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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.07.1999
Aktenzeichen: V ZR 72/98
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 133 | |
BGB § 157 |
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL
Verkündet am: 9. Juli 1999
Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Dr. Vogt, Tropf, Prof. Dr. Krüger und Dr. Klein
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. November 1997 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 24. Februar 1994 verkaufte der Beklagte dem Kläger Teil- und Miteigentum an einem Grundstück in B. . Der im Vertrag mit 450.000 DM angegebene Kaufpreis war nach näherer Maßgabe auf Anderkonto des Notars zu bezahlen. Eine solche Zahlung erfolgte nicht.
Durch Vertrag vom 15. März 1995 hoben die Parteien den Kaufvertrag auf und wiesen den Notar an, den Vollzug des Vertrages nicht weiterzubetreiben. In der Aufhebungsvereinbarung heißt es u.a.:
"Die Beurkundungskosten für den Kaufvertrag hat der Käufer zu 1 bereits entrichtet. Ausgleichszahlungs- oder Regreßansprüche erheben die Vertragsparteien nicht gegeneinander."
Der Kläger hat geltend gemacht: Der vereinbarte Kaufpreis habe 550.000 DM betragen. Unmittelbar vor der Beurkundung habe er dem Beklagten 100.000 DM als Anzahlung auf den Kaufpreis übergeben. Vereinbarungsgemäß habe dies in der Urkunde keine Erwähnung gefunden, vielmehr sei der Kaufpreis dort mit 450.000 DM angegeben worden. Der in der Vereinbarung vom 15. März 1995 vereinbarte Verzicht umfasse nicht den Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Anzahlung. Dem entspreche es, daß der Beklagte nach Abschluß der Vereinbarung vom 15. März 1995 zugesichert habe, den Betrag von 100.000 DM zurückzahlen, und später vorgeschlagen habe, diesen Betrag im Rahmen des Abschlusses eines anderen Kaufvertrages zu verrechnen.
Der Beklagte hat den Erhalt des Betrages von 100.000 DM bestritten und behauptet: Der Kläger habe ihm im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kaufvertrages vom 24. Februar 1994 30.000 DM übergeben. Hierbei habe es sich nicht um Schwarzgeld gehandelt. Vielmehr sei dieser Betrag bezahlt worden, um Nachteile auszugleichen, die für ihn im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kaufvertrages voraussehbar gewesen seien und darin ihren Grund fänden, daß er wegen des Verkaufs an den Kläger einen Teil der Räume zeitweilig nicht habe vermieten können.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Es ist sachlich durch Versäumnisurteil zu erkennen, wobei die Entscheidung inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge beruht (BGHZ 37, 79, 82).
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob der Beklagte 100.000 DM Schwarzgeld oder 30.000 DM zum Ausgleich eines drohenden Nachteils vom Kläger erhalten habe. Der im Aufhebungsvertrag vom 15. März 1995 vereinbarte Verzicht umfasse jegliche Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag vom 24. Februar 1994. Sofern die behauptete Zahlung hiervon hätte ausgenommen bleiben sollen, hätte dies im Vertrag vom 15. März 1995 Ausdruck finden müssen. Aus einer späteren Erklärung des Beklagten, den Betrag von 100.000 DM zurückzahlen oder durch Verrechnung ausgleichen zu wollen, ergebe sich nicht, daß der Verzicht vom 15. März 1995 die behauptete Schwarzgeldzahlung nicht umfasse. Eine neuerliche Verpflichtung des Beklagten habe nur durch schriftliches Schuldversprechen oder -anerkenntnis und dessen Annahme durch den Kläger begründet werden können.
II.
Das Berufungsgericht hat zu der vom Kläger behaupteten Schwarzgeldzahlung und zu der Behauptung, der Beklagte habe nach Abschluß der Vereinbarung vom 15. März 1995 zugesagt, den erhaltenen Betrag von 100.000 DM zurückzahlen oder durch Verrechnung ausgleichen zu wollen, keine Feststellungen getroffen. Damit ist für das Revisionsverfahren von der Richtigkeit der Behauptung des Revisionsklägers auszugehen. Auf dieser Grundlage hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Zur Bestimmung des Umfangs des im Aufhebungsvertrag vom 15. März 1995 erklärten Verzichts ist vom dem Wortlaut der Vereinbarung der Parteien auszugehen. Dabei ist nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Erklärungen zu haften, sondern der Wille der Parteien zu erforschen (§ 133 BGB). Ist dieser nicht zu ermitteln, sind durch Auslegung Inhalt und Umfang ihrer vertraglichen Vereinbarungen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu bestimmen (§ 157 BGB). Hierzu ist es erforderlich, den gesamten Prozeßstoff zu berücksichtigen, den Zweck der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln und die Interessenlage beider Parteien heranzuziehen. Diesen Anforderungen wird das Berufungsgericht nicht gerecht. Es hat weder den Willen der Parteien erforscht noch die Verzichtsvereinbarung fehlerfrei ausgelegt.
