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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.02.1998
Aktenzeichen: V ZR 390/96
Rechtsgebiete: SachenRBerG
Vorschriften:
SachenRBerG § 112 Abs. 3 |
Ein vor dem 8. Mai 1945 entstandenes Erbbaurecht an einem bebauten Grundstück, das später in Volkseigentum überführt worden ist, rechtfertigt die Gewährung eines Ankaufsrechts nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 61 Abs. 1 SachenRBerG, soweit im Zeitpunkt des Beitritts die Voraussetzungen für die Umwandlung in ein dingliches Nutzungsrecht gegeben waren (§ 5 Abs. 2 Satz 5 und 6 EGZGB).
BGH, Urt. v. 20. Februar 1998 - V ZR 390/96 - OLG Dresden LG Leipzig
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 20. Februar 1998
Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 1998 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Hagen und die Richter Dr. Vogt, Tropf, Schneider und Prof. Dr. Krüger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 1. November 1996 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 27. März 1996 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin bewohnt seit 1936 ein Eigenheim, das 1932 auf einem Grundstück in L. errichtet wurde. 1938 wurde an diesem Grundstück ein Erbbaurecht bestellt, das die Klägerin im Wege der Erbfolge erworben hat und das nach wie vor im Grundbuch verzeichnet ist.
Am 18. März 1952 wurde hinsichtlich des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen: "Eigentum des Volkes, Rechtsträger: VEB K. W. L. ." Vor dem 3. Oktober 1990 beantragte die Klägerin die Umwandlung des Erbbaurechts in ein Nutzungsrecht mit dem Ziel, das Grundstück zu erwerben. 2u einer Entscheidung über den Antrag kam es nicht mehr.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe aufgrund des Erbbaurechts an dem vormals volkseigenen Grundstück ein Ankaufsrecht nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz zu. Ihre darauf gerichtete Feststellungsklage ist im ersten Rechtszug erfolgreich gewesen. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint ein Ankaufsrecht der Klägerin: § 112 Abs. 3 SachenRBerG gewähre einen solchen Anspruch nur, wenn das Erbbaurecht an einem volkseigenen Grundstück bestellt worden sei, nicht wenn - wie hier - ein mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück in Volkseigentum überführt worden sei. Dafür spreche neben dem Wortlaut der Vorschrift vor allem die Überlegung, daß - wie sich auch aus § 8 SachenRBerG ergebe - der Schutz des Gesetzes nur demjenigen zuteil werden solle, der nach dem 8. Mai 1945 im Vertrauen auf ein tatsächlich begründetes oder zumindest in Aussicht gestelltes unbefristetes Nutzungsrecht bauliche Investitionen vorgenommen habe. Daran fehle es.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Das Erbbaurecht der Klägerin ist gemäß § 5 Abs. 2 EGZGB mit Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs am 1. Januar 1976 in ein unbefristetes Recht umgewandelt worden. Als solches unterliegt es nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 SachenRBerG der Sachenrechtsbereinigung.
Grundsätzlich werden fortbestehende Erbbaurechte allerdings nach § 112 Abs. 1 und 2 SachenRBerG lediglich in befristete Rechte zurückgeführt, gewähren also kein Ankaufsrecht. Etwas anderes gilt für solche Rechte, die an vormals volkseigenen Grundstücken bestellt worden sind. Sie werden gemäß § 112 Abs. 3 SachenRBerG wie verliehene Nutzungsrechte behandelt, was zur Folge hat, daß der Erbbauberechtigte nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 61 Abs. 1 SachenRBerG ein Recht zum Ankauf des Grundstücks erhält. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts erfüllt das Erbbaurecht der Klägerin diese Voraussetzungen.
a) Der Wortlaut des § 112 Abs. 3 Satz 1 SachenRBerG spricht allerdings für die Auffassung des Berufungsgerichts, daß von dieser Norm nur solche Erbbaurechte erfaßt werden sollen, die - anders als im vorliegenden Fall - nach Überführung des Grundstücks in Volkseigentum bestellt worden sind.
b) Eine solche Beschränkung entspricht jedoch nicht dem Sinn und Zweck der Norm und ist - wie auch die Gesetzesmaterialien ergeben - nicht gewollt.
