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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.11.2005
Aktenzeichen: VI ZB 15/05
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 238 Abs. 2 | |
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4 | |
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1 | |
ZPO § 574 Abs. 2 |
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom 22. November 2005
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. November 2005 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen sowie die Richter Stöhr und Zoll
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. Februar 2005 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 82.596 €.
Gründe:
I.
Der Kläger hat gegen das am 23. September 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts München I vom 8. September 2004 am 25. Oktober 2004 Berufung eingelegt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. November 2004 bat er um Fristverlängerung zur Berufungsbegründung bis zum 23. Dezember 2004. Der Schriftsatz war an das Landgericht München I zur Geschäftsnummer des erstinstanzlichen Verfahrens gerichtet und ging dort per Fax am 23. November 2004 ein. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle leitete den Fristverlängerungsantrag am selben Tag an das Oberlandesgericht München weiter. Dort ging das Schriftstück am 24. November 2004 ein. Am 26. November 2004 wurde der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen verspäteter Antragsstellung zurückgewiesen.
Mit einem am 9. Dezember 2004 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz stellte der Kläger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und begründete gleichzeitig seine Berufung. Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Die Frist zur Begründung der Berufung sei am 23. November 2004 abgelaufen. Eine Fristverlängerung habe nicht mehr gewährt werden können, weil der Antrag beim Oberlandesgericht erst nach Fristablauf eingegangen sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei als unbegründet zurückzuweisen gewesen, weil der Kläger nicht ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ohne Auswirkung auf das Verschulden des Klägers sei es, dass der beim Landgericht eingegangene Fristverlängerungsantrag mit normaler Gerichtspost weitergeleitet und demgemäß erst am nächsten Tag beim zuständigen Oberlandesgericht eingegangen sei. Die Geschäftsstelle des Landgerichts sei nicht verpflichtet gewesen, für den Kläger eilige, ggf. telefonische Vorabklärungen durchzuführen und den Antrag per Telefax an das Oberlandesgericht weiterzuleiten.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger fristgemäß Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist begründet.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 575 Abs. 1, 2, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist aber nicht zulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Dem Berufungsgericht ist weder ein Rechtsfehler von symptomatischer Bedeutung unterlaufen noch verletzt die angefochtene Entscheidung den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass ein unzuständiges Gericht, das - wie hier - vorher mit der Sache befasst gewesen ist, verpflichtet ist, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Mit dem Übergang des Schriftsatzes in die Verantwortungssphäre des zur Weiterleitung verpflichteten Gerichts wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2003 - VI ZB 29/02 - juris; BGH, Urteil vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - VersR 1998, 608, 609; Beschlüsse vom 3. September 1998 - IX ZB 46/98 - VersR 1999, 1170, 1171; vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00 - NJW-RR 2000, 1730, 1731; vom 26. Oktober 2000 - V ZB 32/00 - juris; vgl. auch BVerfGE 93, 99, 114 f.). Zu Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs besteht dagegen keine Verpflichtung. Insbesondere ist auch ein mit der Sache im vorausgegangenen Rechtszug befasst gewesenes Gericht nicht verpflichtet, die Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Berufungsfrist durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung der Berufung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343; Senatsbeschluss vom 28. Januar 2003 - VI ZB 29/02 - aaO; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2000 - V ZB 32/00 - aaO; BAG, NJW 1998, 923, 924; BFH, BFH/NV 2005, 563, 564). Andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und den hierfür nicht zuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht überspannt.
Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, weil der beim unzuständigen Gericht eingegangene Fristverlängerungsantrag im ordentlichen Geschäftsgang sofort weitergeleitet worden ist, allerdings beim Berufungsgericht nicht mehr innerhalb der Frist eingehen konnte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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