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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.03.2002
Aktenzeichen: V ZR 293/00
Rechtsgebiete: BNotO, BGB


Vorschriften:

BNotO § 19 Abs. 1
BGB § 440 Abs. 1
BGB § 326 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 293/00

Verkündet am: 15. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. Juni 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt wurde.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der Zivilkammer 86 des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 1997 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren tragen die Kläger.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Mit einem vor dem Beklagten zu 2 verhandelten notariellen Vertrag vom 17. Dezember 1993 kauften die Kläger von dem Beklagten zu 1 ein bebautes Grundstück in B.-S. zum Preis von 4.900.000 DM. Der Beklagte hatte für sieben Wohnungen in dem von ihm errichteten Anwesen öffentliche Fördermittel in Anspruch genommen. Durch Bescheide vom 30. Januar 1980 und 4. Mai 1984 wurden durch die W.-K. B. (jetzt: Investitionsbank B., im folgenden: IBB) verlorene Aufwendungszuschüsse und Aufwendungsdarlehen in Höhe von insgesamt etwa 2.400.000 DM bewilligt, die von 1982 bis 1997 auszuzahlen waren. Für den als Darlehen gewährten Teil der Förderung in Höhe von etwa 800.000 DM wurde im März 1980 eine Grundschuld über 487.400 DM in das Grundbuch eingetragen. Die Eintragung einer weiteren, von dem Beklagten zu 1 bereits bewilligten Grundschuld über 325.100 DM unterblieb. Bis zum 31. Dezember 1993 zahlte die IBB insgesamt 621.110,80 DM als Aufwendungsdarlehen an den Beklagten aus.

Zwischen den Parteien bestand Einigkeit darüber, daß die Kläger verschiedene Belastungen des Grundstücks, darunter auch die Grundschuld zugunsten der IBB, unter Anrechnung auf den Kaufpreis übernehmen und daß sie in das Förderverhältnis mit der IBB eintreten sollten. Bei der Beurkundung des Kaufvertrags waren sie sich indes über die Höhe des bis dahin von der IBB ausgezahlten Aufwendungsdarlehens im unklaren. Der Beklagte zu 1 wollte die Grundschuld im Hinblick auf die noch ausstehenden Darlehensanteile und Aufwendungszuschüsse durch die IBB zunächst mit Null ansetzen. Die Klägerin zu 2 und ihr Steuerberater gingen dagegen von einem Darlehensbetrag von 500.000 DM aus. Bei den anschließenden Verhandlungen wies der Beklagte zu 1 darauf hin, daß ein im Vertragsentwurf angegebener Darlehensbetrag in Höhe von 105.000 DM zu niedrig sei. Aufgrund der jährlich unterschiedlichen Nachbewilligung von Fördermitteln könne er den Auszahlungsbetrag aber nicht genau beziffern. Er erstellte schließlich auf einem im Beurkundungstermin vorliegenden "Berechnungsblatt" der IBB vom 17. Oktober 1991 eine handschriftliche Berechnung, mit der er den bislang an ihn ausgezahlten Darlehensbetrag fehlerhaft nur mit etwa 327.000 DM ermittelte. Daraufhin vereinbarten die Vertragsparteien in III. des notariellen Kaufvertrages folgendes:

"...

2) Der Kaufpreis wird wie folgt belegt:

a) Ca. 2.675.000,- DM werden dadurch belegt, daß der Käufer als Gesamtschuldner die den Belastungen Abt. III lfd. Nrn. 38, 39 und 43 zugrundeliegenden Darlehensrückzahlungsverpflichtungen mit einem Valutastand per 31.12.1993 von voraussichtlich 2.324.137,03 DM übernimmt sowie in die Rechte und Pflichten des zum Objekt erlassenen Bewilligungsbescheides der ... per 31.12.1993 eintritt. Die Beteiligten nehmen den ausgezahlten Darlehensanteil der bisher ausgezahlten Annuitätenzuschüsse per 31.12.1993 mit ca. 357.000,- DM (richtig: 327.000,- DM) an.

