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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.07.2009
Aktenzeichen: V ZR 69/08
Rechtsgebiete: EGZPO, HessSchlG
Vorschriften:
EGZPO § 15a Abs. 1 Nr. 1 | |
HessSchlG § 1 |
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und
die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Eigentümer aneinander grenzender Grundstücke in Frankfurt am Main. Auf dem Grundstück der Beklagten stehen Bäume, deren Äste in der Vergangenheit so weit über die Grenze ihres Grundstücks ragten, dass sie das Dach des Wohnhauses des Klägers weitflächig überwuchsen und auf den Dachrinnen des Hauses auflagen.
Im April 2004 kam es zu einem heftigen Unwetter. In einen Lichtschacht auf der dem Grundstück der Beklagten zugewandten Seite des Hauses des Klägers drang Wasser ein und floss von dort aus in das Untergeschoss des Hauses. Der Kläger behauptet, die Überflutung des Lichtschachts sei darauf zurückzuführen, dass Nadeln und Blätter der von dem Grundstück der Beklagten überragenden Äste die Dachrinnen und Fallrohre seines Hauses verstopft hätten. Durch das Ereignis sei ihm ein Schaden von insgesamt 60.686,16 EUR entstanden.
Mit der Klage verlangt der Kläger von den Beklagten Ersatz dieses Betrages. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 650 EUR stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat zur Abweisung der Klage als unzulässig geführt, soweit nicht das Landgericht zugunsten des Klägers erkannt hat. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter, soweit das Oberlandesgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Klage sei unzulässig. Bei dem mit ihr verfolgten Anspruch handele es sich um einen Anspruch im Sinne von § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO. Von der durch § 15a EGZPO erteilten Ermächtigung, die Zulässigkeit der Klage von einem außergerichtlichen Schlichtungsversuch abhängig zu machen, habe Hessen Gebrauch gemacht. Das sei im Berufungsverfahren auch dann zu beachten, wenn die Notwendigkeit der Schlichtung im ersten Rechtszug übersehen worden sei.
II.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst b HessSchlG ist die Erhebung einer Klage zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit "in Streitigkeiten wegen Überwuchses nach § 910 des Bürgerlichen Gesetzbuches" erst zulässig, wenn zuvor vor einer Gütestelle vergeblich versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen.
2.
Ob dies für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch gilt, darf der Bundesgerichtshof entscheiden. Die Voraussetzungen von § 545 ZPO liegen vor. Nach § 15a EGZPO kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass in den dort geregelten Fällen die Erhebung der Klage erst zulässig ist, nachdem von einer durch die zuständige Landsjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Insoweit betrifft die zwischen den Parteien streitige Frage die Auslegung von Bundesrecht. Dass sich der Geltungsbereich des hessischen Schlichtungsgesetzes nicht über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt, ist daher ohne Bedeutung (BGH, Urt. v. 13. Dezember 2006, VIII ZR 64/06, NJW 2007, 519 f.; BGHZ 161, 145, 147 zu dem saarländischen Schlichtungsgesetz).
Im Übrigen beruhen die Vorschriften der von einzelnen Bundesländern erlassenen Schlichtungsgesetze, soweit es um die Zulässigkeitssperre geht, einheitlich auf der Vorgabe des § 15a EGZPO und stimmen insoweit überein (BGHZ 161, 145, 147 m.w.N.). Auch aus diesem Grund sind die Voraussetzungen von § 545 Abs. 1 ZPO gegeben (vgl. BGHZ 34, 375, 377 f.). Das gilt auch insoweit, als es durch die teilweise Aufhebung eines Landesschlichtungsgesetzes an einer Übereinstimmung fehlt (BGH, Urt. v. 13. Dezember 2006, VIII ZR 64/06, a.a.O.).
