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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: V ZR 200/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 544 Abs. 7 | |
ZPO § 563 Abs. 1 Satz 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 1. Februar 2007
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 1. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub
beschlossen:
Tenor:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. März 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung weiterer 2.337.000 € nebst Zinsen aberkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Kläger erwarb 1994 von der später in die Beklagte eingemeindeten Gemeinde L. ein Grundstück, um darauf eine Freizeiteinrichtung und Saunaanlage zu betreiben. Das Vorhaben scheiterte daran, dass die Beklagte die Erteilung der notwendigen kommunalaufsichtlichen Genehmigung erfolgreich hintertrieb. Der Kläger verlangt nunmehr von der Beklagten Ersatz des ihm entgangenen Gewinns, hilfsweise Ersatz seines Vertrauensschadens.
Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Revision hat der Senat nicht zur Entscheidung angenommen (V ZR 472/99). In dem anschließenden Betragsverfahren, um das es hier geht, hat der Kläger Zahlung von zuletzt 15.102.582,30 € nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat ihm 163.000 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit welcher dieser die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 2.337.000 € nebst Zinsen erreichen will. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, in dem Grundurteil sei lediglich die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des aus der Vertragsvereitelung entstandenen Schadens festgestellt worden, aber offen geblieben, ob es sich um den Vertrauens- oder den Erfüllungsschaden handele. In der Sache stehe dem Beklagten jedoch ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens zu. Dieser sei nur mit 163.000 € zu bemessen. Der Kläger habe zwar "ein durchdachtes Konzept und eine gute Planung" gehabt. Dass sein entgangener Gewinn den (ihm als Vertrauensschaden) zugesprochenen Betrag übersteige, davon habe es sich nicht überzeugen können.
2. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es ihm keine Gelegenheit gegeben hat, zu den Gründen Stellung zu nehmen, aus denen es einen über 163.000 € hinausgehenden entgangenen Gewinn des Klägers verneint hat.
a) Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; 96, 189, 204; 108, 341, 345 f.). Es hat in einem solchen Fall auf seine (geänderte) Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen (BVerfGE 84, 188, 191; 86, 133, 144; 98, 218, 263; BVerfG NVwZ 2006, 586, 587).
b) Das hat das Berufungsgericht hier versäumt.
aa) Sein Versäumnis ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das Berufungsgericht den Kläger mit seiner Annahme überrascht hätte, ein entgangener Gewinn lasse sich jenseits der ersten fünf Betriebsjahre nicht seriös beurteilen. Diese Auffassung hat nämlich schon der in erster Instanz tätig gewordene Sachverständige M. vertreten. Er ist davon bei seiner Befragung durch das Berufungsgericht nicht abgerückt. Auch der von dem Berufungsgericht hinzugezogene Sachverständige Dr. V. hat diese Annahme nicht in Zweifel gezogen. Das Berufungsgericht war an seiner Einschätzung entgegen der Meinung des Klägers nicht aus Rechtsgründen gehindert. Zwar stellte sein Grundurteil die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des Erfüllungsschadens ohne zeitliche Begrenzung fest. Das Berufungsgericht sieht sich aber nicht aus Rechtsgründen, sondern deshalb daran gehindert, dem Kläger einen entgangenen Gewinn jenseits von fünf Jahren nach der Betriebsaufnahme zuzusprechen, weil er sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit abschätzen lasse. Dem steht das Grundurteil nicht entgegen.
bb) Das Berufungsgericht war auch nicht gehindert, bei der Ermittlung des dem Kläger entgangenen Gewinns die von dem in erster Instanz mit der Sache befassten Sachverständigen M. seiner Berechnung zugrunde gelegten Ansätze unter Berücksichtigung der Ausführungen des von ihm selbst hinzugezogenen Sachverständigen Dr. V. kritisch zu hinterfagen und eine abweichende Berechnungsmethode anzuwenden. Es durfte dabei das geschäftliche Risiko berücksichtigen und die Frage aufwerfen, ob der Kläger angesichts seiner bisherigen geschäftlichen Erfahrungen zu der Führung eines Sauna- und Badebetriebs in der Lage war, den er sich hier vorgenommen hatte.
cc) Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass der Kläger auch bei gewissenhafter Prozessführung und insbesondere bei gewissenhafter Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht mit dieser Wendung des Rechtsstreits nicht rechnen konnte.
(1) Der Sachverständige Dr. V. stimmte zwar nicht mit allen von dem Sachverständigen M. angesetzten Einzelpositionen überein, folgte aber dessen Berechnung. Einen Ansatz für die von dem Berufungsgericht angestellten Überlegungen hatte weder die schriftsätzliche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung durch die Parteien noch die Anhörung der beiden Sachverständigen durch das Berufungsgericht ergeben. Sie war auch deswegen nicht zu erwarten, weil der Sachverständige M. selbst Leiter eines großen Badebetriebs ist und über große Erfahrung bei der betriebswirtschaftlichen Bewältigung eines solchen Unternehmens hat. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu anderen Erkenntnissen kam, musste es die Parteien vor seiner Entscheidung darauf hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen.
