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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1997
Aktenzeichen: V ZR 250/96
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 157 Hb
ZPO § 565 Abs. 3
BGB § 157 Hb; ZPO § 565 Abs. 3

Die ergänzende Vertragsauslegung gehört zwar grundsätzlich mit in den Bereich der Tatsachenfeststellung, ist aber nicht ausschließlich dem Tatrichter vorbehalten, sondern kann auch durch das Revisionsgericht ohne Bindung an die geltend gemachten Revisionsgründe vorgenommen werden, wenn weitere tatsächliche Feststellungen zur Auslegungsgrundlage nicht zu erwarten und Erfahrungswissen oder Verkehrssitten nicht zu ermitteln sind.

BGH, Versäumnisurt. v. 12. Dezember l997 - V ZR 250/96 OLG Rostock LG Rostock


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Versäumnisurteil

V ZR 250/96

Verkündet am: 12. Dezember 1997

K a n i k Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 1997 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Hagen und die Richter Dr. Vogt, Dr. Wenzel, Schneider und Dr. Klein

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird das Schlußurteil des l. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 27. Juni 1996 aufgehoben und das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 27. Juni 1995 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin war Mieterin des "Technikstützpunktes R. ", die Beklagte Eigentümerin der Gebäude und Anlagen. Mit privatschriftlichem Vertrag vom 9. Dezember 1992 verkaufte die Beklagte die Gebäude und Anlagen für 80.000 DM an Herrn I. (Käufer). Dieser beglich die Kaufpreisschuld mit einem von Herrn K. ausgestellten Verrechnungsscheck vom 10. Dezember 1992. Herr K. hatte sich in einer unter dem 16. Oktober 1992 mit dem Käufer abgeschlossenen privatschriftlichen Vereinbarung gegen die Abtretung aller Rechte und Pflichten aus dem angeblich schon am 10. Oktober 1992 mündlich abgeschlossenen Kaufvertrag über die Gebäude zur Bezahlung des Kaufpreises bis zum 12. Dezember 1992 verpflichtet.

Mit privatschriftlichem Vertrag vom 11. Dezember 1993 übertrug der Käufer die "im Auftrag von Herrn K. " erworbenen Gebäude an diesen weiter. Der Kaufpreis sollte durch die mit Scheck gezahlten 80.000 DM beglichen sein. Mit amtsgerichtlichen Beschlüssen vom 16. und 28. Juni 1994 pfändete die Klägerin die Forderung des Käufers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises. Mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1994 verkaufte die Beklagte die Gebäude und Anlagen schließlich an Herrn K. mit der Absprache, daß der Kaufpreis von 80.000 DM als bezahlt gelte.

Aufgrund der dem Liquidator der Beklagten zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse hat die Klägerin die Zahlung von 80.000 DM nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 66.432,04 DM nebst 4 % Zinsen aus 54.214,85 DM seit 8. Juli 1994, aus 2.171 DM seit 21. Juni 1994 sowie aus 10.046,19 DM seit 21. Juni 1994 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht nur den Zinsausspruch abgeändert. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Die Klägerin war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, bei der mit Verrechnungsscheck des Herrn K. erfolgten Zahlung handele es sich aus der Sicht der Beklagten um eine Zahlung des Käufers. Diese sei ohne Rechtsgrund erfolgt, weil der Kaufvertrag vom 9. Dezember 1992 formnichtig sei. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises sei von der Klägerin wirksam gepfändet worden. Die Abtretungserklärung vom 16. Oktober 1992 stehe dem nicht entgegen, weil sie den Rückzahlungsanspruch in Höhe von 80.000 DM nicht erfasse. Im übrigen gehe sie ins Leere, weil der in Bezug genommene Kaufvertrag nichtig sei. Die Abtretung stelle auch keine wirksame Vertragsübernahme dar, weil sie nicht beurkundet worden sei.

Die Entscheidung hält im Ergebnis der Revision nicht stand.

II.