2.
a)
Die Ermächtigung von § 15a EGZPO gilt nach Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift für "Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach §§ 910, 911 ... BGB". Die Auslegung der Vorschrift ist umstritten. Überwiegend wird vertreten, dass auch Beseitigungs-, Bereicherungs- und Schadenersatzansprüche der Regelung unterfallen, soweit die geltend gemachten Ansprüche darin ihre Grundlage finden, dass Äste oder Wurzeln über eine Grundstücksgrenze hinausgewachsen sind (OLG Saarbrücken NJW 2007, 1292 f.; LG Karlsruhe Justiz 2003, 265; AG Rosenheim NJW 2001, 2030, 2031; AG Nürnberg MDR 2002, 1189; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. § 15a EGZPO Rdn. 2; Hk-ZPO/ Saenger, 2. Aufl., § 15a EGZPO Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 15a EGZPO Rdn. 23), während Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rdn. 7, und Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl. § 15a EGZPO Rdn. 5, ohne nähere Begründung eine engere Auffassung vertreten.
b)
Auf den Streit kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil über einen Anspruch auf Zahlung zu entscheiden ist. Für solche Ansprüche findet in Hessen eine Schlichtung nicht statt. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b HessSchlG, folgt jedoch aus der Änderung von § 1 HessSchlG durch Art. 1 des Gesetzes vom 1. Dezember 2005 (HessGVBl. 2005 S. 782). Hessen hatte von der Ermächtigung in § 15a EGZPO zunächst in vollem Umfang Gebrauch gemacht und in § 1 Abs. 1 Nr. 1 HessSchlG a.F. die Schlichtung "in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von tausendfünfhundert Deutsche Mark nicht überschreitet", angeordnet (HessGVBl. 2001, S. 98). Durch Art. 3 des Gesetzes zur Umstellung von Rechtsvorschriften auf Euro vom 6. November 2001 (HessGVBl. I, S. 434) sind an die Stelle der Worte "eintausendfünfhundert Deutsche Mark" die Worte "siebenhundertfünfzig Euro" getreten.
Durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes zur Regelung der außergerichtlichen Streitschlichtung vom 1. Dezember 2005 (HessGVBl. 2005, 782) ist § 1 Abs. 1 Nr. 1 HessSchlG in der Fassung des Gesetzes vom 6. November 2001 indessen aufgehoben worden. Das Gebot der außergerichtlichen Schlichtung gilt seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Dezember 2005 am 8. Dezember 2005 allein in den Fällen von § 1 Abs.1 Nr. 2 HessSchlG a.F., des heutigen § 1 Abs. 1 Nr. 1 HessSchlG. Das ist auch im vorliegenden Fall zu beachten, weil es sich bei § 15a EGZPO, § 1 HessSchlG um Normen des Verfahrensrechts handelt, die in der Fassung anzuwenden sind, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gelten (BGH, Urt. v. 13. Dezember 2006, VIII ZR 64/06, a.a.O.).
Grund für die Aufhebung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HessSchlG a.F. war nach der Begründung des Regierungsentwurfs, dass "durch das unbeschränkt zulässige Mahnverfahren" die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung weitgehend umgangen wurde (Hess. Landtag, Drucks. 16/4132 S. 10). "Zur Optimierung der Schlichtungstätigkeit und zur Vermeidung unnötiger und unverhältnismäßiger Kosten (sollte) ... durch Herausnahme der Zahlungsansprüche das Ausweichen in das Mahnverfahren nicht länger ermöglicht werden." (Hess. Landtag, a.a.O., S. 11).
Danach gilt die Anordnung der obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung generell nicht für Ansprüche, die auf Zahlung gerichtet sind. Auf die Frage, ob der Sachverhalt, aus dem der Anspruch hergeleitet wird, § 15a EGZPO, § 1 Abs. 1 HessSchlG unterfällt, kommt es nicht an. Dem entspricht es, dass es "im Deliktsbereich gewichtige Fälle (gibt), in denen dem Geschädigten gerade auch aufgrund des Verhaltens des Schädigers eine außergerichtliche Streitschlichtung und Vergleichsverhandlungen kaum zugemutet werden können" (Hess. Landtag, a.a.O., S. 11). Deshalb findet eine Schlichtung in Hessen auch nicht statt, wenn wegen einer Verletzung der Ehre Geldentschädigung verlangt wird.
3.
Das Berufungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - über das Vorbringen des Klägers in der Sache bisher nicht entschieden. Dies ist nachzuholen.
Ende der Entscheidung
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