil die LPG entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts selbständiges Gebäudeeigentum erworben hat. Wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt, ist insoweit maßgebend § 13 Abs. 2 LPGG 1959. Eine LPG erwarb danach aufgrund ihres Nutzungsrechts an den auf übergebenem Boden "errichteten Gebäuden" unabhängig vom Eigentum an Grund und Boden genossenschaftliches Eigentum. Es besteht kein Zweifel am entsprechenden Nutzungsrecht der LPG (§ 10 LPGG 1959), denn das im Zeitpunkt der Baumaßnahme (1978/79) noch ungeteilte Schafstallgrundstück war ihr in Rechtsträgerschaft übergeben. Damit entstand am volkseigenen Grundstück kraft Gesetzes das umfassende genossenschaftliche Nutzungsrecht, eine besondere Verleihung eines Nutzungsrechts war nicht notwendig (vgl. Bodenrecht, Lehrbuch 1976, Autorenkollektiv, S. 282/283).
Das Berufungsgericht versteht zu Unrecht unter Errichtung eines Gebäudes nur die Herstellung eines vollständigen Neubaus, für den allenfalls "völlig unbedeutende Reste" eines früheren Bauwerks Verwendung gefunden haben dürfen, die "nicht mehr in einem planmäßigen Zusammenhang mit dem früheren Bauwerk gebracht werden können".
§ 13 Abs. 2 LPGG 1959 definiert nicht näher, was unter einer Gebäudeerrichtung zu verstehen ist. Soweit ersichtlich, ist auch die Literatur hierzu unergiebig. Das Berufungsgericht stellt unter Hinweis auf seine frühere Entscheidung vom 27. April 1994 (NJ 1994, 522 ff) im Rahmen einer "systematischen Auslegung" auf § 10 Abs. 1 d LPGG 1959 ab. Danach ist eine LPG in Ausübung ihres Nutzungsrechts berechtigt, "Neubauten zu errichten und bauliche Veränderungen vorzunehmen". Aus der Beschreibung des Nutzungsrechts für Baumaßnahmen, die vom kompletten Neubau bis zu jeglicher baulichen Veränderung an bestehenden Gebäuden reichen können, läßt sich die vom Berufungsgericht gezogene Folge aber nicht ziehen. Nutzungsrecht und Entstehung von Gebäudeeigentum stehen zwar im Zusammenhang, mit einer eckpunktartigen Eingrenzung des Nutzungsrechts ist aber zum Begriff der Gebäudeerrichtung nichts gewonnen. Sinn und Zweck von § 13 Abs. 2 LPGG 1959, wie auch der im maßgeblichen Punkt gleichlautenden Bestimmung in § 27 LPGG 1982 bestand darin, die vom privaten Grundeigentumsrecht grundsätzlich vorgegebene Eigentumseinheit für Grundstücke und der damit fest verbundenen Gebäude und Anlagen außer Kraft zu setzen, um im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung der Genossenschaft deren Aufwand für Baumaßnahmen in gewissem Umfang dinglich abzusichern (vgl. Bodenrecht, aaO, S. 343; LPG-Recht, Lehrbuch 1984, S. 207). Entsprechend dem Stellenwert, den die Kollektivierung der Landwirtschaft in der früheren DDR hatte, und der damit einhergehenden Vorzugsstellung der LPG sind die Voraussetzungen für die Entstehung von Gebäudeeigentum eher großzügig als formalistisch eng anzusetzen. Vor dem Hintergrund eines notwendigen Wiederaufbaus zahlreicher kriegszerstörter Gebäude in der Nachkriegszeit war dem Gesetzgeber der DDR, wie auch dem Bundesgesetzgeber im Rahmen der Sachenrechtsbereinigung, geläufig, daß die Wiederherstellung der Nutzbarkeit eines Gebäudes mit schweren Bauschäden (Rekonstruktion) nach Umfang und Aufwand einer Neuerrichtung entsprechen kann (vgl. § 12 Abs. 1 SachenRBerG). Berücksichtigt man den mit § 13 Abs. 2 LPGG 1959 beabsichtigten Schutzzweck, so müssen auch diese Fälle als "Gebäudeerrichtung" verstanden werden. Damit wird nämlich nur dem Umstand Rechnung getragen, daß es zwischen dem völligen Neubau und einem bloßen Umbau Sachverhalte gibt, die wirtschaftlich einem Neubau vergleichbar sind. Aus diesem Grund hat der Bundesgesetzgeber in erster Linie mit Blick auf das Nutzungsrecht der LPGen § 12 Abs. 1 Nr. 1 SachenRBerG geschaffen (vgl. Reg.E SachenRBerG, BT-Drucks. 12/5992, S. 110; vgl. auch Czub, SachenRBerG, § 12 Rdn. 3 und 4). Zwar kann diese Vorschrift nicht unmittelbar als Interpretationshilfe für das LPG-Recht dienen, sie macht aber die sachliche Notwendigkeit einer Gleichstellung von Neubau und einer Rekonstruktion mit Neubauumfang deutlich, die sich auch im Rahmen von § 13 Abs. 2 LPGG 1959 und dessen Schutzzweck ergibt (vgl. auch OFD Chemnitz, AgrarR 1994, 61, 62).
