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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.02.2000
Aktenzeichen: V ZR 61/99
Rechtsgebiete: BBauG, BGB, ZPO


Vorschriften:

BBauG § 127
BBauG § 128
BGB § 326 Abs. 1
BGB § 326
BGB § 366 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 61/99

Verkündet am: 11. Februar 2000

Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Vogt, Schneider, Prof. Dr. Krüger und Dr. Klein

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 3. Dezember 1998 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 11. April 1997 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die H. A. AG erwarb 1991 einen größeren Grundbesitz in Sch. , von dem sie eine Teilfläche von rund 38.000 qm mit notariellem Vertrag vom 16. Juni 1993 für rund 6,8 Mio. DM an die spätere Gemeinschuldnerin (im folgenden: Gemeinschuldnerin) verkaufte. Für die Gemeinschuldnerin wurde eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Die zugrundeliegende Forderung wurde später an die Commerzbank verpfändet, die sich für die Kaufpreiszahlung verbürgt hatte.

In dem Kaufvertrag heißt es unter "IX. Erschließungsmaßnahmen" wie folgt:

"Der Erschließungsaufwand im Sinne der §§ 127, 128 BBauG, die Kosten für Ver- und Entsorgungsleitungen, die Anschluß- und Herstellungsbeiträge gemäß kommunalen Satzungen sind nicht bezahlt.

Die anfallenden Kosten aufgrund kommunaler Satzungen oder aufgrund eines Vorhaben- und Erschließungsplanes werden vom Käufer getragen, auch wenn die Bescheide und Abrechnungen noch an den Verkäufer adressiert sein sollten. Der Verkäufer verpflichtet sich, die Verhandlungen im Rahmen des Vorverfahrens zum Vorhaben- und Erschließungsplan mit der Stadt Sch. zum Abschluß eines Erschließungsvertrages zwischen der Stadt Sch. und dem Käufer zu führen.

Die Kosten der Erschließung sowie die anstehende Erdverkabelung der Hochspannungsleitung werden entsprechend der Größe des in Ziff. I bezeichneten Gesamtgrundbesitzes von den Vertragsteilen flächenanteilig getragen.

Ungeachtet von der vorstehenden Regelung übernimmt der Verkäufer die Kosten der Erdverkabelung bis zu höchstens 350.000,--; ein etwa überschießender Betrag geht zu Lasten des Käufers.

Hierzu erforderliche Verträge sind gesondert abzuschließen."

Am 16. Mai 1995 schlossen die H. A. AG und die Gemeinschuldnerin einen privatschriftlichen "Konsortialvertrag", dessen Zweck die Erstellung und Verwirklichung eines Vorhaben- und Erschließungsplans war und der auch im einzelnen festlegte, wer jeweils die Kosten tragen sollte.

Die Commerzbank zahlte als Bürgin den vollständigen Kaufpreis. Zahlungen auf die Erschließungskosten, die die Stadt Sch. zum Teil von der H. A. AG gefordert hatte, leistete die Gemeinschuldnerin nicht.

Mit Schreiben vom 6. und vom 16. August 1996 an den Beklagten stellte die H. A. AG eine Berechnung auf, die mit einer Forderung von rund 3,1 Mio. DM abschloß und die sie als restlichen Kaufpreis bis zum 20. August 1996 einforderte, verbunden mit der Androhung, die Erfüllung des Kaufvertrages abzulehnen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend zu machen. Der Berechnung der Forderung lag zugrunde, daß die H. A. AG den von der Commerzbank gezahlten Betrag auf verschiedene ihr angeblich zustehende Forderungen verrechnete, u.a. auf Erstattungsansprüche wegen der Erschließungskosten in Höhe von rd. 1,4 Mio. DM sowie auf Verzugszinsen.

Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht der H. A. AG Löschung der Auflassungsvormerkung. Land- und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Kaufvertrag zwischen der H. A. AG und der Gemeinschuldnerin sei nach § 326 Abs. 1 BGB in ein Abwicklungsverhältnis umgewandelt worden. Die Gemeinschuldnerin sei zwar nicht mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug geraten; denn diesen habe die Commerzbank als Bürgin gezahlt, und der Gläubigerin sei es wegen der eindeutigen Leistungsbestimmung verwehrt gewesen, die Zahlung auf andere Forderungen zu verrechnen. Eine Auslegung des Vertrages ergebe aber, daß auch die von der Gemeinschuldnerin übernommene Pflicht zur Tragung der Erschließungskosten eine Hauptleistungspflicht gewesen sei, die sie nicht erfüllt habe. Von den angefallenen Kosten sei sie mit einem Betrag von wenigstens 1.333.392,32 DM in Verzug gewesen, so daß die H. A. AG insoweit die Rechte aus § 326 Abs. 1 BGB habe geltend machen können. Infolgedessen sei der - an den Kläger abgetretene - Anspruch auf Löschung der Auflassungsvormerkung berechtigt.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der sich aus einem Abwicklungsverhältnis nach § 326 Abs. 1 BGB ergebende schuldrechtliche Anspruch auf Löschung der Auflassungsvormerkung abtretbar ist, von dem Kläger also geltend gemacht werden kann. Es bejaht indes rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen dieser Norm im konkreten Fall.

