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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.12.2005
Aktenzeichen: VI ZB 13/05
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 85 Abs. 2 | |
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4 | |
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 20. Dezember 2005
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2005 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2005 aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Beschwerdewert: 3.206,88 €
Gründe:
I.
Der Beklagte begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die von seinem Prozessbevollmächtigten versäumte Berufungsbegründungsfrist, weil dieser infolge einer Erkrankung sowie eines Fehlers seines Rechtsreferendars ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist verhindert gewesen sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hatte gegen das ihm am 4. November 2004 zugestellte Urteil des Amtsgerichts mit einem am 2. Dezember 2004 per Telefax beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am 24. Januar 2005 beim Berufungsgericht per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat er die Berufung begründet und beantragt, dem Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat den Wiedereinsetzungsantrag entsprechend seiner eidesstattlichen Versicherung damit begründet, er habe, nachdem er in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 2005 wegen einer plötzlich aufgetretenen Erkältung bettlägerig erkrankt gewesen sei, seinen im Führen des Fristenkalenders ausgebildeten und eingewiesenen Stationsreferendar, der bereits seit dem 2. Mai 2004 zunächst in der Rechtsanwaltsstation, dann in der Wahlpflichtstation und nunmehr schließlich in der Wahlstation tätig gewesen sei, angewiesen, ihm alle im Kalender notierten Termine und Fristen für denselben Tag und die nachfolgenden Tage zu nennen. Dabei habe der Referendar die am 4. Januar 2005 ablaufende Berufungsbegründungsfrist in der vorliegenden Sache übersehen.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seiner Pflicht zur Fristenkontrolle nicht in gebührendem Maße nachgekommen sei. Er habe sich in der Situation, in der er nicht "schwerstens" erkrankt gewesen sei, nicht mit der telefonischen Auskunft seines Stationsreferendars über die im Kalender eingetragenen Termine und Fristen begnügen dürfen. Der Anwalt dürfe die Überwachung einer Notfrist nicht einem Referendar übertragen und zwar selbst dann nicht, wenn der Referendar sein amtlich bestellter Vertreter sei, was hier noch nicht einmal der Fall gewesen sei. Vielmehr habe er seinem Referendar, der ihm auf seine Bitte hin für den am nächsten Tag anstehenden Termin beim Arbeitsgericht die Akte und Robe nach Büroschluss nach Hause gebracht habe, aufgeben müssen, dabei auch den Fristenkalender mitzubringen, um die notwendige Fristenkontrolle selbst auszuführen und das Notwendige zu veranlassen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462; BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).
Der vom Berufungsgericht aufgestellte Rechtssatz, der Rechtsanwalt müsse im Falle einer Erkrankung, die nicht "schwerstens" sei, die Kontrolle der ablaufenden Notfristen im Fristenkalender selbst vornehmen und könne sie nicht einem Referendar übertragen, steht in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anwalt die Führung des Fristenkalenders und die Kontrolle der Einhaltung der darin eingetragenen Fristen im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815, 1816; vom 22. März 1995 - VIII ZR 2/95 - NJW 1995, 1682; vom 23. Februar 1994 - XII ZB 174/93 - NJW-RR 1995, 58, 59; vom 18. Mai 1983 - VII ZB 1/83 - VersR 1983, 753 und vom 22. September 1971 - V ZB 7/71 - NJW 1971, 2269).
Diese Grundsätze gelten erst recht im Falle der Übertragung derartiger Aufgaben auf juristische Hilfskräfte, wie z.B. Referendare (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 1996 - XII ZB 73/96 - VersR 1997, 83, 84; vom 1. April 1992 - XII ZB 21/92 - NJW-RR 1992, 1019, 1020 und Senatsbeschluss vom 16. März 1965 - VI ZB 7/65 - VersR 1965, 587). Bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften kann sich der Rechtsanwalt in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (BGH, Beschluss vom 19. Juni 1996 - XII ZB 73/96 - aaO). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als sich die Tätigkeit des im Führen des Fristenkalenders ausgebildeten und eingewiesenen Stationsreferendars darauf beschränkte, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten auf dessen telefonische Anweisung hin die im Kalender notierten Termine und Fristen für den 3. Januar 2005 und die nachfolgenden Tage vorzulesen (zur Einzelanweisung vgl. i.Ü. die Rechtsprechungsnachweise bei Born, NJW 2005, 2042, 2045 f.).
Die vom Berufungsgericht herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Oktober 1975 - IV ZB 23/75 - (VersR 1976, 92) ist nicht geeignet, seine gegenteilige Auffassung zu stützen. Denn in dem dort zu entscheidenden Fall hat der Stationsreferendar als amtlich bestellter Vertreter des Rechtsanwalts selbst als Vertreter der Partei gehandelt, so dass sich diese sein Verschulden bei der Behandlung von Fristsachen unmittelbar nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen musste. Dies ist hier nicht der Fall, so dass es bei dem Grundsatz verbleibt, dass lediglich das - hier nicht festgestellte - Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich steht, nicht dagegen das seiner Hilfspersonen.
Ende der Entscheidung
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