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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.06.1999
Aktenzeichen: VI ZB 14/99
Rechtsgebiete: ZPO, AHB


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
AHB § 5 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 14/99

vom

8. Juni 1999

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner

beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. Februar 1999 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger macht geltend, er habe sich bei der Benutzung einer von der Drittbeklagten betriebenen Dampfgrotte, zu der er als Gast des Hotels der Erstbeklagten Zutritt gehabt habe, eine Verbrennungsverletzung zugezogen. Diese Verletzung sei auf Mängel der Dampfgrotte zurückzuführen. Für die Folgen dieser Verletzung müßten (u.a.) die Beklagten zu 1) bis 3) aufkommen, und zwar die Beklagte zu 1), weil sie den Zugang zur Dampfgrotte eröffnet habe und mit dieser Grotte werbe, und die Beklagten zu 2) und 3) wegen Versäumnissen bei der Planung, Überwachung und Wartung der Anlage. Auf seine auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Klage wurden im ersten Rechtszug die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000 DM nebst Zinsen verurteilt. Prozeßbevollmächtigter der Beklagten zu 1) bis 3) war im ersten Rechtszug Rechtsanwalt H. aus G., den der Betriebshaftpflichtversicherer der Erst- und der Drittbeklagten in einem Schreiben vom 26. Februar 1998 mit der Wahrnehmung der Interessen der Beklagten zu 1) bis 3) beauftragt hatte.

Das landgerichtliche Urteil wurde Rechtsanwalt H. am 22. Oktober 1998 zugestellt. Der Anwalt bat den Haftpflichtversicherer mit einem Schreiben vom 23. Oktober 1998 um Mitteilung, ob er für die Beklagten zu 1) bis 3) Berufung einlegen solle. Darauf teilte ihm der Haftpflichtversicherer mit einem Schreiben vom 29. Oktober 1998 mit, daß er andere Rechtsanwälte mit der Durchführung der Berufung beauftragen werde. Das Schreiben hat (u.a.) folgenden Wortlaut:

"... wir bitten Sie sehr um Verständnis dafür, daß wir für die Berufungsverhandlung vor dem OLG München Rechtsanwälte beauftragen, mit denen wir schon jahrzehntelang zusammenarbeiten und die mit unserem Hause eng verbunden sind. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie der Einfachheit [halber] bitten, daß Sie uns Ihre Handakte bzw. die Unterlagen, die Sie nicht mehr benötigen, zurücksenden. Wir würden diese dann an die zuständige Kanzlei übersenden. ...."

Rechtsanwalt H. kam dieser Bitte nach.

Mit einem am 20. November 1998 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz legten die Münchner Rechtsanwälte Dr. v. R. und S. für die Erst- und die Drittbeklagte Berufung ein. Nachdem die Zweitbeklagte und Rechtsanwalt H. erstmals am 26. November 1998 davon Kenntnis erlangt hatten, daß nur für diese beiden Beklagten Berufung eingelegt worden war, legte Rechtsanwalt H. mit einem am 9. Dezember 1998 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz für die Zweitbeklagte Berufung ein. Gleichzeitig beantragte er wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung dieses Antrags führte er aus, daß er ebenso wie die Zweitbeklagte aufgrund der Erklärung des Haftpflichtversicherers im Schreiben vom 29. Oktober 1998 davon ausgegangen sei, daß der Versicherer durch die von ihm beauftragten Münchner Rechtsanwälte nicht nur für die Erst- und die Drittbeklagte, sondern auch für die Zweitbeklagte gegen das landgerichtliche Urteil Berufung einlegen lasse.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Zweitbeklagten als unzulässig verworfen. Es hat die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht erfüllt erachtet, weil sich die Zweitbeklagte das Verschulden des Haftpflichtversicherers, das zur Versäumung der Berufungsfrist geführt habe, nach §§ 85 Abs. 2, 233 ZPO zurechnen lassen müsse. Dieses Verschulden bestehe darin, daß der Versicherer entgegen seiner Erklärung im Schreiben vom 29. Oktober 1998 nur für die Erst- und die Drittbeklagte, nicht aber auch für die Zweitbeklagte durch die Münchner Anwälte habe Berufung einlegen lassen.

Gegen diesen am 11. Februar 1999 zugestellten Beschluß hat die Zweitbeklagte durch einen am 24. Februar 1999 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie im wesentlichen geltend macht, daß ihr das Verschulden des Versicherers nicht zugerechnet werden könne, weil er nicht ihr Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO gewesen sei. Versicherungsverträge bestünden nur zwischen dem Versicherer und der Erst- und Drittbeklagten, während sie - die Zweitbeklagte - nur Mitversicherte und damit nicht Versicherungsnehmerin sei, wie es § 5 Nr. 4 AHB für die Prozeßführungsbefugnis des Versicherers voraussetze.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die Zweitbeklagte macht zu Recht geltend, daß ihr ein Verschulden des Versicherers nicht entgegengehalten werden könne. Selbst wenn sich der Versicherer mit der auf die Erst- und die Drittbeklagte beschränkten Berufungseinlegung zum Inhalt des Schreibens vom 29. Oktober 1998 in Widerspruch gesetzt hätte, könnte dieses Verhalten der Zweitbeklagten nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO angelastet werden. Die Zweitbeklagte macht nämlich zutreffend geltend, daß ihr irreführende Erklärungen, die der Versicherer in bezug auf die Prozeßführung im vorliegenden Verfahren gegenüber Rechtsanwalt H. abgegeben hat, nicht zugerechnet werden können, weil sie nur Mitversicherte, nicht aber Versicherungsnehmerin ist. Dies bedeutet, daß der Versicherer nicht die Rechtsmacht gehabt hat, im vorliegenden Verfahren mit Wirkung für die Zweitbeklagte rechtlich relevante Erklärungen abzugeben. Die Prozeßführungsbefugnis des Versicherers aus § 5 Nr. 4 AHB beschränkt sich auf den Versicherungsnehmer; sie erstreckt sich nicht auf Mitversicherte (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 1989 - VI ZR 57/89 - VersR 1990, 497, 498 a.E. und vom 4. Dezember 1990 - VI ZR 300/89 - VersR 1991, 1033, 1034, vgl. ferner Prölls/Martin, VVG, 26. Aufl., § 5 AHB Rdn. 27, jeweils m.w.N.). Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Zweitbeklagte den Versicherer rechtsgeschäftlich bevollmächtigt hätte, zur Berufungseinlegung Erklärungen abzugeben.

2. Es stellt sich aber die Frage, ob dem Prozeßbevollmächtigten der Zweitbeklagten ein Verschulden anzulasten ist, das sich die Zweitbeklagte nach §§ 85 Abs. 2, 233 ZPO entgegenhalten lassen muß. Dies wird wesentlich davon abhängen, ob der Anwalt in Würdigung der genannten Schreiben vom 26. Februar 1998, 23. Oktober 1998 und 29. Oktober 1998 davon ausgehen durfte, der Haftpflichtversicherer werde dafür sorgen, daß die Münchner Rechtsanwälte auch für die Zweitbeklagte Berufung einlegen.

Der Senat hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, um ihm Gelegenheit zu geben, hierüber zu befinden.

Ende der Entscheidung

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