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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 29.01.2002
Aktenzeichen: VI ZB 28/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234 Abs. 2
ZPO § 234 Abs. 1
ZPO § 236 Abs. 2
ZPO § 139
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 28/01

vom

29. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Januar 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, die Richter Dr. Dressler, Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2001 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.

Beschwerdewert: 119.131,01 €

Gründe:

I.

Die Klägerin hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. März 2001 fristgerecht Berufung eingelegt. Mit einem am 22. Mai 2001 eingegangenen Schriftsatz haben ihre Prozeßbevollmächtigten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Dies hat die Senatsvorsitzende am 23. Mai 2001 telefonisch unter Hinweis darauf, daß die Berufungsbegründungsfrist bereits am 21. Mai 2001 abgelaufen und die Berufung daher unzulässig sei, abgelehnt. Am 5. Juni 2001 haben die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Berufung begründet und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist beantragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, ihre langjährige und erfahrene Bürovorsteherin, die zudem regelmäßig kontrolliert worden sei, habe zwar den mit dem 21. Mai 2001 richtig errechneten Fristablauf in der Handakte vermerkt, aber unerklärlicherweise in den von ihr selbständig und lange Zeit fehlerfrei geführten Fristenkalender den 22. Mai 2001 als Fristende eingetragen. Deshalb habe die Prozeßbevollmächtigte die Akte erst an diesem Tag zur Stellung eines Fristverlängerungsantrags in die Hand genommen.

Mit Beschluß vom 18. Juni 2001 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich ein Organisationsverschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen. Dem Vortrag der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin ihrer Prozeßbevollmächtigten sei zu entnehmen, daß für den 18. Mai 2001 eine Vorfrist im Kalender notiert worden sei. Es fehle jedoch jeglicher Vortrag dazu, daß die Bürovorsteherin und die mit der Vorlage von Fristensachen betrauten Büroangestellten angewiesen gewesen seien, Akten zu den im Kalender notierten Vorfristen stets einem Rechtsanwalt vorzulegen. Hätte es eine solche allgemeine Anweisung gegeben und wäre der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Akte zu der notierten Vorfrist vorgelegt worden, wäre dieser oder der Bürovorsteherin die Diskrepanz zwischen der Fristennotierung im Fristenkalender und in der Handakte aufgefallen. Nicht auszuschließen, sondern sogar naheliegend sei, daß die Prozeßbevollmächtigte allein aufgrund der Handakte und der darin zutreffend festgehaltenen Frist den Fristverlängerungsantrag rechtzeitig gestellt hätte.

II.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Sie hat diese Frist weder aus eigenem noch aus ihr zuzurechnendem Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt. Ein Organisationsverschulden ist diesen nicht anzulasten. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war die Bürovorsteherin der Prozeßbevollmächtigten angewiesen, die Akten am Tag der Vorfrist dem bearbeitenden Rechtsanwalt vorzulegen. Dies hat die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde vorgetragen und durch eine weitere eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin glaubhaft gemacht. Der Berücksichtigung dieser ergänzenden Angaben steht nicht entgegen, daß sie erst nach Ablauf der Frist gemäß § 234 Abs. 2 ZPO erfolgt sind. Zwar müssen nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (Senatsbeschlüsse vom 12. Mai 1998 - VI ZB 10/98 - VersR 1999, 642, 643 und vom 5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99 - VersR 2000, 202, 203; BGH, Beschluß vom 12. Juni 2001 - X ZB 14/01 - BGHReport 2001, 982). Ein solcher Fall ist hier gegeben, denn die Klägerin hatte mit dem Wiedereinsetzungsantrag (nur) vorgetragen, daß eine Anweisung zur Eintragung von Vorfristen bestand. Dieser Vortrag war ergänzungsbedürftig, weil er nicht erkennen ließ, welche Maßnahmen das Büropersonal bei Ablauf einer Vorfrist ergreifen sollte. Daß die Akten an diesem Tag dem bearbeitenden Rechtsanwalt vorgelegt werden sollten, lag nicht fern. Insoweit durfte die Klägerin ihren Vortrag deshalb auch noch nach Ablauf der Frist gemäß § 234 Abs. 2 ZPO vervollständigen. Wie sie weiter vorgetragen und durch ergänzende eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin glaubhaft gemacht hat, ist entgegen der grundsätzlichen Anweisung eine Vorlage der Akte bei Ablauf der Vorfrist nicht erfolgt. Dieses Versäumnis ist der Klägerin jedoch nicht zuzurechnen, weil es nicht auf einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten, sondern einem solchen der Bürovorsteherin beruht (vgl. BGH, Beschluß vom 12. Juli 1984 - IVb ZB 43/84 - VersR 1984, 873, 874; Beschluß vom 28. Oktober 1994 - VII ZB 22/93 - VersR 1994, 955).

Da, wovon das Berufungsgericht ausgeht, die Prozeßbevollmächtigte bei rechtzeitiger Vorlage der Handakte zu der notierten Vorfrist den Fristverlängerungsantrag innerhalb der in der Handakte zutreffend festgehaltenen Frist und somit rechtzeitig gestellt und das Gericht diesem Antrag stattgegeben hätte, wäre die Frist zur Begründung der Berufung bei Befolgung der Anweisung, die Akte am Tage der Vorfrist vorzulegen, nicht versäumt worden.

Wäre die Akte am Tage der Vorfrist vorgelegt worden, die Diskrepanz hinsichtlich der notierten Fristen aber - anders als das Berufungsgericht annimmt - unentdeckt geblieben, wäre die Begründungsfrist zwar (möglicherweise) versäumt worden. In diesem Fall würde die Fristversäumung jedoch ebenfalls nicht auf einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten beruhen. Da diese nur verpflichtet gewesen wäre, die Handakte auf den Fristablauf zu überprüfen und die Frist dort zutreffend vermerkt war, hätte sie nur eine erneute Vorlage der Akte am Tag des Fristablaufs sicherstellen müssen (vgl. Senatsbeschluß vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - NJW 1997, 2825). Wäre sie so verfahren, wäre ihr die Akte, wie sie in der Beschwerdebegründung vorträgt, "am Tage des Fristablaufs" vorgelegt worden. Handelte es sich dabei nicht um den in der Handakte richtig notierten, sondern um den im Fristenkalender unrichtig vermerkten Tag, wäre die Begründungsfrist bei Vorlage abgelaufen gewesen. In diesem Fall hätte die Fristversäumung auf der unrichtig notierten Frist und damit ebenfalls auf einem Verschulden des Büropersonals beruht, das für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Belang ist (BGH, Beschlüsse vom 12. Juli 1984 - IVb ZB 43/84 - aaO und vom 28. Oktober 1994 - VII ZB 22/93 - aaO).



Ende der Entscheidung

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