Aufgrund der Säumnis der Klägerin ist durch Versäumnisurteil zu erkennen, obwohl die Entscheidung inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge beruht (BGHZ 37, 79, 82).

1. Fehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Kaufvertrag vom 9. Dezember 1992 gemäß §§ 313, 125 BGB formnichtig ist, weil die Heilungsvorschrift des Art. 233 § 2 b Abs. 6 EGBGB nicht eingreift. Dem Käufer stand mithin ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu (§ 812 Abs. 1 BGB). Denn bei der mit Verrechnungsscheck erfolgten Zahlung des Kaufpreises handelt es sich um eine von ihm erbrachte Leistung. Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist unter Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 BGB eine bewußte und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen, wobei sich die jeweilige Zweckrichtung nach dem Parteiwillen bestimmt (vgl. etwa BGHZ 105, 365, 369). Dabei ist eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zahlungsempfängers geboten, falls dessen und des Zuwendenden Zweckvorstellungen nicht übereinstimmen. Decken sie sich hingegen, so wird damit die Zweckrichtung der Zuwendung als Leistung im bereicherungsrechtlichen Sinne bestimmt (BGHZ 105, 365, 369; 122, 46, 50).

Das Berufungsgericht hat die mit dem von Herrn K. ausgestellten Verrechnungsscheck erfolgte Zahlung des Kaufpreises als eine Leistung des Käufers angesehen. Dies ist revisionsrechtlich fehlerfrei. Das Berufungsgericht hat insbesondere keinen Sachvortrag übersehen. Die Behauptung der Revision, die Beteiligten seien bei der Zahlung übereinstimmend davon ausgegangen, daß es sich um eine Leistung des Herrn K. handele, weil dieser letztlich Eigentümer der Gebäude habe werden sollen, findet in dem in Bezug genommenen Parteivortrag keine Stütze. Dieser belegt nur, daß der Käufer die Gebäude und Anlagen im Innenverhältnis zu Herrn K. an diesen übertragen sollte und Herr K. dem Käufer deswegen den Scheck zur Verfügung gestellt hat. Dem Parteivorbringen ist dagegen nicht zu entnehmen, daß die Beklagte die Zahlung (deswegen) ausschließlich als eine des Herrn K. entgegengenommen hat. Im Gegenteil ergibt sich aus der von der Revision in Bezug genommenen Berufungsbegründung, daß es ihr zur Vermeidung der Aufwendungen zur Anlegung eines Gebäudegrundbuchblattes entscheidend darauf ankam, die Gebäude und Anlagen an den Eigentümer des Grund und Bodens zu veräußern. Als solchen haben die Parteien aber, wie die Revision selbst vermerkt, bei Abschluß des Kaufvertrages vom 9. Dezember 1992 nicht Herrn K. , sondern den Käufer angesehen. Deswegen sollte das Gebäudeeigentum auch an den Käufer übergehen. Konsequenterweise handelte es sich bei der Zahlung des Kaufpreises aus der Sicht der Beklagten um eine Leistung des Käufers und nicht des Herrn K. .

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, daß der Rückzahlungsanspruch von dem Abtretungsvertrag vom 16. Oktober 1992 nicht erfaßt wird. Die entsprechende, am Wortlaut haftende, Auslegung der schriftlichen Erklärungen ist materiellrechtlich fehlerhaft, weil das Berufungsgericht § 157 BGB nicht beachtet und die Frage einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht geprüft hat. Diesen Mangel hat das Revisionsgericht ohne Bindung an die geltend gemachten Revisionsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 559 Abs. 2 ZPO; Senatsurt. v. 8. Dezember 1989, V ZR 53/88, NJW-RR 1990, 455; v. 14. Oktober 1994, V ZR 196/93, NJW 1995, 45, 46). Er führt dazu, daß das Urteil mit der gegebenen Begründung keinen Bestand hat.