1. § 326 Abs. 1 BGB ist im Rahmen eines Kaufvertrages nur anwendbar, wenn der Schuldner mit einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht im Verzug ist. Ob eine Pflicht im Gegenseitigkeitsverhältnis steht, richtet sich - wenn es sich nicht um die vertragstypischen Pflichten des Kaufvertrages handelt - nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien. Dies hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Seine Auffassung, die Parteien hätten die Verpflichtung, die Erschließungskosten zu tragen, als Hauptleistungspflicht vereinbart und sie den Regeln der §§ 320 ff BGB unterstellt, ist jedoch rechtsfehlerhaft und damit für den Senat nicht bindend.

a) Die Annahme, es habe sich im vorliegenden Fall nicht um einen "einfachen Kaufvertrag über ein Grundstück, ... sondern um eine Projektentwicklung" gehandelt, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung in erster Linie darauf, daß die Vertragsparteien am 16. Mai 1995 einen Konsortialvertrag abgeschlossen haben und dann gegenüber der Stadt Sch. als Maßnahmenträger aufgetreten sind. Dabei handelt es sich aber um Umstände, die sich zwei Jahre nach dem Abschluß des Kaufvertrages zugetragen haben, für die Auslegung dieses Vertrages somit nicht herangezogen werden können. Damit entfällt die wesentliche Grundlage für die Auffassung des Berufungsgerichts.

Das Berufungsgericht meint allerdings, auch im notariellen Kaufvertrag, nämlich unter IX Abs. 2, komme zum Ausdruck, daß die Vertragsparteien eine "Projektentwicklung" vereinbart hätten. Diese, vom Gericht auch nicht weiter dargelegte, Annahme berücksichtigt nicht ausreichend die für die Auslegung bedeutsamen Umstände. Daß in einem Grundstückskaufvertrag eine Regelung darüber getroffen wird, wer die noch nicht bezahlten Erschließungskosten zu tragen hat, stellt keine Besonderheit dar, die den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß rechtfertigt. Eine solche Vereinbarung wird mit Rücksicht auf das zunächst noch beim Verkäufer verbleibende Eigentum und die damit mögliche Inanspruchnahme durch die Kommune in vielen Kaufverträgen in gleicher Weise geschlossen. Abweichend von diesen Üblichkeiten haben die Vertragsparteien hier lediglich eine Verpflichtung des Verkäufers begründet, "die Verhandlungen im Rahmen des Vorverfahrens zum Vorhaben- und Erschließungsplan mit der Stadt Sch. zum Abschluß eines Erschließungsvertrages zwischen der Stadt Sch. und dem Käufer zu führen". Das läßt den Schluß darauf zu, daß ein solches Vorhaben beabsichtigt war, nicht aber, daß der Käufer irgendwelche Pflichten gegenüber dem Verkäufer im Sinne einer "Projektentwicklung" übernehmen sollte. Nur der Verkäufer verpflichtete sich, nämlich Verhandlungen zu führen. Weiteres enthält der Vertrag nicht.

Wenn das Berufungsgericht demgegenüber meint, der Erschließungsregelung komme eine wesentliche Bedeutung zu, der Kaufpreis und der abzuschließende Erschließungsvertrag sowie die Kostentragung stünden auf gleicher Stufe, so stützt es seine Auslegung auf Umstände, die zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses noch nicht gegeben waren. Die Frage, wann und in welcher Höhe Erschließungskosten bei wem anfallen würden, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Für die Verkäuferin entstand ein Interesse an einer vertraglichen Übernahme der Erschließungskosten durch die Gemeinschuldnerin erst durch den Konsortialvertrag, der für sie insoweit eine Mithaftung vorsah. Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen können daher das Auslegungsergebnis nicht rechtfertigen.

b) Auch eine dem Senat - weil weitere Sachverhaltsfeststellungen nicht zu erwarten sind - mögliche eigene Vertragsauslegung führt nicht zu dem vom Berufungsgericht angenommenen Vertragsinhalt. Ohne hinreichende Anhaltspunkte im Vertragstext liegt eine dahingehende Auslegung ohnehin fern. Sie wird aber auch von den Interessen der Vertragsparteien nicht gefordert.