...

Eventuell sich ergebende Valutadifferenzen zu dem angenommenen Betrag von 2.324.137,03 DM gleichen die Parteien bis spätestens 31.1.1994 unter sich direkt aus. Der Darlehensbetrag der ... wird fest mit 350.000 DM verrechnet, ein Valutenausgleich findet hier nicht statt.

b) Der Restkaufpreis in Höhe von 2.225.000,- DM ist bis zum 15.1.1994 auf das ... Notar-Anderkonto ... zu hinterlegen.

Der Notar wird angewiesen, über den hinterlegten Betrag erst zu verfügen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

...

e) die Schuldübernahmegenehmigungen der Gläubiger der Posten Abt. III lfd. Nr. 38, 39, 43 und 40 vorliegt. ..."

Die Kläger hinterlegten den Betrag von 2.225.000 DM im Januar 1994 auf einem Anderkonto des Beklagten zu 2. Mitte Februar 1994 zahlte dieser den Betrag an den Beklagten zu 1 aus. Die Kläger wurden im April 1994 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. In der Folge versagte die IBB die Genehmigung zum Eintritt der Kläger in das bestehende Förderverhältnis, nachdem die fehlende Eintragung der zweiten Grundschuld bemerkt worden war und die Kläger nicht bereit waren, eine dingliche Sicherheit in Höhe der tatsächlich ausgezahlten und noch auszuzahlenden Darlehensbeträge zu bewilligen.

Die Kläger verlangen von dem Beklagten zu 1 die Rückzahlung des durch Hinterlegung entrichteten Kaufpreises in Höhe von 2.225.000 DM Zug um Zug gegen Rückauflassung und Rückgabe des Grundstücks und von dem Beklagten zu 2 Schadensersatz in Höhe dieses Betrages Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen den Beklagten zu 1. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht diese Entscheidung geändert und der Klage im wesentlichen stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht geht von einem Schadensersatzanspruch der Kläger wegen Verschuldens bei Vertragsschluß durch den Beklagten zu 1 aus. Er habe eine vorvertragliche Sorgfaltspflicht verletzt, indem er es pflichtwidrig unterlassen habe, die Kläger darauf hinzuweisen, daß die IBB weitaus höhere Darlehensbeträge an ihn ausgezahlt habe, als dies nach der eingetragenen Grundschuld zu erwarten gewesen sei. Die Höhe des Auszahlungsbetrages sei erkennbar für die Kläger von wesentlicher Bedeutung für ihren Entschluß gewesen, das Grundstück zu den ausgehandelten Bedingungen zu erwerben. Der Beklagte zu 1 habe die deshalb gebotene Aufklärung auch schuldhaft unterlassen, weil er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt anhand des Berechnungsblattes der IBB habe erkennen können, daß der Grundbuchstand weit hinter dem tatsächlichen Auszahlungsbetrag zurückgeblieben sei. Die unterlassene Aufklärung sei für einen den Klägern entstandenen Schaden ursächlich geworden. Der Vermögensschaden liege darin, daß die Kläger einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen hätten, weil sie durch die Übernahme weiterer Verbindlichkeiten Mehraufwendungen in Höhe von 240.000 DM erbringen müßten, ohne daß dem ein entsprechender Vorteil gegenüber stehe.

Der Beklagte zu 2 sei den Klägern wegen einer Amtspflichtverletzung nach § 19 Abs. 1 BNotO zum Schadensersatz verpflichtet. Das gelte auch dann, wenn er den hinterlegten Geldbetrag, wie von ihm behauptet, auf Anweisung der Kläger vorzeitig an den Beklagten zu 1 ausbezahlt habe. Er habe die ihm als Amtspflichten obliegenden Warn- und Hinweispflichten verletzt, indem er den hinterlegten Betrag vor der Genehmigung der IBB ausbezahlt habe, ohne die Kläger über die damit verbundenen Risiken aufzuklären. Diese Pflichtverletzung sei ursächlich für einen den Klägern entstandenen Schaden, weil ohne sie der hinterlegte Betrag noch zur Befriedigung der Ansprüche der Kläger zur Verfügung stünde.