aa) Die unterschiedliche Behandlung von fortbestehenden Erbbaurechten an nicht volkseigenen Grundstücken (§ 112 Abs. 1 und 2 SachenRBerG) und an volkseigenen Grundstücken (§ 112 Abs. 3 SachenRBerG) beruht auf folgendem. Bei nicht volkseigenen Grundstücken nahm die Rechtsordnung der DDR einen Fortbestand von Erbbaurechten hin. Sie wurden lediglich mit Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs und Aufhebung der Erbbaurechtsverordnung zum 1. Januar 1976 den sozialistischen Verhältnissen angepaßt, indem die zeitliche Befristung und das Heimfallrecht des Grundstückseigentümers aufgehoben wurden (§ 5 Abs. 2 Satz 1 und 3 EGZGB). Angesichts dessen hielt es der Gesetzgeber des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes für angemessen und ausreichend, diesen Erbbaurechten wieder ihren früheren Charakter zu verleihen (§ 112 Abs. 1 und 2 SachenRBerG). Bei Erbbaurechten an volkseigenen Grundstücken verfolgte der DDR-Gesetzgeber eine andere Lösung. An die Stelle der Erbbaurechte sollten dingliche Nutzungsrechte treten (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 5 und 6 EGZGB). Kam es entsprechend dieser Zielsetzung zu einer Nutzungsrechtsverleihung, bedeutet dies für die Sachenrechtsbereinigung, daß dem Berechtigten ein Wahlrecht zwischen einem Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts und einem Recht zum Ankauf des Grundstücks zugebilligt wird (§§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 32, 61 Abs. 1 SachenRBerG). In nicht wenigen Fällen ist es jedoch nicht zu einer Nutzungsrechtsverleihung gekommen, obwohl die Voraussetzungen dafür vorlagen. Solche Vollzugsdefizite, auf die der Betroffene keinen Einfluß hatte, sollen für die Sachenrechtsbereinigung keine Bedeutung erlangen. Sie werden durch die Regelungen des § 112 Abs. 3 SachenRBerG kompensiert. In diesen Fällen soll der Berechtigte so behandelt werden, als habe er ein Nutzungsrecht verliehen bekommen. Auch ihm wird daher ein Wahlrecht zwischen Erbbaurecht und Ankaufsrecht zugestanden (vgl. dazu Begr. des Entwurfs zum Sachenrechtsänderungsgesetz, BT-Drucks. 12/5992, S. 177 u. S. 62).
bb) Ausgehend von diesem Gesetzeszweck kann es nicht darauf ankommen, ob ein Erbbaurecht an einem volkseigenen Grundstück bestellt wurde oder ob ein mit einem Erbbaurecht belastetes Grundstück in Volkseigentum überführt wurde. In beiden Fällen konnte dem Berechtigten nach § 5 Abs. 2 Satz 5 EGZGB ein Nutzungsrecht verliehen werden. In beiden Fällen ist es daher auch gerechtfertigt und geboten, in Nachzeichnung dieser Regelung dem Berechtigten ein Wahlrecht zwischen Erbbaurecht und Ankaufsrecht zu gewähren.
c) Dieses Ergebnis findet auch darin eine Stütze, daß die Regelung des § 112 Abs. 3 SachenRBerG anderenfalls weitgehend bedeutungslos bliebe. Denn die Bestellung eines Erbbaurechts an einem volkseigenen Grundstück war an sich mit dem Grundsatz der Unbelastbarkeit von Volkseigentum nicht vereinbar. Wenn es dennoch zu Erbbaurechtbestellungen gekommen sein sollte, wofür die diese Möglichkeit voraussetzende Vorschrift des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkauf volkseigener Eigenheime und Siedlungshäuser (vom 15. September 1954, GBl S. 784) spricht, so blieben dies Einzelfälle (vgl. Flik, DtZ 1997, 146, der selbst solche Einzelfälle ausschließt; Czub, in: Czub/Schmidt-Räntsch/Frenz, Sachenrechtsbereinigungsgesetz, Stand Mai 1996, § 1 SachenRBerG Rdn. 121). Auf solche Ausnahmefälle hebt die Norm nicht ab.
2. Der Umstand, daß die Erbbaurechtsbestellung dem Bau des Eigenheims nachfolgte, steht einer Anwendung des § 112 Abs. 3 SachenRBerG nicht entgegen. Denn auch in diesem Fall kam die Verleihung eines Nutzungsrechts in Betracht. § 5 Abs. 2 Satz 2 EGZGB verlangte zwar, daß die Baumaßnahme "in Ausübung" des Erbbaurechts erfolgte. Damit sollte jedoch eine der Baumaßnahme nachfolgende Erbbaurechtsbestellung nicht von der Umwandlung in ein Nutzungsrecht ausgenommen werden. Das zeigt die Vorschrift des § 2 Abs. 2 NutzungsRG, die bereits vorher bestand und nach Inkrafttreten von § 5 EGZGB fortgalt. Sie stellt für die Verleihung eines Nutzungsrechts nur darauf ab, daß "aufgrund eines Erbbaurechts" gebaut wurde. Damit war - nicht anders als nach § 12 Abs. 1 Satz 2 ErbbauRVO - der Fall einer Bebauung nach Erbbaurechtsbestellung ebenso erfaßt wie der umgekehrte Fall. An dieser Rechtslage wollte § 5 Abs. 2 Satz 2 EGZGB nichts ändern. Denn Zweck der Norm war es, die noch bestehenden Erbbaurechte generell in dingliche Nutzungsrechte umzuwandeln.
