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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.09.2003
Aktenzeichen: VI ZA 16/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 2
Ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO für die Rechtsbeschwerde gegeben sind, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZA 16/03

vom 23. September 2003

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).

Gründe:

I.

Die Kläger verlangen vom Beklagten, daß dieser seine Hunde auf dem öffentlichen Weg vor seinem Wohngrundstück nicht unangeleint laufen läßt. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 29. November 2002, dem Beklagten zugestellt am 6. Dezember 2002, der Klage stattgegeben. Der Beklagte hat am 5. Januar 2003 Prozeßkostenhilfe für die Durchführung der von ihm beabsichtigten Berufung beantragt. Mit Beschluß vom 17. März 2003, dem Beklagten zugestellt am 22. März 2003, hat das Landgericht die Gewährung von Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt. Der Beklagte hat am 2. April 2003 Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und zugleich beantragt, ihm wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mit Verfügung vom 24. April 2003 hat der Vorsitzende der Berufungskammer einem Antrag des Beklagtenvertreters vom 23. April 2003 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen und die Berufungsbegründungsfrist bis 30. Mai 2003 verlängert. Die Berufungsbegründung ist am 30. Mai 2003 beim Landgericht eingegangen.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluß vom 25. Juni 2003, dem Beklagten zugestellt am 1. Juli 2003, die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden sei. Die Begründung sei auch nicht innerhalb der um eine Überlegungsfrist von zwei bis drei Werktagen verlängerten gesetzlichen Frist von zwei Wochen gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nach einem fristgerechten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen.

Zur Durchführung der Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluß beantragt der Beklagte Prozeßkostenhilfe.

II.

Dem Antrag des Beklagten kann nicht stattgegeben werden, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 ZPO.

1. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte wegen der von ihm geltend gemachten Mittellosigkeit schon an der fristgerechten Einlegung der Rechtsbeschwerde gehindert gewesen ist. Jedenfalls wäre im vorliegenden Fall die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, weil die Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Denn auch die Rechtsbeschwerde gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß ist nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Der Gesetzgeber hat § 547 ZPO a.F. bewußt nicht in das neue Recht übernommen, sondern fehlerhafte Entscheidungen der Berufungsgerichte zur Zulässigkeit der Berufung fehlerhaften Sachentscheidungen gleichgestellt (vgl. Senatsbeschluß vom 24. Juni 2003 - VI ZB 10/03 - noch nicht veröffentlicht.; BGH, Beschluß vom 7. Mai 2003 - XII ZB 191/02 - NJW 2003, 2172; Wenzel NJW 2002, 3353, 3357 m.w.N.).

2. Die im vorliegenden Fall entscheidende Frage, ob der Beklagte gehalten gewesen ist, nach Ablehnung seines Prozeßkostenhilfegesuchs für die Durchführung der Berufung die Wiedereinsetzung nicht nur für die Berufungsfrist, sondern auch für die Berufungsbegründungsfrist zu beantragen und die Berufung innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß § 234 i.V.m. § 236 Abs. 2 ZPO zu begründen, bedarf nicht mehr der Klärung durch eine weitere höchstrichterliche Entscheidung.

Zwar hat nach Erlaß der Entscheidung des Berufungsgerichts der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Beschluß vom 9. Juli 2003 - XII ZB 147/02 - umfassend zu dieser Frage Stellung genommen und dabei die Auffassung vertreten, daß eine verfassungskonforme Auslegung des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO geboten sei, um die verfassungsrechtlich gebotene Angleichung der Situation von bedürftigen und nicht bedürftigen Rechtsmittelführern zu erreichen. Das dem vorliegenden Fall zugrundeliegende Rechtsproblem ist auch Gegenstand einer Gesetzesinitiative. Hiernach ist beabsichtigt, in § 234 Abs. 1 ZPO folgenden Satz anzufügen:

"Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde, der Rechtsbeschwerde oder der Beschwerde nach §§ 621e, 629a Abs. 2 einzuhalten."

3. Dies führt jedoch nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde. Zum einen ist für die Berufungsgerichte eine richtunggebende Orientierungshilfe mit der Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9. Juli 2003 gegeben und ist deshalb entgegen der Auffassung des Beklagten die Durchführung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich. Zum andern ist der Zulässigkeitsgrund nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Gericht in einem Einzelfall eine Fehlentscheidung getroffen hat, selbst wenn der Fehler offensichtlich ist. Voraussetzung ist vielmehr, daß das Gericht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und die Gefahr einer Wiederholung durch dasselbe Gericht oder einer Nachahmung durch andere Gerichte besteht (BGHZ 151, 221; BGH, Beschluß vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, WM 2002, 2344, 2345; Beschluß vom 4. September 2002 - VIII ZB 23/02, WM 2003, 554, 555 zu § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; Musielak/Ball, ZPO 3. Aufl. § 543 Rdn. 8 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung BT-Drucks. 14/4722, S. 104). Dadurch soll verhindert werden, daß schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen. Diese Voraussetzungen fehlen, wenn das angefochtene Urteil zwar von einer konkret zu benennenden Entscheidung abweicht, es sich aber dabei um keine Vorentscheidung handelt, weil sie erst nach der angegriffenen Entscheidung ergangen ist und damit nicht als Vorentscheidung in Frage kommt. Ein Abweichen setzt begriffsnotwendig voraus, daß die anderslautende Entscheidung bereits existent ist. Schon deshalb liegt im vorliegenden Fall eine Divergenz des Beschlusses des Landgerichts vom 25. Juli 2003 zur Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9. Juli 2003, die dem Berufungsgericht nicht bekannt sein konnte, nicht vor.

Unter diesem Gesichtspunkt scheidet auch eine Wiederholungsgefahr aus. Eine solche wird in der Regel nur dann angenommen werden können, wenn ein Gericht anderslautende höchstrichterliche Rechtsprechung in vorwerfbarer Weise nicht beachtet. Ein solches vorwerfbares Abweichen setzt aber stets voraus, daß die entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung zum einen schon ergangen und zum anderen auch schon veröffentlicht ist, so daß das Tatgericht zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Ob die Durchführung der Rechtsbeschwerde geboten ist, beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über sie (vgl. zu § 543 Abs. 2 ZPO; BGH, Beschluß vom 20. November 2002 - IV ZR 197/02 - BGH-Report 2003, 305 bis 306).

4. Im übrigen kann dem Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe auch deshalb nicht stattgegeben werden, weil die Berufung keinerlei Aussicht auf Erfolg hat.



Ende der Entscheidung

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