Dies hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

II.

1. Zu Recht wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 1 sei wegen Verschuldens bei Vertragsschluß deshalb zu Schadensersatz verpflichtet, weil er es unterlassen habe, die Kläger auf den tatsächlich ausgezahlten, höheren Darlehensanteil hinzuweisen.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß bei Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht durch die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften wegen eines Sach- oder Rechtsmangels ausgeschlossen ist. Abgesehen davon, daß jedenfalls ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens nicht durch die Regelung der §§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB verdrängt wird (Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875 f), begründet der von den Vorstellungen der Vertragsparteien abweichende Betrag, in dessen Höhe die Darlehensanteile tatsächlich ausgezahlt waren, weder einen Rechts- noch einen Sachmangel des verkauften Grundstücks.

b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch in der Annahme, der Beklagte habe eine vorvertragliche Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt.

aa) Eine derartige Pflichtverletzung liegt nicht bereits darin, daß er es unterlassen hat, die Kläger darauf hinzuweisen, daß die Grundschuld über 325.100 DM nicht zur Entstehung gelangt ist. Denn die nicht eingetragene Grundschuld ist nicht Gegenstand der vertraglichen Abreden über den Kaufpreis. Soweit die Kläger unter III 2a des Kaufvertrages vom 17. Dezember 1993 in die Rechte und Pflichten des Bewilligungsbescheides der IBB per 31. Dezember 1993 eingetreten sind und den ausgezahlten Darlehensanteil mit ca. 357.000 DM angenommen haben, kann offen bleiben, ob von der die Kaufpreisbelegung betreffenden Schuldübernahme auch die aus dem Bewilligungsbescheid vom 4. Mai 1984 erwachsenen Verbindlichkeiten erfaßt werden. Ist das zu verneinen, fehlt für eine Aufklärungspflichtverletzung schon deswegen jede Grundlage. Ist die Frage dagegen im Wege der Auslegung zu bejahen, ist die Klage ebenfalls unbegründet.

Nach ständiger Rechtsprechung besteht allerdings bei Vertragsverhandlungen, bei denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, eine Pflicht, den anderen über solche Umstände aufzuklären, die den von ihm verfolgten Vertragszweck vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (Senat, Urt. v. 6. Februar 1976, V ZR 44/74, LM § 123 BGB Nr. 45; v. 2. März 1979, V ZR 157/77, NJW 1979, 2243). Eine Einschränkung erfährt diese Pflicht dadurch, daß jedermann grundsätzlich davon ausgehen darf, daß sich sein künftiger Vertragspartner selbst über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft hat. Eine Aufklärungspflicht besteht deshalb nur dann, wenn wegen besonderer Umstände des Einzelfalles davon ausgegangen werden muß, daß der zukünftige Vertragspartner nicht hinreichend unterrichtet ist und die Verhältnisse nicht durchschaut (BGH, Urt. v. 15. April 1997, IX ZR 112/96, NJW 1997, 3230, 3231).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für die Verletzung einer Aufklärungspflicht des Beklagten zu 1 hinsichtlich der tatsächlichen Höhe der ausgezahlten Darlehensbeträge hier nicht erfüllt. Das Berechnungsblatt der IBB, aus dem sich die Beträge zutreffend ermitteln ließen, lag bei der Beurkundung des Vertrages vor und war somit auch den Klägern bekannt. Sie waren deshalb über die zur Ermittlung der bis dahin ausgezahlten Darlehensbeträge erforderlichen Informationen in gleicher Weise wie der Beklagte zu 1 unterrichtet und somit in der Lage, sich über Art und Umfang ihrer Vertragspflichten selbst Klarheit zu verschaffen. Tatsächlich hatte der Steuerberater der Klägerin vor dem Notartermin auch einen Betrag in Höhe von 500.000 DM ermittelt. Ein Wissensvorsprung des Beklagten zu 1 und somit Anlaß für die Annahme, die Kläger könnten die tatsächlichen Verhältnisse nicht oder nicht in demselben Umfang durchschauen, wie er selbst, bestand deshalb nicht.