3. Daß die baulichen Investitionen im vorliegenden Fall vor dem 8. Mai 1945 getätigt wurden, hindert die Anwendung des § 112 Abs. 3 SachenRBerG ebenfalls nicht.
Allerdings verweist die Norm auf die im zweiten Kapitel des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes enthaltenen Bestimmungen für verliehene Nutzungsrechte. Damit gilt an sich auch § 8 SachenRBerG, welche Vorschrift die Anwendung der Bestimmungen des zweiten Kapitels u.a. davon abhängig macht, daß der Bau oder Erwerb des Gebäudes, auf das sich das Nutzungsrecht bezieht, nach dem 8. Mai 1945 erfolgt ist. Diese zeitliche Beschränkung kann jedoch bei einer am Zweck des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes orientierten Auslegung für die Anpassung der Erbbaurechte sozialistischer Prägung an das Recht der Bundesrepublik nicht gelten. Das Gesetz hat zum Ziel, die auf den Besonderheiten der sozialistischen Bodenordnung beruhenden Sachverhalte in Rechtsgestaltungen des Zivilrechts der Bundesrepublik überzuleiten. Soweit Anknüpfungspunkt für die Bereinigung bauliche Investitionen sind, versteht es sich daher, daß nur solche Investitionen Bedeutung erlangen, die nach dem 8. Mai 1945 vorgenommen wurden. Darauf hatte der Regierungsentwurf des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes nicht eigens hingewiesen (vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 17). Der Rechtsausschuß hatte demgegenüber in seinem Bericht unter Hinweis auf diesen Regelungszweck empfohlen, eine Klarstellung in zeitlicher Hinsicht aufzunehmen (BT-Drucks. 12/7425, S. 13). Dem ist der Gesetzgeber gefolgt. Um solche an bauliche Investitionen anknüpfende Sachverhalte geht es hier aber nicht. Regelungsgegenstand ist vielmehr die Anpassung oder Umwandlung von zu DDR-Zeiten entstandenen oder anerkannten Nutzungs- oder Erbbaurechten. Nicht solche Investitionen sind Anlaß dafür, dem Nutzer besondere Rechte zu gewähren, sondern die auf der Grundlage des DDR-Rechts entstandenen Rechtspositionen. Insofern wird an dem in § 8 SachenRBerG zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Gedanken festgehalten, daß nur ein nach dem 8. Mai 1945 liegender Sachverhalt die Zuerkennung eines Ankaufsrechts rechtfertigen kann.
Die nach dem Recht der DDR verliehenen Nutzungsrechte sind mit dem Beitritt gemäß Art. 233 § 3 Abs. 1 EGBGB (in der Fassung des Einigungsvertrages) anerkannt worden (vgl. auch Gesetzentwurf des Sachenrechtsänderungsgesetzes, BT-Drucks. 12/5992, S. 53, 61 f), und zwar ohne daß eine Einschränkung im Hinblick auf den Zeitpunkt der Vornahme baulicher Investitionen erfolgt ist (vgl. Art. 233 § 4 EGBGB i.d.F. des Einigungsvertrages). Diese Nutzungsrechte sollten entsprechend der in Art. 233 § 3 Abs. 2 EGBGB (i.d.F. des Einigungsvertrages) vorbehaltenen Anpassung in BGB-konforme Rechtsgestaltungen überführt werden (vgl. Gesetzentwurf des Sachenrechtsänderungsgesetzes aaO S. 53 f, 61 f). Es wäre regelwidrig, wenn durch die zeitliche Grenze für bauliche Investitionen die Umwandlung einzelner Nutzungsrechte unterbleiben müßte, obwohl das Recht der DDR diese Nutzungsrechte unabhängig vom Zeitpunkt der baulichen Maßnahmen anerkannt hatte. Im übrigen wäre ein Fortbestehen des dem Bürgerlichen Recht fremden Nutzungsrechts keine vernünftige Lösung. Und eine Rückumwandlung in ein Erbbaurecht sieht das Sachenrechtsbereinigungsgesetz nicht vor.
Nicht anders verhält es sich, wenn die zu DDR-Zeiten an sich mögliche Nutzungsrechtsverleihung unterblieben ist und ein Erbbaurecht infolgedessen fortbesteht. Auch hier kann es auf den Zeitpunkt der baulichen Investition nicht ankommen. Wäre das Nutzungsrecht verliehen worden, hätte eine Anpassung nach dem soeben Ausgeführten vorgenommen werden müssen. Ebenso ist nach § 112 Abs. 3 SachenRBerG zu verfahren, wenn die Verleihung unterblieben ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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