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts (NJ 1994, 523) läßt sich aus der Weiterentwicklung des LPG-Rechts und aus § 44 Abs. 2 und 3 LPGG 1982 nichts Gegenteiliges ableiten. Danach stand der LPG nur ein Ausgleichsanspruch wegen der Werterhöhung durch Erweiterungs- und Erhaltungsmaßnahmen an vertraglich genutzten Gebäuden und Anlagen von Genossenschaftsbauern zu, wenn die Nutzung einvernehmlich beendet wurde, und es konnte sich insoweit auch ein Anspruch der LPG auf Bestellung einer Hypothek in Höhe des Ausgleichsanspruchs ergeben, falls dem Eigentümer die Realisierung der Werterhöhung durch weitere Nutzung möglich war. Es geht hier aber nicht um Erweiterungs- und Erhaltungsmaßnahmen, sondern darum, ob die Rekonstruktion einer Gebäuderuine einer Gebäudeerrichtung durch Neubau gleichsteht. Im übrigen betrifft § 44 Abs. 2 und 3 LPGG 1982 den Wertausgleichsanspruch für Baumaßnahmen auf privatem Grundeigentum. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um den Bau der LPG auf einem volkseigenen Grundstück, das nach damaliger Rechtslage weder verpfändet, gepfändet noch belastet werden durfte (§ 20 Abs. 3 Satz 2 ZGB). Gerade in solchen Fällen gebietet der Schutzzweck von § 13 Abs. 2 LPGG 1959, den Begriff der Gebäudeerrichtung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszulegen.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß schwere Bauschäden vorlagen, die baulichen Maßnahmen einer Wiederherstellung der Nutzbarkeit des Stalles dienten und diese ihrem Umfang und Aufwand nach einer Neuerrichtung entsprachen. Es orientiert sich selbst an einer vorgelegten Fotodokumentation, aus der sich ergibt, daß der beschädigte Stall eine Ruine ohne Dach, Tore und Fenster war, deren Umfassungsmauern schwer beschädigt waren und mehr oder weniger große Lücken aufwiesen. Diese Ruine, aus deren Mauern nach einer vom Berufungsgericht ebenfalls berücksichtigten Zeugenaussage schon Bäume und Sträucher herauswuchsen, war mit Rücksicht auf die bis 1978 verstrichene Zeit (Kriegsschäden!) praktisch ohne Wert und für eine Stallnutzung untauglich. Das Berufungsurteil erweckt zwar zunächst den Eindruck, als sollte nur die bestrittene Behauptung des Beklagten zum Ausmaß der Zerstörung und demzufolge zum Umfang der baulichen Maßnahmen unterstellt werden. Im Anschluß daran hebt es aber auf die vorgelegte Fotodokumentation und die darauf bezogenen Beweisaufnahme vor dem Landgericht ab und stellt daraus den oben geschilderten Zustand der Bauruine fest. Der Senat vermag deshalb auf der Grundlage des unstreitigen Wiederherstellungsaufwands von ca. 60.000 Mark selbst zu würdigen, daß eine Gebäuderekonstruktion vorliegt, die einer Neuerrichtung entsprach. Damit ist die LPG auch Gebäudeeigentümerin geworden und konnte mit notariellem Vertrag vom 23. Juni 1992 ihr Eigentum auf den Beklagten übertragen (vgl. Art. 233 § 2 b Abs. 6 EGBGB).
Auf weitere Fragen, insbesondere zu einem vom Berufungsgericht verneinten Besitzrecht des Beklagten kommt es damit nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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