3. Eine Zurückverweisung kommt nicht in Betracht, weil die Sache im Sinne der Klageabweisung entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Senat kann die unterbliebene ergänzende Vertragsauslegung aufgrund der seiner Nachprüfung unterliegenden tatsächlichen Grundlagen (§ 561 ZPO) nachholen, weil die hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (BGHZ 16, 71, 81; Senatsurt. v. 12. Februar 1988, V ZR 8/87, WM 1988, 767, 769; v. 20. Dezember 1996, V ZR 259/95, WM 1997, 481, 483). Insoweit besteht revisionsrechtlich kein Unterschied zur einfachen Vertragsauslegung (vgl. hierzu BGHZ 65, 107, 112). Die ergänzende Vertragsauslegung gehört zwar wie diese mit in den Bereich der tatrichterlichen Feststellung (BGHZ 111, 110, 115), ist aber nicht dem Tatrichter vorbehalten. Die Entscheidung, ob eine Regelungslücke besteht und wie die Vertragspartner sie bei deren Kenntnis geschlossen hätten, kann aufgrund ausreichender tatrichterlicher Feststellungen auch durch das Revisionsgericht getroffen werden. Denn es geht hier nicht um die Aufklärung eines - nicht festgestellten - tatsächlichen Parteiwillens, sondern um eine an objektiven Maßstäben orientierte Bewertung des Inhalts der getroffenen Vereinbarung und der daraus abgeleiteten Rechtsfolge, was die Parteien im Falle des Erkennens der Regelungslücke bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten (BGHZ 84, 1, 7; 90, 69, 77; Senatsurt. v. 12. Februar 1988, V ZR 8/87, WM 1988, 767, 769; v. 30. März 1990, V ZR 113/89, WM 1990, 1431, 1433; Urt. v. 20. Januar 1994, III ZR 143/92, NJW 1994, 1008, 1011). Diese Bewertung ist zwar nicht nur Anwendung einer Rechtsnorm im Sinne des § 550 ZPO, sondern enthält zugleich auch Elemente der Tatsachenfeststellung, soweit es um die Würdigung und Gewichtung der maßgeblichen Anknüpfungstatsachen geht (Messer, Festschrift für Odersky, 1996, S. 605, 620). Demzufolge ist die tatrichterliche Auslegung nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Senatsurt. vom 14. Oktober 1994, V ZR 196/93, NJW 1995, 45, 46; BGHZ 131, 136, 138) auch nur eingeschränkt revisibel. Dies hat umgekehrt aber nicht zur Folge, daß das Revisionsgericht in seiner (ergänzenden) Auslegung ebenfalls beschränkt wäre und die Sache an den Tatrichter zurückverweisen müßte. Vielmehr räumt ihm die bei Entscheidungsreife durch § 565 Abs. 3 ZPO auferlegte Pflicht zur Sachentscheidung zugleich die hierzu erforderliche tatrichterliche Kompetenz ein (vgl. BGHZ 122, 308, 316). Eine Zurückverweisung kommt daher nur dann in Betracht, wenn die tatsächliche Auslegungsgrundlage behebbar unvollständig ist und wenn Erfahrungswissen oder Verkehrssitten zu ermitteln sind (Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975, S. 237).

Die ergänzende Auslegung des Abtretungsvertrages vom 16. Oktober 1992 ergibt vorliegend, daß der im Falle eines Scheiterns oder einer Unwirksamkeit des der Abtretung zugrundegelegten Kaufs der Gebäude des Technikstützpunktes gegebene Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von der vereinbarten Überleitung aller Rechte aus dem Kauf mit erfaßt wurde. Da der Käufer von dem Kauf des Grundstücks "in absehbarer Zeit zurücktreten" wollte und die Gebäude nur im Auftrag und für Rechnung des Herrn K. erwerben sollte, wäre eine andere Auslegung weder interessengerecht noch mit Treu und Glauben vereinbar. War aber der Rückzahlungsanspruch abgetreten, lief die ausgebrachte Pfändung ins Leere, so daß die Klage abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Volstreckbarkeit aus § 708 Nr. 2 ZPO.

Hagen Vogt Wenzel Schneider Klein

Ende der Entscheidung

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