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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.05.2006
Aktenzeichen: VI ZB 29/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 67
ZPO § 68
ZPO § 406
ZPO § 492
Ein Streithelfer kann den im selbständigen Beweisverfahren tätigen Sachverständigen im Hauptsacheprozess ablehnen, wenn für ihn die Möglichkeit eines Ablehnungsgesuchs im selbständigen Beweisverfahren nicht eröffnet ist.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

VI ZB 29/05

vom 23. Mai 2006

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbehelfe der Beklagten zu 3 werden der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. März 2005 und der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 9. Februar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht in dem beim Landgericht rechtshängigen Bauprozess u.a. gegen die Beklagte zu 3 Schadensersatzforderungen wegen mangelhafter Lieferung von Heiz- und Sanitärleitungen geltend. Sie hatte als Generalunternehmerin des Bauvorhabens die Beklagte zu 1 mit der Erbringung der Heiz- und Sanitärleitungen sowie der Installationen beauftragt. Der Beklagte zu 2 erstellte als Ingenieur im Auftrag des Bauherrn die Funktionalbeschreibung. Die Beklagte zu 3, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 4 ist, lieferte nach der Behauptung der Klägerin untaugliches Material, das zu den Schäden geführt haben soll.

Dem Klageverfahren war ein beim Landgericht durchgeführtes selbständiges Beweisverfahren vorausgegangen, dem der Beklagte zu 2 auf Seiten der Antragstellerin und jetzigen Klägerin und die Beklagte zu 3 auf Seiten der Antragsgegnerin und jetzigen Beklagten zu 1 beigetreten waren. Vor dessen Einleitung hatte am 30. November 2000 eine Baustellenbesprechung stattgefunden, an der neben Vertretern der Klägerin, der Beklagten und weiterer Personen auch der später amtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. Th. teilgenommen hatte. Dieser war damals für den Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1 tätig. Bei der Besprechung einigten sich die Klägerin und die Beklagte zu 1 darauf, ein selbständiges Beweisverfahren einzuleiten und den Sachverständigen Dipl.-Ing. Th. dem Gericht als Sachverständigen zu benennen. Am 1. Dezember 2000 stellte die Klägerin "in Abstimmung mit der Antragsgegnerin und deren Zustimmung zu diesem Schriftsatz" Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens und benannte Dipl.-Ing. Th. als Sachverständigen. Das Landgericht hat daraufhin einen entsprechenden Beweisbeschluss erlassen. Der Sachverständige erstellte in der Folgezeit ein Gutachten, in dem er hauptsächlich den Beklagten zu 2 und die Beklagte zu 3 für die aufgetretenen Mängel und Schäden verantwortlich machte. Das Beweisverfahren ist noch nicht beendet.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 30. August 2004 Klage erhoben. Der Beklagte zu 2 lehnte den Sachverständigen Dipl.-Ing. Th. in seiner am 16. November 2004 eingegangen Klageerwiderungsschrift wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dem schlossen sich die Beklagten zu 3 und 4 mit am 29. November 2004 eingegangenen Schriftsatz an. Diese hatten erstmals durch die Klageerwiderungsschrift des Beklagten zu 2 von der Teilnahme des Sachverständigen an der Besprechung am 30. November 2000 erfahren, auf die u.a. die Ablehnungsgesuche gestützt wurden.

Das Landgericht hat die Ablehnungsanträge mit Beschlüssen vom 9. Februar 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, die Anträge seien gemäß § 67 ZPO unzulässig, weil die jeweils unterstützte Partei im selbständigen Beweisverfahren mit der Benennung des Sachverständigen in Kenntnis seiner Tätigkeit für die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 1 einverstanden gewesen sei. Das Oberlandesgericht hat die sofortigen Beschwerden der Beklagten zu 2, 3 und 4 als unbegründet zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit in dem angefochtenen Beschluss Rechtsfragen abgehandelt werden, die das Vorbringen der Beklagten zu 2 und 3 hinsichtlich einer Tätigkeit des Sachverständigen vor Beginn des selbständigen Beweisverfahrens betreffen. Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts haben die Beklagten zu 3 und 4 Rechtsbeschwerde eingelegt; der Beklagte zu 4 hat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen.