bb) Der Beklagte hat seine Sorgfaltspflicht auch nicht dadurch verletzt, daß er sich bei der Ermittlung des Darlehensbetrages verrechnet und deshalb den Klägern eine unzutreffende Auskunft gegeben hat. Zwar müssen Angaben eines Verkäufers, die für den Kaufentschluß des anderen Teils von Bedeutung sein können, richtig sein (BGHZ 74, 103, 110; Senat, Urt. v. 20. November 1987, V ZR 66/86, NJW-RR 1988, 458, 459; v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Unrichtige tatsächliche Informationen begründen auch dann Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluß, wenn eine Aufklärungspflicht nicht bestand (Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145).

Das gilt indes nicht, wenn ein Vertragspartner bei Vertragsschluß offenbart, daß ihm die Kenntnis von bestimmten Tatsachen fehle und daß er deshalb, sei es ausdrücklich oder den Umständen nach, für seine gleichwohl gemachten Angaben die Gewähr für deren Richtigkeit nicht übernehme. In diesem Fall kann der andere Teil nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht erwarten, eine zutreffende Auskunft über die Tatsache, mag sie auch für seinen Vertragsentschluß von wesentlicher Bedeutung sein, zu erhalten. So ist es hier. Es fehlt an einer Pflichtverletzung des Beklagten zu 1 schon deshalb, weil er sich nach den unstreitigen Feststellungen des Berufungsgerichts in dem notariellen Beurkundungstermin für außerstande erklärt hat, genaue Angaben zur Höhe der bis dahin ausgezahlten Darlehensbeträge zu machen. Die Vertragsparteien haben deshalb auch das Risiko einer unzutreffenden Auskunft erkannt und in dem Vertrag geregelt, indem sie den vom Beklagten errechneten Betrag von 327.000 DM auf 350.000 DM pauschaliert und außerdem vereinbart haben, daß, sollte sich dieser Betrag als unzutreffend herausstellen, ein Ausgleich zwischen ihnen nicht stattfinden soll. Waren sich die Vertragsparteien somit bewußt, daß sie von einer unsicheren Tatsachengrundlage ausgingen und haben sie die aus dieser Unsicherheit folgenden Risiken vertraglich in einer bestimmten Weise geregelt, so ist für die Annahme, die Kläger hätten eine zutreffende Auskunft durch den Beklagten zu 1 erwarten dürfen und auch erwartet, kein Raum mehr.

2. Die auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalles der Geschäftsgrundlage begründet. Zwar können die Voraussetzungen hierfür auch bei einem beiderseitigen Kalkulationsirrtum erfüllt sein (Senat, BGHZ 25, 390, 392 f; Urt. v. 19. November 1971, V ZR 103/69, NJW 1972, 152, 153 f). Ein solcher Anspruch könnte aber hier nur auf eine Anpassung der Abrede über die Belegung des Kaufpreises gerichtet sein, nicht dagegen die beantragte Rückabwicklung des Vertrages tragen.

3. Da die Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten zu 1 auf Rückabwicklung des Vertrages haben, liegen auch die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen Amtspflichtverletzung gegen den Beklagten zu 2 nach § 19 Abs. 1 BNotO nicht vor. Die Kläger können die Rückzahlung des Kaufpreises nicht durchsetzen und durch die - wenn auch möglicherweise verfrühte - Auszahlung des hinterlegten Betrages ist ihnen damit kein Schaden entstanden.

Ende der Entscheidung

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