(2) Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts scheitert der Kläger vor allem an dem geschäftlichen Risiko und seiner fehlenden beruflichen Erfahrung bei der Führung eines anspruchsvolleren Bäderbetriebs. Der erste Gesichtspunkt ist in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen M. gestreift, der zweite in der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht kurz angesprochen worden. Keiner der beiden Sachverständigen ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger bei der Umsetzung seines Konzepts auf Schwierigkeiten gestoßen wäre, die er nicht oder nur mit geschäftlichen Nachteilen hätte meistern können. Welche Risiken dies konkret hätten sein sollen, war nicht vorgetragen und wird von dem Berufungsgericht auch in seinem Urteil nicht näher erläutert. Die geschäftliche Eignung des Klägers ist von dem Gericht in der mündlichen Verhandlung hinterfragt worden. Ob dazu die aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung zu entnehmende Frage ausreichte, ob der Kläger in der Lage sei, sich mit seinem Konzept am Markt zu behaupten, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Denn es haben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger zur Führung eines solchen Betriebs und auch nicht in der Lage gewesen wäre, sich den bei ihm nicht vorhandenen, aber erforderlichen Sachverstand etwa durch Anstellung eines Betriebsleiters zu beschaffen. Worauf das Berufungsgericht seine gegenteilige Annahme konkret stützt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen. Es bescheinigt dem Kläger vielmehr ausdrücklich ein durchdachtes Konzept und eine gute Planung. Dass seine Klage im Kern an diesen beiden Umständen, denen das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen ist, scheitern könnte, damit konnte der Kläger bei dieser Sachlage nicht rechnen. Zu diesem Ergebnis konnte das Berufungsgericht nur nach näherer Sachaufklärung und auch nur gelangen, wenn diese hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür erbrachte, dass und in welchem Umfang der Kläger bei der Umsetzung seines Plans an diesen Umständen gescheitert wäre. Nähere Sachaufklärung konnte das Berufungsgericht sachgerecht zudem nur erreichen, wenn es die Parteien auf die Notwendigkeit dazu hinwies und ihnen Gelegenheit gab, dazu näher vorzutragen. Beides ist unterblieben und macht die Entscheidung des Berufungsgerichts zu einer mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Überraschungsentscheidung.
3. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um die erforderliche Sachaufklärung nachzuholen. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch. Diese Möglichkeit ist zwar in § 544 Abs. 7 ZPO nicht ausdrücklich vorgesehen. Auf diesen Fall ist § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO aber entsprechend anzuwenden. Die Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör würde nämlich ohne die Regelung des § 544 Abs. 7 ZPO regelmäßig nicht nur zur Zulassung der Revision, sondern auch dazu führen, dass die Sache nach eingelegter Revision an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, um das rechtliche Gehör nachträglich zu gewähren. Diesen Vorgang soll das Revisionsgericht im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung durch die Zurückverweisung im Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO abkürzen können. Ersetzt die Zurückverweisung durch Beschluss aber ohne inhaltliche Einbußen die Zurückverweisung durch Revisionsurteil, dann bietet sie auch die gleichen Gestaltungsmöglichkeiten (BGH, Beschl. v. 18. Januar 2005, XI ZR 340/03, BGHReport 2005, 939, 940).
4. Für die neue Verhandlung vor dem Berufungsgericht weist der Senat auf folgendes hin:
a) Dem Kläger ist mit dem rechtskräftigen Grundurteil ein Anspruch auf Ersatz seines Erfüllungsschadens dem Grunde nach zugesprochen worden. In diesem Sinne hat der Senat das Grundurteil auch bestätigt. Ersatz seines Vertrauensschadens kann dem Kläger deshalb nur hilfsweise für den Fall zugesprochen werden, dass sich ein Erfüllungsschaden nicht oder nicht in einem den zuerkannten Betrag übersteigendem Umfang sollte nachweisen lassen.
b) Bei der Feststellung des entgangenen Gewinns wird den in dem Berufungsurteil aufgeführten Gesichtspunkten mit sachverständiger Unterstützung nach zugehen sein. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob sich angesichts der nur geringen Erfahrungen des bislang von dem Berufungsgericht herangezogenen Sachverständigen Dr. V. bei der Begutachtung des wirtschaftlichen Betriebs von Bädern eine erneute Heranziehung dieses Sachverständigen empfiehlt.
Ende der Entscheidung
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