Hinsichtlich des Beklagten zu 3 führt das Beschwerdegericht aus, das Erstgericht habe seine Entscheidung zutreffend auf § 67 ZPO gestützt. Da die Antragsgegnerin im selbständigen Beweisverfahren (jetzige Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des Beitritts der Beklagten zu 3 schon ihr Ablehnungsrecht wegen § 406 Abs. 2 ZPO verloren gehabt habe und außerdem die übereinstimmende Benennung des Sachverständigen durch die Parteien als Verzicht auf das Ablehnungsrecht zu werten sei, sei der Beklagte zu 3 im Beweisverfahren von der Ablehnung des Sachverständigen ausgeschlossen. Dieser Verlust werde auch im Folgeprozess nicht rückgängig gemacht. Es bestehe ein Widerstreit zwischen § 68 ZPO einerseits und § 493 ZPO andererseits. Dieser sei zugunsten der letztgenannten Vorschrift zu lösen. Die faktische Einheit zwischen dem Beweisverfahren und dem Hauptsacheverfahren wäre gefährdet, würde sie in einen Zeitabschnitt zerfallen, in dem der Sachverständige nicht abgelehnt werden kann, und in einen solchen, in dem die Ablehnung zulässig sei. Andernfalls könnte der Streitverkündigungsempfänger, der wegen § 67 ZPO im selbständigen Beweisverfahren kein eigenes Ablehnungsrecht habe, das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit abwarten und sich je nach dem, ob es für ihn günstig ausfalle oder nicht, die Ablehnung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Um Härtefälle aufzufangen, sei nicht im Hauptsacheprozess bei § 493 ZPO anzusetzen, sondern schon im Beweisverfahren bei § 67 ZPO. Wenn etwa der Antragsgegner der Ablehnung eines Sachverständigen widerspreche, müsse sich der Streithelfer in besonderen Fällen auf Rechtsmissbrauch berufen können. Desgleichen müssten Gründe, die den Sachverständigen kraft Gesetzes ausschlössen (§§ 406, 41 ZPO), schon im Beweisverfahren geltend gemacht werden können, aber auch noch im Verfahren der Hauptsache, falls der Streithelfer - wie hier - erst dann von dem Ablehnungsgrund Kenntnis erlange. Ein solcher gesetzlicher Ausschließungsgrund liege hier jedoch nicht vor. Deshalb sei das Ablehnungsgesuch unzulässig.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO), insbesondere war die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts statthaft (§§ 492 Abs. 1, 406 Abs. 5 ZPO).

Die vom Beschwerdegericht vorgenommene Beschränkung der Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die "unter II. 1. und 2. der Gründe abgehandelten Rechtsfragen" ist unzulässig und deshalb unwirksam. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Zulassung nur auf einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffes beschränkt werden, wohingegen die Beschränkung auf einzelne Anspruchsmerkmale, Entscheidungselemente oder Rechtsfragen unzulässig ist (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 404/02 - VersR 2004, 525 m.w.N.). Der angefochtene Beschluss ist deshalb, da die Rechtsbeschwerde eine fehlerhafte Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts in der Sache rügt, in vollem Umfang nachzuprüfen.

2. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 3 ist auch begründet. Deren Ablehnungsantrag durfte nicht als unzulässig zurückgewiesen werden, soweit er auf eine frühere Tätigkeit des Sachverständigen für den Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1 gestützt wird. Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses insgesamt, weil über das Ablehnungsgesuch einheitlich entschieden werden muss.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass die Vorschriften über die Nebenintervention und Streitverkün-dung (§§ 66 ff. ZPO) sowie über die Ablehnung eines Sachverständigen (§§ 492 Abs. 1, 406 ZPO) im selbständigen Beweisverfahren anwendbar sind, die Beklagte zu 3 in diesem Verfahren aber eine Ablehnung des Sachverständigen nicht geltend machen kann.

Die Regelungen der §§ 66 ff. ZPO gewährleisten das rechtliche Gehör, dienen aber auch wie die §§ 485 ff. ZPO der Vermeidung widersprüchlicher Prozessergebnisse und der Verringerung der Zahl der Prozesse, indem sie Dritten die Möglichkeit geben, durch Unterstützung einer Partei auf einen zwischen anderen Parteien anhängigen Prozess Einfluss zu nehmen, wenn sich die Entscheidung des Verfahrens auf ihre Rechtsstellung auswirken kann. Diese Gesichtspunkte sind für das selbständige Beweisverfahren genauso von Bedeutung wie für den Hauptprozess. Deshalb entspricht die analoge Anwendung dieser Vorschriften dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BGHZ 134, 190, 193 f.).