Wenn das Berufungsgericht meint, für die H. A. AG als Verkäuferin sei es von existentieller Bedeutung gewesen, daß die Käuferin ihre Erschließungsverpflichtungen erfüllte, da sie "über Erschließungsvertrag und Konsortialvertrag" mitgehaftet habe, so übersieht es, daß die H. A. AG gerade nicht aufgrund des Kaufvertrages mithaftete. Sie lief allenfalls Gefahr, öffentlich-rechtlich als Nocheigentümerin für von der Kommune durchgeführte - aber nicht im Raum stehende - Maßnahmen in Anspruch genommen zu werden. Ihre Mithaftung wegen der gesamten Erschließungskosten ergab sich erst aus dem zwei Jahre später geschlossenen Konsortialvertrag und aus den darauf beruhenden Erschließungsverträgen. Für die Interessenlage der Kaufvertragsparteien sind diese Umstände daher ohne Bedeutung.

Mit den Interessen vom Verkäufer und Käufer läßt es sich im Regelfall zudem nicht vereinbaren, daß die Vertragsabwicklung über längere Zeit in der Schwebe bleibt. Der auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung ausgerichtete Kaufvertrag soll schnell abgewickelt werden, damit der Käufer mit der Kaufsache, der Verkäufer mit dem Kaufpreis wirtschaften kann. Ausdruck dessen ist u.a. die relativ kurze Frist für die Verjährung von Gewährleistungsrechten. Angesichts dessen kann - ohne hier nicht ersichtliche Ausnahmegründe - nicht angenommen werden, daß die Parteien eine Leistungspflicht zur Hauptpflicht erheben, deren Umfang und Entwicklung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch völlig ungeklärt ist und von weiteren, nicht allein in der Macht der Vertragspartner stehenden Umständen abhängt. So lag es hier. Die Frage, wann und in welcher Höhe Erschließungskosten anfallen und von dem Käufer zu tragen sein würden, war bei Abschluß des Kaufvertrages nicht verläßlich abzusehen. Hätten die Parteien gleichwohl die Verpflichtung des Käufers, diese Kosten zu tragen, zur Hauptpflicht erhoben, so hätte es zu unangemessenen, den dargelegten Interessen zuwiderlaufenden Folgen kommen können. Noch nach langer Zeit könnte eine Vertragsrückabwicklung nach § 326 BGB drohen, obwohl der Käufer in das Kaufgrundstück erheblich investiert hat (und das nach den Vorstellungen beider Parteien auch sollte) und obwohl es im Interesse beider Parteien lag, das Bauvorhaben alsbald zu vermarkten.

2. Unabhängig davon, daß die Pflicht zur Tragung der Erschließungskosten keine im Gegenseitigkeitsverhältnis des Kaufvertrages stehende Pflicht darstellt, ist auch die Annahme des Berufungsgerichts zu beanstanden, der Beklagte sei mit der Erfüllung dieser Pflicht in Verzug gesetzt worden. Das als Mahnung allein in Betracht kommende Schreiben vom 16. August 1996 war nicht geeignet, diese Rechtsfolge herbeizuführen.

a) Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß die H. A. AG die Kaufpreiszahlung seitens der Commerzbank angesichts der eindeutigen Leistungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) nicht anderweit verrechnen konnte. Infolgedessen hat sie, als sie einen von ihr als noch offen bezeichneten Kaufpreis in Höhe von 3.183.606,75 DM anmahnte, eine nicht existierende Forderung geltend gemacht. Schon aus diesem Grund konnte Verzug mit einer möglicherweise noch bestehenden Erschließungskostenforderung nicht eintreten.

b) Wenn das Berufungsgericht meint, infolge der unzulässigen Verrechnung habe sich die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung - richtigerweise geht es zunächst um die Mahnung - nur auf die noch ausstehende Erschließungskostenforderung beziehen können und habe sich daher "eindeutig" darauf bezogen, so übersieht es die entgegenstehende klare Bezeichnung in dem vorgenannten Schreiben. Es ist ein "Restkaufpreis", kein Erschließungskostenbeitrag angemahnt worden. Die Erschließungskosten sollten gerade nicht eingefordert, sondern durch Verrechnung erledigt werden. Wenn aber der Gläubiger die "falsche" Forderung geltend macht, muß der Schuldner nicht damit rechnen, mit der "richtigen" in Verzug zu geraten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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