a) Das Berufungsgericht verkennt insbesondere, daß das behauptete nachträgliche Schuldversprechen des Beklagten nicht nur als selbständiger Anspruchsgrund, sondern auch als Indiz für den tatsächlichen Willen der Vertragsparteien und das tatsächliche Verständnis der Verzichtsvereinbarung unter den Parteien Bedeutung haben kann (vgl. Senatsurt. v. 24. Januar 1988, V ZR 49/87, WM 1988, 1599, 1600; BGH, Beschl. v. 24. November 1993, BLw 57/93, WM 1994, 267, 268). Denn nach der Lebenserfahrung ist es unwahrscheinlich, daß der Schuldner, der durch den Verzicht auf eine Forderung von seiner Zahlungsverpflichtung frei geworden ist, ohne besonderen Anlaß im Anschluß hieran seine Verpflichtung zur Zahlung wiederum bestätigt. Hieran ändert sich auch nicht dadurch etwas, daß durch ein einseitig vom Schuldner erklärtes Anerkenntnis weder eine Schuld erzeugt noch eine rechtliche Bindung begründet werden kann. Die indizielle Wirkung des Anerkenntnisses für das Bestehen der anerkannten Schuld wird hiervon nicht berührt (BGHZ 66, 250, 259).
b) Das Berufungsurteil ist aber auch deswegen aufzuheben, weil die Auslegung der Vereinbarung durch das Berufungsgericht weder dem Wortlaut, nach welchem "Ausgleichszahlungs- oder Regreßansprüche" nicht erhoben werden sollen, noch der systematischen Stellung der Verzichtsvereinbarung entspricht, nämlich der Tatsache, daß nach dem unmittelbar vorangehenden Satz der Kläger die Kosten der Beurkundung des Kaufvertrages getragen hat. Die Frage, ob wegen dieser Kosten ein Ausgleich stattzufinden hatte, war insbesondere deshalb regelungsbedürftig, weil nach dem Kaufvertrag die Kosten der Beurkundung zwischen den Parteien zu teilen waren, falls der Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgehoben würde. Die hiervon abweichende Regelung und die räumliche Anordnung der Verzichtsklausel bilden ein Indiz dafür, daß mit "Ausgleichszahlungs- oder Regreßansprüchen" allein die Kostenansprüche gemäß § 7 Nr. 2 des Vertrages vom 24. Februar gemeint sind, nicht jedoch Rückzahlungsansprüche nach Aufhebung des Vertrages.
c) Es ist weiter nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht berücksichtigt hat, daß die Aufhebungsvereinbarung dem Notar, dem Finanzamt und dem Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft abschriftlich mitzuteilen war und das Interesse der Parteien kaum dahin gehen konnte, diesen Beteiligten Kenntnis von ihrer Schwarzgeldabrede zu verschaffen. Hierdurch wird die indizielle Bedeutung der Tatsache, daß diese Abrede im Vertrag vom 15. März 1995 keine Erwähnung gefunden hat, dafür, daß sämtliche Forderungen aus dem am 24. Februar 1994 geschlossenen Vertrag erledigt sein sollten, gemindert.
d) Die Auslegung des Berufungsgerichts verletzt schließlich den Grundsatz, daß in Zweifelsfällen der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck (BGHZ 20, 109, 110) und die beiderseitige Interessenlage (BGHZ 21, 319, 328; 109, 19, 22) bei der Auslegung einer Vertragserklärung zu berücksichtigen sind. Die in § 157 BGB bestimmte Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben bei der Auslegung vertraglicher Vereinbarung hat zur Folge, daß grundsätzlich davon auszugehen ist, daß beide Parteien mit der getroffenen Vereinbarung ihren Interessen gerecht werden wollen. Bei der Bestimmung dieser Interessen kann die Lebenserfahrung nicht unberücksichtigt bleiben. Hiernach ist es lebensfremd, anzunehmen, daß eine Partei ohne einen besonderen Grund auf eine offensichtlich begründete Forderung in Höhe von 100.000 DM verzichtet.
2. Auf die weitere Rüge der Revision gegen das Verfahren des Berufungsgerichts kommt es daher nicht an.
3. Zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits ist der Senat nicht in der Lage. Die vom Berufungsgericht unterlassenen Feststellungen sind nachzuholen. Hierzu bedarf es der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils.
Ende der Entscheidung
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