Demgemäß war und ist die Beklagte zu 3 in dem noch nicht beendeten selbständigen Beweisverfahren nach § 67 ZPO gehindert, den Sachverständigen Dipl.-Ing. Th. in diesem Verfahren abzulehnen. Das Beschwerdegericht hat nämlich zu Recht angenommen, dass die Antragsgegnerin des selbständigen Beweisverfahrens und Beklagte zu 1 des jetzigen Verfahrens im Zeitpunkt des Beitritts der Beklagten zu 3 als ihre Streithelferin ihr Ablehnungsrecht bereits verloren hatte. Haben sich die Parteien - wie hier - auf einen Sachverständigen geeinigt (§ 404 Abs. 4 ZPO), so verzichten sie damit auf die bis zur Einigung bekannten Ablehnungsgründe (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 406 Rn. 12; Musielak/Huber, ZPO, 4. Aufl. § 406 Rn. 16; OLG Köln VersR 1993, 1502), wobei die Beklagte zu 1 zum Zeitpunkt des Beitritts der Beklagten zu 3 ihr Ablehnungsrecht ohnehin nach § 406 Abs. 2 ZPO verloren hatte. Da die Beklagte zu 3 den Rechtsstreit in der Lage annehmen musste, in der er sich zur Zeit ihres Beitritts befand, war sie mithin nicht berechtigt, den Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren abzulehnen. Sie hätte sich mit einer solchen Ablehnung nämlich in Widerspruch zu den Erklärungen und Handlungen der Beklagten zu 1 gesetzt (vgl. auch OLG Dresden IBR 2004, 468). Demgemäß war es und ist es der Beklagten zu 3 nicht möglich, den Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren abzulehnen, auch wenn eine Ablehnung des Sachverständigen in diesem Verfahren grundsätzlich möglich ist, weil § 492 Abs. 1 ZPO die für die Aufnahme des betreffenden Beweismittels geltenden Vorschriften uneingeschränkt für anwendbar erklärt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2005 - VI ZB 84/04 - BGHZ 164, 94 = VersR 2006, 95, 96; vgl. auch OLG Köln VersR 1993, 72, 73; OLG Celle BauR 1996, 144).

b) Das kann jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht zur Folge haben, dass die Beschwerdeführerin auch im Hauptprozess an der Ablehnung des Sachverständigen gehindert ist. Die Verneinung eines Ablehnungsrechts kann nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 68 ZPO gestützt werden. Die Interventionswirkung zu Lasten des Nebenintervenienten oder Streithelfers ist nur gerechtfertigt, wenn dieser die Möglichkeit hatte, den Prozess sachgerecht zu führen (vgl. Senatsurteil vom 14. Oktober 1975 - VI ZR 226/74 - NJW 1976, 292, 294). Die Bindungswirkung nach §§ 68, 74 Abs. 1 ZPO tritt deshalb nicht ein, soweit der Streitverkündungsgegner oder Nebenintervenient nach § 67 ZPO gehindert war, auf den Verlauf des Vorprozesses (hier: des selbständigen Beweisverfahrens) Einfluss zu nehmen. Konnte er dort auch im Falle seines Beitritts seinen eigenen Standpunkt nicht zur Geltung bringen, weil er auf die Unterstützung der Hauptpartei beschränkt ist, so ist für eine Bindungswirkung kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1981 - VII ZR 341/80 - NJW 1982, 281, 282). Nur dies entspricht dem Grundsatz eines fairen Verfahrens und dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG). Im Hinblick darauf darf eine Bindungswirkung nicht eintreten, welche der Streithelferin jede Möglichkeit nehmen würde, den im selbständigen Beweisverfahren tätigen Sachverständigen als befangen abzulehnen.

c) Für das vorliegende Verfahren ist dabei zu beachten, dass die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht (vgl. § 493 Abs. 1 ZPO). Die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren hat daher zur Folge, dass ein neues Gutachten in einem sich anschließenden Rechtsstreit nur unter den engen Voraussetzungen des § 412 ZPO eingeholt werden kann. Damit kommt der Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich eine präkludierende Wirkung zu, die ohne die Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht zu rechtfertigen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2005 - VI ZB 84/04 - aaO). Auch deshalb muss es der Beschwerdeführerin möglich sein, einen Sachverständigen nach § 406 ZPO entweder im selbständigen Beweisverfahren oder im nachfolgenden Hauptsacheverfahren abzulehnen. Wenn sie diese Möglichkeit im selbständigen Beweisverfahren wegen § 67 ZPO nicht hat, muss ihr folglich eine solche Möglichkeit im Hauptsacheverfahren eröffnet werden, damit nicht eine unzulässige Beschränkung ihrer Rechte eintritt.

Im Hinblick darauf durfte unter den Umständen des vorliegenden Falles der Antrag nicht als unzulässig zurückgewiesen werden, soweit er die Tätigkeit des Sachverständigen Dipl.-Ing. Th. vor Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens betrifft. Die Beklagte zu 3 hatte nämlich in diesem Verfahren keine Möglichkeit, den Sachverständigen abzulehnen, weil ihr die möglichen Ablehnungsgründe erst durch die Klageerwiderung des Beklagten zu 2 im Hauptsacheprozess bekannt wurden und § 67 ZPO einem solchen Antrag im selbständigen Beweisverfahren entgegenstand.

3. Nach allem ist der Beschluss des Beschwerdegerichts aufzuheben. Da über das Ablehnungsgesuch nur einheitlich entschieden werden kann, wird das Beschwerdegericht unter Beachtung der Rechtsauffassung des entscheidenden Senats insgesamt erneut über den Antrag der Beklagten zu 3 auf Ablehnung des Sachverständigen Dipl.-Ing. Th. wegen Besorgnis der Befangenheit zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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